Im Gang der Zeiten – Erinnerungen

01.01.1960

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Auszug aus dem Buch „Im Gang der Zeiten – Erinnerungen“
Bibliographische Notiz

Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis der Erben des Autors

Menschen im Betrieb und um den Betrieb

IM ZUSAMMENHANG der umfangreichen und vielseitigen Begründungen, die Rudolf Steiner seiner Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus gegeben hat, machte er auch auf das Zeitverhältnis aufmerksam, in dem die drei Gebiete Geistesleben, Redusleben und Wirtschaftsleben untereinander stehen. Das Geistesleben ist Vergangenheit, das heißt, der Mensch bringt seine Eigenschaften und Fähigkeiten mit als Frucht der vergangenen Inkarnationen und der Vererbung. Das Rechtsleben ist Gegenwart. Das Wirtschaftsleben weist in die Zukunft, das heißt, die Zukunft der Erde hängt ab von dem, was in der Wirtschaft geschieht, von der Art, wie sie betrieben wird, von der Gesinnung der in den Fabriken Tätigen in ihren gegenseitigen Beziehungen und dem Werkstoff gegenüber. Die Zukunft wird gut, wenn im Wirtschaftsleben Verantwortung der Erde gegenüber und Brüderlichkeit in der Enge des Werks und in der Weite der Welt herrschen, so, wie es gut geht, wenn im Rechtsleben die wahre Demokratie, die Gleichheit vor dem Recht verwirklicht wird und im Geistesleben die wahre Aristokratie, die Freiheit des Begabten, damit er mit seinen individuellen Fähigkeiten dem Wohle des Ganzen ungehindert dienen kann.

Diese Einsicht gab mir, wenn auch spät, die Befriedigung, als Industrieller im Brennpunkt des Geschehens stehen zu dürfen und nicht nur einem notwendigen Übel dienen zu müssen. Der Leser wird sich erinnern, daß ich mich eigentlich zu »Höherem« berufen fühlte, nämlich zu einem geistigen Beruf. Man klagt heute

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 371]

mit Recht über das Übergewicht der Wirtschaft. Jedoch wäre auch ein Überwiegen des Rechtslebens oder des Geisteslebens nicht zu wünschen. Die drei Gebiete müssen in einem harmonischen Gleichgewicht stehen. Immerhin erlöste mich die erwähnte Zukunftsbedeutung der Wirtschaft von einem gewissen Minderwertigkeitsgefühl, das ich als im Wirtschaftsleben Tätiger manchmal gegenüber gebildeten Philologen, Archäologen, Philosophen und Dichtern empfand. in einem mit gleichmäßigem Lärm erfüllten Raum, die dauernde Konzentration auf die gleiche präzise Arbeit etwa in der Uhrenindustrie, erschienen mir als die Tätigkeiten, bei denen man mit der Gefahr der Seelenverödung des Menschen rechnen muß.

Inzwischen hat sich auch im Bewußtsein der größeren Allgemeinheit die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Schau- und Kampfplätze des Ringens um die soziale Frage vorwiegend die Industrie und die Fabriken sind und daß freilich die Lösung der sozialen Frage eine Aufgabe ist, die alle Kreise eines Volkes auf das tiefste berührt und die größte Bedeutung für ihre Existenz hat.

Grundlagen

IM APRIL 1933 fand am Goetheanum in Dornach eine Tagung über »Technik und Soziale Frage« statt. Ich war aufgefordert worden, einen Vortrag zu halten und wählte das Thema: »Völker, Menschen und Technik in Wirkung und Gegenwirkung«. In diesem Beitrag versuchte ich unter anderem darzutun, daß der Mensch durch die Art seiner Tätigkeit geformt wird. Ich beschrieb die durchaus unterschiedliche Stimmung — heute wird man von Betriebsklima sprechen — in den Betrieben der Rohstoffindustrie, der Produktionsmittelindustrie und der Verbrauchsgüterindustrie, wobei die moderne chemische Industrie innerhalb dieser Zusammenfassung einen besonderen Charakter hat. Sie ist wohl der unheimlichste, abstrakteste und gefährlichste Zweig, insofern hier die Materie nicht nur umgeformt und veredelt, sondern auch zerlegt und neu zusammengefügt wird.

Ich versuchte damals darzustellen, daß der seelische Zustand der in der Fabrik tätigen Menschen abhängig ist vom Grad der Gebundenheit an die Maschine und des Sich-bewegen-Könnens. Sie ist weiterhin abhängig vom Grad der Monotonie der Arbeit. Die moderne Massenfertigung, etwa die Bedienung von Webstühlen

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 372]

in einem mit gleichmäßigem Lärm erfüllten Raum, die dauernde Konzentration auf die gleiche präzise Arbeit etwa in der Uhrenindustrie, erschienen mir als die Tätigkeiten, bei denen man mit der Gefahr der Seelenverödung des Menschen rechnen muß.

Tiefen Eindruck machte mir im Jahr 1949 beim Besuch der Fordwerke in Detroit nicht so sehr die Arbeit der Menschen an dem Band, wo sich die Einzelteile zum fertigen Auto fügen, als die Arbeit an den Werkzeugmaschinen in Lärm und Enge, wo durch Ketten unerbittlich Motorenteile über den Köpfen der Arbeiter herangebracht werden.

Inzwischen hat man versucht, dem Menschen durch die Automatisierung das rein Mechanische, sich dauernd Wiederholende der Arbeit abzunehmen. Aber in der Massenproduktion der Konsumgüterindustrie wird für lange Zeit auch monotone Arbeit noch durch den Menschen verrichtet werden müssen.

Die Naturnähe ist am größten da, wo das Rohmaterial gewonnen wird, im uralten Bergbau, in der Eisen-, Stahl- und Metallherstellung. Dort ist die Arbeit menschenwürdiger, freier im Kampf mit den Elementen, wenn auch oft gefährlich genug. Die Produktionsmittelindustrie, in der ich einen großen Teil meines Lebens verbracht habe, steht in der Mitte. Sie besteht wesentlich aus dem Maschinenbau, verarbeitet in erster Linie Eisen, bezieht das Rohmaterial von dem Ort, wo es die Erde anbietet, und siedelt sich unabhängiger vom Vorkommen der Naturschätze nach anderen Standortgesetzen an. Absatzgebiet, Verkehrslage bedeuten etwas, oft — wie in unserem Fall — sind es nur historische Gegebenheiten und die Taten einzelner tüchtiger Männer und ihrer Nachkommen, die ein Werk an einem bestimmten Ort entstehen lassen. Auch die Eignung der Volksstämme kann einen bestimmenden Einfluß auf die Art der Fabrikation haben.

Noch einmal wiederholt sich in der Eisengießerei der Maschinenfabrik ein Prozeß, der im kleinen dem imponierenden Hantieren in den Eisen- und Stahlwerken der eisenschaffenden Industrie ähnelt. Das Eisen wird noch einmal bis zum Flüssigwerden erhitzt, damit es in die Formen fließen und zu den gewünschten Maschinenteilen erstarren kann.

Die hier tätigen Menschen gleichen denen, die sich in den groß-

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 373]

räumigen Hallen der eisenschaffenden Industrie bewegen. Sie machen ein handfestes Volk aus, das sich mehr wie andere einer Zunft zugehörig fühlt. Die Gießer sind starken Temperaturunterschieden ausgesetzt, sie arbeiten auf naturgewachsenem Boden, sie führen aber auch genaue Formarbeit mit feinerem Handwerkszeug aus. Bei den mit derben Schuhen, Hosen und Hemd bekleideten Männern herrscht oft die hitzige Temperatur des flüssige Funkensterne sprühenden Eisens. Sie sind rauh, aber charaktervoll und offenherzig.

Die besinnlichen, für sich arbeitenden Modellschreiner gehen mit dem Holz um, sie leben im Geruch des Holzes und der Lacke, sind säuberlich und still, wie ihr Handwerk ist.

Die Schlosser tragen die blauen Monteuranzüge, die jede Woche frisch gewaschen werden. Sie stehen im Temperament zwischen den Gießern und Schreinern. Das feste Eisen macht ruhiger, aber es schafft lebhaftere Gemüter als das Holz. Bei allen drei Kategorien läß die Arbeit eine gewisse Beweglichkeit zu, eine Möglichkeit zum Hin- und Hergehen. Die Schlosser, die große Maschinen mit Hilfe von Kranen bedächtig zusammenbauen und an die von Maschinen bearbeiteten Teile, wenn nötig, die letzte Hand anlegen, sind selbstbewußt, nicht getrieben vom Tempo eines Bandes, ja nicht einmal vom Akkord, dem Verlangen nach dem Mehrverdienst. Sie können mit Recht gelassen sein. Ihnen steht die Möglichkeit offen, als Monteure die Maschinen draußen, oft in fernen Ländern, an Ort und Stelle einzubauen, als Repräsentanten der Firma mit dem Gefühl der Verantwortung für die Güte der Arbeit und für das Ansehen des Hauses, das von den Kunden auch nach dem Benehmen der Monteure gemessen wird.

Früher hatten die Arbeiter an den Werkzeugmaschinen, besonders die Dreher, Zeit zum »Sinnieren«. Sie bleibt ihnen vielleicht auch heute noch an den Großmaschinen, aber die kleineren Maschinen verlangen infolge der hohen Schnittgeschwindigkeiten gespannte Aufmerksamkeit, auch wird hier meist im Akkord gearbeitet. Diese Bearbeitungswerkstätten stellen auch in einem Produktionsmittelwerk, das Einzelmaschinen herstellt, soziale Probleme, weil der Mensch dort am engsten an die Maschine gebannt ist. Daher können dort zuerst Unruhe und Unzufriedenheit entstehen.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 374]

Die Vorarbeiter und Meister gehen aus dem Kreis der Facharbeiter hervor, sie avancieren, weil sie gute Facharbeiter waren. Können sie auch Vorgesetzte sein, gerecht, unparteiisch, streng, wenn nötig, aber doch menschlich und verständnisvoll? Hier mahnt ein pädagogisches Problem. Das Verhältnis zwischen Meister und Arbeiter ist einer der neuralgischen Punkte, von dem aus das Betriebsklima stark beeinflußt wird. Daß in dieser Beziehung auch die arbeiternahen Betriebsingenieure eine wichtige Rolle spielen, ist klar.

Die werkstattfernen Ingenieure, die am Reißbrett stehen und konstruieren oder als Projekt- und Verkaufsingenieure in die Welt hinausfahren und mit den oft selbst sehr sachverständigen Kunden verhandeln, und die Wissenschaftler schließlich, die — bis zu einem gewissen Grad losgelöst von sozialen Problemen und den Forderungen des Tages — in den Entwicklungsbüros und Versuchsanstalten arbeiten, diese drei Gruppen der Ingenieure bewegen sich in einem beneidenswert objektiven Gebiet. Es ist das wissenschaftlich mathematische, das eine allen gemeinsame Sprache der Verständigung hervorbringt. Man kann sich wohl irren, aber nicht anderer Ansicht sein aus Sympathie oder Antipathie oder aus politischen oder weltanschaulichen Gründen, sondern weil man sich gegebenenfalls nachweisbar verrechnet hat. Diese gemeinsame Basis macht fast in allen Fällen eine Verständigung möglich, sie verbindet auch die Nationen, das heißt, die Ingenieure der Nationen. Es herrscht die ratio, die Vernunft.

Auch die Kaufleute stehen der Werkstatt ferner, sie verhalten sich nach innen kontrollierend, sind nach außen dem Subjektiven näher als die Ingenieure, denn es geht ums Geld, ein Gebiet, wo es schon leidenschaftlicher zugehen kann, wenn ausgehandelt werden muß. Sie muten prosaisch an, weil sie oft gezwungen sind, an die nüchternen Zahlen zu erinnern; denn sie sind die eigentlichen Verwalter und Wächter des Unternehmens und haben die Risiken zu verantworten. Wohl abwägend müssen sie aus ihrer Kenntnis der großen Zusammenhänge gegebenenfalls kühn entscheiden.

Der ständig sich erweiternde Wissensstoff, der in den technischen Lehranstalten vorgebracht wird, gestattet den Studenten fast kein studium generale mehr. Der Mangel an Bildung über das

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 375]

Fachliche hinaus ist das Schicksal der Ingenieure. Das Weltanschauliche kommt zu kurz, ja es entsteht fast eine Scheu dem Biologischen gegenüber. Aber gehört der Ingenieur mit seiner Person nicht auch dem Gebiet des Biologischen an? Ich gebe zu, es ist eine befriedigende, klare, ja reizvolle Atmosphäre, die unter Ingenieuren am Konferenztisch herrschen kann. Man fühlt sich geborgen im Bezirk der Zuverlässigkeit des Mineralreichs. Daß diese Einseitigkeit gelegentlich Ratlosigkeit im Menschlichen hervorbringen kann, ist zu verstehen.

Die in der Personalabteilung Tätigen haben hauptamtlich mit den Menschen im Betrieb zu tun. Ihre Aufgaben sind vielseitig. Psychologische Kenntnisse müssen vorausgesetzt werden, damit richtige Beurteilung der Menschen und ihrer Fähigkeiten entstehen kann. Durch Enttäuschungen dürfen sie nicht den Glauben an das Gute verlieren.

Gegebene Spannungen

Es GIBT SPANNUNGEN, die naturgegeben sind. Man soll sich damit abfinden und aus der Erkenntnis ihres Daseins dauernd um ihre Harmonisierung ringen.

Ein Betrieb ist ein hierarchisches Gebilde, ein lebendiger Organismus, und kann nur funktionieren, wenn in seinen Gliedern Ordnung herrscht. Ohne die Stufenleiter vom Hoftagelöhner zum Generaldirektor geht es nicht. So steht die Polarität Vorgesetzter und Untergebener, Leiter und Geleiteter, Arbeitgeber und Arbeitnehmer an erster Stelle.

Angestrebt werden muß, daß der richtige Mann an der richtigen Stelle nach seinen Fähigkeiten eingesetzt wird. Unabhängig von Sympathie und Antipathie, von Parteien und Konfessionen herrscht das Gesetz: Je höher einer auf der Stufenleiter steigt, desto höher muß der Grad seiner Selbstlosigkeit werden, desto größer sein Interesse am Gesamtwohl und an der Entwicklung des Werkes in der weiteren Zukunft sein, nicht nur auf technisch-kommerziellem, sondern auch auf dem menschlichen Gebiet. Wegen des letzteren muß der Leitende mehr und mehr zum Pädagogen werden, zum Erzieher an sich und an den ihm Anvertrauten.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 376]

Von außen wirkt in das Verhältnis der Arbeitgeber und Arbeitnehmer dasjenige der Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Verbände als Spannungsmoment hinein. Die verhandelnden Ausschüsse und Funktionäre dürfen als Wahrer der Interessen ihrer Gruppen nicht die großen Zusammenhänge vergessen, zum Beispiel das Eingebettetsein des Betriebs in die Weltwirtschaft und den Wettbewerb, damit nicht der Ast abgesägt werde, auf dem man doch sitzen bleiben möchte. Sie müssen an den richtigen Preis und Gewinn und an den gerechten Lohn denken. Es kann vorkommen, daß das in den Verbänden Ausgehandelte nicht mit den Interessen des Einzelbetriebs übereinstimmt. Das ergibt dann eine Spannung zwischen letzterem und dem eigenen Verband.

Innerhalb eines Werkes ist die Spannung zwischen Büro und Werkstatt da, allgemein ausgedrückt, zwischen Kopf- und Handarbeiter. Beide Gruppen brauchen einander, jedoch besteht die Tendenz, daß entweder in einer der Gruppen eine Überschätzung der Bedeutung der eigenen Arbeit eintritt oder der Handarbeiter den Kopfarbeiter um seine scheinbar mühelose Arbeit beneidet, die zudem unter weniger strenger Kontrolle vor sich geht.

Die Konstrukteure entwerfen am Reißbrett die Maschinen. Sie haben wohl während ihrer Ausbildung ein oder zwei Jahre lang als Praktikanten in der Werkstatt gearbeitet, aber so betriebsnah sind sie nicht mehr wie die Ingenieure, Meister und Facharbeiter, die dauernd in der Werkstatt stehen. Auch das ist eine Spannung, aus der Differenzen entstehen können.

