- Startseite ›
- Dreigliederung ›
- Bücher & Aufsätze ›
- Details
Die Aktie, Symbol der Schande
Der demagogische Wahlzauber, der das Volkswagenwerk per »Volksaktien« als Erhard'sches »Eigentum für alle« in Aussicht stellt, bietet die Gelegenheit für eine »dreigliedrige« Grundlagenbesinnung.
Der christlich-populäre Appell an die egoistischen Besitzinstinkte des Wahlvolkes ist bequeme Demagogie; die Demagogie der Nationalsozialisten mit ihrer Maxime »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« war immerhin weniger bequem. Die Propaganda des Bundeswirtschaftsministers Erhard für seine »Arbeiteraktie« läßt diese als die Krönung der »sozialen« Marktwirtschaft erscheinen. Entsprechend lautet die Erhardsche Sozialdefinition der »Volksaktie« »gewinnbringendes Eigentum«. Diese freimütige Definition soll uns bei der kritischen Betrachtung der Aktie überhaupt leiten. – Wir brauchen es nicht zu verhehlen, daß uns der Begriff der »sozialen Marktwirtschaft« ein Etikett ist für etwas, das sachgemäß »Profitkapitalismus« zu heißen hätte. Wir übersetzen unbefangen »Neoliberalismus«, »Ordoliberalismus«, »Marktwirtschaft« usw. mit Profitkapitalismus. Wir unterscheiden den Profitkapitalismus von einem anderen Kapitalismus, der dem Prinzip verpflichtet ist: Gemeinnutz geht vor Eigennutz. Nicht in Washington und Moskau aber in Deutschland kann an Identitäten gedacht werden, die anderswo bloß krachende Gegensätze sind, z. B, an die Identität von Kapitalismus und Sozialismus. Popelig-dämliche Fragestellungen wie »Christentum und Marxismus« sind uns kein Thema.
Von Rudolf Steiner aus gibt es – im Scheine der eschatologischen Glorie der »Marktwirtschaft« – ein Jenseits des Marktes. Es gibt Dinge, die nicht käuflich und verkäuflich sein können z. B. die menschliche Arbeitskraft und die »produzierten Produktionsmittel«. Die Begriffe »Kapital-Markt« und »Arbeits-Markt« sind in einem gesunden sozialen Organismus geradezu eine Unmöglichkeit.
Rudolf Steiner: »In einem gesunden sozialen Organismus wird eine Summe von Produktionsmitteln dasjenige erschöpft haben, was sie kosten darf, wenn sie für den Betrieb fertig gestellt ist. Sie wird dann verwaltet werden können von dem Hersteller nur so lange, als er mit seinen individuellen Fähigkeiten wird dabei sein können. Dann wird sie überzugehen haben nicht durch Kauf oder Vererbung auf einen anderen, sondern durch kaufloses Übertragen an den, welcher wiederum die individuellen Fähigkeiten für die Verwaltung hat. Einen Kaufwert wird sie nicht haben, folglich auch keinen Wert in den Händen eines nichtsarbeitenden Erben. Kapital mit selbständiger wirtschaftlicher Kraft wird in der Herstellung von Produktionsmitteln arbeiten, es wird sich auflösen in dem Augenblick, in dem die Produktion der Produktionsmittel abgeschlossen ist.«
