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Die soziale Problematik unserer Zeit und die Weltlage der Gegenwart
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Bibliographische Notiz und Zusammenfassung
Die Wurzeln der sozialen Frage
Wenn im Folgenden der Versuch unternommen wird, die soziale Problematik unsrer Zeit in der Weise zu beleuchten, daß die Wurzeln aufgewiesen werden, aus denen sie erwachsen ist, die Fragen und Forderungen charakterisiert werden, die sie in sich schließt, und schließlich auf die Richtung gedeutet wird, in der ihre Lösung zu suchen sein wird, – so muß diese Problematik zunächst da angepackt werden, wo sie geschichtlich als soziale Frage im heutigen Sinn zuerst in Erscheinung getreten ist. Dies war bekanntlich damals der Fall, als innerhalb unserer westlichen Zivilisation vor anderthalb Jahrhunderten zuerst jener Gegensatz aufbrach, der sich dann zum Klassengegensatz und Klassenkampf zwischen den Klassen der – wie man sie damals nannte – Kapitalisten und der Proletarier, d. h. zwischen der Klasse der Unternehmer und derjenigen der Arbeiter ausgewachsen hat. Die Entstehung dieses Klassengegensatzes war, äußerlich betrachtet, die unmittelbare Folge eines der bedeutendsten Geschehnisse der geschichtlichen Menschheitsentwicklung : der Geburt der Technik, wie sie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in England stattgefunden hat. Diese bewirkte innerhalb des Wirtschaftslebens jene gewaltige Umwälzung, die man in England die «industrielle Revolution» nannte und durch die ältere, agrarische und handwerkliche Formen der wirtschaftlichen Produktion in die industriell-fabriksmäßige übergeführt worden sind. Mit der Entstehung des Industrialismus bildeten sich die Klassen des Unternehmertums – in dem Sinne, in dem wir diesen Begriff heute noch verstehen – und der Arbeiterschaft ja allererst heraus.
Nun hätte aber die Herausbildung dieser Klassen nicht unbedingt auch zu einem Gegen-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 7]
satz und Kampf zwischen ihnen führen müssen. Daß es zu einem solchen kam, hatte vielmehr noch eine besondere Ursache. Durch die Einfügung der Maschine in die wirtschaftliche Produktion war eine völlig neue Art des Zusammenwirkens einer Mehrzahl von Menschen im wirtschaftlichen Produktionsprozeß entstanden, die es früher niemals gegeben hatte. Damit war der modernen Menschheit zugleich die Aufgabe erwachsen, auch neue Rechtsformen, insbesondere neue Eigentumsformen, auszubilden, in denen diese neue Art des Zusammenwirkens ihren adäquaten, unverfälschten rechtlichen Ausdruck gefunden hätte. Hiezu war aber die moderne Menschheit zunächst nicht in der Lage. Sie stülpte vielmehr den neuentstandenen Verhältnissen einfach die überkommenen Rechts- und namentlich Eigentumsformen über. Dies hatte zur Folge, daß für diejenigen, die sich in den Besitz der neuen, technischen Produktionsmittel setzen konnten, diese im selben Sinn zum Privateigentum wurden, wie irgend etwas anderes herkömmlicherweise Privateigentum war. Die andere Folge davon war die, daß für jene, die durch die neuen Verhältnisse in die Lage gerieten, an diesen Produktionsmitteln arbeiten zu müssen, ohne sie zu besitzen, ihre Arbeitskraft sich in eine Ware verwandelte, die auf dem nun entstehenden Arbeitsmarkt nach Angebot und Nachfrage verkauft und gekauft wurde, wie auf dem sonstigen Markt andere Waren : Rohstoffe und Fertigfabrikate, gekauft und verkauft wurden. Dies bedeutete aber nichts Geringeres, als daß die betreffenden Menschen zwar nicht als ganze – wie dies bei den Sklaven des Altertums der Fall gewesen war, die als ganze Menschen auf dem damaligen Sklavenmarkt gehandelt und gekauft wurden –, aber doch mit einem Teil ihres Wesens : mit ihrer Arbeitskraft, in eine sklavenartige Position versetzt wurden, – in dasjenige, was man spä-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 8]
ter dann mit Recht die moderne «Lohnsklaverei» genannt hat. Und da diese Verhältnisse sich ausgerechnet in dem historischen Momente herausbildeten, in welchem auf dem europäischen Kontinente durch die große Französische Revolution das alte Ständesystem mit seinen Herrschaftsprivilegien und Untertänigkeitsverhältnissen abgeschafft und mit dem größten Pathos das Prinzip der rechtlichen Gleichstellung aller Menschen proklamiert wurde, so mußten die Arbeiter, die durch jene Verhältnisse in eine neue Untertänigkeit hinabgestoßen wurden, dies als eine Verletzung ihrer Menschenwürde, als eine Kränkung ihres Menschentums empfinden.
Wodurch dies so kam und was in all dem zum Ausdrucke kam, wird nur verständlich, wenn ein etwas umfassenderer Blick auf den inneren Gang der sozialgeschichtlichen Entwicklung der Menschheit geworfen wird. Es war soeben die Rede davon, daß durch die Französische Revolution die alte Ständeordnung aufgehoben wurde. Wenn wir in ältere Zeiten zurückgehen, so finden wir in der Tat allüberall, wohin wir auch den Blick wenden mögen, in irgendeiner Form eine in übereinander geschichtete Klassen gegliederte Gesellschaft. Ihre extremste Ausprägung hat diese Klassenschichtung bekanntlich im Kastensystem Indiens erfahren. Dort treten uns seit alters -wenn wir nur die hauptsächlichsten hier erwähnen – vier übereinandergeschichtete Kasten entgegen : zuoberst diejenige der Brahmanen, der Priester, darunter die Kschatriyas : die Adels- und Kriegerkaste, darunter die Waisyas : die Handwerker und Händler, zuunterst die Kaste der Sudras : der Dienenden. In gemilderter Form finden wir ein solches Kastensystem aber auch in allen anderen Kulturkreisen der älteren Geschichte. Innerhalb des Römertums zum Beispiel war in der Blütezeit der Republik das Priesteramt das Privileg
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 9]
weniger vornehmster Familien. Dann kam der Stand der Patrizier : des Adels, darunter derjenige der Plebejer : des «Volkes», und zuunterst die Kaste der Sklaven, deren lateinische Bezeichnung «servus» (Diener) auf die Entsprechung zu der Kaste der «Dienenden» in Indien hinweist. Das europäisch-christliche Mittelalter kannte wenigstens noch die drei oberen Stände. Den obersten, «ersten» Stand, auch «Lehrstand» genannt, repräsentierte der christliche Klerus. Dann kam der «zweite» Stand : der Adel bzw. die Ritterschaft, auch «Wehrstand» genannt, weil er damals der einzige Waffenträger war. Den untersten bildete der «dritte» Stand, auch «Nährstand» genannt, dem die Bauern und Handwerker, d. h. Bürger der Städte, angehörten. Dieses Prinzip der Sozialordnung wird von der heutigen Sozialwissenschaft als das Herrschaftssystem bezeichnet ; denn das Verhältnis der einzelnen Klassen zueinander war dasjenige des Herrschens und des Dienens. Von oben nach unten wurde geherrscht, von unten nach oben wurde gedient. Versuchen wir die Frage zu beantworten, wie dieses Ordnungssystem entstanden war, warum es jahrtausendelang bestanden hat und warum es schließlich durch die Französische Revolution umgestürzt wurde, so haben wir uns zwei Grundtatbestände der geschichtlichen Menschheitsentwicklung zu vergegenwärtigen.
Der eine derselben ist dieser, daß das Sichselbsterleben des einzelnen Menschen in alten Zeiten – und zwar in um so höherem Grade, in je ältere Zeiten wir zurückgehen – derart beschaffen war, daß er sich in erster Linie als Glied einer bestimmten Blutsgemeinschaft empfand, sei es diejenige einer Familie, einer Sippe, eines Stammes, einer Rasse – oder aber einer Kaste gewesen. Denn daß auch die Kasten in sich abgeschlossene Blutsgemeinschaften darstellten, ist selbst noch aus der neueren euro-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 10]
päischen Geschichte wohlbekannt. Auch in unseren Gegenden war es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts noch so gut wie unmöglich, daß ein Angehöriger des Adels sich mit einem Angehörigen des Bürgertums durch die Ehe verbunden hätte. Auf dieses Prinzip der blutsmäßigen Abgeschlossenheit gegeneinander weist auch das Wort «Kaste» hin. Es leitet sich vom lateinischen Adjektiv «castus» her, das «rein» im Sinne des sich nicht vermischenden Blutes bedeutet. Daß aber das Leben in gegeneinander abgeschlossenen Blutsverbänden nicht nur in einem tiefen Zusammenhang mit dem Kastensystem steht, sondern geradezu einen seiner Ursprünge bildet, darauf deutet die Bezeichnung für «Kaste» hin, die sich in dem Lande findet, in welchem, wie schon erwähnt, dieses System seine schärfste Ausprägung erlangte : in Indien. Denn der indische Name für «Kaste» heißt «Varna», was auf deutsch «Hautfarbe» bedeutet. Er erinnert daran, daß die verschiedenen Kasten ursprünglich verschiedenfarbige Rassengemeinschaften gewesen sind. In der Tat ist das Kastensystem in Indien dadurch entstanden, daß in diesen Subkontinent Asiens im Lauf der Jahrtausende immer wieder neue, andersfarbige Rassen eingedrungen sind und die dort bereits ansässigen unterworfen haben, ohne sich mit ihnen zu vermischen. Und seine letzte Ausformung erfuhr dieses System damals, als im 2. vorchristlichen Jahrtausend die weißen Indo-Arier in Indien einbrachen und alle schon früher dort seßhaft gewordenen Rassen sich untertänig machten, wobei sie eine blutsmäßige Vermischung so weit wie möglich vermieden. Dadurch gestaltete sich das Zusammenleben der verschiedenen Rassengemeinschaften zugleich zu einem Verhältnis des Herrschens und Dienens. Auf dieselbe Weise ist das Kastensystem aber auch in allen andern Teilen der Welt entstanden, wo wir es in irgendeiner Variante vorfinden. über-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 11]
all kam es dadurch zustande, daß ältere, schon seßhaft gewordene Bauernbevölkerungen durch eindringende kriegerische Nomaden überwältigt und zu einer dienenden Klasse herabgedrückt wurden.