Die Ingenieure, die verkaufen, stehen draußen an der Front im Kampf um den Auftrag mit der Konkurrenz. Sie haben den Ehrgeiz, den Sieg davonzutragen. Von zu Hause erhalten sie die Mahnungen, vom nüchternen kaufmännischen Sektor und vom Terminbüro. Schließlich kommen sie mit der Beute der Aufträge heim. Vielleicht haben sie sich doch nicht ganz an die Weisungen gehalten. Es gibt Vorwürfe. Wird es trotzdem reichen mit Überzeit- und Feiertagsarbeit? Werden die Unterlieferanten rechtzeitig liefern? Solche Schwierigkeiten entstehen auch, wenn die Geschäftsleitung selbst aus geschäftspolitischen Gründen an die Ausführenden ungewöhnliche Zumutungen stellen muß.

Wahrhaft naturgegeben aber sind die Spannungen zwischen jung

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 377]

und alt. Sie sind infolge der durchgreifenden politischen Ereignisse heute größer als vor fünfzig Jahren. Offenbar haben die Väter und Großväter vieles falsch gemacht. Sonst stünden wir nicht da, wo wir heute stehen. Doch existiert auch ein unberechtigter Mangel an Ehrfurcht dem Alter gegenüber. Die den modernen Lebensverführungen ausgesetzten Jungen werden ungeduldig und unzufrieden. Sie sind voll Kritik und wollen schnell vorankommen.

Schwierig zu beherrschen sind die Bildungsunterschiede, die Gegensätzlichkeiten: Volksschüler, Mittel- und Oberschüler, Fachingenieur und akademisch gebildeter Ingenieur, Handlungsgehilfe und Diplom-Kaufmann. Klassengegensätze, Überheblichkeit einerseits und Minderwertigkeitsgefühle andererseits entstehen aus diesen Unterschieden im ganzen Volk; in einer Fabrik gelangen sie oft zu drastischer Wirkung. Auch Unterschiede im Volkstum und im Dialekt können zu Dissonanzen führen.

Das sind die Voraussetzungen, denen die Leitung eines Werkes gegenübersteht. Sie haben sich langsam aus der industriellen Entwicklung in hundert Jahren ergeben, aus der patriarchalischen, gewerkschaftslosen Zeit bis zu dem heutigen, höchst komplizierten, eng verflochtenen Wirtschaftsleben, das mit einer weitgehenden Sinnesänderung der Menschen verbunden ist.

Die drei Glieder des Betriebs

DER MENSCH besteht aus Leib, Seele und Geist. Den dreifachen Aspekt, in dem die Welt dem Menschen erscheint, hat Rudolf Steiner in einer einfachen Betrachtung dargestellt. Die Blumen einer Wiese werden mit dem leiblichen Sinnesorgan, dem Auge, wahrgenommen. Die Freude über die Farbenpracht ist ein Ausdruck der Seele, welche diese Tatsache zu ihrem persönlichen Eigentum macht. Nach einem Jahr taucht die Freude bei der Betrachtung der gleichen Wiese wieder auf: ich erinnere mich an die Freude des vergangenen Jahres, aber die Blumen sind andere, wenn auch von derselben Art und nach denselben Gesetzen gewachsen. Die Erkenntnis dieser Gesetze, errungen durch Nachdenken, ist eine Funktion des Geistes in mir.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 378]

So ist der Mensch Bürger dreier Welten: Durch seinen Leib gehört er der äußeren Welt an. Er nimmt sie mit dem physischen Sinnesorgan wahr. Durch seine Seele baut er sich eine eigene innere Welt auf; durch seinen Geist offenbart sich ihm eine Welt, die über die beiden anderen erhoben ist. Und der Mensch ist gerade dadurch Mensch, daß er das in seinem Geist Erfahrene durch das Werkzeug seines Leibes in schöpferische Tat umzuwandeln vermag.

Nun ist es dem Wesen des Menschen gemäß, daß er nicht allein, sondern in Verbindung mit anderen lebt, und so gehört es zu seinen wesentlichen Aufgaben, von sich aus eine Gemeinschaft, einen sozialen Organismus, zu bilden; denn dieser ist ihm ja nicht a priori gegeben, wie die Naturdinge gegeben sind. Soll dieser soziale Organismus aber ein menschliches, des Menschen würdiges Gebilde sein, dann muß es auch nach dem inneren Maß, das der Mensch selber gibt, gestaltet werden. Deshalb untersucht Rudolf Steiner, so wie er die Lebensgesetze des Leibes, der Seele und des Geistes erforscht hatte, auch die Gesetzmäßigkeiten, die im sozialen Organismus walten. Er fand, daß dem Leiblichen ein autonomes Wirtschaftsleben, dem Seelischen ein autonomes Rechtsleben und dem freien Menschengeiste ein freies Geistesleben zuzuordnen sei; und er fand weiter, daß die großen Ideale der Französischen Revolution, die auch Goethe und Schiller lebhaft beschäftigt haben, nicht zu erfüllen sind, weil sie sich in einem Einheitsstaat gegenseitig ausschließen. Sie können aber verwirklicht werden, wenn die drei sozialen Gebiete nach den ihnen innewohnenden Gesetzmäßigkeiten als autonome Bereiche aufgebaut werden. So ordnete er dem Wirtschaftsleben, wenn es gesund funktionieren solle, die Brüderlichkeit, dem eigentlichen Staate, der Rechtsstaat sein soll, die Gleichheit und dem Geistesleben die Freiheit zu. Das hat Rudolf Steiner in seinen »Kernpunkten der sozialen Frage« die »Dreigliederung des sozialen Organismus« genannt und ausführlich behandelt.

Wenn der Betrieb als ein Organ des Wirtschaftslebens auch menschenwürdig geführt werden soll, so kann das nur geschehen, wenn er, wie der Mensch, als dreigliedrig angesehen wird. In der Tat: mit seinem Leib ist der schaffende Mensch ein produzierendes

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 379]

und konsumierendes, also ein wirtschaftsgebundenes Wesen; mit seinem Geist erfaßt und durchdringt er den ganzen Betriebsorganismus und seinen Volkszusammenhang; mit seiner Seele lebt er in den Rechtsbeziehungen zum Betrieb selbst, zu den Mitarbeitenden und zur Umwelt des Betriebs.

Das betriebliche Wesen in diesem Sinne menschlich zu gestalten, ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit. Heute wird solchen Gesichtspunkten noch nicht genug Beachtung geschenkt, wenn auch Ansätze dazu zu finden sind. Wie im großen sozialen Organismus, so wäre auch im kleinen des Betriebs zu bedenken, daß der Menschenleib Brüderlichkeit, die Menschenseele Gleichheit und der Menschengeist Freiheit als objektiv innewohnende Prinzipien verlangen.

Ich bin überzeugt, daß in der Erkenntnis der Dreigliedrigkeit im Menschen, im sozialen Organismus und im Betrieb eine wissenschaftlich fundierte Lehre vorliegt, die ordnend in die Praxis eingreifen und zu einem menschenwürdigen Leben in der Gemeinschaft verhelfen kann. Hier liegt die Möglichkeit, die brennenden Probleme der modernen Massengesellschaft in einer Weise zu lösen, die als eine dem wahren Wesen des Menschen angepaßte Ordnung größere Anziehungskraft haben würde als das, was im Osten geschieht und uns bedroht. Auch der Westen und insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika ringen um die Lösung der sozialen Frage. Werden die bisherigen westlichen Methoden der immer weiter sich ausbreitenden marxistischen Lehre standhalten?

In dem kleineren sozialen Organismus eines Industriebetriebs ist freiere Beweglichkeit vorhanden; dort ist es noch möglich, daß willensvolle Menschen soziale Ideen schnell in die Lebenspraxis übersetzen und sie ausprobieren können, ohne an den beharrenden Gewohnheiten der Parteien, der Organisationen und der Bürokratie erlahmen zu müssen. Was in den Betrieben als heute wichtig gewordenen Zellen auf sozialem Gebiet geschieht, wird für das ganze Volk mehr und mehr Bedeutung bekommen.

Der Mensch als Urbeweger des Betriebs steht mit Leib, Seele und Geist in ihm. Man könnte annehmen, daß die rentable Herstellung von Gütern das Hauptgewicht ausmache. Bei genauerer

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 380]

Untersuchung wird man aber zu der Auffassung kommen, daß der Geist das Primäre ist, wie er es auch in der ganzen Schöpfung war. Ja, man könnte sagen, die wissenschaftliche Analysierung der Vorgänge ergibt geradezu zwangsläufig einen Beweis gegen den Materialismus.

Man wird wohl nicht behaupten dürfen, daß beispielsweise eine Wasserturbine durch ein zufälliges chemisch-physikalisches Sichselbstzusammenfügen oder allein durch ein Kombinationsspiel von Elektronen, Neutronen und Protonen zustandekomme.

Versuchen wir also das Walten des Geistes im Betrieb aufzuspüren. Vielleicht begeben wir uns zuerst in das Zimmer des Chefs, der Generaldirektor, Vorsitzer des Vorstands, Geschäftsführer sein kann. Es gibt führende Persönlichkeiten, deren Schreibtische mit Papieren bedeckt sind, und andere, die an einem blanken Tisch sitzen, auf dem vielleicht nur noch ein Notizblock und ein Bleistift liegen. Das Hantieren damit wäre ihr letzter rudimentärer Anteil an der Handarbeit, die im Betrieb in allen Winkeln in verschiedenen Abstufungen auftritt. Im großen und ganzen ist die Tätigkeit des Chefs eine geistige; sein Instrument ist das Wort, gesprochen unter vier Augen, in der Konferenz, am Telephon, zur Sekretärin, weitergeleitet in Anweisungen, Mitteilungen, Briefen, als Gedanke wirkend in den Köpfen seiner Mitarbeiter, von denen er in die Tat übersetzt wird.

Der früher allmächtige, in den Wolken thronende Generaldirektor muß heute mit einem Kollegium regieren, weil in seinem Kopf nicht mehr alle Kenntnisse und Unterlagen Platz finden, die ihn einst die Entscheidungen allein treffen ließen. Er wird sich auf Sachverständige stützen, so daß ein Entschluß zustandekommt, nicht durch demokratische Abstimmung, sondern durch Einsicht aller, in Zweifelsfällen aber durch ein entscheidendes Wort des an der Spitze der Hierarchie Stehenden.

Hier herrscht freies Verfügungsrecht der geistig Begabten, zu dem sich aber neben der eigenen und der von den Bearbeitern dazugegebenen Sachkenntnis noch etwas darüber Stehendes gesellen muß: Motive, die sich dem Gebiete des Moralischen nähern. Der Entscheidende berücksichtigt den Ruf seines Unternehmens, er muß in einem umfassenden Denken auf Grund seines erweiter-

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 381]

ten Horizontes den Stand seines Werks in der Wirtschaft des Landes und in der Weltwirtschaft berücksichtigen, er muß die Wirkung der Entscheidung in der Zeit bedenken und sich fragen, ob der heute richtig scheinende Entschluß sich in einigen Jahren nicht als der falsche herausstellen könnte. Er muß prüfen, was der Kunde, was der Konkurrent sagen wird. Die Entscheidung muß im Einklang stehen mit der Verantwortung für das Wohl des Betriebs und seiner Angehörigen; und diese Verantwortung hat er oft allein zu tragen. Ist der Entschluß im Einklang mit der historisch gewordenen Betriebsidee, ist er moralisch? Die Werksangehörigen erwarten unbewußt oder bewußt von der Leitung gegebenenfalls auch moralische Entscheidungen. Sie wollen einer Firma angehören, deren »Vornehmheit« anerkannt ist, sie sehen darin unter anderem eine Sicherung ihres Arbeitsplatzes. Das, was von der obersten Leitung ausgeht, ist entscheidend für die gesamte Stimmung im Betrieb. In einem Unternehmen zeigt sich als Lebenspraxis: das Unwägbare, die geistige Fähigkeit der Leitenden, kann so real werden, daß als Folge einer Kettenreaktion negativer Wirkungen schwarze Zahlen der Bilanz sich in rote verwandeln.

Die hohen Forderungen, die an die oberste Werksleitung gestellt werden müssen, sind nur zu erfüllen, wenn die Verantwortlichen nicht in den Forderungen des Tages untergehen und atemlos werden, sondern Zeit haben zur Besinnung und zum Nachdenken. Sie werden ohne ein gewisses meditatives Verhalten nicht zu schöpferischen Ideen kommen. Das bedeutet notwendigerweise Dezentralisation, Weitergabe der kleineren Verantwortungen an Beauftragte in Produktions-, in Forschungsausschüssen und dergleichen. Damit läßt sich zugleich Arbeitsfreudigkeit in den unteren Stufen der Hierarchie erreichen, wegen Verdrossenheit etwa brachliegende oder schlummernde Kräfte werden im Interesse des Ganzen entbunden. Die Mitglieder der obersten Leitung können trotz solcher organisatorischer Maßnahmen nicht auskommen ohne Selbsterziehung und Willensentwicklung, was nicht leicht, aber unabdingbar ist für eine freie, auf sich gestellte Persönlichkeit.

Die Verästelung der geistigen Arbeit durch den ganzen Betrieb findet ihren Ausdruck in der Arbeitskraft und der Arbeitsgeschicklichkeit jedes Mitglieds der Mitarbeiterschaft. Sie ist individuell.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 382]

So wie der äußerste Ausläufer der Handarbeit der Bleistift in der Hand des Chefs ist, so wird der letzte Ausläufer des Geistes sich in der geschickten Art manifestieren, mit welcher der Hoftaglöhner die Schaufel bewegt. Von der geistigen Zentrale aus fließt belebend auch der Strom des Geldes, des richtig und geistvoll eingesetzten Kapitals, sichtbar geworden etwa in den Produktionsmitteln und dem für die Herstellung der Produkte notwendigen Material.

Im Leib des Betriebs, im Wirtschaftsgebiet der Warenproduktion, sind die Arbeitenden eng aufeinander angewiesen. Wenn auch der Konstrukteur am Reißbrett eine gewisse Distanz hat, so kann die Maschine nicht entstehen ohne ihn. Nach seinen Plänen wird in der Modellschreinerei gearbeitet, werden die Graugußund Stahlteile durch die Werkzeugmaschinen auf das richtige Maß bearbeitet, fügen die Monteure die Teile zum Ganzen zusammen. Die Nebenbetriebe, Krafterzeugung, Reparatur-Abteilung, Kranen und Transportwesen, Späneabfuhr und Reinigung, Malerei und Verpackung sind die unumgänglichen Hilfen, deshalb nennt man sie auch Hilfsbetriebe. Auch hier kommt man nicht ohne Papier aus, ohne Arbeitsvorbereitung, Stückzettel, Hollerithkarten, Magazinverwaltung und ein ganzes System von Kontrollen und Prüfungen.

In dieser Zone, wo auch die Konsumenteneigenschaft des Werkes zutage tritt in dem hereinkommenden Material und den Zubehörteilen aller Art, die in Lagern und Magazinen aufgestapelt zur Verfügung stehen, kommt die Wirkung des Werkes nach außen in der Form einer engen Verflechtung mit den Lieferanten zur Geltung. Ebenso in die Weite, ja gegebenenfalls in die ganze Welt strahlen die Beziehungen zu den Empfängern der im Werk hergestellten Waren und der vermittelnden Vertreter und Händler.

Diese Prozesse des Hereinnehmens von Material von außen, des Veredelns und Umwandelns, des Abstoßens von Unbrauchbarem kann man wohl vergleichen mit einem Stoffwechselvorgang. In dieser Welt des tätigen Produzierens herrscht der Wille.

Was sich an menschlichen Beziehungen herausbildet, hat verschiedene Schattierung. Das nach außen und innen wirkende Dienst-, Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis des Gebens und

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 383]

Nehmens zwischen Konsumenten und Produzenten, zwischen Lieferant, Fabrikant und Kunde ist ein vielfältig verflochtenes. Bei einiger Einsicht hat es keinen Sinn und zeugt von Unklugheit, wenn sich der Kunde auf das hohe Roß schwingt, denn auch er ist Lieferant. Hier ist die beste Lebens- und Geschäftspraxis der Dienst am Kunden, der, ob man will oder nicht, die christliche Nuance der Liebe zum Nächsten bekommt.

