Zins, Differenzgewinn, Produktivitätsgewinn

Erwiderung von Prof. Dr. F. Wilken, Freiburg/Br.

01.12.1959

Quelle
Zeitschrift „Beiträge zur Dreigliederung des sozialen Organismus“
Jahrgang 4, Heft 5-6, Dezember 1959, Seite 10-12

Herr Vogel nennt drei Gewinnbegriffe. Dazu ist zu sagen:

  1. Was in der Betriebsrechnung heute als Gewinn bilanziert wird, enthält auch den Unternehmerlohn, also die Vergütung für die Arbeitsleistung des Unternehmers. Bei solcher Buchführung arbeitet jeder persönlich geleitete Betrieb mit Gewinn, andernfalls müßte der Unternehmer verhungern.
  2. Profit ist der Ausdruck der englischen Nationalökonomie für die mit dem Kapitaleinsatz verbundene Rente, die einen Betrag enthält, der über der Verzinsung liegt. Die Tendenz ist anerkanntermaßen die Gewinn-Maximierung.
  3. Nicht immer ist der Gewinn eine Funktion der Kapitalrente; er ist es nur dann, wenn die Rente als solche gewollt wird und in die Preise einkalkuliert wird. Vom Standpunkte der wirtschaftlichen Dynamik ist jedoch die Kapitalrente eine Funktion des Gewinnes. Der Gewinn im eigentlichen und echten Sinne ist das Primäre.

[Beiträge, Jahrgang 4, Heft 5-6, Seite 10]

Um das zu verstehen, muß die betriebswirtschaftliche und subjektive Denkweise verlassen werden. Aus der Kreislaufsdynamik gedacht, kann das Kapital verbunden werden:

  1. Mit einem Zins, der kalkuliert wird,
  2. mit einem Differenzgewinn. Dieser entsteht durch Preisaufschläge und wird markttechnisch realisiert. So kalkulieren die Kartelle eine Kapitalbildungsquote ein.
  3. tritt ein Gewinn zwangsläufig in Erscheinung als monetäre Vergegenständlichung der produktiven Entwicklungsfortschritte, durch welche die Produktion usw. verbilligt werden.

Mit letzterem Gewinnbegriff ist eine Art der Kapitalbildung bezeichnet worden, welche in meinem jetzt erschienenen Buche über die Entmachtung des Kapitals ausführlich beschrieben wurde. Ein solcher Gewinn tritt natürlich nicht allgemein auf, sondern nur, wo geistige Einschläge in das Wirtschaftsleben realisiert werden. Allgemein von Gewinnbildung zu sprechen ist nur möglich, wenn man den betriebswirtschaftlichen Gewinnbegriff verwendet, der mindestens den Unternehmerlohn zum Inhalt hat. - Es ist ein Mißverständnis, was mir von Herrn Vogel als Behauptung in einer Diskussionsrede unterstellt wird. Verteilt werden können nur die Differenzgewinne und die Produktivitätsgewinne, soweit solche anfallen.

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Die weiteren Ausführungen des Herrn Vogel zeigen, wohin man kommt, wenn man in die wirtschaftlichen Zusammenhänge die kausale Denkmethode hineinträgt, anstatt sich der organisch-kreislaufsgemäßen zu bedienen. Es ist kausal gedacht, wenn man sagt: Ist der Zins gleich 0%, dann gibt es Vollbeschäftigung; oder: wenn der Gegensatz von Lohn und Gewinn verschwindet, dann verschwindet der Interessengegensatz von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Wenn man einmal einen Zins von 0% unterstellt, dann ergeben sich für ein kreislaufsmäßiges Denken folgende Möglichkeiten. Die Initiativen des Geldsparers würden sich unter den heutigen Bedingungen allein auf ein Sparen für Altersvorsorge und dergleichen beschränken. Ein solches Geld würde vielleicht auch gehortet werden. Einer Unternehmung würde man nichts zur Verfügung stellen, wenn man für einen solchen Dienst nicht am Ertrage des Kapitals beteiligt wird.

Würde man Voraussetzungen schaffen, welche das Horten verhüten und die zinslose Kapitalhergabe ermöglichten, so würde sich ein Überangebot an Kapital ergeben und mit ihm die Tendenzen zur Überproduktion in Verbindung mit einem katastrophalen Mangel an Arbeitskräften und mit Überbeschäftigung. Damit das nicht entstünde, müßte man die Bedingungen der Marktwirtschaft und ihrer Kapitalversorgung von Grund auf reformieren. Mit Zins gleich 0 würde man nur eine Katastrophe herbeiführen. Es geht nicht um den Zins bei der

[Beiträge, Jahrgang 4, Heft 5-6, Seite 11]

Kapitalversorgung des sozialen Organismus, sondern um die Neutralisierung des Kapitals und die Verfügung desselben aus einer dem Einzelegoismus übergeordneten sozialen Vernunft. Da spielt der Zins eine gänzlich sekundäre Rolle. - Im übrigen gilt für die Produktivitätsgewinne das, was Rudolf Steiner im nationalökonomischen Kurs mit dem Beispiel der Erfindung des Wagens, der die Arbeiter zu ihrer Arbeitsstätte schafft, ausgeführt hat. Der Gewinn, den dieser Erfinder macht, ist ein reiner Produktivitätsgewinn. Es wird gesagt, daß er diesen einem klugen Unternehmer überlassen kann, der ihn produktiv anlegt. Dafür beteiligt dieser letztere aber unsern Wagenbesitzer am Ertrag. Es muß das nicht sein, aber es ist sozial gerechtfertigt.

Man sieht aus alledem, daß es nicht angeht, gewisse Segmente aus dem Wirtschaftskreislauf zu lösen und in eine Kausalformel zu bringen. Ebensowenig geht es an, Zitate von Rudolf Steiner zu bringen, die aus dem Zusammenhang gerissen werden, innerhalb dessen sie gültig sind. Man muß immer das Ganze übersehen, um nicht begrenzt gültige Feststellungen zu verallgemeinern. Das sind immer nur Teilwahrheiten, die unter bestimmten Bedingungen allein gelten.

Im medizinischen Bereich wird weitgehend kausal gedacht. Man spricht von Krankheitsursachen, von Todesursachen. Es liegen leicht die Tendenzen vor, einmal gemachte Erfahrungen zu verallgemeinern. So gibt es gewisse Naturheilkundige, die alle Krankheiten auf einen Harnsäureüberschuß zurückführen. Dem Zinsbeispiel entsprechend sagen sie: wenn aller Harnsäureüberschuß gleich 0 ist, dann gibt es keine Krankheiten mehr. Das ist in dieser Allgemeinheit eben nicht richtig, sondern es gilt nur für bestimmte Krankheiten.

Aus dem gleichen Grunde ist es nicht möglich, bestimmte organische Gedanken Rudolf Steiners aus ihrem Zusammenhang zu lösen und zu festen Kausalzusammenhängen zu stabilisieren. In den ökonomischen Zusammenhängen durchdringt sich alles, und da sie der menschlichen Freiheit unterworfen sind, so gibt es niemals nur einen einzigen Weg oder Trick zu ihrer systemgerechten Verwirklichung. Die Erarbeitung der nationalökonomischen Wissenschaft will dazu führen, daß derjenige, der sich ihr hingibt, lernt, das Ganze zu überschauen in allen seinen vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten. Durch ein Denken in Teilkomplexen verhärtet man den fließenden Verlauf der Prozesse.

[Beiträge, Jahrgang 4, Heft 5-6, Seite 12]