Demnach kann es in einem gesunden sozialen Organismus den Verkauf des Volkswagenwerkes gar nicht geben. Mit einigem guten Instinkt sollte man den Zustand, daß das Volkswagenwerk heute irgendwie niemandem gehört, als einen freundlichen Wink des Schicksals auffassen (für Christen: Schicksal als Vorsehung, nicht als heidnisches Fatum). Das Verschwinden des Eigentümers, die »Nichtung« des Eigentums ist ein ernstes und bewegendes Problem. Man gestatte, daß ich zur Begutachtung des Problems Euern Nationalphilosophen Heidegger berufe, der ähnlich wie Karl Marx das menschliche Dasein auf dem Hintergrund der Metaphysik Hegels studiert. Hegel hatte emphatisch sagen können: »Das reine Sein und das reine Nichts ist dasselbe«. Das war Hegels Definition des Gott-Geistes. Der Ansicht Hegels vom schaffenden Nichts steht von altersher der metaphysische Satz entgegen »Ex nihilo nihil fit« – aus Nichts wird Nichts. Nur die christliche Dogmatik – ich beziehe mich auf Heideggers öffentliche Antrittsrede in Freiburg 1929 »Was ist Metaphysik?« – lehrt »ex nihilo fit – ens creatum«. Hier gerät nun der deutsche Philosoph Heidegger in seiner Eigenschaft als vormaliger Jesuit in ein Dilemma. Er muß argumentieren: Wenn Gott aus Nichts schaffen wollte, so müßte er sich zum Nichts – als zu sich selbst – verhalten können; Gott müßte sich selbst als Toter gegenüberstehen können. Das kann nun der traditionelle Kirchengott nicht. Denn – sagt Heidegger: »Wenn Gott Gott ist, kann er das Nichts nicht kennen, wenn anders das »Absolute« alle Nichtigkeit von sich ausschließt«. Das gleiche altertümliche Verhältnis des Gottes zum Nichts und »Nichtigen« nimmt auch Karl Barth an. Anders die Theosophie im Zeichen Goethes. Gott beginnt sein menschliches Dasein auf Golgatha – als ein Toter, der sich zu sich selbst verhält. Wollte sich dieser Gott in der Gegenwart offenbaren, so müßten Leute da sein, die sich im sozialen Umgang mit anderen fortwährend totschlagen, damit andere aus der Gottkraft leben können. Solche Leute wären sozial produktiv, indem sie sich als »Eigner« ihrer selbst und ihres Eigentums (Stirner) vernichten, um in andern die Möglichkeit von Eignern zu sein. Eigentum als soziales Phänomen entsteht entweder durch Diebstahl (Proudhon) oder durch Opfer. Man denke sich einen Mann, der die Fähigkeit hätte, in den Mitmenschen als ein Toter zu existieren, während von dem Manne zugleich die Kraft ausginge, sein Totseinkönnen in das Aufwachen – der Andern zu verwandeln.
Es fehlt heute an der Unbefangenheit, die Gottgeistfrage, die sich bei Heidegger professoral drapiert, auf dem Felde der Nationalökonomie zu etablieren. Dazu müßte man nur vorher der Jurisprudenz ihre Unbegabtheit bestätigen. Sie hat längst nicht mehr den Ehrgeiz, eine schöpferische Wissenschaft zu sein wie die Philosophie. Die Juristen begnügen sich damit, unter wechselnden Potentaten jeweils die Legalität der Machenschaften mit dem menschlichen Dasein zu garantieren. Wenn »die Wirtschaft« ethische Gesetze kreiert, so sollen diese nachträglich juristisch möglich sein. Benötigt man zuhanden des menschlichen Daseins etwas Rhetorik – etwa in der Behandlung der altehrwürdigen Juristenfrage des »Eigentums« – so kann man sie aus den »sozialen Enzykliken« beziehen.
