Eine moderne Bank sollte sich in den Dienst auch der gesellschaftlichen Entwicklung stellen

Quelle
Zeitschrift „Bankspiegel“
Heft 2/1999

Wo steht die GLS heute? Der Bankspiegel befragte die vier Vorstandsmitglieder der Bank. Eine Zwischenbilanz mit Blick nach vorn.

Was zeichnet eine moderne Bank heute aus?

Paul Mackay: Für mich ist eine moderne Bank eine Bank, die Beziehungen pflegt. Die also nicht Produkte verkauft, sondern Beziehungen mit Kunden aufbaut und langfristig pflegen kann.

Gerhard Waterstradt: Eine moderne Bank sollte sich in den Dienst auch der gesellschaftlichen Entwicklung stellen und nicht so sehr auf die Geldvermehrung für ihre Kunden fixiert sein.

Sieht sich die GLS in diesem Sinne in einer Vorreiterrolle?

Thomas Jorberg: Ich sehe die GLS schon als einen Prototyp, einen modernen Prototyp. Aber das ist nicht irgendwas Feststehendes, sondern etwas, das sich mit den Zeitfragen entwickeln muß. In dem Sinne hat sich die Gemeinschaftsbank in den letzten 25 Jahren natürlich verändert. Die Gesellschaft hat sich verändert und insofern hat sich auch die GLS verändert. Wir sind nicht mehr in der Pioniersituation, wie das vor zehn oder 15 Jahren noch der Fall war.

Mackay: Ich weiß nicht genau, ob die GLS eine Vorreiterrolle spielt. Mein Ziel ist das auch nicht unbedingt. Unser Ziel ist, auf die Bedürfnisse der Kunden einzugehen. Die Kunden haben ein gesellschaftliches Ziel - die Vision, daß man nicht nur für sich arbeitet, sondern auch etwas Gesellschaftliches beitragen will. Wenn wir dem Auftrag gerecht werden, dann sind wir gut. Und wenn andere Banken das auch tun - umso besser.

Hat sich das Profil der Gemeinschaftsbank in den letzten Jahren sehr verändert?

Jorberg: Früher gab es zum Teil das Bild, daß sich die GLS eigentlich überflüssig machen sollte. Heute sehen sich die Kunden nicht mehr selbst als Bank, auch wenn sie sich weiter mit der GLS identifizieren. Insofern haben sich auch die Instrumente geändert. Den Direktkredit bieten wir von Einzelfällen abgesehen nicht mehr an. Daraus sind z. B. die Fonds entstanden, wo wir die Beurteilung, die Verwaltung, die Bündelung übernehmen.

Mackay: Wir sind jetzt in einer Phase der Bankentwicklung, wo eine mehr objektive Betrachtungsweise entsteht, wo es darauf ankommt, auch in Ausübung des Bankgeschäftes professionell zu sein.

Nähert sich die GLS damit normalen Banken an?

Mackay: Wenn man oberflächlich schaut, würde ich sagen: ja. Und das finde ich auch gar nicht schlecht. Aber in der Tiefe liegt die Herausforderung darin, im Professionellen dieses menschliche Maß neu erstehen zu lassen.

Entwickelt sich die Gemeinschaftsbank vom Missionar zum Dienstleister?

Mackay: Ja, zum missionarischen Dienstleister vielleicht. (alle lachen)

Wie kann man als Dienstleister Ideale haben? Macht man da nicht nur einfach alles, was die Leute von einem wollen?

Hans Werner Sailer: Die Gemeinschaftsbank macht doch nur Sinn, wenn wir für die Menschen einen Dienst leisten, sonst sind wir nicht nötig. Aber mit der Einschränkung: Wir machen nicht alles.

Waterstradt: Genau das ist der Punkt. Der eigene Weg besteht darin, Schwerpunkte zu setzen. Es ist eine Kunst, auch nein sagen zu können.

Was macht die Gemeinschaftsbank nicht? Was wird sie auch in zehn Jahren nicht tun?

Sailer: Geldhandelsgeschäfte, um aus dem Handelserfolg Gewinne zu erzielen.