Nun hat sich aber das Sichselbsterleben des Menschen im Lauf der Geschichte schrittweise in der Richtung verändert, daß er sich immer weniger als Glied eines kleineren oder größeren Blutsverbandes, dagegen immer mehr als auf sich selbst gestellte, in ihren Charaktereigenschaften und Begabungen von jedem andern Menschen verschiedene Einzelpersönlichkeit fühlt. Dieser Wandlungsprozeß gelangte zunächst innerhalb der westlichen Menschheit im 15., 16. nachchristlichen Jahrhundert zu seiner vollen Reife. Daher brach damals in diesem Teile der Welt diejenige geschichtliche Epoche an, zu deren bestimmendem Impuls derjenige der Freiheit im Sinne der Selbstbestimmung des Einzelmenschen auf allen Lebensgebieten wurde. So intensiv empfand sich hier seitdem der einzelne Mensch als auf sich selbst begründete Individualität, daß er in diesem seinem Individualcharakter geradezu den Tatbestand erblickte, der den Menschen vom Tier unterscheidet und ihn erst eigentlich zum Menschen macht. Die Folge davon war die, daß er sich im selben Maße, als er sich als Individualität erlebte, zugleich als Glied des Menschenreiches, d. h. der Menschheit schlechthin erlebte und damit jedem andern, der ein menschliches Antlitz trägt, im Tiefsten als wesensgleich und gleichberechtigt. Und hieraus erwuchs seitdem der elementare Drang, alle Verhältnisse der Herrschaft und der Untertänigkeit, des Befehlens und des Dienens zwischen Menschen zu überwinden und alle Menschen als gleichberechtigte nebeneinander zu stellen. Damit ist die tiefste Wurzel bloßgelegt, aus der dasjenige sich entwickelt hat, was man die soziale Problematik nennt und was zur bestimmen-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 12]
den Lebensproblematik der neueren Menschheit geworden ist.
Auf diese Wurzel ist es zurückzuführen, daß die europäische Menschheit seit dem Aufgang der neueren Zeit das überkommene Herrschaftssystem in stets zunehmendem Maße als nicht mehr erträglich empfand – die Entwicklungsgeschichte des Widerstandsrechts gegen ungerechte Herrschaft bzw. ungesetzliche Gewalt ist das deutliche Symptom hiefür – und schließlich zunächst in Frankreich in der großen Revolution sich grundsätzlich von ihm lossagte. Auf dieselbe Wurzel ist es des ferneren zurückzuführen, daß, als zur selben Zeit durch die eingangs geschilderten Umstände innerhalb des wirtschaftlichen Lebens eine neue Klassenschichtung und ein neues Herrschaftssystem sich herausbildete, die proletarische oder Arbeiterbewegung entstand, die sich die Beseitigung derselben zum Ziele setzte. Und abermals aus derselben Wurzel ist es schließlich herzuleiten, daß in unserm 20. Jahrhundert, da die zuerst im Abendland herangereifte Empfindungsweise sich nun über die ganze Erde ausbreitete, der weltweite Aufstand der farbigen Rassen gegen die Kolonialherrschaft der weißen erfolgte, der zu einer so erstaunlich raschen Abschüttelung der letzteren und zur politischen Emanzipation der ehemaligen Kolonialvölker geführt hat, die seither die volle politisch-rechtliche Gleichstellung mit den Weißen für sich in Anspruch nehmen.
Die in der sozialen Frage enthaltenen Forderungen
Wollen wir nun etwas konkreter auf die in dieser Problematik enthaltenen Forderungen eintreten, so haben wir hiefür zu dem soeben skizzierten Aspekt der sozialgeschichtlichen
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 13]
Entwicklung einen zweiten hinzuzufügen. Von da her gesehen, erweist sich diese Entwicklung als eine nicht so einfache, daß durch Jahrtausende nur das geschilderte Herrschaftssystem bestanden und schließlich durch die Französische Revolution den Todesstoß erhalten hat. Vielmehr zeigt sich, daß jenes Herrschaftssystem in sich selbst bestimmte Wandlungen durchlaufen hat, und zwar in der Art, daß innerhalb des Klassenherrschaftsgefüges die Herrschaftsposition im Lauf der Jahrtausende bzw. Jahrhunderte sich stufenweise von den höherstehenden zu den tieferstehenden Klassen hin verlagert hat. Wir illustrieren diesen Wandlungsprozeß zunächst an der neueren europäischen Geschichte. Doch wird sich später zeigen, daß, was uns hier entgegentritt, zunächst nur eine Rekapitulation von Entwicklungsvorgängen darstellt, welche in ihrer Urgestalt sich über viel größere Zeiträume, ja über die ganze geschichtliche Evolution der Menschheit erstrecken.
Die Geschichte Europas nimmt in einem gewissen Sinn einen neuen Anfang in der Zeit der Völkerwanderung, in welcher die jungen germanischen Stämme Mittel- und Westeuropa überfluten und da seßhaft werden. Fassen wir die erste geschichtliche Epoche ins Auge, die sich an diese Wanderzüge und Landnahmen anschließt : das Mittelalter, so sehen wir da die überkommene Ständeordnung von neuem sich herausbilden, und zwar so, daß innerhalb derselben die Herrschaftsposition zunächst eindeutig dem ersten, obersten Stand : der Priesterschaft, zufällt. Die christliche Kirche ist die absolut herrschende Macht während des Mittelalters. Der Papst ist nicht nur das Oberhaupt dieser Religionsgemeinschaft, sondern nimmt auch die oberste weltliche Gewalt für sich in Anspruch und verlangt, daß die übrigen weltlichen Herrscher ihre Macht als Lehen aus seinen Händen empfangen.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 14]
Durch die Glaubensspaltung und die Reformationskriege des 16. und 17. Jahrhunderts wird die Macht der Kirche entscheidend geschwächt, und so sehen wir in dieser Zeit die Herrschaftsposition an den nächsten, den Stand des Adels übergehen. Es folgen die Jahrhunderte des Fürstenabsolutismus. In ihnen steigt die Adelskaste zu einer Machtstellung empor, wie sie sie nie zuvor eingenommen hatte und auch später nie wieder erlangt hat. Selbst das religiöse Leben gerät jetzt in Abhängigkeit von ihr, da die reformierten Bekenntnisse, die entstanden sind, den Charakter von Landes- bzw. Staatskirchen annehmen, zu deren Oberhäuptern die weltlichen Herrscher werden.
Mit dem Übergang vom 18. ins 19. Jahrhundert treten wir in das bürgerliche Zeitalter, in die Epoche der Herrschaft des Bürgertums ein. In England wird diese dadurch begründet, däß das letztere durch die «industrielle Revolution» in den Besitz der neuen, das Wirtschaftsleben seither bestimmenden technischen Produktionsmittel gelangt, in Frankreich durch die große politische Revolution. Sie leitet hier das Zeitalter der Bürgerherrschaft ein. Zwar hatten ihre Führer die ehrliche Absicht, das alte Herrschaftssystem überhaupt zu beseitigen und an dessen Stelle die Rechtsgleichheit aller Menschen zu setzen. Aber wie wurde dieses Ziel angestrebt? Nicht etwa so, daß erklärt worden wäre : von jetzt an gibt es keine Stände mehr, sondern nur noch Menschen, und diese sind alle gleichberechtigt. Vielmehr geschah es so, daß die Stände der Geistlichkeit und des Adels abgeschafft und ihre Mitglieder in Citoyens, in Bürger, verwandelt wurden ; denn der «dritte Stand» – so wurde von Abbé Sieyès erklärt – repräsentiert allein die Nation ! Nun waren zwar alle einander gleich. Aber die Gleichheit wurde nicht auf das Menschentum, sondern auf das – jetzt allen zukommende -
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 15]
Bürgertum begründet. Und so war das Herrschaftssystem nur scheinbar aufgehoben, in Wirklichkeit dagegen die Herrschaft des dritten Standes, des Bürgertums, begründet worden. Die dem alten System entsprechenden Begriffe und Empfindungen steckten den Menschen damals eben noch so tief in den Knochen, daß sie trotz des besten Willens, ein Neues zu schaffen, nur in ihnen zu denken und zu fühlen vermochten. Nun gehören aber zum Herrschen immer zwei : einer, der herrscht, und einer, der beherrscht wird. Und da in der politischen Sphäre die Rechtsgleichheit errungen worden war,* so benützte das Bürgertum den Besitz der technischen Produktionsmittel, in den es in den Jahrzehnten nach der Revolution auch auf dem europäischen Festland gelangte, und die dadurch erlangte wirtschaftliche Machtstellung dazu, sich in der Arbeiterschaft eine neue : seine Untertanenschicht zu schaffen. Und so lebte es die Herrschaftsposition, die ihm die politische Revolution gebracht hatte, vornehmlich innerhalb der wirtschaftlichen Sphäre aus.