Begriffe wie »Eigentum« und »Lohn« können in der Gegenwart eine Umwandlung erfahren. Rudolf Steiner unterscheidet Eigentum und Verwaltung des Eigentums. Zur Einrichtung einer Fabrik ist ein »Kapital mit selbständiger wirtschaftlicher Kraft« d. h. Geld nötig. Dieses Kapital vernichtet sich in dem Augenblick, in dem die Einrichtung der Fabrik abgeschlossen ist. Das Kapital gehört von diesem Augenblick an niemandem, gehört dem Nichts, gehört – Gott, und es kann im Namen Gottes nur übertragen werden auf einen solchen, der die individuelle Fähigkeit der sachgemäßen Verwaltung des Produktionsmittels besitzt. Ich frage: Warum eigentlich sind die christlichen Kirchen als Usurpatoren des »Geistes« noch nie auf den Gedanken gekommen, daß es ihre Aufgabe sein könnte, sich für den Eintritt des Nichts (des Kapitals) in das menschliche Dasein verantwortlich zu machen? Das Dasein zeigt Heidegger »sein Hineingehaltensein in das Nichts«; das schaffende Dasein gründet auf dem »Nichten des Nichts«. Es kann doch nur ein geschichtlicher Zufall sein, daß die Verwaltung des Nichts, d.h. die Verwaltung des Kredits (was bekanntlich »Glauben« heißt) an Rothschild und nicht an die originale Kreditanstalt Kirche gegangen ist. Um so schlimmer, wenn die Kirche eine welthistorische Aufgabe versäumt hätte. Um so schlimmer, wenn die Definition des Bankiers »Wucherer« lautet und nicht Gottesmann. Um so schlimmer, wenn aus der Bank ein ordinäres Erwerbsunternehmen wurde.
Zur Verwaltung des Kredits beruft Rudolf Steiner das Freie Geistesleben, d.h. dasjenige Glied des dreigliedrigen sozialen Organismus, das die Angelegenheiten des Geistes – Religion, Wissenschaft, Erziehung – zu regeln hat. Verwalter des schöpferischen Kredites sind Wirtschaftssachverständige als Exponenten des »freien Geisteslebens«; ihre Impulse haben sie aus der Menschen- und Welterkenntnis, die ihnen aus der Geistesoffenbarung der Theosophie Goethes zuteil wird.
»In Westdeutschland sind – nach der Frankfurter Allgemeinen – die ersten Volksaktien-Vereine gegründet worden, und zwar zwei bisher in Köln und einer in Düsseldorf. Wie wir hören sind weitere Gründungen geplant, zunächst in Mühlheim an der Ruhr und in Bochum (die genannten Orte liegen in geographischer wie in klerikaler Hinsicht in der Nähe von Bonn, Verf.) Das Ziel dieser Gründungen ist, denjenigen Kreisen der Bevölkerung, die sich für die Aktie als Bestandteil unserer auf das private Eigentum gegründeten Wirtschaftsordnung bisher nicht interessiert haben, die Möglichkeit zu geben, sich über das Wesen der Aktie zu unterrichten und sie so zum Erwerb von Aktien anzuregen usw. Die Redensart »unsere auf das private Eigentum gegründete Wirtschaftsordnung« ist als Klassenkampfparole im Wahljahr 1957 gemeint. In der Tat, der Weltgeist als das menschliche Dasein ist für die Gestaltung des Wirtschaftskreislaufes auf das private Eigentum der individuellen Tüchtigkeit von Unternehmern angewiesen. Die individuelle Tüchtigkeit begründet das persönliche Verfügungsrecht über Kapital. Man ist nicht deswegen Unternehmer, weil man über persönlichen Reichtum verfügt, sondern aus gehaltvolleren Gründen. Von der römisch-juristischen Frage »Eigentum« brauchen sich die schaffenden Unternehmer nicht beunruhigen zu lassen. Es kann etwa dem Dr. Nordhoff gleichgültig sein, ob er im Sinne katholischer Sozialphilosophie der private Eigentümer des Volkswagenwerkes ist; faktisch ist er der berufene Verwalter des im Volkswagenwerk investierten Kapitals und repräsentiert als solcher »unsere auf das Privateigentum gegründete Wirtschaftsordnung«. Solange er diese Aufgabe erfüllt, ist er im Sinne anthroposophischer Sozialanschauung der private Eigentümer des Volkswagenwerkes – mit den Pflichten des Eigentümers. Der Gedanke, es gebe außer Dr. Nordhoff noch einen anderen Eigentümer, der gar in der Lage wäre, das Volkswagenwerk zu verkaufen, ist absurde römische Juristik.