Innerhalb des Werkes aber entsteht aus der engen täglichen Zusammenarbeit und dem Aufeinanderangewiesensein jene eigenartige Berufsbrüderlichkeit, die ohne Zwang und Theorie aus der Sache selbst ersprießt. Das brüderliche Du in der Werkstatt ist ein Ausdruck dafür.

Möge einmal das Ziel erreicht werden, daß allgemein im Wirtschaftsleben die Vernunft der Brüderlichkeit anstelle des mörderischen Konkurrenzkampfes herrscht. Das wird geschehen, wenn nicht der Staat, sondern eine assoziative Wirtschaft, Produzenten, Händler und Konsumenten im Zusammenwirken, eine auf Sachkenntnis und Bedarf begründete Wirtschaft betreiben. Dann erst besteht Hoffnung, daß die Konjunkturkurve beherrscht werden kann, indem Über- und Unterproduktion in gemeinsamer Anstrengung ausgeglichen beziehungsweise früh genug abgefangen werden. Dabei müßte sich dann auch das richtige Preisverhältnis von selbst ergeben.

Man kann bildlich den dreigegliederten Betrieb in drei Kreisen darstellen, die sich zum Teil überschneiden. Damit würden einerseits das Ineinanderspielen der drei Funktionen und andererseits ihre Schwerpunkte in den Kreismitten angedeutet sein.

Die mittlere Sphäre des Rechts wirkt regulierend in das Geistige und in das Wirtschaftliche des Betriebes hinein. Sie ist der Ort, wo es in erster Linie um den Menschen geht, wo Gleichheit vor dem Recht herrschen soll, und das — über das kühle Arbeitsrecht hinaus — durch die Kräfte des Seelischen, des Herzens. Denn Zufriedenheit und Wohlgefühl der Menschen im Betrieb hängen von dem Zustand dieser Sphäre ab, in der auch der Betriebsrat sein Tätigkeitsfeld findet.

Wohl kommen die Gesetze von außen, vom Staat und den Verbänden in der Form des Arbeitsrechts, Gewerbeschutzes, der

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 384]

Tarifabmachungen und dergleichen, aber vieles kommt zusätzlich durch die Zusammenarbeit und das Verhandeln zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat zustande.

In diesem mittleren Bereich liegt vorwiegend auch die Tätigkeit des Personalbüros, besser gesagt der Personal- und Sozial-Abteilung. Aus der Fülle der in einem modernen Betrieb vorhandenen Einrichtungen unter dem Sammelwort Wohlfahrt seien genannt: Krankenkasse, Werksfürsorge, Erholungsheime, Pensionsund Hilfsfonds, medizinische Betreuung, allgemeine Hygiene, Umkleideräume, Bäder und Speiseanstalten. Dem Personalchef obliegen auch die Tarifverhandlungen, die Lohn- und Gehaltsfragen und nicht zuletzt alles, was mit Pädagogik zu tun hat. Hier greift seine Tätigkeit in das geistige Gebiet über: Bücherei, Werkzeitung und sonstige Unterrichtungen schriftlicher Art sind unerläßlich. Freude an der Arbeit kann nur entstehen, wenn der einzelne im Bewußtsein des Ganzen den Sinn seiner Arbeit, und sei sie noch so unscheinbar, versteht und die Zusammenhänge kennt. Er wird beispielsweise stolz sein, wenn er am Zustandekommen einer großen Maschine beteiligt war und aus der Werkzeitung erfährt, daß sie in einem fernen Land erfolgreich in Betrieb gekommen ist.

Eine wichtige Aufgabe liegt in der Erziehung der Jugend, der Lehrlinge und der Praktikanten, aber auch der Erwachsenen, durch Kurse und Vortragswesen innerhalb und außerhalb des Hauses. Schließlich ist es angezeigt, in der Nüchternheit des Werksalltags auch an das Musische zu denken, dazu gehören das Werksorchester und sonstige Möglichkeiten zu künstlerischer Betätigung sowohl im Rahmen der Lehrlingsausbildung als in freiwilliger Teilnahme von Erwachsenen am Kunstunterricht. Wenn man sich bemüht, können in jedem Betrieb Stellen gefunden werden, wo künstlerischer Schmuck in Form von Bild und Plastik angebracht werden kann. Auch Blumen und gärtnerische Anlagen dienen in den Pausen zum Ausgleich der einseitigen Inanspruchnahme in Büro und Werkstatt.

Haben die Betreuer dieses Rechtsgebiets eines Betriebs das Herz auf dem rechten Fleck und werden sie von der obersten Leitung nicht nur unterstützt, sondern angeregt, so ist auch die Stimmung

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 385]

der im Werk Tätigen in Ordnung. Hier entsteht das Vertrauen, das den ganzen Betrieb beleben und sich bis in die Qualität der Produktion auswirken kann. Es entsteht nur, wenn konsequent der Sinn für Wahrheit gepflegt wird.

Aus diesem Versuch, einen Wirtschaftskörper unter dem Gesichtspunkt seiner drei Glieder darzustellen, geht hervor, daß kein Gebiet ohne die beiden anderen leben kann. Der Grad ihrer Notwendigkeit ist der gleiche, nur ihre Atmosphären sind verschieden.

Die Praxis

Es GIBT EINE UMFANGREICHE LITERATUR, die sich in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg geradezu stürmisch entwickelt hat und sich mit Betriebsführung im allgemeinen, aber auch mit dem Menschen im Betrieb beschäftigt. Sie stammt von Instituten aller Art, Universitäten, gelernten Psychologen und von Praktikern des Betriebs. Die amerikanischen Bemühungen habe ich auf meiner Reise im Jahre 1949 kennengelernt.

Das Interesse am Wohlergehen der in der Industrie tätigen Menschen hatte verschiedene Ursachen. In den USA war es aus der Notwendigkeit des Kriegs geboren, großen, bis dahin dem Leben in Fabriken fernstehenden Menschenmassen das Ungewohnte erträglich zu machen. Man brauchte Gutwilligkeit und damit einen guten Nutzeffekt auch der Menschen bei der Herstellung des Kriegsmaterials, um den Krieg zu gewinnen. Die von den USA nach dem Krieg auf Europa übergreifende human relation-Bewegung wurde hier eifrig aufgenommen, als Reaktion auf die Mißachtung nicht nur der Würde des Menschen, sondern des Menschen überhaupt durch die Diktatoren, die im eigenen Volk und in ihren grausamen Kriegen gegeneinander gewütet hatten.

Die in den USA schon seit Taylor und Münsterberg vorhandenen Anfänge einer Arbeitspsychologie wurden zu ganzen Systemen erweitert. Kaum eine Universität, die nicht eine entsprechende Fakultät gegründet hatte, kaum ein größeres Werk von Bedeutung, das nicht entweder die vorhandene Personal-Abteilung erweitert oder eine neue mit großen Befugnissen gegründet hatte. Zwischen

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 386]

Wissenschaft und Praxis fand ein reger Austausch statt; viele Universitätspsychologen studierten die Verhältnisse in den Betrieben, während die Vertreter der Personalbüros Universitätskurse besuchten.

Der Zündfunke ging von zwei schon in der Zeit vor dem Krieg entstandenen Berichten aus. Ein Mann hatte über seine bewußt zu Studienzwecken in der Welt der Handarbeiter verbrachte Zeit und die damit gemachten Erfahrungen referiert. Eine andere Darstellung behandelte einen Versuch in einem bestimmten Werk. Man hatte dort in einer Abteilung bessere Arbeitsbedingungen äußerer Art, das heißt, günstigere Luft- und Lichtverhältnisse, mehr Platz, schönere Farben und ähnliches geschaffen. Der Erfolg zeigte sich in einer Steigerung der Produktion. Dann nahm man die Annehmlichkeiten wieder weg. Trotzdem blieb die Produktionszunahme bestehen. Daraus schloß man, daß der Fortschritt nicht so sehr durch Äußerlichkeiten hervorgebracht war, sondern durch das geweckte Interesse der Geschäftsleitung an den Betriebsangehörigen.

Das klingt primitiv, aber offenbar hatte man vor lauter Eifer und Begeisterung über die Entwicklung der Technik im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts den Menschen so sehr vergessen, daß seine Wiederentdeckung als »Produktionsmittel«, das wie jedes andere auch Pflege beansprucht, damit es funktioniere und länger aushalte, geradezu als Sensation wirkte.

Die Erkenntnisse dieser neuen stürmischen Bewegung, durch sorgfältige wissenschaftliche Analysen der Vorgänge in der Seele des arbeitenden Menschen und im Betriebsvorgang selbst gewonnen, schlugen sich in einer Fülle von Literatur und Anweisungen nieder, die fast nicht mehr zu bewältigen war. Auch wurden in den USA und anschließend in Europa zahlreiche Beratungsbüros gegründet, die sich den Werken anboten. Ich habe in einigen amerikanischen Werken umfangreiche Kompendien vorgefunden, man nannte sie ironischerweise »Bibeln«, die sogar den Meistern in die Hand gegeben wurden. Danach konnten sie jede überhaupt mögliche auftauchende Schwierigkeit bei ihren Untergebenen auf Seite soundsoviel nachschlagen und entsprechend behandeln. Gelang es nicht, die Störung zu beseitigen, so glückte sie sicher

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 387]

– und das sah ich in einem großen Werk praktiziert — beim Psychologen, der den schwierigen Mann unter vier Augen bei Wahrung voller Diskretion behandelte. Für diese gutmeinenden Leute wurde später das böse Wort »Seeleningenieur« geprägt. Diese Bezeichnung oder der ironische Titel »Betriebspastor« entstanden in Deutschland; in der Tat haben die Psychologen im Betrieb, übrigens auch die außerhalb eines Betriebs fürs Publikum arbeitenden, »pastorale« Aufgaben zuerteilt bekommen.

Wenn an einer komplizierten Maschine etwas nicht funktioniert, stehen in den Fabriken Fachleute zur Beseitigung der Ursachen bereit. Solche Spezialisten sind besonders in der Autobranche und ihren Reparaturwerkstätten zu finden. In Amerika nennt man sie »trouble shooter«, Schützen, die zielsicher die Fehler zu erlegen vermögen.

Nun darf man freilich Menschen nicht mit Maschinen vergleichen, auch nicht mit Nutztieren, die gut gepflegt und gefüttert werden müssen, damit sie guten Ertrag geben. Diesen meinen Einwänden begegnete man in den USA ziemlich unwillig. »Ach was, gute human relations sind für beide Teile, für das Management und für die Angestellten, ein gutes Geschäft.« Diese Auffassung mag im amerikanischen Volk, das eine so populäre, derb nüchterne Auffassung vom Dollar hat, vielleicht akzeptiert werden. Die europäischen Arbeiter sind sensibler und mißtrauischer.

Die Welle der human relation-Bewegung ist abgeebbt. Aus der Übertreibung ist jedoch manches Gute zurückgeblieben, das wir heute als selbstverständlich ansehen. Als Ergebnis kann man feststellen: Wohlfahrtseinrichtungen, Hygiene im weiteren Sinn, Fürsorge, gute Behandlung, aber auch diskrete Teilnahme an der seelischen Verfassung des einzelnen und Interesse an der Herstellung eines guten Betriebsklimas ziehen nur dann eine freiwillig gegebene gute Arbeitsleistung nach sich, wenn die Maßnahmen nicht getroffen werden in der Absicht, die Maschine gut zu ölen, vielmehr müssen alle Maßnahmen selbstverständlich und uneigennützig zur Wahrung der Würde des Menschen getroffen werden, aus echtem sozialem Interesse, aus der Gesinnung der Brüderlichkeit, die in der Wirtschaft als Impuls herrschen sollte.

Ich habe in Amerika auch gefragt, was mit den guten human

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 388]

relations in einem Betrieb geschehe, wenn die Leitung wegen Arbeitsmangel infolge einer allgemeinen Krisis Arbeiter entlassen muß. Darauf konnte man mir nur die in den USA vorgesehenen, mildernden Gegenmittel, nämlich: Hilfsmaßnahmen der Federal Reserve Bank, vermehrte Staatsaufträge und Arbeitslosenunterstützung entgegenhalten.

Es bleibt freilich, ob nun die spezielle Lehre der Betriebsführung oder die allgemeine Lehre der Volkswirtschaft in Frage steht, nichts anderes übrig, als ein normales, mindestens im politischen Friedenszustand befindliches nationales und internationales Wirtschaftsleben zugrunde zu legen, in dem der Fluß der Ware und des Kapitals einigermaßen ungehindert vor sich geht, wenn auch Konjunkturschwankungen in Betracht gezogen werden müssen.

Bemühungen im eigenen Hause

DER ANFANG meines 45 Jahre dauernden Berufslebens in einer Maschinenfabrik, beginnend im Jahre 1913, fiel noch in eine Zeit relativer Ruhe. Wohl kannte man allerlei Konjunkturschwankungen und Krisen, doch hatte es seit 1871 keinen Krieg mehr gegeben, und die innere Verfassung der Menschen war noch nicht zerrüttet, sie besaß eine konstante Grundlage traditioneller, meist religiöser Moral. Der teuflische Angriff einer kommerzialisierten Vergnügungstechnik auf den Seelenfrieden der Menschen war jedenfalls noch nicht spürbar. In der Industrie herrschten trotz der kollektivierenden Tendenz der Gewerkschaften noch gewisse patriarchalische Zustände oder wenigstens Erinnerungen daran. Der Fabrikherr sorgte da und dort noch aus väterlichen Instinkten für seine treuen Mitarbeiter, die sich mit ihm und dem Werk zusammen aus kleinen Verhältnissen heraus entwickelt hatten. Man war allein schon geeint durch gemeinsame Erinnerungen, etwa an die Einführung der Elektrizität im Betrieb der Maschinen und Kranen, an die erste Telephonanlage, an die ersten Preßluftwerkzeuge und ähnliche Fortschritte.

Mit dem ersten Weltkrieg wurde vieles anders. Man kann sagen, seitdem und bis heute leben wir, jedenfalls in Deutschland,

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 389]

in einem Ausnahmezustand, auf den die alten Maßstäbe nicht mehr passen. Wir, die im Wirtschaftsleben Arbeitenden, mußten uns unaufhörlich unserer Haut wehren gegen Drohungen, Angriffe und Nackenschläge, verursacht durch politische Ereignisse. Das bedeutete unrentables Improvisieren, dauernde Umstellungen, zum Beispiel auf Kriegsmaterial, Ersatzstoffe oder zwischen und nach den Kriegen auf groteske, alle Verhältnisse verzerrende Geldentwertungen, Angstkäufe mit übermäßigen Ansammlungen von Vorräten und unverschuldete Verluste aller Art. Planung und Befolgung von Wirtschaftslehren, ruhige Überlegungen wurden dabei höchst erschwert. In manchen Zeiten fühlten wir Industrielle uns gleich Kapitänen auf Schiffen, die in einen Hurrikan gerieten und froh waren, daß sie wenigstens das Schiff, wenn auch stark zerzaust und unter Verlust der Rettungsboote, in den Hafen bringen konnten. Daß Kriegswirtschaft Staatswirtschaft bedeutet, und daß man sich an diesen Zustand zu gewöhnen droht, ist eine zusätzliche peinliche Erfahrung. Immerhin wurde in zwei Kriegen während meiner Dienstzeit in der Industrie genau zehn Jahre lang geschossen, wenn man dies als Kennzeichen eines offiziellen, heute sagt man eines heißen Krieges nimmt. Dazu kamen die hektischen Jahre des Wiederaufbaus und der Heilung der Kriegsschäden, nicht nur der eigenen, sondern auch derjenigen der »Sieger«, weil diese Kriege trotz tapferer Soldaten und ob ihrer Kriegskunst bewunderter und gefürchteter Generale verloren wurden. Kein Wunder, daß man die Professoren der Nationalökonomie bemitleidete. Was konnten sie anderes tun als registrieren. Gegenüber den Riesenmächten von Unvernunft, Haß, Habgier und Unfähigkeit versagen alle Lehren, Mahnrufe und Planungen. Sie verwehen im Sturm.