Von daher wird es verständlich, daß Karl Marx, als er in der Mitte des 19. Jahrhunderts seine Geschichtstheorie und Soziallehre begründete, beim Rückblick auf die europäische Geschichte den Eindruck empfangen mußte, sie habe in nichts anderem als in einem fortdauernden Kampfe der verschiedenen Klassen um die Herrschaftsposition bestanden, – in einem Kampfe, in dessen Verlauf diese schrittweise von den höherstehenden an die tieferstehenden Klassen übergegangen sei bzw. in dessen Verlauf immer wieder neue Klassen zur Herrschaftsstellung aufgestiegen seien. Und es wird des weiteren verständlich, daß er auf
* Eine volle Rechtsgleichheit bestand freilich auch jetzt noch nicht, da das Wahlrecht an den Besitz eines bestimmten Vermögens geknüpft blieb.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 16]
die Frage, wie die Entwicklung sinnvollerweise weiterzugehen habe, die Antwort glaubte geben zu müssen, ihr nächster Schritt könne nur darin bestehen, daß die unterste Klasse, die bisher noch nie an der Reihe gewesen war : das Proletariat, in dem in neuerer Zeit in moderner Form wieder ein Sklaventum in Erscheinung getreten war, zur Herrschaftsstellung aufsteigen werde. Von der Herrschaft der Proletarierklasse war er allerdings der Überzeugung, daß sie sich von derjenigen aller andern Klassen unterscheiden werde : nämlich dadurch, daß sie durch sich selbst in einen Zustand der Herrschaftslosigkeit im Sinne der Klassenlosigkeit übergehen werde. Denn da es unter dem Proletariat keine weitere Klasse mehr gibt, die von ihm beherrscht werden könnte, hebt sich, wenn die Herrschaftsposition bei ihm angelangt ist, das Herrschaftssystem durch sich selbst auf. Und so war Marx davon überzeugt, daß das Hinuntersinken der Herrschaftsposition bis zur untersten Schicht der Gesellschaft den einzigen Weg bilde, das Herrschaftssystem wirklich zu überwinden und jene «klassenlose» Gesellschaft zu begründen, die einzig und endlich der Würde des Menschen gerecht werde.
Allerdings war er zugleich auch von einer andern Überzeugung durchdrungen : So wie nämlich der Adel auf seine Herrschaft nicht freiwillig verzichtete, sondern derselben in der Französischen Revolution mit blutiger Gewalt beraubt werden mußte, so werde auch die Bourgeoisie die ihre nicht freiwillig aus den Händen geben, sondern in einer kommenden sozialistisch-kommunistischen Revolution ebenfalls nur mit Gewalt entmachtet werden können. Und so hielt Marx im Zusammenhang mit dieser kommenden Revolution als Übergangsphase die Aufrichtung einer Diktatur des Proletariats für notwendig. Erst dann, wenn das Bürgertum endgültig alle Herrschaftsambitio-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 17]
nen aufgegeben habe, werde diese Diktatur in den Endzustand der klassenlosen Gesellschaft übergehen können, die kein Herrschen und Dienen zwischen Menschen mehr kenne und den Staat zum Absterben bringen werde.
Genau nach diesem Marxschen Rezept ist denn auch in Rußland in den Jahren nach 1917 die proletarisch-kommunistische Revolution durchgeführt worden. Und hiebei sind in der Tat nicht geringere Ströme von Blut geflossen, als es einst in der Französischen Revolution geschehen war. Was hat sich hiebei aber gezeigt? Es hat sich die alte Erfahrung bestätigt, daß die Provisorien das einzige Dauerhafte im menschlichen und geschichtlichen Leben sind. Die «Diktatur des Proletariats» (bzw. derjenigen, die sich für die Repräsentanten des Proletariats ausgeben), die nur ein Übergangszustand sein sollte, ist zu einem Dauerzustand geworden. An die Stelle der Herrschaft einer früheren Klasse ist diejenige einer «Neuen Klasse» getreten, von der der jugoslawische Politiker (und ehemalige Vizeministerpräsident der dortigen kommunistischen Regierung) Milovan Djilas in seinem vor einigen Jahren unter diesem Titel erschienenen Buch ein so eindrucksvolles Bild gezeichnet hat. Und so ist auch durch die kommunistische Revolution in Rußland das Herrschaftssystem in Wirklichkeit nicht überwunden, sondern in Wahrheit nur zu einer letzten und schlimmsten Form fortgebildet worden.
Denn was ist durch diese Revolution eigentlich geschehen? Indem die kommunistische Partei im Namen des Proletariats die Macht ergriff und sich zur herrschenden Klasse aufschwang, hat sie ein Herrschaftssystem aufgerichtet, in welchem sie die drei früheren Herrschaftsformen des Priestertums, des Adels und des Bürgertums in eine einzige und damit in eine totale verwandelt hat. Hatte das Priestertum (als Lehrstand) einst durch seine reli-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 18]
giösen Lehren und Kulte seine Herrschaft ausgeübt, der Adel (als Wehrstand) durch die alleinige Verfügung über die militärischen und politischen Machtmittel, das Bürgertum (als Nährstand) durch den Besitz der maßgebenden Mittel der wirtschaftlichen Produktion, so übt diese «neue Klasse» ihre Herrschaft gleichzeitig durch die Diktatur ihrer Ideologie, durch die Verfügung über die politische Macht (Regierung, Polizei, Militär) und durch den faktischen Besitz der wirtschaftlichen Produktionsmittel aus, welch letztere nur formal, das heißt scheinbar in das «Gemeineigentum» übergeführt worden sind. Djilas charakterisiert in seinem erwähnten Buche das Wesen dieses Kommunismus in folgender Weise (S. 226 f.) : «Der moderne Kommunismus ist diejenige Form des Totalitarismus, der aus drei Hauptfaktoren zur Kontrolle über das Volk besteht : der erste ist die Macht ; der zweite der Besitz ; der dritte die Ideologie. Sie sind das Monopol der einen und einzigen politischen Partei oder einer neuen Klasse ; und in der gegenwärtigen Situation das Monopol der Oligarchie jener Partei oder Klasse. Keinem totalitären System der Geschichte, nicht einmal einem totalitären System der Gegenwart außer dem Kommunismus ist es gelungen, gleichzeitig all diese Faktoren zur Herrschaft über das Volk bis zu diesem Grad in sich zu vereinigen.»
Damit ist diese Herrschaft nicht nur eine totale in einem bisher nirgends sonst erreichten Maße, sondern als solche zugleich auch zum Selbstzweck geworden. Denn da das Proletariat als die moderne Kaste der « Sklaven», d. h. der «Dienenden» keinen speziellen Berufsstand darstellt wie die drei andern Kasten, kann es, wenn es zur Herrschaft gelangt, keine eigene, in einer einzelnen Lebens- bzw. Berufssphäre begründete Herrschaftsform entwickeln, sondern nur entweder die herrschafts- oder klassenlose Gesellschaft verwirklichen und damit
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 19]
dem Menschen schlechthin zur vollen Anerkennung und Geltung verhelfen, oder aber die drei Herrschaftsformen der andern Kasten usurpieren und sie zu einer einzigen und totalen vereinigen, die um des Herrschens selbst willen aufgerichtet und ausgeübt wird, d. h. aber die gänzliche Auslöschung des Menschlichen im Menschen bedeutet. Und da auch die Repräsentanten des Proletariats sich vom Herrschaftsgedanken nicht freimachen konnten, blieb nur die letztere Alternative übrig, und so entstand durch die kommunistische Revolution ein Herrschaftssystem, welches das extremste Gegenbild einer herrschafts- und klassenlosen Gesellschaftsordnung darstellt. Djilas fährt an der erwähnten Stelle fort : «Wenn man diese drei Faktoren einzeln untersucht und gegeneinander abwägt, so ist die Macht derjenige, der in der Entwicklung des Kommunismus die wichtigste Rolle gespielt hat und noch immer spielt. Vielleicht kann einer der andern Faktoren einmal wichtiger werden als die Macht, es ist aber unmöglich, auf Grund der gegenwärtigen Umstände etwas Genaues darüber zu sagen. Ich glaube, daß die Macht die Haupteigenschaft des Kommunismus bleiben wird... Die Macht ist das A und 0 des modernen Kommunismus, auch da, wo er sich dagegen sträubt. » (Wir werden weiter unten noch von einem andern Aspekt aus auf den Kommunismus zurückkommen.)