Kapital ist letztlich Intelligenz, »Geist«. Es gibt noch keinen Nobel-Preis, um wirtschaftlich Intelligente zu ehren. Einem künftigen Preiskomitee könnte als Richtschnur die Frage empfohlen werden »Wer ist der Bestgehaßte?« z.B. in Seldwyla. Gottlieb Duttweiler hat ein dem Verkauf des Volkswagenwerkes analoges Problem intelligent gelöst, als er eines Tages die mit eigner Kraft aufgebaute »Migros« an die Migros-Genossenschafter – verschenkte. »So etwas tut man doch nicht« in unserer auf das private Eigentum gegründeten Wirtschaftsordnung – die so urteilen, haben die Intelligenz des Vorganges nicht begriffen. Unter den verschiedenen Arten, Kapital zu investieren, ist das Schenken die allerproduktivste. Zum Schenken muß erst einer da sein, der etwas zu verschenken hat. Duttweiler schenkt, und die Beschenkten als Eigentümer des Migros-Unternehmens, kreditieren dem intelligenten Unternehmer das Vertrauen in sein Können. Das Urphänomen des Kredits ist kein Handel mit Geld, sondern beinhaltet: Einer erhält so viel Glauben, als er vorher Glauben verschenkt hat. Duttweiler hat das Muster eines nicht ironisch gemeinten »volkseigenen Betriebes« innerhalb unserer auf das Privateigentum gegründeten Wirtschaftsordnung geschaffen. Beim börsenversierten Aktionär reduziert sich das Humanum des Glaubensverhältnisses zwischen Gesellschaftern und Betriebsleitung auf das Interesse an der Dividende. Die Aktie braucht nicht intelligentes Eigentum zu sein, sie ist »gewinnbringendes Eigentum«.
Unsere Klassenkämpfer von rechts und links haben etwas geistige Anregung zugute. Die Phrase »unsere auf das Privateigentum gegründete Wirtschaftsordnung« als bürgerliche Klassenkampfparole und sture Reaktion auf die Sozialisierungstendenzen der anderen Klassenkampfpartei ist von beschämender geistiger Anspruchslosigkeit.
Rudolf Steiner, 1919: »Die sozialistisch Denkenden der Gegenwart streben die Verwaltung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft an. Was in diesem ihrem Streben berechtigt ist, das wird nur dadurch erreicht werden können, daß diese Verwaltung von dem freien Geistesgebiet besorgt wird. Dadurch wird der wirtschaftliche Zwang unmöglich gemacht, der vom Kapitalisten dann ausgeht und als menschenunwürdig empfunden wird, wenn der Kapitalist seine Tätigkeit aus den Kräften des Wirtschaftslebens heraus entfaltet. Und es wird die Lähmung der individuellen menschlichen Fähigkeiten nicht eintreten können, die als eine Folge sich ergeben muß, wenn diese Fähigkeiten vom politischen Staate verwaltet werden.« ... »Es ist eine durchaus berechtigte Forderung des gegenwärtigen Sozialismus, daß die neuzeitlichen Einrichtungen, in denen produziert wird um des Profitierens des Einzelnen willen, durch solche ersetzt werden, in denen produziert wird um des Konsumierens Aller willen. Allein gerade derjenige, welcher diese Forderung voll anerkennt, wird nicht zu der Schlußfolgerung dieses neueren Sozialismus kommen können: also müssen die Produktionsmittel aus dem Privateigentum in Gemeineigentum übergehen. Er wird vielmehr die ganz andere Schlußfolgerung anerkennen müssen: also muß, was privat auf Grund der individuellen Tüchtigkeiten produziert wird, durch die rechten Wege der Allgemeinheit zugeführt werden. Der wirtschaftliche Impuls der neueren Zeit ging dahin, durch die Menge des Gütererzeugens Einnahmen zu schaffen; die Zukunft wird danach streben müssen, durch