Waterstradt: Spekulative Geldhandels- und Aktiengeschäfte, weder für eigene Rechnung, noch für Kunden. Wir werden auch weiterhin keine Rüstungsindustrie finanzieren, keine Gentechnik und Energietechnik, soweit sie umwelt- und sozialzerstörend wirkt.

Jorberg: Das Idealistische der GLS, wenn man das so nennen will, besteht ja nicht darin, daß wir mit bestimmten Inhalten oder Idealen missionieren gehen, sondern es besteht darin, daß wir über Ideale und über Inhalte mit unseren Kunden sprechen. Ethisches Handeln läßt sich eben nicht auf irgendwelche Listen mit Positiv- oder Negativkriterien beschränken. Wir werden keine Atomkraft finanzieren, das ist klar. Aber wenn man nicht mehr hat als das, macht man es sich schlicht zu einfach.

Was sind die größten Schwächen der GLS?

Waterstradt: Eine Schwäche und zugleich auch eine Stärke ist, daß wir eine relativ kleine Bank sind. Eine Schwäche deshalb, weil wir uns mit den ganzen gesetzlichen Vorschriften, den Anforderungen im Controlling und im Kreditbereich genauso auseinandersetzen müssen wie viel größere Institute.

Kann man denn bei diesen Bankvorschriften anderes tun, als sie zu befolgen und den damit verbundenen Aufwand in Kauf zu nehmen?

Sailer: Die Vorschriften, die kann man natürlich nur befolgen. Aber man muß sich ja nicht in jeden Regelungsbereich hineinbegeben. Man muß nicht meinen, daß man alles machen muß. Weniger ist oft mehr.

Jorberg: Ich sehe gegenwärtig keine wirklichen existenziellen Schwächen in der Bank. Schwierig ist es aber, Mitarbeiter zu finden, die die inhaltliche, aber auch die größenmäßige Entwicklung der Bank mittragen können. Daneben sicher auch die Frage, ob sich das Eigenkapital mit der Bank weiterentwickeln kann ...

Waterstradt: ... nicht nur das Eigenkapital, sondern auch die langfristigen Einlagen. Wir haben traditionell nur relativ kurzfristige Einlagen. Wir müssen sicher unseren Kunden auch Angebote machen für längerfristige Einlagen, damit wir mehr längerfristige Kredite herauslegen können.

Mackay: Ich sehe Schwächen gar nicht so negativ. Was ich sehe, ist, daß wir noch zuviel gleichzeitig machen wollen, also die Frage der Prioritätensetzung.

Was werden die Innovationsschwerpunkte in den nächsten Jahren sein?

Waterstradt: Angebote zu entwickeln für das Geld, das sich in vermehrtem Maße an der Börse tummelt und den Dax und den Dow Jones in die Höhe treibt, und mit den realen Gegebenheiten überhaupt nichts mehr zu tun hat. Anregungen zu geben, dieses Geld in sozial relevante Projekte fließen zu lassen.

Ist es nicht zunehmend ein Problem, überhaupt sinnvolle Verwendungen für Geld zu finden?

Jorberg: ... Geld in der richtigen Form zu bekommen, ist weiterhin nicht einfach. Innovationen können aber bei der Gemeinschaftsbank nicht daher kommen, daß wir uns theoretisch mit Dingen beschäftigen und dann ein Angebot kreieren, sondern Innovationen können nur dadurch entstehen, daß wir uns auf Prozesse mit Kunden, mit Kundengruppen einlassen, und von da heraus Finanzierungs- und Anlageformen entwickeln.

Was fehlt denn heute noch in der Angebotspalette der GLS?

Sailer: Es gibt heute so schrecklich viele Finanzinnovationen und Produkte. Das, wofür die GLS steht, ist ja nicht an ein Produkt geknüpft. Das Eigentliche ist, daß die Arbeit der GLS für eine Idee steht. Wenn in jedem Bankspiegel die vergebenen GLS-Kredite dargestellt werden, dann sind das ganz primitive Bankkredite, ganz normale Produkte. Aber das Entscheidende sind doch die Verhaltensweisen und was sich in den Menschen bewegt.