Angesichts der im vorangehenden betrachteten Ereignisse erfährt die in der sozialen Problematik enthaltene Frage erst ihre exakte Konkretisierung. Denn diese Ereignisse erweisen gleichzeitig ein Zweifaches : Einerseits, daß die neuere Menschheit von einem unwiderstehlichen Drange erfüllt ist, das Herrschaftssystem zu überwinden, der sie zu immer wieder neuen Versuchen antreibt, dieses Ziel zu erreichen – andrerseits, daß alle bisher von ihr in dieser Richtung unternommenen Versuche ge-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 20]
scheitert sind und das Prinzip der Machtausübung zuletzt sogar bis zur Absolutheit gesteigert haben. Ist es denn – so muß daher diese Frage nun formuliert werden – überhaupt möglich, dieses System durch ein anderes zu ersetzen? Und wenn ja, auf welchem Wege könnte dies geschehen?
Um die Richtung aufzuweisen, in der ich die Möglichkeit einer positiven Beantwortung dieser Frage sehe, muß ich in Kürze noch einen dritten Aspekt der im vorangehenden geschilderten sozialgeschichtlichen Entwicklung skizzieren. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, zeigt sich, daß wir es bei dieser Entwicklung nicht nur zu tun haben mit einer stufenweisen Verlagerung der Herrschaftsposition durch die verschiedenen Klassen hindurch, sondern gleichzeitig mit einer schrittweisen Entfaltung bzw. Differenzierung des sozialen Lebens als solchen.
Der ersten Periode der sozialgeschichtlichen Entwicklung gibt nicht nur die Herrschaft des Priestertums das Gepräge, sondern außerdem die Tatsache, daß das religiöse Leben, in dessen Verwaltung die Funktion des Priestertums besteht, noch identisch ist mit dem sozialen Leben überhaupt. Das soziale Leben ist in seinem gesamten Umfang in jener Zeit nichts anderes als Religionsübung bzw. Gottesdienst. Um dies zu sehen, haben wir jene Entwicklungsphase da ins Auge zu fassen, wo sie in ihrer reinen, ursprünglichen Gestalt vorhanden war : in den alten Kulturen des Orients. Diese treten uns ihrer äußeren Konfiguration nach entgegen in Gestalt jener – für die damalige Zeit -riesenhaften Reiche, wie sie in Ägypten, Mesopotamien, Iran, China usw. geblüht haben. Diese Reiche wurden von Herrschern regiert, die von ihren Untertanen als Götter oder Halbgötter, jedenfalls als mehr denn bloße Menschen betrachtet und verehrt wurden. Daher war ihre Herrschaft für das damalige Bewußt-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 21]
sein nicht eine solche von Menschen über Menschen, sondern von Göttern über Menschen. Sie war «Theokratie ». Und so war die staatliche Gemeinschaft noch nicht eine solche im heutigen Sinne, sondern sie trug noch den Charakter einer Religions-, einer Kult-Gemeinschaft. Staatsdienst bedeutete noch kein Beamtentum, wie wir es heute verstehen, sondern war Gottesdienst. Die Funktion eines «Ministers» war diejenige eines «Ministranten», d. h. einer Mitwirkung bei einem religiös-kultischen Geschehen.
Aber nicht nur das staatliche, sondern auch das wirtschaftliche Leben hatte damals noch den Charakter eines Gottesdienstes. Wenn uns vom alten Ägypten berichtet wird, daß dort an den Höfen der Pharaonen riesige Lagerhäuser sich befanden, in denen die Abgaben an Vieh, Getreide, Feldfrüchten aufgestapelt wurden, welche das Volk den Herrschern zu leisten hatte, so waren das nicht nur «Steuern» in Naturalform. Es waren diese Gaben vielmehr der Ausdruck des «Dienstes», den die unteren Kasten den oberen zu leisten hatten, deren höchster Vertreter nicht nur Herrscher und Priester, sondern zugleich göttliches Wesen war. Es waren religiöse Opfergaben, vergleichbar jenen, die auch andern Göttern dargebracht wurden, wenn man die ihnen gewidmeten Kulte feierte. Und wenn Herrscher wie Cheops, Chefren u. a. sich die riesigen Pyramiden als Grabmäler errichten ließen, deren Bau viele tausend Arbeiter durch Jahrzehnte hindurch beschäftigte, so war das nicht bloße Fronarbeit im Dienste von Despoten, sondern es bedeutete die Errichtung eines «Gotteshauses», nämlich eines Hauses für das leibbefreite nachtodliche Leben des Gottkönigs – in analogem Sinne, wie in den Felsentempeln auch für andere Gottheiten «Häuser» erbaut wurden.
Gehen wir nun zu der Epoche über, in der erstmals in der Geschichte die Adels- bzw.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 22]
Kriegerkaste zur Herrschaftsstellung aufstieg, so kommen wir zur griechisch-römischen Antike. Denn sowohl die griechischen Stadtstaaten wie die römische Republik sind aus Adelsherrschaften hervorgegangen, deren Repräsentanten wir in den «Fürsten» zu sehen haben, welche die Homerische Ilias in den Gestalten eines Agamemnon, Menelaos, Odysseus, Achilleus u. a. und die Vergilsche Äneis in denen eines Äneas, Anchises usw. schildert. Freilich haben in diesen Staatsgebilden später die unteren Schichten der Bevölkerung die Gleichberechtigung mit den oberen erkämpft. Mit all dem wird in dieser Epoche die Theokratie überwunden und der auf das bloß Menschliche gestellte weltliche Staat begründet. Damit aber gliedert sich das soziale Leben in dieser Zeit in eine Zweiheit von Sphären : die geistig-religiöse, die weiter vom Priestertum verwaltet wird, und die rein staatlich-politische, die in Regierung, Volksversammlung usw. ihre eigenen Organe ausbildet. Und so entsteht bezeichnenderweise auch erst in dieser Zeit eine eigentliche Staatslehre – in den betreffenden Schriften von Plato und Aristoteles, in denen die Aufgaben und Funktionen des Staates, die verschiedenen Regierungsformen und ihre Ausartungserscheinungen dargestellt werden.
Auf die Zweiheit dieser Sphären, in welche sich das soziale Leben jetzt differenziert hat, bezieht sich auch das Christus-Wort : « Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist» –, das Wort, dessen Befolgung bekanntlich für die ersten Christen zur Hauptursache ihrer Verfolgung durch die römischen Kaiser geworden ist. Denn während der Kaiserzeit, die ja bereits seine Niedergangszeit bedeutete, fiel das Römertum unter dem Einfluß des Orients, der seit der Eroberung Vorderasiens und Ägyptens in den Zeiten Cäsars und Augustus' immer stärker einzudringenbegann,
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 23]
in die Usancen der ersten Epoche, der Zeit der einstigen Theokratie, zurück. Und so ließen sich auch die römischen Cäsaren wieder als Götter verehren. Das aber machten die Christen nicht mit. Sie erkannten die Kaiser wohl als Oberhäupter des römischen Staates an, verweigerten ihnen aber religiöse Verehrung.
Schreiten wir nun nochmals zur neueren europäischen Geschichte fort, wie sie in der Völkerwanderungszeit beginnt, so können wir jetzt noch genauer charakterisieren, was sich im christlichen Mittelalter herausbildet. Zwar kommt es da, wie schon geschildert, mit der neuerlichen Ausgestaltung des Ständesystems und der Herrschaftsstellung der Kirche bzw. des geistlichen Standes innerhalb desselben zu einer rekapitulierenden Wiederholung der Verhältnisse der ersten Phase der sozialgeschichtlichen Entwicklung. Zugleich erhält sich aber im mittelalterlichen Kaisertum bzw. in dem von ihm regierten «Heiligen Römischen Reich» von der griechisch-römischen Antike her der selbständige Herrschaftsanspruch der Adelskaste. Diesem ersteht in Dante mit seiner Schrift über die «Monarchie» ein wortgewaltiger literarischer Anwalt. Und so kommt es in dem jahrhundertelangen Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum zu heftigsten Zusammenstößen und Auseinandersetzungen zwischen den durch die beiden vertretenen Herrschaftsansprüchen. Zuletzt siegt, freilich nur mehr für kurze Zeit, das Papsttum. Außerdem vermochte es sein eigentlichstes Ziel, die Scheidung zwischen religiöser und staatlicher Sphäre wiederaufzuheben und beide wieder in eins zu verschmelzen, wenigstens auf kleinem Raum durchzusetzen : in der Gründung des Kirchenstaates in Italien, in dessen tausendjähriger Dauer innerhalb des modernen Europa eine altorientalische Theokratie in christlichem Gewande eine späte Nachblüte erlebte.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 24]
Die Zeit der Renaissance brachte nicht nur die «Wiedergeburt der Künste und Wissenschaften» des klassischen Altertums, sondern auch diejenige der damals erstmalig aufgekommenen Adelsherrschaft und damit des von der religiösen Sphäre sich emanzipierenden weltlichen Staates. In Macchiavellis «Principe » fand der nun heraufziehende territorialfürstliche Absolutismus seinen literarischen Herold.