Dennoch verlangte man, daß in der Wirtschaft die Kontinuität erhalten bliebe und die notwendigen Güter erzeugt würden, damit der grandios verschwenderische politische Betrieb fortwirken konnte. Man brauchte die notwendigen Papiermassen, die für den Druck von Aufrufen, Verordnungen und Pamphleten notwendig waren und für die Herstellung der ungezählten Millionen Zigaretten, die in ebenso unzählbaren Konferenzen verraucht wurden, indes wir Industrieameisen ebenso geduldig wie die echten Amei-

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 390]

sen den durch Bubenhand zerwühlten, kunstvollen Bau immer neu aufrichteten.

Nach der kummervollen Kriegswirtschaft der vier Jahre des ersten Weltkriegs trafen das ausgeblutete und halb verhungerte Volk die unmöglichen Bedingungen des Versailler Vertrags, die Inflation und die Schaffung der neuen Reichsmark unter Verlust der Vermögen und der Ersparnisse der Bevölkerung. Die Folge der Deflation waren zuerst Arbeitslosigkeit und Insolvenzen. Als allmählich eine Besserung eintrat, entwickelte sich die amerikanische Krisis von 1928 zur Weltkrisis und brachte uns Anfang der dreißiger Jahre erneut Arbeitslosigkeit und die lebensgefährliche Krisis der deutschen Banken. Die Machtergreifung Hitlers erzeugte wohl eine wirtschaftliche Belebung, besonders durch Staatsaufträge, zum Beispiel Autobahn und Aufbau einer Kriegsindustrie, an der unser Werk mit seinen eigenen Produkten nur unwesentlich teilnehmen konnte. Der neue Krieg führte eine gesteigerte Kriegswirtschaft herbei bis zum bitteren Ende mit dem folgenden Dahindämmern bis zur zweiten Geldreform, begleitet von erneuten Vermögensverlusten. Dann setzte das sogenannte Wirtschaftswunder ein, an dessen Dauer man mit Recht zweifeln darf.

In diesen 45 Jahren habe ich als Erwachsener fünf Regierungssysteme erlebt und habe gelebt unter König und Kaiser, unter der Weimarer Republik, unter einem Diktator, der auch das ganze in Jahrhunderten gesammelte Kapital an geistigen und seelischen Werten des deutschen Volkes vertan hat, unter einer amerikanischen Militärverwaltung und zuletzt unter der neuen, föderativen Bundesrepublik Adenauerscher Prägung, überschattet von der Bedrohung aus dem Osten. Man vergleiche damit die Stetigkeit in der Geschichte Englands, der Schweiz und auch der Vereinigten Staaten, deren Bürger jahrhundertelang unter der gleichen Verfassung leben durften.

Und dennoch brachten diese vielen Jahre auch viele Lichtblicke und blieb mir trotz all der zeitbedingten Einengungen auch im Beruf noch Gelegenheit zu persönlichem Wirken im Sinne eines Menschentums, das sich nicht nur unter das Schicksal beugt, sondern im Rahmen seiner Freiheit einiges als richtig Erkanntes zu verwirklichen sucht.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 391]

Lehrlingsbildung und Schulgründung

SCHON FRÜH habe ich mein Augenmerk auf die Lehrlingsabteilung gerichtet. Früher als in anderen Werken trennten wir die Lehrlinge vom Betrieb und brachten sie in eigenen Lehrwerkstätten während der ersten zwei Jahre der Ausbildungsdauer unter. Schon in den zwanziger Jahren hatten wir im Einvernehmen mit der Gewerbeschule und im Zusammenwirken mit ihr eine eigene Werkschule gegründet und sie mit einem reichlichen, meist selbst gefertigten Anschauungsmaterial versehen.

Immer mehr aber wurde die achtjährige Volksschule, welche die Vierzehnjährigen zu früh und mit ungenügender Allgemeinbildung in einem gefährdeten Lebensalter ins Berufsleben entläßt, zu einem Problem erster Ordnung; besonders nach dem zweiten Weltkrieg wurde es aktuell.

Inzwischen erkannte man, daß ein neuntes, ja zehntes Schuljahr nötig sei, um die vielen Mißstände zu beseitigen, die unter anderem auch mit dem Wandel im Wesen der Jugend zusammenhängen.

Wie diese Wünsche, die besonders aus industriellen Kreisen kommen, befriedigt werden können, ist heute die viel diskutierte Frage, wobei der Geldbedarf und der Lehrermangel eine große Rolle spielen. Man ist sich auch heute noch nicht einig über das, was in den zusätzlichen Schuljahren gelehrt werden soll, ja was unter Weiterbildung zu verstehen und von ihr zu erwarten ist. Diese Schulsorgen, veranlaßt durch die Anforderungen des technischen Zeitalters und durch die zum Teil beschämenden Vergleiche mit besseren Schulsystemen in anderen Ländern, bewegen die deutsche Öffentlichkeit. Es geht nicht nur um eine Reform der Volksschule, sondern auch der Mittel- und Oberschulen sowie der Technischen Hochschulen und Universitäten. Aus der Industrie lassen sich immer dringlicher werdende Mahnungen vernehmen. Im Ettlinger Kreis, gegründet durch meinen Jugendfreund Hans Freudenberg, wird versucht, konkrete Vorschläge zu entwerfen, die den Behörden und der größeren Öffentlichkeit vorgelegt wer-

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 392]

den. Diesem Kreis hatte ich mich angeschlossen. Ich konnte übrigens feststellen, daß die Waldorfschule als gutes Modell einer Einheitsschule gelten kann. Nicht nur entspricht sie im weiteren Sinne der neuen Gleichberechtigung der Frau durch Koedukation, sondern auch dem heute berechtigten Wunsch nach gleichem »Start« im Leben als einem der wichtigsten Mittel zum Ausgleich der Klassengegensätze.

Ich mußte lange warten. Erst nach dem zweiten Weltkrieg und nach dem Zusammenbruch der Hybris des Staates nationalsozialistischer Prägung waren die Verhältnisse gelockert genug, wozu auch die vorurteilsloseren amerikanischen Besatzungsbehörden beitrugen. Meine Frau und ich gründeten mit einer — nachträglich betrachtet—bemerkenswerten Zuversicht eine Schule nach dem System der Waldorfschulpädagogik auf dem Fabrikgelände, die sich aus einer einzigen ersten Klasse an Ostern 1946 im Laufe der Jahre bei einer Zahl von etwa 400 Kindern zu einer Schule mit dreizehn Klassen und Abiturmöglichkeit entwickelte. Ich erinnere mich noch deutlich an unseren Besuch im Kultusministerium in Stuttgart. Es war kalt, das Amt war provisorisch in einem durch Bomben beschädigten Haus untergebracht. Meine Frau und ich und der einzige Lehrer, den wir hatten, richteten unser Anliegen mit Genehmigung der Amerikaner an den aufgeschlossenen und allgemein geschätzten Ministerialdirektor Bäuerle. Der Kultusminister Württembergs und spätere Bundespräsident Theodor Heuss wandelte im Mantel mit einer brennenden Zigarre auf und ab, um sich warm zu halten; beide liebenswürdige Herren gaben ihren Segen für unsere Schule.

Wenn auch die räumlich eng mit den Fabrikgebäuden verbundene Schule vom Werk unabhängig als allgemeine öffentliche Schule betrieben wird, so hatte sie doch eine zusätzliche Wirkung auf die Lehrlingsausbildung. Aus den geschilderten Bestrebungen nach einem neunten und zehnten Schuljahr heraus, die sich nur langsam verwirklichen lassen, haben einige Werke in der Bundesrepublik, zu denen auch wir gehören, einstweilen zur Selbsthilfe gegriffen und versuchen, die Bildungslücke dadurch zu schließen, daß sie den Lehrlingen zusätzlich in den ersten Jahren allgemeinbildenden Unterricht mit Betonung des Künstlerischen erteilen lassen, zum

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 393]

Beispiel durch Zeichnen, Malen, Holzschnitzen und Modellieren, wozu auch ein theoretischer Unterricht tritt.

Damit wird Verschiedenes erreicht. Der allzu harte Übergang vom Elternhaus zur Fabrik wird gemildert. Die Forderung des handwerklichen Lehrgangs auf genaues Einhalten der Maße findet einen Ausgleich durch das freie, nicht maßhaltige Schalten und Walten in einer künstlerischen Betätigung. Kräfte, die sich sonst in sattsam bekannter Weise austoben, werden so schöpferisch verbraucht. Ein gesundes Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen entsteht; es ist erstaunlich und voll freudiger Überraschungen für die Lehrer, was an künstlerischer Leistung aus fast allen Vierzehn-und Fünfzehnjährigen an den Tag tritt, wenn offenbar Schlummerndes geweckt wird.

Der begleitende theoretische Unterricht schließt wenigstens einen Teil der Bildungslücken und vermittelt Kenntnisse vom deutschen und europäischen Kulturgut, das nicht nur jenem Fünftel der Bevölkerung vorbehalten bleiben darf, welches das Glück hatte, höhere Schulen besuchen zu dürfen. Die Stunden, die hierfür in den ersten Jahren der Lehrzeit am handwerklichen Unterricht abgezogen werden müssen, sind nicht verloren. Das Handwerkliche wird schnell nachgeholt, nachdem der am Anfang noch wenig robuste Körper des Vierzehnjährigen sich inzwischen kräftigen konnte.

Die bessere Allgemeinbildung wirkt nicht nur fördernd auf den Charakter, sie kann auch zur Freizeitbeschäftigung anregen und gelegentlich der populär gewordenen Reisen aufgenommene Natur-und Kunsterlebnisse vertiefen, vielleicht auch den Willen anregen, die weiterbildenden Vorträge der Volkshochschulen aus eigenem Antrieb zu besuchen.

Das noch frische Streben unserer Arbeiterbevölkerung nach Bildung muß befriedigt werden, wenn wir eine neue europäische Gesellschaft schaffen wollen, welche in erster Linie die Jugend erfassen und verbinden soll. In diesem Zusammenhang gingen wir auch auf den Wunsch nach einer Tanzstunde der Lehrlinge im letzten Lehrjahr ein und freuten uns, daß am Abschlußball sogar Schüler der Oberschulen anwesend waren.

Bei all diesen Bemühungen bewegte mich die Frage: »Was

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 394]

können wir in Europa tun, um der Drohung des Ostens entgegenzuwirken?« Es hat den Anschein, als ob in Rußland aus der dort noch vorhandenen Begeisterung des primitiveren Menschen für technische Errungenschaften heraus eine vorwiegend technologische Erziehung angestrebt wird. Was kann aus einer atheistisch orientierten, staatlich gelenkten Weltanschauung auch anderes erwachsen? Das scheint mir eine Schwäche zu sein. Haben wir in Europa eine Stärke entgegenzusetzen? Nur dann, wenn wir im weitesten Sinne theistisch sind, vom Geiste als dem Primären überzeugt, und aus solcher Weltanschauung heraus die unumgänglich notwendige Begeisterung empfangen, die den Willen befeuert, um das Leben menschenwürdig und so in wahrem Sinne sozial zu gestalten.

Der zusätzliche allgemeinbildende Unterricht der Lehrlinge lehnt sich in der Methode an die Waldorfschul-Pädagogik an und wird zum Teil finanziert durch eine Stiftung, die meinen Namen trägt und anläßlich meiner Jubiläen dotiert wurde. Bis jetzt waren diese Bemühungen von Erfolg begleitet. »Was fruchtbar ist, allein ist wahr.«

Erwachsenen-Bildung

WÄHREND MEINER REISE nach Amerika im Jahre 1949 nahm ich bald nach der Ankunft in New York an einer Konferenz der American Management Association teil, die im Waldorf Astoria Hotel stattfand. Diese Industriellenvereinigung hatte uns zu betreuen. Es wurde uns erklärt, das USA-Management sei die einzige Stelle der Welt, von der aus eine Wirtschaft, frei vom Staat, unter Wahrung individuellen Unternehmergeistes, gerettet werden könne. Dazu benötigten die USA aber die Hilfe der Unternehmer aller Länder, die noch nicht unter der Diktatur der Staatswirtschaft stehen, sonst gehe auch das Amerikanische Management zugrunde. Die Aufgabe könne nur bewältigt werden, wenn über das einzelne Werk hinaus volle Verantwortung herrsche und ein Bewußtsein für das Wohl der Gemeinde und des ganzen Volkes (community and publicity) bestehe. Es müsse der neue Typ des »industrial statesman« geschaffen werden, des industriellen Staatsmannes, der zusammen mit den Gewerkschaften

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 395]

dem Wohl des Volkes diene. Geschehe das nicht, dann triumphiere der Staatskapitalismus mit Recht; er werde sich dann des Volkes annehmen.

Dieser »industrial statesman« müsse dauernd an den Menschen im Betrieb und an seine Würde denken. Das sei heute, sagte einer der Redner, nicht eine Sache des guten Willens und des Altruismus, sondern eine Existenzfrage (a question of surviving). Der Wunsch der Werksangehörigen nach Aufklärung über das Unternehmen lasse sich nicht mehr überhören, das Interesse sei groß. Früher hätten die Menschen, wenn auch oft nur in der Erinnerung, eine innere Bindung etwa an die Farm gehabt, von der sie kamen. Heute gebe es nicht einmal mehr eine Heimatsehnsucht, heute sei der Betrieb die Heimat, und alle wollten wissen, wie es mit dieser Heimat und ihrer Sicherheit und Zukunft stehe. Und dies nicht nur aus Existenzgründen. In einem Betrieb, der seinen Arbeitern guten Verdienst geboten habe, sei erklärt worden: »We do not want bread alone, we want roses too« — »Wir wollen nicht nur Brot, wir wollen auch Rosen«.

Diese Prinzipien begeisterten mich. Sie strebten Ziele an, die mir von ganz anderer Seite her vertraut waren. Daß man in Amerika mutig darüber sprach, überraschte mich und erfüllte mich aufs neue mit dem Bewußtsein der allgemeinen Bedeutung dessen, was in der Industrie geschieht. Die Sorge, daß die Wirtschaft mehr und mehr vom Staate beherrscht werden könnte, das Ringen um eine Partnerschaft mit den Gewerkschaften zum Wohl des Volkes, die Wahrung der Würde des Menschen im Betrieb und die Notwendigkeit, ihn dauernd unterrichtet zu halten, damit er den Sinn seiner Arbeit als Teil eines Ganzen verstehe, — das alles lag auch mir am Herzen.

Doch suchte ich Klarheit zu gewinnen, wie sich diese Ziele in der Praxis des täglichen Lebens verwirklichen lassen. Bei den vielen Besuchen in Betrieben, Universitäten und Organisationen stieß ich immer wieder auf den Begriff »communication«, auf die Mitteilung als Mittel zur Aufklärung, zur Beseitigung sachlicher und persönlicher Schwierigkeiten, zu gemeinsamer Entschließung auf Grund der ausgetauschten Erfahrungen und Sachkenntnisse. Die Austauschfreudigkeit ist in den Vereinigten Staaten größer als bei

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 396]

uns, selbst zwischen den Betrieben. Das stärkt die Industrie im ganzen auch in ihrer Wettbewerbsfähigkeit, indes bei uns eher die Tendenz herrscht, Betriebsgeheimnisse im engeren und weiteren Sinn für sich zu behalten.

Dramatisch wurde uns von einem Mitglied der Personalabteilung der Standard Oil im Rockefeller Centre in New York gezeigt, wie man dort zu Beginn des Unterrichts die Angestellten auf die »communication« aufmerksam mache. Er forderte aus einem Kreis von zuhörenden Gästen und Professoren ausgerechnet mich auf, zu ihm zu treten. Er überreichte mir eine Papiertüte, der ich ein nacktes Puppenbaby entnehmen mußte. »Was tun Sie als Geburtshelfer?« fragte er streng. Nun, er wollte dartun, daß die erste Lebensäußerung des Menschen der Schrei sei, die »communication« mit der Umwelt, und daß man das Kind schütteln müsse, wenn es nicht von allein schreie.