Assoziationen aus der notwendigen Konsumtion die beste Art der Produktion und die Wege von dem Produzenten zu dem Konsumenten zu finden. Die Rechtseinrichtungen werden dafür sorgen, daß ein Produktionsbetrieb nur so lange mit einer Person oder Personengruppe verbunden bleibt, als sich diese Verbindung aus den individuellen Fähigkeiten dieser Personen heraus rechtfertigt. Statt dem Gemeineigentum der Produktionsmittel wird im sozialen Organismus ein Kreislauf dieser Mittel eintreten, der sie immer von neuem zu denjenigen Personen bringt, deren individuelle Fähigkeiten sie in der möglichst besten Art der Gemeinschaft nutzbar machen können. Auf diese Art wird zeitweilig diejenige Verbindung zwischen Persönlichkeit und Produktionsmittel hergestellt, die bisher durch den Privatbesitz bewirkt worden ist.« ... »Das Eigentum hört auf, dasjenige zu sein, was es bis jetzt gewesen ist. Und es wird nicht zurückgeführt zu einer überwundenen Form, wie sie das Gemeineigentum darstellen würde, sondern es wird fortgeführt zu etwas völlig Neuem. Die Gegenstände des Eigentums werden in den Fluß des sozialen Lebens gebracht. Der Einzelne kann sie nicht aus seinem Privatinteresse heraus zum Schaden der Allgemeinheit verwalten; aber auch die Allgemeinheit wird sie nicht zum Schaden der Einzelnen bürokratisch verwalten können; sondern der geeignete Einzelne wird zu ihnen den Zugang finden, um durch sie der Allgemeinheit dienen zu können.«
Die werten Dogmatiker des Bonner Neoliberalismus werden sich von den Anregungen Rudolf Steiners ebensowenig ansprechen lassen, wie die Nationalsozialisten in den zwanziger Jahren. Heute wie damals ist nicht ein tieferer Gehalt der sozialen Frage, sondern einzig die politische Macht interessant. Aber es ist ein makabres Spiel, die Machtmehrung durch die Aufstachelung der egoistischen Besitzinstinkte des populus zu intendieren.
Die Aktie, »gewinnbringendes Eigentum«, ist Instrument und Mittel »unserer Wirtschaftsordnung«. Wird sie als Mittel ins Auge gefaßt, so muß sich im Mittel der Zweck »unserer Wirtschaft« spiegeln. Was ist der Zweck »unserer Wirtschaft«? Wenn der Profit der Unternehmer der Zweck »unserer Wirtschaft« ist, dann ist die Aktie »gewinnbringendes Eigentum« repräsentativ für den Stil »unserer Wirtschaft«, sie ist ein stilgerechtes Mittel. Die Geschichte des Aktienwesens und des Aktienrechtes verläuft auf der Schicksalslinie, auf der die Kirche als Offenbarerin des »Geistes« die Gelegenheit versäumt hat, sich an die Stelle Rothschilds zu setzen. Die Kirche blieb unproduktiv gegenüber dem geschichtlichen Vorgange, der von Rudolf Steiner wie folgt beschrieben wurde (1908 in der Hegel-Stadt Nürnberg in Vorträgen über »Die Theosophie anhand der Apokalypse«):
»Denn tatsächlich ist der Mensch in gewisser Weise schon hineingestiegen in den Abgrund, und wer vom geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus die Zeit studiert, kann an den profansten Erscheinungen sehen, wie das von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weitergeht, wie immer ein gewisser Punkt erreicht wird, wo gerade noch die Persönlichkeit sich selbst fangen kann. Überläßt sie sich an diesem Punkte dem Hinabsinken, dann verliert sich die Persönlichkeit, dann wird die Persönlichkeit nicht gerettet, um hinaufzusteigen in die geistigen Welten. Selbst in den weltlichsten Dingen kann man das nachweisen. Zum Beispiel könnte ich es