Ein völlig neuer Schritt in der Differenzierung des sozialen Lebens aber vollzog sich erst mit dem Aufstieg des Bürgertums zur Herrschaftsposition und der gleichzeitig stattfindenden industriellen Revolution an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Denn die soziologische Bedeutung der letzteren liegt in nichts Geringerem als darin, daß durch sie erstmals das Wirtschaftsleben sich zu einer eigenen, selbständigen Sphäre des sozialen Lebens entfaltete. Wodurch geschah das? Durch die Entstehung des Industrialismus bildete sich innerhalb des Wirtschaftslebens allererst jene Polarität heraus : zwischen Landwirtschaft und Industrie, die eine mit rechtlich-politischen Begriffen nicht zu fassende rein-wirtschaftliche ist und dem Wirtschaftsleben seither eine eigenständige Struktur verliehen hat –, eine Struktur, zwischen deren Polen ständig das rechte, der jeweiligen Entwicklungssituation angemessene Verhältnis zu wahren das gesunde Funktionieren dieses sozialen Lebensbereiches ausmacht. Und so ist es denn auch bezeichnend, daß erst in dieser Zeit auch eine eigentliche Wirtschaftslehre entstanden ist. Und nicht weniger charakteristisch ist, was diese als die Grundfragen betrachtete, die sie zu beantworten habe, und wie sie diese beantwortet hat.
Die erste dieser Grundfragen erblickte sie in der Frage, was denn die spezifische Aufgabe des Wirtschaftslebens bzw. das eigentliche Ziel der im Wirtschaftsleben Tätigen bilde. Auf diese Frage gab sie jetzt nicht mehr die Ant-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 25]
wort, daß diese Aufgabe, dieses Ziel im «Dienen» gegenüber den höheren Klassen liege, sondern die ganz andere – die Adam Smith schon im Titel seines bahnbrechenden Werkes zum Ausdruck brachte –, daß sie in der Erzeugung von materiellem Wohlstand, von wirtschaftlichem Reichtum bestehe. Zum erstenmal in der Geschichte wurde dies nun als ein legitimes, in ihm selbst begründetes Ziel eines eigenen Funktionsgebietes des sozialen Lebens bezeichnet. Als ihre zweite Frage aber betrachtete die neue Wissenschaft diese : welches die eigentlichen Quellen des Wohlstandes seien bzw. auf welche Weise der Reichtum zustande komme. Auf diese Frage gab die erste der nationalökonomischen Schulen, die physiokratische, noch die Antwort, daß die Landwirtschaft die Quelle des Reichtums bilde. Denn alles, was wir in der Wirtschaft an Mitteln zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse zubereiten, kommt letztlich von der Erde her. Da aber die Landwirtschaft diesem Ursprung am nächsten steht, schafft sie die Grundlagen alles Reichtums. Wünschen wir also ein Land zu einem blühenden Wohlstand zu führen, so haben wir unsere Sorgfalt in erster Linie der Landwirtschaft zuzuwenden. Dieser Antwort stellte die zweite der wirtschaftswissenschaftlichen Schulen, die in England von Adam Smith und seinen Gesinnungsgenossen begründet wurde und für lange Zeit die « klassische » blieb, die andere entgegen, daß die wahre Quelle des Reichtums in der Industrie liege. Denn diese stehe als der fortschrittliche Pol des Wirtschaftslebens der Landwirtschaft als seinem konservativen gegenüber. Die Ertragsfähigkeit des Bodens nämlich kann zwar durch Änderung der Fruchtfolge, durch Meliorationen usw. gesteigert werden, hat aber eine natürliche obere Grenze, die durch Bodenbeschaffenheit, geographische Lage und klimatische Verhältnisse bedingt ist. Die Produkti-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 26]
vität der Industrie dagegen läßt sich prinzipiell ins Grenzenlose steigern. Erstens infolge der Arbeitsteilung und -spezialisierung, die in dem Momente beginnt, da die Maschine in die wirtschaftliche Produktion eintritt und dann immer weiter den ganzen Produktionsprozeß durchdringt. Sie führt zur Vermehrung und Verbilligung der Erzeugnisse. Im selben Sinne wirkt zweitens die Vervollkommnung der technischen Produktionsmittel, die, wenn die technische Erfindertätigkeit einmal in Gang gekommen ist, immer weiter fortschreitet. Und drittens die zunehmende Rationalisierung der Produktion als solcher. Durch alle diese Umstände hat sich die Ertragsfähigkeit der Industrie im Laufe ihrer Entwicklung tatsächlich ins Unbegrenzte gesteigert. Alle diese Möglichkeiten vermag aber – nach Adam Smith – die Industrie nur unter einer Bedingung zu verwirklichen : wenn sie nämlich sowohl «innenpolitisch», von allen staatlichen Reglementierungen und Eingriffen befreit, sich in freiem Wettbewerb der in ihr Tätigen zu entfalten als auch «außenpolitisch», durch keinerlei Zollschranken gehindert, über alle Staatsgrenzen hinweg in freiem Handel ihre Erzeugnisse auszutauschen in die Lage versetzt wird. Kurz : wenn staatliches und wirtschaftliches Leben völlig voneinander getrennt werden. Im Zeichen des freien Wettbewerbs und des freien Handels hat denn auch im 19. Jahrhundert von England aus die industrielle Wirtschaftsweise die Welt erobert.
Somit hatte sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert das soziale Leben in seiner Gesamtheit zu einem Organismus von drei Funktionssystemen auseinandergefaltet : dem geistigen Leben, das Religion, Kunst, Wissenschaft, Erziehung umfaßt –, dem staatlich-politischen Leben – und dem Wirtschaftsleben, deren jedem seine eigenen, spezifischen Funktionsbedingungen innewohnen. Von diesem Gesichts-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 27]
punkt aus gesehen, tritt nun erst die volle Bedeutung der Tatsache ins Licht, daß gerade im selben geschichtlichen Momente in der Französischen Revolution der Versuch unternommen wurde, das alte System des Herrschens und Dienens als Prinzip der sozialen Ordnung zu ersetzen durch ein solches, in welchem alle Menschen als freie und gleichberechtigte nebeneinander stehen können. Und wodurch glaubte denn die Französische Revolution dieses Ziel erreichen zu können? Immer wieder ertönten in ihrem Verlaufe die drei Parolen : Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Nur wenn – so war die Meinung, die hierin zum Ausdrucke kam – durch die soziale Ordnung diese drei Ideale ihre Verwirklichung finden, dann kann der Mensch innerhalb derselben sich im vollen Sinne als Mensch fühlen, dann ist seine Menschenwürde gesichert. Blikken wir aber auf das Ergebnis der Französischen Revolution hin, dann müssen wir feststellen, daß sie kein einziges dieser drei Ideale verwirklicht hat. An die Stelle der Freiheit trat die Diktatur erst Robespierres, dann Bonapartes –, die Gleichheit wurde, wie schon oben geschildert, nur formal, nur scheinbar verwirklicht, und anstelle der Brüderlichkeit trat das gegenseitige Sich-die-Köpfe-Abschlagen mittels der Guillotine, dem keiner der Revolutionsmänner entronnen ist. Und warum wurde keines der drei Ideale verwirklicht? Schon die Revolutionäre selbst sprachen es teilweise aus, daß, so berechtigt und erhaben jedes dieser Ideale auch für sich ist, doch alle drei gleichzeitig sich nicht durchführen lassen, da jedes der Verwirklichung der andern im Wege steht : Wo Freiheit ist, kann nicht zugleich Brüderlichkeit sein –, und wo Brüderlichkeit herrscht, kann nicht zugleich Gleichheit herrschen usw.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 28]
Der vom Leben selbst gewiesene Weg zur Lösung
Demgegenüber hat erstmals Rudolf Steiner darauf hingewiesen, daß es wohl eine Möglichkeit gibt, alle drei Ideale gleichzeitig zu verwirklichen : dann nämlich, wenn man den drei sozialen Funktionsgebieten, die sich im Laufe der sozialgeschichtlichen Entwicklung aus einer ursprünglichen Einheit herausdifferenziert haben, das zukommen läßt, was sie seither zu ihrem gesunden Funktionieren verlangen: eine je eigene, autonome Verwaltung. Denn dann werden ihrer Verwaltung nur die ihnen selbst je eigenen Funktionsbedingungen zugrunde gelegt werden können. Und dabei wird sich herausstellen, daß die drei genannten Ideale nichts anderes sind als eben diese Funktionsbedingungen, die den drei Lebensgebieten selbst heute gewissermaßen eingeschrieben sind. Wenn diese drei Ideale in der Französischen Revolution immer wieder laut wurden, so bedeutete dies nichts anderes, als daß die Lebensbedingungen der drei sozialen Funktionsgebiete, die damals sich gegeneinander verselbständigt hatten, sich im menschlichen Bewußtsein zur Geltung bringen wollten.