Als ich von dieser Reise nach Hause kam, war ich von Begeisterung und Tatkraft erfüllt. Aber wer hat nicht schon erlebt, daß er, als erlebniserfüllter Reisender zurückgekehrt, auf kühle Blicke traf?

Die regelmäßigen Zusammenkünfte in Gruppen, je nach Bedarf, was die Anzahl der Teilnehmer und die Zeitabstände betrifft, müssen zur Gewohnheit werden. Sie dürfen nicht wegen Kleinigkeiten ausfallen, sie dürfen nicht zu »Kränzchen« werden. Das brauchen sie auch nicht zu werden, wenn nur einer dabei ist, der sie mit Ökonomie der Gedanken und der Zeit geschickt leitet.

Im Laufe der Jahre ist auch in unserem Werk vieles in dieser Beziehung anders und besser geworden trotz des oft an falscher Stelle betonten Individualismus der Deutschen.

Erziehung bedeutet zu einem guten Teil, den Kindern gute Gewohnheiten beizubringen. Bei den Erwachsenen müssen zuerst schlechte und meist alte Gewohnheiten beseitigt werden. Das ist unsäglich schwer. Dennoch darf man der Aufgabe nicht aus dem Wege gehen; durch schriftliche Anweisung, gelegentliche mündliche Ermahnungen, durch Schulung innerhalb und außerhalb des Hauses, oft gegen die vielen, die im Unterbewußtsein schuldbewußt oder aus einer gewissen Rauheit heraus den Imponderabilien keine Beachtung schenken wollen, muß die Trägheit überwunden werden.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 397]

Im Rahmen dieser Bemühungen steht die Erziehung der Meister deshalb im Vordergrund, weil sie in direkter täglicher Berührung mit den Arbeitern großen Einfluß auf das »Betriebsklima« ausüben. Was nützt dem Arbeiter die menschliche Einstellung der Leitung, wenn er das Unglück hat, einen parteiischen und jähzornigen Meister zu haben? Selbst auf diesem Gebiet, wenn auch spät, sind wir ein Stück weiter gekommen. Eine Betriebsbefragung wurde veranstaltet, bei der von außen kommende Experten sich aus allen Abteilungen eine statistisch ermittelte Anzahl von Menschen herausholten, um ihnen, ohne ihre Namen zu kennen, bestimmte Fragen vorzulegen. Trotz der vorhandenen offiziellen Beschwerdemöglichkeit fand diese anonyme Gelegenheit, das Herz auszuschütten, erstaunlichen Anklang. Die Resultate dieser Betriebsbefragung brachten uns überraschendes, Angenehmes und Unangenehmes, und wurden ein Anlaß, mit neuem Mut an die menschlichen Probleme im Betrieb heranzugehen. Die Analyse dient auch dazu, sogar Skeptiker nachdenklich zu machen.

Der Frage: Wie verwirklicht man die lobenswerten Ziele? muß gleich die zweite folgen: Wer verwirklicht sie? Es mußte viel geschehen in der Welt, und ich wurde ein alter Mann dabei, bis ich endlich etwas von dem, was ich wollte, verwirklichen konnte und Menschen fand, die befähigt, verständnisvoll und zäh genug waren, zu helfen, daß einiges anders wurde als bisher und daß in der Praxis etwas ausgeführt wurde, was uns als Ziel in Gedanken vorgeschwebt hatte.

Die unerhörte und erfolgreiche Leistung der Menschen in der deutschen Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg, die größere Aufgeschlossenheit nach der schrecklichen Katastrophe des äußeren und inneren Zusammenbruchs des deutschen Volkes gab mir eine unerwartete und in meinem Leben einmalige Chance. Es war eine Freude, aus dem Überfluß der eigenartigen Nachkriegsjahre heraus schöne und bleibende Einrichtungen zu schaffen. Daß diese nur eine allmählich fast selbstverständlich gewordene Grundlage bilden können, auf der sich die eigentliche Pflege der menschlichen Beziehungen abspielt, ist inzwischen eine weiter verbreitete Erkenntnis geworden.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 398]

Erwachsene Menschen verschiedener Lebensalter, Bildungsgrade und Volksstämme zu einem einigermaßen harmonischen Zusammenwirken zu bringen, ist eine Daueraufgabe, an der täglich gearbeitet werden muß, eine Aufgabe, die nicht mit Geld zu erledigen ist, sondern nur durch die Willensanstrengung und das »Drandenken« einer größeren, als Sauerteig wirkenden Gruppe. Wenn auch der Personalchef der Aufgabe am nächsten steht, so können er und sein Stab sie doch nicht allein bewältigen, er braucht Helfer unter denen, die in den Büros und Werkstätten leitend tätig sind.

Den an der Spitze Stehenden kann man wohl mit dem Orchesterdirigenten vergleichen, der die Einsätze gibt, die verschiedenen Instrumentengruppen aufeinander abstimmt, dämpft und anfeuert, mahnt, lobt, schmeichelt, zürnt und Mißtöne nicht duldet. Die Voraussetzungen für ein gutes Symphonieorchester sind freilich Spieler, die ihr Instrument gelernt haben und auch aufeinander hören und nicht nur auf den Dirigenten blicken.

Fragen

WENN SICH DER VERFASSER von Lebenserinnerungen der Gegenwart nähert, verläßt er das Gebiet des Gewesenen und des Gewordenen. Vieles muß unerwähnt bleiben, weil es in Plänen und Ansätzen steckengeblieben ist. Auf solche, oft auch einfach vergessene Absichten stieß ich zum Beispiel bei der Durchsicht von Korrespondenzen meines Vaters und meiner Brüder. Es überraschte mich, wie vieles in der langen Geschichte eines Werkes erwogen wurde und welche Fülle von menschlichen Beziehungen sich bildete und wieder auflöste, bis schließlich das, was bleiben sollte, feststand. So wird vieles von dem, was ich jetzt nach dem zweiten Weltkrieg niederschreibe und damit fixiere, vielleicht überholt sein, wenn es später gelesen wird.

Mein Zeitgefühl hat sich verändert. Ich empfinde die Zeit schwerer und unaufhaltsamer als früher, wie einen großen Strom, der mitreißt und auch kleinere, ruhigere Buchten des Verweilens nicht mehr gestattet.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 399]

Der Zustrom der Millionen von Vertriebenen in die Bundesrepublik, die beängstigende Zunahme der Menschen überhaupt, erzeugen einen ständig wachsenden Produktions- und Konsumtionszwang. Wohin führt diese dauernde Steigerung, zu einem Gipfel, hinter dem ein Absturz folgt oder zu einem Zustand der Normalbeschäftigung und des Normalkonsums — normal, insofern die Menschheit wieder bereit ist, die Früchte ihres Mühens um die materiellen Dinge in Freiheit, äußerem und innerem Frieden und in einer edlen, kulturfördernden Weise zu genießen, die den Menschen nicht aushöhlt, sondern erfüllt?

Ein Merkmal dieser zweiten Nachkriegszeit ist neben der atemberaubenden Geschäftigkeit des Wirtschaftslebens die Fülle der Publikationen aller Art, wobei ich von den illustrierten Zeitungen absehe. Sie mögen von der großen Zahl »gescheiter« Menschen herrühren, vermehrt durch die Vertriebenen, die schreiben können und müssen, um sich zu ernähren. Dazu kommt die geradezu hektische Tagungs-, Kongreß- und Lehrkurstätigkeit. Die Mühsal unserer Zeit, die besonders einen neben dem Beruf vielseitig Interessierten trifft, liegt in der Aufgabe, die Spreu vom Weizen zu sondern, das heißt, das ganz Wertvolle aus dem weniger Wertvollen herauszufinden, denn nur zum ersteren hat er vielleicht Zeit. So häufen sich auch die Privatschreibtische mit Büchern und Schriften, in die man gerne Blicke werfen möchte, damit einem nichts entgehe, was vielleicht doch interessant und wissenswert genug ist für die eigene Arbeit, und sei es nur, um orientiert zu sein.

Zu all dem kommt der Schwall an belehrender Literatur des Berufs und der Branche, welche sich über die Büroschreibtische ergießt. Nicht zu vergessen das Terminbüchlein, das einst ein bescheidenes, das Gedächtnis stützendes Notizheftchen ohne Tages-und Stundeneinteilung gewesen war. Wer kennt nicht das nagende Gefühl, wenn man entschlossen den Papierkorb benützt oder das »Ja« auf den Einladungskärtchen ausstreicht, die Frage, ob nicht doch eine Chance, und sei es nur das Zusammentreffen mit einem interessanten Menschen, verpaßt, ob eine Pflicht nicht ganz erfüllt oder die Gefahr des Vergessenwerdens riskiert sei.

Schließlich steht man angesichts der Fülle des Gutgemeinten,

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 400]

Geistreichen und Inhaltsreichen vor dem Problem: Hat das alles wirklich einen Wert für den Fortschritt der Menschheit, kann es helfen gegen die Mächte des Untergangs, welche die Menschheit bedrohen?

Der Heidenheimer Arbeitskreis

IN DEN UNSICHEREN UND PROVISORISCHEN JAHREN zwischen dem Waffenstillstand und der Währungsreform, als man nicht wußte, was das Chaos gebären würde, konnte ich nicht umhin, Parallelen zu ziehen zu den Jahren nach dem ersten Weltkrieg. Damals war die Situation gefährdeter, denn es gab im Lande keine Okkupationstruppen, die uns vor kommunistischen Putschen etwa schützen konnten. Aber wie damals stand die Frage: »Was nun?« vor uns. Wir hatten allerdings keinen Rudolf Steiner, der in Stuttgart den Versuch machte, den Dreigliederungsgedanken als mögliche Rettung aus dem Chaos und aus der tödlichen Gefahr des marxistisch und atheistisch orientierten Kommunismus in das Bewußtsein des Volkes zu bringen. Kein Wunder, daß man sich angesichts der Ähnlichkeit der Situation wiederum an den Dreigliederungsgedanken erinnerte. In einem Telephongespräch zwischen Fritz Götte, der damals Direktor der Weleda A.G. in Schwäbisch Gmünd war, und mir beschlossen wir, nach wiedergewonnener Freiheit des Geistes eine Anzahl von in der Wirtschaft tätigen Freunden, deren Namen und Adressen wir gerade gegenwärtig hatten, nach Heidenheim zu bitten. Die leitende Idee war, eine allgemeine Aussprache herbeizuführen über die Situation und in der Folge darüber, was wir als im wirtschaftlichen Leben stehende, schwergeprüfte Fachleute tun könnten, um richtungweisende Gedanken zu bilden, die das Nachkriegschaos zu durchleuchten vermochten.

Gleich am Anfang kam die Frage auf, ob nicht die Gedanken der Dreigliederung des sozialen Organismus für diese Durchleuchtung fruchtbar sein könnten. Es war uns klar, daß wir uns hierzu aufs neue mit der Dreigliederung beschäftigen müßten, um sie uns wieder ins Gedächtnis zu rufen. Wir mußten untersuchen, was an der Art ihrer Darstellung zeitgebunden war, nämlich an die Verhältnisse nach dem ersten Weltkrieg, und in welcher Weise heute

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 401]

das an ihr dauernd Gültige den Menschen nahegebracht werden könne. Auch die Grundbedingungen einer solchen Zusammenkunft wurden in den Gesprächen zwischen Fritz Götte und mir schon festgelegt, insofern wir die Teilnahme in erster Linie auf Freunde, die mehr oder minder leitend in der Wirtschaft tätig waren, beschränkten, unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß sie mit der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners vertraut wären. Wir glaubten, mit dieser Zusammenkunft schon eine gewisse Richtung und Klärung für unser gemeinsames Verhalten finden zu können, aber wir ahnten nicht, was aus diesem ersten Treffen im Jahr 1947 werden würde.

Zur Zeit, da ich diesen Bericht niederschreibe in der Ruhe unseres Hauses in Grainau im Anblick der winterlich beschneiten Berge, die sich gegen einen tiefblauen Himmel abheben, im Monat Februar des Jahres 1959, haben wir in elf Jahren dreiunddreißig Tagungen veranstaltet. Sie fanden meist dreimal im Jahre statt, mit wenigen Ausnahmen im würdigen Eisenhof zu Heidenheim, in dem Raum, wo einst vor bald vierzig Jahren einmal Rudolf Steiner gesprochen hatte. Der Kreis hat sich im Lauf der Jahre auf etwa fünfzig Mitglieder erweitert, von denen jeweils fünfunddreißig bis fünfundvierzig teilnehmen können. Ihre Wohnorte liegen in der ganzen Bundesrepublik von Nord bis Süd. Sie sind tätig in verschiedenen Branchen der Industrie und Wirtschaft, in kleinen und großen Betrieben, in selbständigen Einzelunternehmen und in Aktiengesellschaften. Es gibt aber auch einen Treuhänder, einen Bankier, einen Beamten des Wirtschaftsministeriums unter ihnen und einen Hochschulprofessor. Im Spektrum der Repräsentanten der Rohstoff-, Investitions- und Konsumgüterindustrie fehlen selbst die Verkehrsmittel nicht in Gestalt eines Bundesbahnbeamten und des Direktors einer Straßenbahngesellschaft. Im Laufe der Jahre haben sich auch mehrere Frauen zum Kreise gefunden, die in irgendeiner Weise tätig im Leben stehen oder an der Lebensarbeit ihrer Männer lebhaften Anteil nehmen.

Die Tagungen, die von Freitagnachmittag bis Sonntagmittag dauern, beginnen mit einem Überblick über die Ereignisse politischer und wirtschaftlicher Art seit der letzten Tagung mit Beiträgen der Mitglieder und Beurteilungen der Symptome.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 402]

Am Abend findet oft der Vortrag eines geladenen Gastes mit einem Thema statt, das zum Hauptthema der Tagung paßt. So wird man beispielsweise einen Arzt bitten, wenn es um Betriebshygiene oder Rhythmus in der Arbeit geht, einen Pädagogen, wenn die Lehrlingserziehung zur Debatte steht. Der Samstag und ein Teil des Sonntagmorgens ist dem Hauptthema vorbehalten, das schon in der vorhergehenden Tagung gewählt worden ist, damit Mitglieder, die sich besonders interessieren oder besondere Kenntnisse haben, sich vorbereiten können. Der Samstagabend wird in Gesprächen verbracht, oft von kurzen, künstlerischen Darbietungen belebt.

Der Inhalt der meisten Tagungen wird in einem von Fritz Götte redigierten Rundbrief niedergelegt, wobei Gelegenheit gegeben ist, daß von den Teilnehmenden für die Tagung vorbereitete kurze Beiträge in gründlicher und erweiterter Form veröffentlicht werden. So bilden die Rundbriefe in ihrer Gesamtheit ein wertvolles Studienmaterial. Ein Teil des Sonntagmorgens ist der Besinnung gewidmet und einer Aussprache über Lebensmaximen, die auch für Persönlichkeiten der Wirtschaft notwendig und heilsam für das tägliche Leben in den Fabriken sind.

Der Heidenheimer Arbeitskreis will den Teilnehmern eine Gelegenheit bieten zu ruhigem überdenken, zum Sichten und Klären der uns umspülenden und verwirrenden Ereignisse und Verhältnisse. Die trotz der individuellen Verschiedenheiten gewahrten großen Gesichtspunkte und das miteinander Erarbeitete ergeben die Tragkraft einer Gemeinschaft und die Rückenstärkung, die für die Mitglieder notwendig sind, damit sie aufs neue mit Energie und Vertrauen in ihren Alltag zurückkehren.

Diese ermutigende Kraft des Kreises wirkt immer wieder und überraschenderweise jedesmal in anderer Art, so daß ein echtes Bedürfnis lebendig bleibt und eine Treue zum Kreis entsteht, die sich in lebhafter Beteiligung ausdrückt.