Jorberg: Für die Eigenkapitalbeschaffung fehlen Instrumente. Da muß in den nächsten fünf Jahren etwas passieren. Ein anderer Punkt ist: Wir wenden uns bisher hauptsächlich an Privatanleger. Aber es gibt natürlich sehr viele Stiftungen und gemeinnützige Einrichtungen und auch Versicherungen, die sich mit der Frage konfrontiert sehen, wo sie ihre Gelder angelegt haben.

Mackay: Mir wäre wichtig, daß die Gemeinschaftsbank nicht nur in Deutschland tätig ist. Ich habe den Eindruck, wir sollten etwas für die Welt tun. Nicht im Sinne von Entwicklungshilfe, aber in dem Sinn, weltweit mit anderen Initiativen in Entwicklungszusammenhänge zu kommen.

Wie stellt sich heute die Konkurrenzsituation für die Gemeinschaftsbank dar?

Waterstradt: In der Vergangenheit war die Gemeinschaftsbank in gewisser Weise konkurrenzlos, was die Zinssätze für Kredite anging. Wir haben nur relativ kleine Kredite vergeben, an die strenge Bedingungen gebunden waren. Heute stehen wir, was jetzt das reine Zinsangebot anbelangt, in voller Konkurrenz mit allen anderen Banken.

Jorberg: Es ist sehr deutlich bei allen Banken, daß der Bankbetrieb aus der Differenz zwischen dem Einlagenzins und dem Kreditzins langfristig nicht mehr betrieben werden kann. Und damit stellt sich die Frage: In welchen Bereichen ist die Wertschätzung unserer Kunden für unsere Arbeit so groß, daß sie auch bereit sind, dafür etwas zu zahlen? Daß wir Dienstleistungen erbringen, die von den Kunden so geschätzt sind, daß sie ihnen auch in Heller und Pfennig etwas wert sind.

Zum Beispiel Beratung?

Jorberg: Zum Beispiel auch Beratung. Ob das dann gesondert vergütet wird oder man das als Bestandteil der Kreditvergabe ansieht, das ist eine andere Frage.

Gehört auch die Selbstverständlichkeit, GLS-Kredite in jeder Größenordnung zu vergeben, der Vergangenheit an?

Jorberg: Es ist nicht richtig, daß wir heute nicht mehr Kredite in jeder Größe vergeben. Ich habe heute gerade einen Kredit über 7.000 DM unterschrieben. Und wir haben bei der letzten Vorstandssitzung über eine Plazierungsgarantie und einen Kredit über sieben Millionen DM gesprochen. Das Neue ist, daß wir heute über Kredite bis zu sieben Millionen sprechen, aber nicht, daß wir keine Kredite mehr machen, die ganz klein sind. Die Frage ist natürlich: Wie ist da die Ausgewogenheit? Wie kann man das wirtschaftlich darstellen? Aber es wird auch in Zukunft so sein, daß wir kleine Kredite vergeben, sonst ist zumindest meine Motivation zu arbeiten weg.

Ist die Kostendeckungsumlage ein Instrument, das auch in den nächsten Jahren so bestehen bleiben wird?

Jorberg: Was die Form und die Art der Berechnung angeht, würde ich sagen: nein. Aber in der Satzung heißt es ja: "Gemeinnützigen Mitgliedern sollen Zinsen nur in der Höhe berechnet werden, wie dies zur kostendeckenden Geschäftsführung der Bank und mit Rücksicht auf die Sicherheit der Einlagen erforderlich ist." Und dabei soll es auch bleiben, in dem Sinne, daß Zinsen so berechnet werden, daß die Bank die Sach- und Personalkosten und den Risikoausgleich tragen und auch innovativ sein kann.

Wo wird das Geldwesen in zehn Jahren angelangt sein?

Sailer: Das allgemeine Bankwesen wird sich immer mehr entpersönlichen, siehe die Entwicklung beim Direktbanking. Daß man gar keinen Menschen mehr sieht bei Geldgeschäften.