Das Geistesleben verlangt heute, im Zeitalter des Individualismus, als sein Organisationsprinzip die Freiheit. Es kann nur gedeihen und die ihm zukommende Funktion innerhalb des sozialen Gesamtlebens erfüllen, wenn dem Menschen nicht von einer äußeren Instanz, sei sie eine geistige oder gar eine politische, vorgeschrieben wird, was er für wahr, für schön und für sittlich gut zu halten hat, sondern die Entscheidung hierüber seiner eigenen Urteilskraft, seinem eigenen ästhetischen Empfinden, seinem eigenen Gewissen überlassen wird.
Daß das staatlich-politische Leben in unsrer Zeit nur auf dem Prinzip der Rechtsgleichheit aller Menschen errichtet werden kann, bedarf
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 29]
heute keiner besonderen Begründung mehr. Daß die Rechtsgleichheit sich aber nur dann wirklich erreichen läßt, wenn das Staatsleben von allen Kompetenzen entlastet wird, die nicht in den Bereich seiner ureigenen Aufgabe : der Herstellung und Sicherung einer Rechtsordnung, gehören, ist eine Erkenntnis, die noch keineswegs Allgemeingut geworden ist.
Daß schließlich das moderne, durch den Industrialismus bestimmte Wirtschaftsleben durch sich selbst als Organisationsprinzip dasjenige fordert, das durch das Ideal der Brüderlichkeit umschrieben werden kann, wird – wenigstens in bestimmten Kreisen – ebenfalls noch nicht eingesehen. Und doch liegt dies im Wesen des Industrialismus begründet. Denn zu diesem gehört – wie schon erwähnt – das Prinzip der Arbeitsteilung. Diese, wenn sie einmal eingesetzt hat, schreitet immer weiter fort, nicht nur von Abteilung zu Abteilung innerhalb des einzelnen Betriebs, sondern auch von Betrieb zu Betrieb, von Branche zu Branche, von Land zu Land, bis sie schließlich die gesamte Erdbevölkerung zu einer einzigen, millionenfach spezialisierten weltwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaft zusammengeschlossen hat, innerhalb welcher jeder einzelne für den Weltmarkt, d. h. für alle andern produziert und seine eigenen Bedürfnisse aus der gesamten Weltproduktion, d. h. der Produktion aller andern befriedigt. Es wird mit andern Worten das Prinzip der Selbstversorgung, das in den Anfängen der Wirtschaftsentwicklung noch fast ausschließlich herrschte, im Laufe der Industrialisierung fortschreitend durch dasjenige der Fremdversorgung ersetzt. Und damit wird jedes einzelne Glied des Weltwirtschaftsorganismus für sein eigenes Wohlergehen in zunehmendem Maße vom Prosperieren jedes anderen abhängig. An die Stelle des früheren Dienstes nach oben tritt damit ein gegenseitiges Einander-Dienen.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 30]
Durch die Verselbständigung der Verwaltung jedes der drei Funktionssysteme des sozialen Organismus wird aber nicht nur die Möglichkeit geschaffen, die genannten drei Ideale gleichzeitig innerhalb desselben zu verwirklichen, sondern sie bildet – was noch wichtiger ist – zugleich auch den einzigen Weg, auf dem das Herrschaftssystem als soziales Ordnungsprinzip wirklich überwunden werden kann und alle Menschen dazu gelangen können, mit gleichen Rechten und Pflichten nebeneinander zu stehen. Dies in positiver Richtung im Konkreten nachzuweisen, würde den Rahmen dieser Ausführungen überschreiten. Ich muß mich daher hier damit begnügen, es gewissermaßen am Negativbilde zu demonstrieren, indem ich die Frage beantworte : Warum konnte denn das Herrschaftssystem bis zum heutigen Tage nicht überwunden werden? Es war dies in Wahrheit aus dem Grunde nicht möglich, weil eine solche verwaltungsmäßige Verselbständigung der verschiedenen sozialen Lebensbereiche bisher nicht erfolgt ist, sondern alle mehr oder weniger, ja, genau genommen immer mehr, innerhalb einer einzigen : der staatlichen Organisation verwaltet werden, die damit immer mehr zum Totalstaat entartet. Die Folge davon ist diese, daß dadurch heute zwar nicht mehr in der Art wie früher die Herrschaft einer Klasse über die andern aufgerichtet wird, sondern jeweils eines der nun vollentfalteten Lebensgebiete vergewaltigend, tyrannisierend, korrumpierend in die andern hineinwirkt. Und zwar geschieht dies in verschiedener Art je nach den verschiedenen Veranlagungen, die sich in den verschiedenen Teilen der Menschheit im Lauf der Geschichte herausgebildet haben.
Blicken wir nach dem fernen Osten hinüber, in welchem einstmals in alten Zeiten die Theokratien der ersten geschichtlichen Kulturen geblüht haben, so gewahren wir, wie die Lebens-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 31]
empfindungen, die mit dieser Daseinsordnung verknüpft waren, sich dort bis auf den heutigen Tag weiter erhalten haben. Wie in alten Zeiten dort die Religion das Ganze des sozialen Lebens umfaßte und ausmachte, so bildet sie heute wenigstens noch den wichtigsten, bestimmenden Faktor desselben. Werden aber die verschiedenen Funktionsgebiete des sozialen Lebens, die sich dennoch auch dort in neuester Zeit herausgebildet haben, nicht reinlich voneinander getrennt – und dies geschieht bisher auch dort nicht –, so wirkt das religiöse Leben vergewaltigend und zerstörerisch in die andern Gebiete hinein. Als Beispiel hiefür sei nur das heutige Indien erwähnt : In dem Momente, da die Engländer es freigaben, fiel es in die zwei Staaten Indien und Pakistan auseinander. Warum? Weil in dem einen Teil mehrheitlich Anhänger des Hinduismus, im andern solche des Islam wohnen. Und verbunden war mit dieser Spaltung nicht nur eine gegenseitige Austreibung, genannt : «Austausch», von vielen Millionen Andersgläubigen, sondern auch ein barbarisches Hinschlachten von solchen.
Aber nicht nur im fernen asiatischen Osten finden wir eine derartige Schädigung des sozialen Lebens und Verletzung der Menschenwürde, sondern auch im nahen europäischen Osten. Worauf beruht denn im Grunde die Unfreiheit der Verhältnisse im heutigen kommunistischen Rußland? Ebenfalls auf nichts anderem als darauf, daß auch hier das geistig-religiöse Leben tyrannisierend in das staatliche, ja sogar – und vor allem – in das wirtschaftliche Leben hineinwirkt. Diese Charakteristik scheint der weiter oben gegebenen zu widersprechen. Der Widerspruch ist aber in der Tat nur ein scheinbarer. Sie zeichnet die dortigen Verhältnisse nur von einer andern Seite her. Denn was macht das Eigentümliche des russischen Kommunismus aus? Es liegt darin, daß
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 32]
er – trotz seiner materialistisch-atheistischen Weltanschauung – den Charakter einer religiösen Heilslehre angenommen hat. Er tritt durchaus als Religionsbekenntnis mit allen dazugehörigen Requisiten und Attributen auf. Marx und Lenin gelten als die Stifter dieser Religion. Das Mausoleum Lenins in Moskau ist das Heilige Grab, zu dem alljährlich unzählige Gläubige wallfahrten. Seine Nachfolger in der Herrschaft sind die unfehlbaren Päpste. Das Parteiprogramm ist das Glaubensdogma. Die Partei ist die Kirche, und ihre Kongresse sind die Konzilien. Und auch die Ketzer und die Ketzerverfolgungen fehlen nicht. Die Partei ist in der Tat nichts anderes als eine verweltlichte Kirche, und von ihr werden Staat und Wirtschaft vollkommen beherrscht. Alle nicht nur geistige, sondern auch politische und wirtschaftliche Betätigung hat letztlich der Durchsetzung des kommunistischen Glaubensdogmas zu dienen.
Blicken wir dagegen nach dem europäischen und amerikanischen Westen, so haben wir es da mit den Ländern zu tun, in denen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, wie in Frankreich durch die politische, in England durch die industrielle Revolution, in Nordamerika durch den Freiheitskrieg gegen England und die Begründung der Vereinigten Staaten das Bürgertum zur Herrschaft aufgestiegen und mit ihm als dem ehemaligen «Nährstand» zugleich die Wirtschaft zum beherrschenden Faktor des sozialen Lebens geworden ist. Da auch dort die genannte Gliederung in der Verwaltung der verschiedenen Lebensbereiche nicht oder nur in sehr geringem Maße durchgeführt ist, werden das politische und das geistige Leben völlig vom wirtschaftlichen beherrscht und bestimmt. Man spricht nicht umsonst von den dortigen Ölkönigen, Stahlkönigen, Autokönigen usw. Denn die «Potentaten» der Industrie und des Finanzwesens spielen dort durchaus
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 33]
eine ähnliche Herrscherrolle, wie sie sie zu andern Zeiten und in andern Ländern einst die Könige gespielt haben. Daß wir auch heute, im Atomzeitalter, die Kriegsrüstung nicht loswerden, diese vielmehr zu einem Ausmaß anwachsen sehen, das alles jemals Dagewesene weit in den Schatten stellt, ist wesentlich dem Diktat der Wirtschaft zuzuschreiben ; denn es gibt kein einträglicheres Geschäft als Rüstungsaufträge. Alle anderen Begründungen sind nur Vorwände. So kann auch in diesem Teil der Welt von wirklicher Freiheit keineswegs die Rede sein. Nur wird die hier herrschende Art von Unfreiheit vom Einzelnen weniger verspürt. Dieser glaubt, seine Meinungen und Urteile in Freiheit bilden und aussprechen zu können ; er ist sich dessen nur nicht bewußt, daß er zumeist nur nachdenkt und nachspricht, was ihm durch die Zeitung, durch Radio und Fernsehen als «öffentliche Meinung» suggeriert worden ist, d. h. durch die Mittel der Benachrichtigung und Unterhaltung, deren Betrieb in der Hand von industriellen Konzernen ist, die durch ihn ihre wirtschaftlichen Ziele verfolgen.