Neben dieser persönlichen Wirkung zeigen sich aber auch Erfolge für das Leben in den Betrieben, die vielleicht im einzelnen geringfügig erscheinen, aber doch in der Summe beachtenswert sind. Es findet ein nützlicher Erfahrungsaustausch statt, der eine sinngemäße und auf die Besonderheiten des einzelnen Werkes zu-

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 403]

geschnittene Anwendung zur Folge hat. Man kann mit Recht sagen, viele Einrichtungen sozialer, organisatorischer und pädagogischer Art wären ohne die im Kreis erarbeiteten Anregungen in den Betrieben nicht zustandegekommen. Klare Auffassungen über volkswirtschaftliche Begriffe können da und dort notwendigen Kompromissen und Rücksichtnahmen wenigstens eine zielbewußte Richtung geben. Das Messen, Durchdringen und Beleuchten der Ereignisse in der Außenwelt, aber auch des Lebens in den Betrieben — wie es geschildert wurde — unter dem Gesichtspunkt der Dreigliederung des sozialen Organismus wird tatsächlich immer wieder fruchtbar geübt. Es erweist sich dabei, daß diese Gedanken nach wie vor frisch und tragkräftig für die Zukunft sind.

Einerseits sollen solche Kreise nicht zu groß werden, damit sie nicht verflachen und nicht Zeit verloren wird, um neu Hinzukommende einzustimmen. Am besten ist es, für jugendlichen Nachwuchs zu sorgen, was wir getan haben, auch sind einige Tagungen erweiterter Art mit geladenen Gästen und Betriebsangehörigen veranstaltet worden, die recht erfreulich verliefen.

Wenn sich Menschen im sicheren Bewußtsein des Geistes zusammenfinden, geht der Stoff nicht aus. Das Gespräch bleibt interessant und im Fluß, es gibt überraschende Wendungen und Wandlungen, wenn trotz der Gefahr der Abstumpfung durch das heutige technisierte Leben Menschen lebendig geblieben sind und sich selbst noch wandeln können.

Unwillkürlich denke ich dabei an alle Freundeskreise meines Lebens zurück. Der Stuttgarter Schülerkreis war das erste starke Freundeserlebnis nach vierzehn Jahren eines gewissen Mangels an gleichaltrigen Kameraden in der kleinen Stadt gewesen. Dann folgte die in ihrer jugendlichen Erlebniskraft tiefste und am längsten, auch über die Studienzeit hinaus dauernde Freundschaftsperiode in Dresden, die neben dem gemeinsamen Sport so viele andere menschliche Beziehungen künstlerischer und gesellschaftlicher Art mit sich brachte. Dazwischen bildete sich ein ganz anderer, nicht weniger reger Freundeskreis, der dem gemeinsamen Erleben des Soldatentums entsprang. Nach dem ersten Weltkrieg entstand in gereifter Form und nicht mehr auf der Grundlage der Gleichaltrigkeit eine Freundesgemeinschaft im Bereich des über-

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einstimmenden geistigen Strebens in Dornach. Eine kleinere Zahl wertvoller Beziehungen zu Menschen bildete sich aus unseren Interessen an der Landwirtschaft im Verlauf der eigenen Betätigung und durch Teilnahme an Tagungen. Nicht zu vergessen die Verbindungen mit dem Haus Hirth und seinen Gästen und diejenigen mit Menschen, die wir an unseren verschiedenen Wohnsitzen kennenlernten. Es ist das Schicksal des Altwerdenden, daß er allmählich der Vereinsamung entgegensieht. Viele alte Freunde starben, leben in der Ferne oder versanken in der Vergessenheit. Um so dankbarer bin ich dem Schicksal, daß sich so spät noch der mich tief befriedigende Heidenheimer Arbeitskreis als Freundeskreis in einer meinen Neigungen angemessenen Weise gebildet hat.

Es ist das Bedürfnis eines richtig erlebten Alters, sich gelöst vom Persönlichen für das allgemeine Wohl einzusetzen. In Wilhelm Meisters Wanderjahren drückt sich Goethes Altersstreben so aus. Er gestaltet es in den Tätigkeiten und Maximen jener eigenartigen Turmgesellschaft, deren Mitglieder die Geschicke vieler Menschen leiten und dazu untereinander in Verbindung bleiben in einer vielseitigen Interessengemeinschaft, welche Auswanderung, Handwerk, Landwirtschaft, Pädagogik, Bildung im weitesten Sinn und vielfältigster Form umfaßt und die Folgen der beginnenden Industrialisierung schon vorausahnt. Der für mich wohl letzte Freundeskreis steht unter der Idee der Gemeinsamkeit der Arbeit an den sozialen Problemen innerhalb und außerhalb der Betriebe.

Geschäftsfreunde zu Hause und auf Reisen

WENN ICH AUF DIESE SEITE meiner Erinnerungen zurückblicke, so sehe ich Bilder vor mir, die eine verwirrende Anzahl von Einzelheiten zeigen. Viele, viele Jahre lang waren die Tage mit Ereignissen geradezu überfüllt. In den Stichwortfolgen meiner seit 1914 fast lückenlos geführten Tagebücher drückt sich das deutlich aus. Öfters steht auf der letzten Seite, am 31. Dezember, zum Abschluß des Jahres der Ausruf: »Welch ein Jahr!« Nämlich welch ein Jahr von kleinen und großen, freudigen und sorgenvollen Ereignissen,

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zu Hause und unterwegs, von Aufregungen und Anstrengungen. Da das Wesentliche in meinem Leben die Begegnungen mit Menschen sind, so standen diese auch im Berufsleben vornean.

Das Kaleidoskop von Begebenheiten und Begegnungen hatte mit der besonderen Art meiner Firma zu tun. Die Schuhfabrik verkauft an die Grossisten. Der Fabrikant weiß nicht, wer zu einer bestimmten Stunde an irgendeinem Tag in irgendeiner Stadt ein Paar Schuhe ersteht. Zu uns kommen die meisten Kunden persönlich ins Haus oder wir reisen hin und besuchen sie an ihrem Wohnort. Es sind freilich große Gegenstände, geringer an Zahl, die wir verkaufen, aber doch so viele, daß genug menschliche Buntheit entsteht. Dazu kommt, daß unsere Produkte an vier voneinander ganz verschiedene Interessentenkreise gehen, in denen auch die Menschen verschieden sind.

In der Wasserturbinenabteilung haben wir es mit Fabrikanten, Getreide- und Sägemüllern zu tun, die unsere Kleinturbinen brauchen. Dieser Kundenkreis hat leider abgenommen. Von diesen Abnehmern erfuhren wir oft Dankbarkeit und Ausdrücke der Freude und des Stolzes, wenn die für sie so wichtige Maschine gut in Gang gekommen war, treu und sauber sich drehte und so wenig Wartung brauchte, weil der liebe Gott die Kraft ja durch Regen und Sonnenschein liefert. Die Hauptabnehmer sind die großen Elektrizitätsgesellschaften im eigenen Land und in vielen Teilen der Welt. Sie haben oft kommunalen oder staatlichen Charakter und eigene technische Planungsbüros. Wohl sind Wasserturbinen ein langlebiges Produkt, das dreißig, vierzig, ja fünfzig Jahre überdauert, sogar ohne große Reparaturen. Trotzdem können sich mit den leitenden Ingenieuren und Kaufleuten dieser Energie erzeugenden Gesellschaften langjährige geschäftliche Beziehungen anknüpfen, wenn in ihrem Gebiet liegende Wasserkräfte an großen Flüssen oder im Gebirge allmählich ausgebaut werden. Daraus können auch menschliche Beziehungen erwachsen, die Vertrauen, ja Freundschaft zur Grundlage haben, gerade, weil zwischen den Ingenieuren sachliche Interessen herrschen; handelt es sich doch darum, gemeinsam den Kampf mit den Elementen zu bestehen, in der wilden Hochgebirgsnatur oder gegenüber den Wassermassen der großen Flüsse im flacheren Land. Die Gesellig-

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keit, die mit den vielen, oft Jahre beanspruchenden technischen Besprechungen verbunden ist, spielt sich — und das entspricht dem mehr wissenschaftlichen Charakter der Beschäftigung — in einer eher nüchtern und fast bescheiden zu nennenden Atmosphäre ab.

Anders ist es bei den Papiermachern. Diese Industrie befindet sich noch in Privatbesitz. Neben Aktiengesellschaften gibt es Familienunternehmungen mit langer Geschichte. Das Papiermachen geht auf ein uraltes Handwerk zurück, das schon die Chinesen ausübten. Es hat einen Zunftcharakter, der die Papiermacher der ganzen Welt über die Konkurrenz hinweg verbindet. Wenn die Papiermaschine selbst auch zu den langlebigen Anlagegütern gehört, so existiert doch, von Neuanlagen abgesehen, ein dauernder Bedarf durch Modernisierung, Verschleiß und Ersatz der vielen Nebenmaschinen, so daß Geschäftsverhältnisse entstehen können, die Jahrzehnte, ja mehrere Generationen überdauern. In diesen Kreisen und in den entsprechenden unseres Werkes herrscht eine jovialere Stimmung. Man hat Freude an den guten Dingen des Lebens.

Die dritte Abteilung, der Turbogetriebebau, zählt zu seinen Abnehmern die Lokomotivfabriken, die meist staatlichen Eisenbahngesellschaften und -verwaltungen sowie die Omnibusgesellschaften, also die Welt des Verkehrs, hinter der das große Publikum steht, dem die Verkehrsmittel zu seiner Zufriedenheit dienen sollen. Den Lokomotivfabriken gegenüber sind wir Zulieferer eines Teils der Lokomotive oder des Triebwagens, also doch ein wenig in der Abhängigkeit des Kleinen von den Großen, und da es viele Lokomotivfabriken gibt, ist Takt und Diplomatie nötig. Der Staat, der selbst wirtschaftet, und das tut er, wenn er Eisenbahnen betreibt, ist ein gestrenger Herr, der sich auf feste Vorschriften und Bedingungen stützen muß.

Es ist nicht leicht, die wiederum andersgeartete Atmosphäre der in dieser Branche bestehenden menschlichen Beziehungen zu beschreiben. Sie hat ihre Besonderheit, weil es sich nicht nur um eine für uns, sondern überhaupt in der Welt verhältnismäßig neue Anwendung der Hydraulik handelt, die mit dem einmaligen Prozeß des Austauschs der alten Dampflokomotive durch die Diesel-

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lokomotive zusammenhängt. Es war und ist also aufregende und interessante Pionierarbeit zu leisten mit allen anfänglichen Risiken und Kinderkrankheiten, die nicht zu vermeiden sind.

Obwohl es sich bei dem vierten kleineren Zweig unserer Produktion, dem Voith-Schneider-Propeller, auch um ein Zubehörteil zu einem Verkehrsmittel, nämlich zu Schiffen, handelt, zeigt doch die Welt der Schiffsbauer, der Reeder und Kapitäne ein ganz und gar anderes Gesicht als der Verkehr auf dem Lande. Sie ist infolge ihrer Eigenart, ihrer Anziehungskraft und der besonderen Zunftsprache weiteren Kreisen des Volkes vertraut.

Alle vier Zweige haben mit vielen Ländern in der Welt zu tun. Das bedeutet für uns eine ausgedehnte Reisetätigkeit, die seit der nach dem zweiten Weltkrieg in steiler Kurve nach oben gegangenen Entwicklung des Flugwesens ungeahnte Formen angenommen hat.

Ich selbst habe mich daran noch beteiligen können und fange nunmehr an, ein Zuschauer zu sein, der ein wenig den Kopf über die Unrast schüttelt. Befriedigt darüber, daß ich Kostproben dieses Reisens noch erleben durfte, kann ich auch Verständnis empfinden für die Anforderungen seelischer und physischer Art, die es an unsere Mitarbeiter stellt. So denke ich an eine Fahrt zur Wiederherstellung des »Good Will« nach dem zweiten Weltkrieg, die ich mit meiner ältesten Tochter durch Norwegen, Schweden und Finnland machte, an Reisen nach Brasilien, nach den Vereinigten Staaten und Kanada, nach Spanien und nach Portugal. Die von den Vertretern sorgfältig vorbereiteten und ineinander verzahnten Besuche bringen in der Erinnerung jene allen reisenden Geschäftsleuten vertrauten Bilder hervor. Ich sehe mich nicht nur in der gesteigerten Zeit, die wir jetzt erleben, sondern auch während der Zeit zwischen den Kriegen in verkehrsüberfüllten Großstadtstraßen in Taxis aller Art sitzen und ungeduldig auf das grüne Licht warten, denn es droht, daß der Termin nicht eingehalten werden kann. Wie oft war es drückend heiß dabei! Ich sehe mich in vielen Aufzügen bescheidener und üppiger Bürohäuser auf- und abfahren, mit Vorzimmersekretärinnen verhandeln, um erwartungsvoll in Chefbüros geführt zu werden. Es waren joviale, liebenswürdige, würdige und herablassende Chefs dabei und manche Bankiers in besonders feier-

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licher Umgebung, Generaldirektoren, Staatsbeamte und Sachbearbeiter, aber stets Menschen mit menschlichen Eigenschaften und vielleicht mit bald sich zeigenden freundlichen kleinen Schwächen, mit Liebhabereien und Überraschungen, die sich etwa beim Lunch offenbarten. Für diese Erfahrungsmöglichkeit an Menschenkenntnis bin ich dem Schicksal dankbar, trotz der Strapazen, die für mich Empfindlichen damit verknüpft waren.

Unter den mancherlei auch qualitativ verschiedenen Eigenschaften des Schwaben gibt es eine, die man, wenn auch nicht ganz umfassend, mit dem Satz charakterisieren kann: »Er geniert sich oft.« Er geniert sich vor Publizität, vor zu betonten Sympathieäußerungen und ähnlichem. In seinem Dialekt gibt es den Satz: »Ich liebe dich« nicht. Der Schwabe müßte es in Hochdeutsch sagen und käme sich höchst geschraubt vor. Er benützt in diesem Fall eines seiner geliebten »understatements«: »I mag di halt gern«, was ihm weit mehr bedeutet. Als Schwabe kostete es mich stets eine Überwindung, öffentlich zu sprechen, und ich war oft hinterher von Zweifeln geplagt, ob ich nicht zuviel oder zuwenig gesagt hätte. Das Verhältnis zum Kunden zum Beispiel hatte für mich immer eine kleine Peinlichkeit: der Schwabe hat auch einen geheimen Stolz. So fürchtete ich, daß meine Liebenswürdigkeit, die ich aus allgemeiner Menschenfreundlichkeit ohnehin zeige, beim Kunden als die zweckhafte des Bittstellers ausgelegt werden möchte, der man als um Aufträge besorgter Lieferant doch wohl bis zu einem gewissen Grade ist. Die Wahrung des Taktes in dieser Beziehung lag mir stets am Herzen, und so betonte ich bei der Gastlichkeit im Gästehaus »Eisenhof« eine wenn auch würdige Schlichtheit, vor lauter Sorge, der Geschäftsfreund könnte sich allzusehr durch materielle Genüsse umworben fühlen und verstimmt werden.

Besonders reizvoll war für mich in meiner Eigenschaft als Geschäftsmann stets das Zusammentreffen mit Angehörigen anderer Völker und Farben, die ich unterwegs, aber auch zu Hause traf, denn sie erschienen nach dem zweiten Weltkrieg in großer Anzahl in Heidenheim. So fand ich auch darin eine Gelegenheit, ganz konkret das Gemeinsame, das allen Erdenmenschen Eigentümliche zu erfühlen und festzustellen.

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Alltag im Werk

Es VERGEHT KAUM EINE WOCHE, ohne daß Jubilare mit fünfundzwanzig, vierzig und fünfzig Jahren Dienstzeit zu mli. kommen. Sie erscheinen allein oder zu zweien, Arbeiter und Angestellte, und immer ergeben sich Gespräche der Erinnerung an Zeiten und Menschen von früher. Nur noch die Fünfziger-Jubilare erinnern sich an den Geheimrat Friedrich Voith. So erlebe ich das allmähliche Verschwinden der alten treuen Garde und werde mir bewußt, daß ich der älteste noch Mitarbeitende im Werke bin. Es entspinnen sich aber auch Gespräche über das persönliche Leben der Jubilare, die mir wertvoll sind. Auch wer in den Ruhestand geht, verabschiedet sich von mir. Jedes Jahr vor Weihnachten findet ein Abend für die Jubilare des Jahres statt im festlich und doch anheimelnd geschmückten großen Hermann-Voith-Saal des Speisehauses. Kerzen brennen auf den Tischen, die Musik spielt, ein Sängerchor singt. Aber die Hauptsache sind die ruhigen Gespräche untereinander und mit den unmittelbaren Vorgesetzten, die auch eingeladen sind.