Ihnen an den Einzelheiten der Entwickelung des Bankwesens in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts nachweisen. Es ist nämlich vielleicht erst den zukünftigen Geschichtsschreibern vorbehalten, zur Klarheit zu bringen, daß da eine gründliche Veränderung eingetreten ist, die wir damit bezeichnen können: Im Bankwesen ist die Persönlichkeit allmählich zersplittert. – Da würde ich Sie hinweisen müssen auf jenen Zeitpunkt, wo die vier Rothschilds in die Welt ausgezogen sind von Frankfurt aus, der eine nach Wien, der andere nach Neapel, der dritte nach London, der vierte nach Paris, und wie da das ganze Bankwesen durch die eben darauf gerichtete persönliche Begabung in eine persönliche Sphäre hineingebracht worden ist. Da hat sich die Persönlichkeit eingesetzt für das Geldwesen. Heute sehen Sie das ganze Bankwesen unpersönlich werden. Das Kapital geht an die Aktiengesellschaften über, es wird nicht mehr von der Einzelpersönlichkeit verwaltet. Das Kapital fängt an, sich selbst zu verwalten. Wir haben rein objektive Kräfte, die innerhalb des Kapitals wirtschaften, und sogar schon Kräfte innerhalb dieses Gebietes, die allen Willen der Persönlichkeit an sich ziehen, so daß die Persönlichkeit ohnmächtig geworden ist. So kann man mit sehenden Augen bis hinein in diese weltlichen Dinge die Sache verfolgen und wird überall sehen können, wie die Menschheit in bezug auf die Persönlichkeit zu einem tiefsten Punkt herunterstieg. Nun kann sich die Persönlichkeit retten und wieder hinaufsteigen. Sie kann sich dadurch retten, daß sie zum Beispiel durch Stärkung der inneren seelischen Kräfte wirklich lernt, sich auf sich selbst zu stellen, sich unabhängig zu machen von den objektiven Kapitalsmächten. Die Persönlichkeit kann sich aber auch hineinwerfen in diese Kräfte, kann in gewisser Weise hineinsegeln und hinunterdringen in den Abgrund, sich umgarnen lassen von den im Kapital wirksamen Kräften.«
Die Aktiengesellschaft (société anonyme) befreit die Aktionäre als Eigentümer eines Unternehmens von der persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten des Unternehmens. Die Form der Aktiengesellschaft ergab sich geschichtlich aus dem Bedürfnis von Geldeigentümern, an den apokalyptischen Segnungen des sich selbst verwaltenden Kapitals teilzunehmen. Die Inhaberaktie, die man wie ein Paar Hosen kaufen, verkaufen oder erben kann, offenbart das Geheimnis und den Stil des subjektlos sich selbst verwaltenden Geldgeschehens. Mit anderen Worten die Aktie als Stilmittel »unserer Wirtschaft« ist ein Symbol der Schande. Darum also in neoliberaler Schönheit: Arbeiteraktien.
Karl Ballmer
Erläuterungen des Herausgebers
Beim letzten Zitat aus einem Vortrag Rudolf Steiners in Nürnberg im Jahre 1908 haben wir nicht den von Karl Ballmer benutzten Wortlaut benutzt, sondern diesen anhand der aktuellsten Version der Vortragsnachschrift von 1985 korrigiert. Diese neuere Version beseitigt nämlich einige Übertragungsfehler und fügt sich damit noch besser in der Argumentation Karl Ballmers.
Das hier benutzte Zitat befindet sich in: Rudolf Steiner, Die Apokalypse des Johannes, GA 104, 7. Auflage 1985, Seite 140-141
Sylvain Coiplet, September 2017
Quellen
Von Sylvain Coiplet überarbeitete Version der Textgrundlage von Rüdiger Blankertz auf menschenkunde.com
Ersterscheinung 1976, im Verlag Fornasella, Besazio (Schweiz)
Weitere Schriften Karl Ballmers bei Edition LGC