Und fassen wir endlich den europäischen Kontinent als die geographische Mitte der Kulturwelt – und namentlich wieder den mittleren Teil dieser Mitte – ins Auge, so haben wir diejenigen Gebiete vor uns, denen in sozialer Hinsicht das «Autokratentum» des Fürstenregiments das Gepräge verliehen hat, das noch bis in den Anfang unsres Jahrhunderts herein hier bestanden hat. Diese Adelsherrschaft ist zwar verschwunden ; geblieben aber ist die Vorherrschaft derjenigen Sphäre, die mit dem Aufstieg der Adelskaste zur Herrschaftsposition zum bestimmenden Faktor des sozialen Lebens geworden ist : des Staates als solchen. Es ist das soziale Grundmerkmal dieses Gebietes, daß der Staat hier darnach strebt, alle Felder des Lebens, also auch das geistige und das
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 34]
wirtschaftliche, in seinen Kompetenzbereich hereinzuziehen und sie nach den ihm eigenen Gesichtspunkten zu verwalten, d.h. zu verpolitisieren. Und so hat sich hier eine Universalherrschaft der Politiker, der Parteien und Parteifunktionäre, der Beamten und Bürokraten entwickelt, und von Freiheit ist auch hier nicht die Rede. Der schlichte Staatsbürger darf alle paar Jahre einmal seinen Wahlzettel in die Urne werfen. Im übrigen hat er seinen Mund zu halten und den Politikern in ihre Angelegenheiten nicht dreinzureden, sondern alle Entscheidungen ihnen zu überlassen ; denn «Ruhe zu halten» ist – nach einem hier gefallenen berühmten Worte – «seine erste Bürgerpflicht».
So haben wir es auch heute über die Erde hin nur mit drei verschiedenen Varianten einer Herrschaftsweise zu tun, die allerdings eine etwas andere als in den Zeiten der ehemaligen Klassenherrschaft ist. Und da die im Osten und im Westen bestehenden Herrschaftsverhältnisse die gegensätzlichsten sind, so können deren Vertreter einander gegenseitig am wenigsten verstehen. Der östliche Kommunismus glaubt, die soziale Frage werde dann gelöst sein, wenn die ganze Menschheit zu seiner sozialen Heilslehre bekehrt sein wird. Diese Bekehrung zu erreichen, bildet darum das Ziel aller seiner Bestrebungen. Die Vertreter des westlich-amerikanischen «Way of life» dagegen sind der Meinung, daß, wenn man die Völker der Erde nur genügend mit materiellen Gütern versorge und mit technischem Komfort ausstatte, dann ihre sozialen Forderungen befriedigt und sie selbst immun gegen die kommunistische Verführung sein werden. Daher bewegt sich ihr ganzes Streben in dieser Richtung. Eine Verständigung zwischen diesen Auffassungen ist nicht möglich. Darum bleibt als einziger Ausweg das «Gleichgewicht des Schreckens», um einen kriegerischen Zusam-
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 35]
menstoß zwischen ihnen zu vermeiden. So ist der West-Ost-Gegensatz, wie er sich in unserem Jahrhundert herausgebildet hat, in Wahrheit nichts anderes als der Ausdruck bzw. die Folge der beiderseitigen Unfähigkeit, das Herrschaftsprinzip zu überwinden. Er ist die Form, in welcher diese Unfähigkeit in der Gegenwart zur Erscheinung kommt. Und die europäische Mitte mit ihrer Staatsvergötzung steht dieser Gegensätzlichkeit rat- und hilflos gegenüber. Denn von diesem Götzendienst her läßt sich kein Ausweg aus ihr finden. Und so wird die Mitte von den Mahlsteinen dieses Gegensatzes nur immer mehr als solche zerrieben.
Die Forderungen der gegenwärtigen Weltlage
Und doch könnte eine wirkliche Lösung des gegenwärtigen Weltkonflikts nur von der Mitte her erfolgen. Denn erstens steht sie ihrem Wesen nach keinem der beiden Gegensätze von Ost und West so fern wie diese sich untereinander. Zweitens ist eine Überwindung dieses Konflikts an keiner Stelle so dringlich wie in der Mitte. Denn die Gegensätze selbst vermögen sich durch das Gleichgewicht des Schreckens in sich selbst zu halten. Der Mitte aber droht in der Spannung zwischen ihnen die völlige Auslöschung.
Notwendig wäre, um eine Lösung herbeizuführen, allerdings, wozu bei all denen, die innerhalb der Mitte noch eine irgendwie geartete Macht repräsentieren, heute auch nicht der geringste Wille vorhanden ist : sich frei zu machen von all den Praktiken, welche nur die letzte Dekadenzform von Ordnungsmethoden sind, die hier einstmals den geschichtlichen Verhältnissen entsprachen, heute aber längst
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 36]
durch die Entwicklung überholt sind –, und sein politisch-soziales Handeln zu orientieren und zu impulsieren aus der Erkenntnis dessen heraus, was die geschichtliche Entwicklung lehrt und die heutigen Lebenstatbestände selbst fordern. Und dies ist, daß den geschilderten verschiedenen Funktionssystemen, in welche sich der soziale Organismus im Verlauf der Geschichte differenziert hat, heute eine je autonome Verwaltung gegeben werde. Würde aus der europäischen Mitte heraus diese Erkenntnis vernehmlich und maßgeblich ausgesprochen und zur Richtlinie des sozialen Handelns gemacht, dann würde die Auseinandersetzung mit dem Osten allererst auf einen fruchtbaren Boden kommen. Denn was uns vom Osten her bedroht, ist primär weder wirtschaftliche Konkurrenz noch militärische Aggression, sondern ist seine Ideologie. Es ist eine geistige Bedrohung. Und diese ist deshalb so groß, weil ihr nicht eine ebenbürtige geistige Macht, sondern ein geistiges Vakuum gegenübersteht, welches eine Saugwirkung auf diese Ideologie ausübt. Weil man sich dieses geistigen Vakuums bewußt ist oder es wenigstens mehr oder weniger deutlich fühlt, glaubt man diese Bedrohung nur durch militärische Rüstung und wirtschaftlichen Zusammenschluß zwecks größerer Konkurrenzfähigkeit abwehren zu können. Aber all dies ist auf die Dauer kein Schutz gegen sie ; zumindest trägt diese Art der Auseinandersetzung keine positive Frucht, sondern erhöht nur immer weiter die Gefahr eines kriegerischen Zusammenstoßes mit all den unausdenkbaren Verwüstungen, die ein solcher heute im Gefolge haben würde. In eine für beide Teile fruchtbare Richtung käme die Auseinandersetzung mit dem Osten erst und allein dann, wenn innerhalb der europäischen Mitte die genannte Erkenntnis geltend gemacht und aus ihr heraus der in der sozialen Problematik enthaltenen
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 37]
Frage die richtige, d. h. durch die Entwicklungstatsachen selbst geforderte praktische Beantwortung zuteil und der im Osten wirksam gewordenen Fehllösung derselben entgegengestellt würde. Dann stünde dem Osten etwas gegenüber, mit dem er sich produktiv auseinandersetzen könnte. Denn ebenso wie im Zeitalter Goethes und Hegels der slawische Osten die von jenen mitteleuropäischen Dichtern und Denkern geschaffene Geisteswelt mit Enthusiasmus aufgenommen, wie später die Lehre von Karl Marx dort Eingang gefunden hat, so würde auch eine neue soziale Erkenntnis- und Lebenswelt dort eindringen und den materialistischen Kommunismus allmählich umschmelzen können. Der Osten Europas wartet im Grunde auch heute auf ein befreiendes Wort aus dessen Mitte.
Eine zu solcher Wirkung sie befähigende Lebenskraft vermöchte die gemeinte Sozialerkenntnis in Mitteleuropa freilich nur zu gewinnen, wenn hier das geistig-kulturelle Leben sich aus den Fesseln der staatlichen Verwaltung befreite, in denen es heute noch gebunden liegt, und ganz auf die ihm selbst innewohnenden Lebensbedingungen begründete. Denn solange es von politischen Instanzen und Organisationen reglementiert und kommandiert und in seinen Erziehungs- und Bildungsanstalten eine freie Urteilsbildung durch den Staat verunmöglicht wird, vermag es diejenigen Auffassungen und Kräfte nicht zu entwikkeln, die notwendig sind, um zu einer das soziale Leben gestaltenden und umgestaltenden Macht zu werden.