Manche der Pensionäre sind gebrechlich, die Kreislaufstörungen greifen um sich, auch die Magenerkrankungen. Oft höre ich den Ausspruch: »Ich bin zufrieden, die Hauptsache ist, daß ich noch jeden Tag aufstehen darf.« Fast alle haben noch dies und jenes im Haus und im Garten zu tun. Wichtig wird das tägliche Spazierengehen genommen, wozu die ausgedehnten Wälder der Umgebung Gelegenheit geben. Immer wieder erwähnen die Alten dankbar die Wälder.

Häufig wird mir erzählt, schon lange sei man auf einfache und reine Nahrung gekommen. Das Reformerische, die Homöopathie, die Kneippkuren, die Naturheilkunde spielen eine große Rolle im schwäbischen Volk. Immer wieder bin ich tief gerührt über das Ausmaß von Treue, Pflichtbewußtsein und Zuverlässigkeit, das sich in den Gesprächen ausdrückt und ungeschmälert in den Männern vorhanden ist, die ihr Leben im Werk verbracht haben und zwei Weltkriege mit allen Entbehrungen, oft als Soldaten oder

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Gefangene, überstanden haben. Immer wieder kehrten sie an den Arbeitsplatz zurück, um von ihrer alten Firma schützend aufgenommen zu werden. Und wie viele Geschichten haben die Monteure aus den fremden Ländern zu erzählen! Mancher mußte sich, viele Jahre von zu Hause getrennt, während des Krieges irgendwo selbständig durchschlagen.

An den Montagen finden Besprechungen der Geschäftsführer und Abteilungsdirektoren statt. In einem Hause, unter dessen Dach eigentlich drei Werke recht verschiedener Art vereinigt sind, ist es nicht so leicht, ein Gemeinsames herzustellen. Aber man muß bei den Leitenden das Interesse am Ganzen voraussetzen. Jedenfalls werden in allen Abteilungen Maschinen gebaut. Es gibt genug Ereignisse, die alle berühren, es gibt die Wissenschaft, die gegenseitige Aushilfe, denn die guten und schlechten Konjunkturen treffen die einzelnen Abteilungen nicht immer gleichzeitig. Beim kaufmännischen Direktor und in seinen Büros ist alles durch die finanzielle Seite sämtlicher Geschäftsvorgänge vereinigt. Auch in meinem Kopf und im Herzen, da ich die historische Entwicklung mitgemacht habe, müssen in großen Zügen wenigstens und unparteiisch alle Abteilungen und das Sozialwesen Platz finden. Diese Montagssitzungen sind stets erregend und interessant. Oft wandern die Gespräche um die ganze Erdkugel, sei es durch persönliche Berichte soeben Zurückgekehrter, sei es durch Entscheidungen, vor die man durch eingegangene Briefe und Telegramme gestellt wird. Vieles wird erledigt, vieles kann noch nicht erledigt werden.

Ein Teil des Morgens wird in Anspruch genommen durch Einzelgespräche, bei denen persönliche Dinge eine nicht unbedeutende Rolle spielen, neben Baufragen, Pädagogischem, Sozialem und vielem, das täglich ein anderes Gesicht hat und fast alle Seiten menschlichen Lebens und menschlicher Tätigkeit umfaßt. Dazwischen können Probleme und Nachrichten aufkommen, die sofort mit dem kaufmännischen Direktor oder in einer schnell zusammengerufenen Sondersitzung mit den Technikern beraten werden müssen. Besuche sind da, prominente Kunden, die begrüßt werden wollen. Wer geht mit ihnen zum Essen? Seit das alte Gabriel-SeidlHaus meines Vaters als Gästehaus dient, benützt man gerne den

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schönen Speisesaal, um in Ruhe zu sitzen und in den Rosengarten hinauszublicken. Man fühlt sich plötzlich für eine Weile fern von den sich oft überstürzenden Begebenheiten des Morgens. Ich denke dann an die alten Zeiten, denn die Formen und die Kulissen sind noch da, zwischen denen sich einst Ernstes und Heiteres abgespielt hat. In dieser stilleren und historischen Umgebung läßt sich mit den Gästen manches allgemeine Gespräch anknüpfen, das dazu angetan ist, die strenge Sachlichkeit der Geschäfte zu mildern. Viele Geschäftsfreunde bringen ihre Frauen mit, manche sind seit Wochen unterwegs, haben Nächte in unruhigen Großstadt-Hotels verbracht und können im alten Eisenhof wieder Atem schöpfen.

Manches andere geht hier noch vor sich. Zu Anfang des Jahres laden wir die jungen und die neu engagierten Angestellten mit ihren Frauen ein. Dazu sind mehrere Abende nötig, denn die Kapazität des Eisenhofs ist beschränkt. Sie sollen sich und uns kennenlernen. Meist gibt es ein kleines Konzert, ein einfaches, aber gepflegt serviertes Essen und wieder Gespräche. Auch Hochzeiten, Taufen, Jubiläen, Konzerte und Empfänge haben schon in dem alten, aufs neue nützlich gewordenen Haus stattgefunden.

Vielleicht wünscht einer der Geschäftsfreunde auf dem Weg zum Eisenhof einen Blick in den Betrieb des Speisehauses zu werfen, das sich an der Nordseite des vom alten Park meines Vaters übriggebliebenen Geländes findet, in dem auch der Eisenhof steht. Schützende Hecken teilen unauffällig den Garten auf, der nicht nur den Eisenhofgästen, sondern während der Mittagszeit auch den Arbeitern und Angestellten dient, die nach dem Essen unter alten Bäumen auf Bänken oder Liegestühlen ruhen oder auf der Terrasse des Speisehauses eine Tasse Kaffee trinken wollen, ehe sie wieder in die Büros oder den Lärm der Werkstatt zurückkehren.

Der große Saal, dauernd durchlüftet, mit der Aussicht in den Garten, ist geschmückt durch ein großes Wandgemälde, das in der Form der vier Jahreszeiten das menschliche Leben von der Geburt bis zum Alter darstellt. Er macht auch im nüchternen Alltag einen fast festlich zu nennenden Eindruck. Frauen mit weißen Häubchen bedienen. Die Speisenden brauchen ihr Essen nicht selbst zu holen

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und an der Ausgabe zu warten. Die größere Ruhe und die vom Betriebsrat, vom Betriebsarzt und von meiner Frau überwachte Wahl und Qualität der Speisen haben zur Folge, daß die Anzahl der Magenerkrankungen zurückgegangen ist. In der großen Küche herrscht lebhafter Betrieb. In den Kellerräumen befinden sich die Kühl- und Vorratsräume, Wursterei, Räucherei, Gemüse- und Kartoffelputzerei, ja es gibt auch eine Wäscherei und Teeküche. Wir durchwandern diese Welt hinter den Kulissen und steigen empor in das grüne Zimmer im ersten Stock, wo die vielen uns besuchenden auswärtigen Geschäftsleute in etwas gepflegterer Form, aber im ganzen dieselben Speisen wie im großen Saal essen können. Auch Studenten mit ihren Professoren und sonstige Besuchergruppen können dort bewirtet werden.

Die Nachmittage benütze ich oft zu einem Gang durch das Werk. In der Brunnenmühle am Südende und außerhalb des Werks am Fuße eines bewaldeten Berges entspringt die starke Quelle, die einst eine Mühle trieb und immer noch in einer kleinen Turbine dreißig Kilowatt erzeugt. Das reine Wasser belebt die hydraulische Versuchsanstalt, in der Nacht wird es in ein Speicherbecken hundert Meter hoch auf den Berg gepumpt, um wieder für Versuche bereit zu sein. Hier und in der Versuchsanstalt der Papiermaschinenabteilung, wo die vertrauten Gerüche einer Papierfabrik herrschen, werden im kleinen die wissenschaftlichen Untersuchungen angestellt, die eine sichere Grundlage für die Ausführungen im großen bilden und das Risiko mildern. Aber es wird auch weiter-und neuentwickelt. Hier ist das Reich der Wissenschaftler, einige arbeiten in Büros, einige sitzen an den Versuchsapparaten, lesen Zahlen ab, zeichnen Kurven und rechnen. Viele teure Meßapparate, wobei Optik und Photographie nicht fehlen, stehen zur Verfügung, ein Physiker pflegt sie. Ich liebe diese Atmosphäre freier Betätigung der Ingenieure, in der auf ruhige und leidenschaftslose Weise diskutiert wird.

In den großen Zeichensälen im Norden des Werkes, der nächsten Stufe der geistigen Arbeit, stehen Hunderte von Ingenieuren und Zeichnern in weißen Mänteln an den Reißbrettern und handhaben die Zeichenmaschinen, die heute nicht fehlen dürfen. Dort geht es immer noch verhältnismäßig still, aber wegen der vielen

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Menschen doch unruhiger zu. In die kaufmännischen Abteilungen sind schon lange die Schreib- und Rechenmaschinen eingedrungen. Die Hollerithmaschinen belegen einen besonderen Raum. Die früher ohne maschinelle Hilfe geleistete Rechenarbeit wird heute den Menschen abgenommen.

Zwischen der Verwaltung und Konstruktion im Norden und der Wissenschaft im Süden liegt das Reich der Maschinen und der Handarbeit, das Reich der Formung und Formgebung, wo sich die Gedanken in Stahl und Eisen realisieren. Doch auch da, an den Orten, wo sich der Wille am deutlichsten in die Tat umsetzt, gibt es Unterschiede genug.

Gerne besuche ich das moderne Heizkraftwerk, wo die Automatik der Kesselbedienung mit dem ganzen Gewirr von Rohrleitungen und die summenden Dampfturbinen, umgeben von der elektrischen Kontrollapparatur, den Menschen so entlastet hat, daß er ruhig beobachtend nur hin- und herzuwandeln braucht. überall herrschen Reinlichkeit und schöne Farben. Ich denke an den Heizerfreund meiner Jugend, der rußig und schweißtriefend die Kohlen ins offene Feuerloch schippen mußte und den von mir erlegten Krähen die Feuerbestattung verschaffte.

Auch in der Materialprüfanstalt, der neuerbauten, herrscht noch die vornehme Stille der Forschung, der Messung, Durchleuchtung und Durchflutung, ja des Ultraschalls, alles Mittel, um ins Innere des Materials zu dringen. Im Chemischen Laboratorium, blitzsauber, hell und geruchlos, kocht es, schillern farbige Flüssigkeiten, spielen die Waagen. Auch die Optik, Mikrdskope, Spektroskope und Photographie findet man in diesem Hause. Zugegeben, die Beanspruchungen des Materials sind heute durch hohe Temperaturen, hohe Umdrehungszahlen und Dauerschwingungen größer geworden. Oft haben kleine Ursachen große Wirkungen. Aber was würde mein Vater sagen, wenn er an meiner Seite ginge: »Wozu all das teure Zeug, glaubt ihr denn den Garantien eurer Lieferanten nicht mehr, ist es so unsolide bei euch geworden?« In der Tat, auch bei uns, das heißt, in unserer alten europäischen, technischen Zivilisation ist der Mensch nicht mehr so verläßlich, wie er war. Schon während der Arbeit beginnt er an die Freizeit zu denken, an vieles, was ihn zerstreut und unaufmerksam machen kann, daher

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 414]

die Notwendigkeit einer früher nicht geübten intensiven Kontrolle nicht nur der von außen kommenden Materialien, sondern auch der Fertigung im eigenen Haus in allen ihren Stadien. Je mehr der innere Impuls zur Moral, die Berufsehre und der Stolz auf die exakte Arbeit nachlassen, desto nachdrücklicher muß an ihre Stelle die Kontrolle, die Aufsicht treten.

Für den werksfremden Besucher, und wie viele habe ich geführt, ist der Anblick des flüssigen Eisens, wie es aus dem Schmelzofen strömt oder sich in die Formen ergießt, am faszinierendsten; die Gesichter der Männer sind vom Feuer beleuchtet, ihre Ruhe, Sicherheit und Unbekümmertheit werden bewundert. Die Atmosphäre in der Modellschreinerei dagegen ist auch dem Laien vertrauter; das alles kennt er vom selbständigen Schreinermeister; vielleicht stand er selbst einmal an der Hobelbank, wenn er eine moderne Schule besucht hat.

Gerne gehe ich in den Dämmerstunden eines Winternachmittags durch die Werkstätten. Die Feuerschmiede und die Kesselschmiede haben ihr romantisches Bild bewahrt; die Glühöfen, wenn sich ihre Türen öffnen, die Elektroschweißgeräte mit ihren Blitzen durchleuchten den Raum in einem dauernd wechselnden Spiel. Ist ein großes Blechspiralgehäuse für eine Wasserturbine im Bau und liegen sonstige, durch die Gesetze des strömenden Wassers geformte Teile herum, so erscheint hier, wie in allen Werkstätten, die Fülle der Gegenstände dem Besucher als unbegreifliches Chaos. Dann muß ich ihm tröstend sagen: »Vergessen Sie nicht, was Sie sehen, ist alles wohlgeordnet. Was Sie verwirrt und erstaunt, ist, daß Sie das Resultat einer hundertjährigen Entwicklung der Technik vom Einfachen ins Komplizierte vor sich sehen. Auch die Vielseitigkeit der Natur, der Steine, Pflanzen und Tiere, für die vielbändige Werke der Beschreibung notwendig sind, ist die Folge einer langen Entwicklung.«

In den mechanischen und Montage-Werkstätten wird es ruhiger und sauberer. Daß man die rohen Teile, die ein wenig größer als benötigt sein müssen, auf das richtige Maß drehen, hobeln, fräsen und bohren muß, erstaunt viele Besucher, obwohl es doch ein recht logischer Arbeitsvorgang ist. Ruhig blicken die Kranführer von ihren Körben herab, auch wenn die schwersten Stücke in der

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 415]

Großturbinenhalle oder in der Papiermaschinenhalle an den Haken schweben. Dort ist nun der Höhe- und Schlußpunkt all der vielseitigen Vorbereitungen und Bemühungen zu sehen, die Krönung des großen und komplizierten Apparates, der Zusammenbau.

In der vom übrigen Werk abgetrennten Turbogetriebefabrik wird jedes fertige Stück vor der Ablieferung geprüft, das heißt, man stellt einen Zustand her, welcher der wechselnden Beanspruchung des Getriebes in einem fahrenden Zug entspricht. Das singende Geräusch der hohen Tourenzahlen bei diesen Probeläufen erzeugt in dem Prüfraum eine erregende Stimmung.

Die Großmaschinen, Turbinen und Papiermaschinen, wenn man sie gerade im fertigen Zustand zeigen kann, stehen stumm, imponierend und erwartungsvoll da. Man kann nur ahnen, daß in Bälde gebändigte Wassermassen auf die rationellste Art die stählernen Ammonshörner und Laufräder durchfließen werden und daß in der hundert Meter langen Papiermaschine sich das endlose Blatt bilden wird, vom Zustand milchigen Wassers bis zum breiten, festen, vom Trocknen noch heißen Papier. Man muß sich dazu bei diesem Trocknungsapparat überall die entweichende Flüssigkeit vorstellen und die Dampfschwaden, die durch eine gewaltige Haube über den geheizten Trockenzylindern abgesaugt werden.