Jorberg: Es ist doch eigentlich irre: Wir leben in einem Kommunikationszeitalter, aber wir haben immer nur partielle Kommunikation. Im Internet kann man sich über Geld informieren, über Dritte Welt-Probleme, über ökologische Probleme. Man ist hier in der Rolle als Anleger, dort als Verbraucher oder Staatsbürger, quasi eine gespaltene Persönlichkeit. Vernetzte Kommunikation, das muß ein ganz wichtiger Bestandteil von Finanzierungsinstrumenten bei uns werden. Es muß deutlich werden: Wenn ich mich über Geldanlage informiere, dann informiere ich mich gleichzeitig z. B. über die ökologische Landwirtschaft oder Freie Schulen, weil das alles mit Geld zu tun hat. Geld ist ein Gesellschaftsgestaltungsmittel und eben auch ein Kommunikations- und Demokratiemittel. Ich glaube, das wäre eine Vision für die nächsten zehn oder 20 Jahre.

Ist denn nicht dieses Immer-abstrakter-Werden des Geldwesens auch eine Reaktion der Menschen darauf, daß alles immer komplexer wird? Daß man sich dieser Komplexität gerade entledigen will?

Jorberg: Es ist ein Mythos, daß alles so viel komplexer wird, daß man deshalb nicht mehr persönlich handeln kann. Es ist doch gar nicht so abstrakt, die Meldung über die Fusion von Quelle und Karstadt - die Gewerkschaften sind entsetzt über den Verlust von Arbeitsplätzen, und die Börse freut sich über Kurssteigerungen. Die Sachen stehen im Zeitungsartikel in den ersten fünf Zeilen nebeneinander drin. Die Frage ist nur: Entsteht daraus ein Bewußtsein, daß das eine mit dem anderen zu tun hat? Und daß das zum Beispiel mit mir als Anleger zu tun hat.

Gibt es eine Planung, wo drinsteht, wie groß die GLS Gemeinschaftsbank eG in fünf Jahren sein wird?

Sailer: Das gibt es natürlich, um innerhalb gewisser Größenordnungen zu planen, aber nicht in dem Sinn, daß wir jetzt mit aller Energie auf eine gewisse Größe zusteuern. Die Lebensfähigkeit der GLS hat nur bedingt etwas mit der Größe zu tun. 400 Millionen Bilanzsumme oder 600 Millionen Bilanzsumme zu haben, das ist dafür nicht so entscheidend.

Waterstradt: Wir haben uns keine Zielgröße vorgenommen, die wir erreichen müssen aus betriebswirtschaftlichen oder Ertragsgründen. Auf der anderen Seite würden wir uns freuen, wenn durch unsere Arbeit immer mehr Menschen auf uns zukommen. Und ich glaube, dann wollen wir wachsen. Aber aus diesem Grunde.

Wird die Gemeinschaftsbank als kleines Institut überleben in einem Umfeld mit so starker Tendenz zur Unternehmenskonzentration?

Mackay: Wir müssen unglaublich wachsam sein, was wir machen und auf welche Weise wir das machen. Wir müssen dabei im Innenbereich der Bank genauso aktiv sein wie im Kundenbereich.

Wird es im Jahr 2009 noch eine GLS Gemeinschaftsbank in der Form der Genossenschaft geben?

Waterstradt: Wenn es uns gelingt, der Aktie einen neuen Sinn und ein neues Bewertungskriterium zu geben - was nicht so aussehen kann, wie sich heute an der Börse die Kurse bilden, dann könnte ich mir gut vorstellen, daß die GLS Gemeinschaftsbank im Jahr 2009 auch eine Aktiengesellschaft sein könnte.

Thomas Jorberg, Du schüttelst den Kopf.

Jorberg: Genossenschaft ja oder nein, das ist im Moment keine aktuelle Fragestellung.

Sailer: Es kein Ziel. Aber es könnte natürlich sein, daß es bis dahin Erfordernisse gibt, etwas zu ändern, aber die müßten erst mal kommen.

Mackay: Ich sehe es nicht als primär, welche Form die Gemeinschaftsbank hat. Wichtig ist, welche Aufgaben wir haben und welche Form dem am meisten entspricht. Die Genossenschaftsform hat etwas Gutes an sich. Man soll ja nicht etwas aufgeben, ehe man nicht Besseres gefunden hat.

Das Gespräch führte Stephan Rotthaus.