Und so, wie die europäische Mitte heute dem Osten gegenüber auf einem Verhalten beharrt, das jede Lösung der Spannung verbaut und verrammelt und die Konflikte nur verschärft, so tut sie auch dem Westen gegenüber das Gegenteil von dem, was zu einer Gesundung der Verhältnisse führen könnte. Während es,
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 38]
wie aus dem Vorangehenden wohl ersichtlich wurde, dem Westen gegenüber darauf ankäme, das staatliche und das wirtschaftliche Leben verwaltungsmäßig voneinander zu trennen, werden durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) diese beiden Lebensbereiche aufs stärkste ineinander verknäuelt. Eine wirtschaftliche Integration Westeuropas wird mit den Mitteln einer politischen Fusion bzw. ein politischer Zusammenschluß mit den Mitteln einer wirtschaftlichen Vergemeinschaftung angestrebt. Wie diese unglückselige Gründung schon bisher nur Konflikte und Spaltungen : in der Gegengründung der EFTA, in den Spannungen zwischen Frankreich und England-Amerika, in den Gegensätzen zwischen der EWG und den Neutralen erzeugt hat, so wird sie auch weiterhin Konflikt über Konflikt hervorrufen und das soziale Leben der westlichen Welt immer mehr chaotisieren. Was durch sein eigenes Wesen zur Integration drängt, ist allein die Wirtschaft. Denn diese ist das natürliche und notwendige Gegenstück zu ihrer fortschreitenden arbeitsteiligen Differenzierung. Das staatliche Leben Europas dagegen strebt als solches nicht zur Integration. Dazu ist es in den einzelnen Teilen desselben viel zu stark in verschiedenartigen geschichtlichen Schicksalen verwurzelt und mit solchen beladen. Wenn es durch die Überspitzung, welche die Nationalstaatsidee im 19. und 20. Jahrhundert erfuhr, seither immer wieder zu einer gegenseitigen Zerfleischung der europäischen Völker geführt hat, so liegt die wahre Heilung darin, daß die Staaten die Bereiche der Kultur und der Wirtschaft aus ihren Kompetenzen entlassen und ihnen dadurch die Wege freigeben zu jenen geistig-menschlichen Verbindungen und ökonomischen Zusammenschlüssen, denen diese Bereiche durch ihr eigenes Wesen, durch ihre eigenen Bedürfnisse zustreben.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 39]
Ich habe hier nur die hauptsächlichsten der Tatbestände und Geschehnisse, welche die gegenwärtige Weltlage charakterisieren, als Beispiele dafür hervorgehoben, wie die wahren sozialen Forderungen unsrer Zeit in ihnen symptomatisch zum Ausdrucke kommen. Ich könnte dasselbe an unzähligen andern Tatsachen aufweisen.
Wenn man solche Gedanken wie die hier dargelegten vorbringt, so spricht man allerdings heute noch ebenso als ein «Rufer in der Wüste », wie es vor 40 Jahren Rudolf Steiner getan hat, als er Gedanken dieser Art, anknüpfend an die damalige Weltlage, in entsprechend andrer Formulierung in die Öffentlichkeit hineinstellte.* Denn ebensowenig wie damals ist auch heute, wie schon erwähnt, in den maßgebenden Kreisen der Wille vorhanden, sich mit ihnen auseinanderzusetzen oder gar sie sich zu eigen zu machen. Denn diese Gedanken widersprechen zu sehr dem Althergebrachten. Und so sind sie auch heute noch zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Man könnte meinen : wenn man keine Hoffnung haben kann, gehört zu werden, so sei es sinnlos, zu reden. Dies würde aber doch ein Verkennen der Verhältnisse bedeuten. Denn was ich in diesen Ausführungen zu zeigen versuchte, ist dies, daß die Fragen, die sich in der sozialen Problematik zusammenfassen, nicht solche sind, die nur im engsten Sinne die Gegenwart betreffen. Sie stellen vielmehr die eigentlichste und eigenste Lebensproblematik unseres ganzen Zeitalters dar –, eine Problematik, die der Menschheit aus ihrer ganzen geschichtlichen Entwicklung heraus in dieser Epoche erwachsen ist und deren Bewältigung die große geschichtliche
* Siehe sein Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft», 1919.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 40]
Aufgabe bildet, die sie in dieser Epoche zu lösen hat. Es handelt sich hiebei um nichts Geringeres als um eine bis in seine Fundamente hineinreichende Um- und Neugestaltung des sozialen Lebens, durch welche jahrtausendealte Ordnungsprinzipien allmählich überwunden und durch jene neuen ersetzt werden sollen, welche ihrem jetzigen Entwicklungsalter entsprechen. Dazu bedarf es eines Umdenkens von Grund auf. Diese Aufgabe kann nicht in einem Jahr, nicht in einem Jahrzehnt, nicht einmal in einem Jahrhundert gelöst werden. Und es ist auch verständlich, daß auf der Suche nach ihrer Lösung zunächst manche Irrwege begangen werden müssen. Denn nur so können die Erfahrungen erworben werden, die den Blick für den richtigen Weg erschließen. Aus diesem Grunde kann man, wenn man diesen zu erkennen glaubt, sich veranlaßt sehen, von ihm zu sprechen, auch wenn man nicht hoffen kann, damit schon in der unmittelbaren Gegenwart in weiteren Kreisen ein Echo zu finden. Denn würde nicht irgendwann mit einem solchen Sprechen begonnen, so würde es überhaupt niemals zu einem solchen Echo kommen. Vielmehr : je früher man zu sprechen beginnt, in einer desto früheren Zukunft wird ein solches Echo erwartet werden dürfen.
Schließlich ist die Zeit, in der die soziale Problematik ihre Lösung wird finden müssen, keine unbegrenzte. Denn – wie es auch für das Leben des einzelnen Menschen gilt, daß, wenn er gewisse Probleme, die mit bestimmten Altersstufen verknüpft sind, nicht zur rechten Zeit zu bewältigen imstande ist, dies seelische oder körperliche Erkrankungen zur Folge haben kann, die bis zur Zerstörung seines Lebens führen können – so führen die ungelösten Fragen der sozialen Problematik, die der Menschheit mit ihrem jetzigen geschichtlichen Lebensalter erwachsen sind, je länger ihre Lösung ausbleibt, in ihrem sozialen Leben
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 41]
zu immer tieferen Schädigungen und Zerstörungsprozessen. Stünde hier der nötige Raum zur Verfügung, so wäre es ein leichtes, nachzuweisen, daß schon die beiden Weltkriege unseres Jahrhunderts die nicht gelöste soziale Problematik zu ihrer tieferen, eigentlichen Ursache hatten. Einen dritten Weltkrieg aber kann sich die Menschheit, nachdem wir inzwischen ins Atomzeitalter eingetreten sind, nicht mehr leisten, wenn sie nicht ihre Existenz schlechthin aufs Spiel setzen will. An der sozialen Problematik wird daher die Entscheidung über ihr Sein oder Nichtsein fallen. Mit der Lösung derselben wird sie nicht eine bloße Lebensfrage der Gegenwart gelöst, sondern die Grundlage für ihre Zukunft überhaupt gezimmert haben.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 42]
Nachwort
Die vorstehenden Ausführungen geben den Inhalt eines Vortrags wieder, den ich im vergangenen Winter in verschiedenen Städten Deutschlands und der Schweiz gehalten habe. Auf den Wunsch vieler Zuhörer erscheinen sie hiermit im Druck. Ich habe darin nur die Grundzüge der sozialen Problematik skizziert, ohne auf Detailfragen wie die Organisation der Selbstverwaltung der Wirtschaft, des Eigentums an den Produktionsmitteln usw. einzugehen. Ich verweise diesbezüglich auf das nachstehende Literaturverzeichnis. Wesentlich erscheint mir, ein Verständnis dafür zu erwecken, worum es im Kern bei der sozialen Problematik geht und wie sie in der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit begründet ist. Wie diesen Kernfragen im einzelnen Genüge geleistet werden kann, braucht nicht im voraus fertig ausgedacht, sondern kann der Vernunft der zusammenwirkenden Menschen bei der jeweiligen Konkretisierung überlassen werden, wenn die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine solche geschaffen worden sind.
Basel, im Sommer 1962
Dr. Hans Erhard Lauer
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 43]
Literaturverzeichnis
Rudolf Steiner :
Die Kernpunkte der sozialen Frage. Stuttgart 1919.
Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921. Dornach 1961.
Roman Boos :
Die sozialen Lebensformen der Freiheit. Bern 1942.
Wirklichkeit und Schein im modernen Staatsbegriff. Berlin 1931.
Folkert Wilken:
Selbstgestaltung der Wirtschaft. Freiburg i. Br. 1949.
Die Entmachtung des Kapitals durch neue Eigentumsformen. Freiburg i. Br. 1960.
Karl Heyer :
Beiträge zur Geschichte des Abendlandes. 9 Bände.
Zu beziehen vom Verfasser, Kreßbronn am Bodensee.
[Hans-Erhard Lauer, Die soziale Problematik unserer Zeit, 1962, S. 44]