Trotz des Lärms und der Unruhe wirken solche Gänge wie ein erfrischendes Stahlbad auf mich. Hier wird geschaffen, hier entsteht etwas und wird etwas fertig, das bald, farbig angestrichen und sorgfältig verpackt, in Waggons verladen, das Werk verläßt, um draußen in der Welt seinen Bestimmungsort zu erreichen und seinen Zweck zu erfüllen. Das ist das Befriedigende der Werkstatt im Vergleich und im Gegensatz zur Zone des Planens, Erwägens, Verwerfens, Entscheidens, Finanzierens in den Konferenzzimmern und Büros. Und die Menschen? Noch ist es so, daß ich alter Mann, freilich hereinragend aus der Zeit der bescheidenen Anfänge, als letztes männliches Glied der Familie und denselben Namen tragend wie der Gründer Johann Matthäus Voith, von den meisten Männern trotz Lärm und Eifer einen freundlichen Gruß bekomme, und wenn es nur ein vertrauliches Nicken und ein kleines Lächeln ist. Dann bin ich voll Dankbarkeit ihrer Arbeit und meinem Schicksal gegenüber.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 416]

Auf dem Weg zu meinem Büro, in dem ich noch am altmodischen Schreibtisch meines Vaters sitze, komme ich am Familienhaus vorbei, in dem mein Vater, meine Brüder, meine Schwestern und ich geboren sind. Eine einfache Bronzetafel zeigt den Geburtstag meines Vaters an: 3. Mai 184o. Bald wird es das letzte Gebäude sein, das von der alten Zeit noch übrig ist und das erhalten bleiben soll. Es steht heute mitten in dem älteren Teil der Fabrik, aber immer noch am Ufer der Brenz, die gerade dort sich noch zeigt, denn meist fließt sie unsichtbar und ist überbaut durchs Werk. Ich sehe im Geiste vor mir den alten Garten um das Haus und den alten Brunnen mit der Bronzefigur. An der Stelle, wo ich gerade verweile, stand im Sommer der Tisch, an dem die Familie das Abendessen einnahm. Dort auf dem Dach des längst umgebauten und anderen Zwecken dienenden früheren Kesselhauses sind noch ein paar von den Burgzinnen übriggeblieben, zwischen denen die Feldschlange stand und wo wir, mein Freund Fritz, der vor ein paar Monaten in New York gestorben ist, und ich unsere phantasievollen Soldäterles-Spiele erfunden haben.

Beinahe hätte ich die heutige Jugend im Werk vergessen. Das eifrige Tun der Lehrlinge, die mit frischen Gesichtern in ihren Lehrwerkstätten am Schraubstock, an den Maschinen, am Amboß, an der Hobelbank und beim Formen tätig sind, gibt auch den Erwachsenen Zuversicht und Hoffnung, daß es weitergeht, daß der Organismus »Betrieb« von unten her neue Triebe bekommt. Man muß mit eigenen Augen gesehen haben, mit welchem Eifer und welcher Konzentration, allerdings unter ermunternden Lehrern, die oft ungeschlachten Jungen in ihrem Kunstunterricht schnitzen, modellieren, malen und zeichnen, um überzeugt zu sein, daß die zusätzliche Beschäftigung nur Gutes und Förderndes für die Jugend bedeuten kann.

Von der Werkschule kommt man, am Gesundheitshaus vorbei die Straße überquerend, zum Speisehaus auf das grüne Gelände des Gartens, in dem der Eisenhof und weiter südlich die Waldorfschule steht mit der Turnhalle, die Lehrlinge und Schüler benützen und an die sich der Kindergarten anschließt. Dann dehnen sich nach Westen die Gemüsegärten und Gewächshäuser der Betriebsgärtnerei, die Eisenhof, Speisehaus und verschiedene Haushaltun-

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 417]

gen beliefert. An der Westgrenze dieses »Naturschutzgebietes« steht mein Haus, das ich seit 1915 bewohne. Diesen Bereich nenne ich gerne auch die »pädagogische Provinz« der Firma. In der Tat, man kann dort nicht nur die schon erwähnte physische Nahrung bekommen, auch die Pflege des Körpers findet durch Bäder aller Art, die Pflege des Geistes durch die Bibliotheken, durch die Schulen und die zur Verfügung stehenden Säle vielerlei Möglichkeiten. Alle Einrichtungen werden fleißig benützt. Meine Frau und ich haben es als unsere besondere Aufgabe angesehen, viele Möglichkeiten zu schaffen und Anregungen zu geben. Mit Leben erfüllen müssen es die Menschen aus eigenen Antrieben, und sie tun es. Manchmal, wenn ich abends noch einen kleinen Spaziergang durch das Gelände mache, sehe ich mit Freude Licht in den Bibliotheken, im Vortragssaal des Gesundheitshauses, im großen Speisehaussaal, im Musikraum, im Goethesaal der Schule, wo gesprochen, gelesen, geübt und musiziert wird. Was nützt uns die Perfektion der Technik, wenn die gewonnene freie Zeit zur Verödung der Seele, anstatt zu ihrer Erfüllung durch edles Tun führt. Die Beschäftigung muß eine aktive sein, eine weiterbildende, Gegengewicht zur einseitigen Belastung des Berufs. Sie wird im wesentlichen eine künstlerische Tätigkeit irgendwelcher Art sein, zu der Stunden der Besinnung und inneren Stärkung kommen müssen. Diese Stärkung kann je nach Neigung und Veranlagung durch gute Literatur, durch Pflege der Religion, der Philosophie, des Gesprächs, des Gebets und der Meditation in Gemeinden und in Gruppen, in der Familie und im stillen Kämmerlein gefunden werden.

Die Familie ist nicht nur die Urzelle des Volkes, ihre Verfassung ist auch für den Betrieb von größter Wichtigkeit. Wie gefährdet sie in den zentralistisch verwalteten, atheistischen Staaten ist, wissen wir. Sie ist es aber auch in der freiheitlichen Welt, wenn beide Eltern verdienen wollen, um sich allzu schnell in den Besitz der Sozialprodukte zu setzen. Dies geht auf Kosten der Erziehung der Kinder. Es ist hier nicht der Ort, um auch über den Zustand vieler moderner Ehen zu klagen, die auf einer falschen, materialistischen Basis geschlossen werden statt in Verwirklichung einer seelisch-geistigen, schicksalhaften Beziehung. Die Harmonie zwischen Mann und Frau in der Ehe ist in ihrer sozialen Wirkung nicht hoch genug

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 418]

einzuschätzen. Weder die Schule noch die Lehrlingserziehung kann Schäden ganz ausgleichen, welche die Kinder im Elternhaus erlitten haben. Eltern sollen Gärtner ihrer Kinder sein. Erziehung ist ein liebevolles Herstellen der für das Kind und die gesunde Entwicklung der in ihm schlummernden Fähigkeiten notwendigen Wachstumsbedingungen. Dazu gehören harmonische Ehen.

Neuerdings kümmern sich die auch gegenüber dem Unwägbaren des Seelischen praktisch eingestellten amerikanischen Leiter der Unternehmungen um den Zustand der Ehen, etwa bei Engagements oder Beförderungen von Führungskräften. Nüchtern stellen sie fest, daß eine gute Ehe aufbauen und Kräfte spenden und eine schlechte aufreiben und Kräfte verzehren kann. Das bedeutet positive oder negative Wirkung auf die Berufsarbeit. Selbst übertriebener Alkohol- und Nikotingenuß wird unter diesen Gesichtspunkten kritisch betrachtet. Anfällige dieser Art werden wegen der Gefahr früher Erkrankung oder gar Arbeitsunfähigkeit uninteressant für den Betrieb. In einem gewissen Sinn hat das moderne Berufsleben etwas Gutes, insofern früher scheu umgangene Dinge ungeniert ausgesprochen und die Menschen, wenn sie vorwärtskommen wollen, zur Selbsterkenntnis gezwungen werden, aus der vielleicht Wandlung entstehen kann.

Noch ist in vielen Familien der Betriebsgemeinschaften ein großes Kapital von Einsicht und Tüchtigkeit vorhanden, gepaart mit einfachem, unverdorbenem Sinn für ein gesundes Familienleben und mit Freude am technischen Beruf.

Ich bin begeistert für moderne Haushaltungsmaschinen, welche die Mühsal der Hausarbeit mildern und Kräfte sparen können, die den Kindern zugute kommen. Autos und Fernsehapparate bergen Gefahren in sich. Aber ich gebe mich der Hoffnung hin, daß nach der Überwindung des Reizes der Neuheit eine maßvolle Verwendung aller Technizismen Platz greifen möge. Auge, Ohr und Nase, ermüdet durch das flimmernde Licht, durch grelle Töne und giftige Gase, werden sich nach dem sanften Blau der Ferne, dem wohltuenden Grün der Nähe, den Lauten der Natur und dem Duft der Kräuter und Bäume sehnen, nach echten Genüssen, die an den stillen Waldrändern der Schwäbischen Alb auf den Freund der Natur warten.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 419]

AUSKLANG

VOR DER EHESCHLIESSUNG schenkte mir meine Frau einen Ring. In einen ovalen Blutstein hatte sie ein paar Wellenlinien und darüber eine Möwe schneiden lassen. Das Zeichen sollte mein Wesen versinnbildlichen. Die Möwe berührt flüchtig die Wellen, holt sich im Flug die Nahrung, läßt sich auf den Wellen schaukeln und betrachtet von oben die Welt.

Richtig an diesem Bild ist, daß mein Schicksal mir gestattete, vieles probeweise zu erfahren, ohne unterzugehen. Das heißt nicht, ich sei ein amüsierter Zuschauer des Lebens gewesen oder gar der einäugige, farbenblinde Zeigerableser Eddingtons, obwohl viele Menschen in sich ein höheres Ich erfahren, das sich gleichsam zuschauend verhält. Die Möwe wurde oft von stürmischen Wellen zerzaust. Unnötig zu sagen, daß ich wie jeder Sterbliche in den finsteren Tälern der Krankheit und drohender Verzweiflung gewandert bin. Wandlungen und Entwicklungen sind ohne Leiden nicht zu erlangen.

Ich habe in diesem Buch nur wenig Namen angeführt. Ein paar Menschen, die der Öffentlichkeit bekannt sind, habe ich mit Namen genannt, wenn ich Gelegenheit hatte, mit ihnen wenigstens Gespräche zu führen, dagegen erwähnte ich nicht kurze Vorstellungen, die nur einen Händedruck und ein paar Worte zur Folge hatten. Viele »berühmte« Leute kennenzulernen, war mir nicht vergönnt. Aus dem großen Kreis der Menschen, die ich im Berufsleben und auf Reisen, als Freunde und Mitarbeiter kennenlernte, wollte ich aus begreiflichen Gründen einzelne nicht namentlich

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 420]

herausheben. Es kam mir auf Beispiele an. Auch die Verhältnisse der besonderen Maschinenfabrik, in die ich hineingeboren wurde, sollten nur als Beispiel geschildert werden.

Den einen Großen, den ich in meinem Leben treffen durfte, nannte ich immer wieder mit Namen. Ich habe ihn auf Grund jahrelanger vergleichender Prüfung als den bedeutendsten Wissenschaftler und Forscher der letzten hundert Jahre anerkannt und empfunden. Daß eine ganze Reihe zuverlässiger und wertvoller Menschen derselben Ansicht ist, kann mein selbständig gewonnenes Urteil nur befestigen. Auf diesen Mann, dem die Zukunft recht geben wird und dem die Ereignisse der Vergangenheit schon recht gegeben haben, im Laufe dieser Erinnerung da und dort hinzuweisen, war mir Pflicht, in der Hoffnung, den einen oder anderen wenigstens aufhorchen zu lassen.

Ich bin dankbar, daß ich einen so großen Teil meines Lebens in der Industrie verbracht habe, denn Naturwissenschaft und Technik sind nun einmal die Zeichen unserer Epoche. Freilich mußte ich mir die Zeit stehlen für meine Liebe zur Natur, Kunst und Philosophie, denn nichts ist unerbittlicher als die Notwendigkeit, im Auf und Ab der Politik und der Konjunkturen und in dem mir so unsympathischen industriellen Konkurrenzkampf für Tausende von Menschen Arbeit zu schaffen.

Der große Schmerz meines Lebens war, zu wissen, was sein sollte, und zu sehen, was in Wirklichkeit geschah, nämlich, wie unerbittlich Vorgänge, die ich nicht verhindern konnte, in den Abgrund führen mußten. Ich habe auch da und dort kritisiert. Kritik am Zeitgeschehen — und das macht mir fast Mut — ist heute außerordentlich entwickelt. Ihre Schwäche ist, daß keiner richtig weiß, wie man's besser machen soll, so daß viele Reden und Aufsätze nur mit dem Ausdruck der Sehnsucht nach einer neuen Humanität schließen können. Da und dor.t habe ich mir erlaubt, auf Wege hinzuweisen, die aufwärts und nicht abwärts führen, wenn man sie willenskräftig beschreitet. Ohne ein richtiges Bild vom Menschen wird es nirgends aufwärts gehen. Der Antichrist möchte, daß man den Menschen auf einen Wirbel elektrischer Elementarteilchen reduziert, ja daß man ihn resigniert » abschreibt«. Innere Wachsamkeit, Ausbildung des Denkens, der Wil-

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 421]

lens-, Erlebnis- und Erinnerungskräfte, mit vergleichendem historischem Bewußtsein und selbständigen Urteilen verbunden, sind die Eigenschaften, welche die heutige Jugend braucht, um Gut und Böse, Wahrheit und Lüge unterscheiden zu können, Unterschiede, die heute mehr und mehr verwischt werden.

Viele Menschen haben schon darüber nachgedacht, was Erinnerungen sind, und wie sie zustandekommen. Im Zeitalter des Materialismus gibt es recht diesseitige Auffassungen dazu. Man sagt etwa, daß die Erlebnisse aufbewahrt werden wie in einem Lager, vergleicht die geheimnisvollen Vorgänge mit elektrischen Schaltprozessen in den Zellen, sicher wird man auch heute Parallelen zu den neuen elektronischen Denk- und Rechenmaschinen finden, die ganz ähnlich wie das Gedächtnis speichern können.

In seinen Vorträgen »Der Wert des Denkens für eine die Menschen befriedigende Erkenntnis« spricht Rudolf Steiner auch über die Erinnerungsfähigkeit des Menschen. Nach ihm sinken die im Tagesbewußtsein gebildeten Vorstellungen über die Außenwelt in das Unbewußte der Seele hinab; sie verschwinden in ein Gebiet der Erinnerungsmöglichkeit. So können sie auch als Erinnerungen wieder in das Bewußtsein heraufgeholt werden, sind dann aber nicht nur eine Kopie der früheren Vorstellungen, sie sind verwandelt worden, sind nicht tot und abstrakt geblieben, sondern lebendig geworden und tauchen als Bilder, als Imaginationen wieder auf. Ich glaubte, recht fleißig meine langjährigen Tagesnotizen benützen zu müssen. Dabei brauchte ich sie nur ein paarmal für einige Daten. Offenbar taucht der Memoirenschreiber in das Gebiet des Unbewußten, beleuchtet mit dem Licht seines Willens diese und jene Einzelheit im Bereich der Erinnerungsmöglichkeit und bringt sie geändert und hoffentlich geläutert ans Tageslicht. Wenn es richtig zugeht, ist das Geborgene trotz seiner Wandlung und Verklärung immer noch in einem höheren Sinne wahr.

Ich schließe meine Niederschrift ab in einem Zeitpunkt, da größte Sorge die gebildeten Menschen der Erde bewegt. Es ist die Sorge um die Freiheit des Geistes, um die Würde des Menschen, um all das, was im Christentum beschlossen liegt, ja, um Sinn und Ziel der göttlichen Schöpfung überhaupt.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 422]

Und immer wieder wollte ich verzagen,
Dem trüben Hohn der Zweifler standzuhalten,
Der Würdenträger Lächeln zu ertragen,
Nicht durch der Rechner Scharfsinn zu erkalten.
Im Lärm des Tags droht Wahrheit, Schönheit, Güte,
Des Geistes zartes Weben zu vergehen.
Mit starkem Mute auf der Freiheit Blüte,
Auf wahrem Menschsein kämpfend zu bestehen,
Geziemt dem Wissenden! Der Gang der Zeiten
Bedeutet Auftrag, für den Geist zu streiten.

[Hanns Voith, Erinnerungen, 1960, S. 423]