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Anarchos und Anthros für einmal geeint
Wohnen und bauen, auch ohne dass einem der Grund und Boden gehört: Diese Idee vereint Anarchisten und Anthroposophen. Die deutsche Bewegung für soziale Dreigliederung stösst vielerorts auf Sympathie – ähnliche Ziele verfolgt in der Schweiz die Stiftung Edith Maryon.
Es war in den Achtzigerjahren, als in Berlin Jugendliche etliche Häuser besetzten. Nach einigem Hin und Her förderte der Senat die Renovation von insgesamt 300 Wohnungen, die dann an die ehemaligen Besetzer zur Selbstverwaltung übergeben wurden. Heute sind dort Monatsmieten von 100 Euro für ebenso viele Quadratmeter keine Seltenheit – freiwillig zieht da keiner aus. Doch Selbstverwaltung soll nicht das Privileg von ein paar wenigen bleiben. Um Kapital für neue selbstverwaltete Wohnprojekte zu sammeln, wandte sich deshalb die anthroposophisch ausgerichtete Stiftung Trias an die damals geförderten Häuser. Ziel war, freiwillig pro Monat und Quadratmeter Wohnfläche zehn Eurocent abzuführen, um neue Projekte des sozialen Wohnens fördern zu können. Bloss zehn Häuser interessierten sich dafür, fünf zahlen auch tatsächlich ein.
«Identifizierung keine Bedingung»
«Ein kleiner Anfang», räumt Sylvain Coiplet ein, erster Vorsitzende des Vereins Bewegung für soziale Dreigliederung. Die ebenfalls anthroposophisch geprägte Organisation veranstaltete Mitte Oktober in Berlin eine Tagung, die sich um die Frage drehte, wie Boden und Wohnen der Spekulation entzogen werden können. Die Stiftung Trias war eines der Beispiele, das den TeilnehmerInnen vorgestellt wurde. Ein anderes kommt aus Freiburg im Breisgau, wo sich anarchistische Kreise daran machen, Häuser legal zu besetzen: Das Mietshäuser Syndikat beteiligt sich über eine eigens gegründete GmbH an selbst organisierten Hausprojekten, um diese dem Immobilienmarkt zu entziehen. Dass die Keimzelle aus der grünen Hochburg in Baden-Württemberg stammt, sei kein Zufall, meint Sylvain Coiplet. «Je weiter im Süden, desto mehr Geld ist vorhanden, um Wohnexperimente möglich zu machen.»
So ist es denn auch folgerichtig, dass die Bewegung für soziale Dreigliederung mit der in Basel ansässigen Stiftung Edith Maryon (SEM) Kontakte hat. Die 1990 gegründete Stiftung «zur Förderung sozialer Wohn- und Arbeitsstätten» ist ebenfalls anthroposophisch geprägt und verfügt heute über eine Bilanzsumme von 80 Millionen Franken und 60 Liegenschaften in der Schweiz, aber auch in Berlin. (vgl. Kreditporträt in moneta 1/2007).
«Für unsere Bewohner und die Nutzerinnen gibt es zwar keine Vorgaben, sich mit der Anthroposophie zu identifizieren», betont Geschäftsleiter Christoph Langscheid, doch der Geist Rudolf Steiners stehe durchaus hinter der Idee, mit Grund und Boden nicht spekulativ, sondern als etwas Geliehenem umzugehen. Entsprechend werden Häuser nicht verkauft, wenn die SEM sie gebaut oder saniert hat, sondern die Stiftung vermietet sie nur oder übergibt sie im langjährigen Baurecht einem Besitzerverein. Ein weiteres Tätigkeitsfeld der Stiftung sind die Mietkautionen, von denen 500 Personen in prekären Verhältnissen Gebrauch machen.
Es existiere ein wachsendes Bevölkerungssegment, das sich auf das Experiment des selbstvertwalteten Wohnens einlassen wolle, meint Langscheid weiter. Rückschläge seien allerdings nicht zu vermeiden, ebenso wenig der Auszug einer Mietpartei, wenn die Absprache mit den Nachbarn oder die geteilte Betreuung des Gartens zu mühsam werde. Auch der Verzicht auf absolute Anonymität bedürfe der Gewöhnung.
In Berlin ist die Stiftung Edith Maryon heute bei neun Liegenschaften engagiert, Prunkstücke sind ein 800 Hektaren grosser biologisch-dynamisch bewirtschafteter Hof und eine umgenutzte ehemalige Druckmaschinenfabrik. «Noch immer ist Berlin im Umbruch und ein spannendes Pflaster für soziale Immobilienprojekte», so Langscheid, es gebe zahlreiche Objekte, die man für neue Projekte dem Spekulationsmarkt entziehen könne.
Dass Anarchisten und Anthroposophen gleichzeitig neue Wege suchen für den Umgang mit Immobilien und dem Boden, auf dem sie stehen, das ist für Sylvain Coiplet von der Bewegung für soziale Dreigliederung unproblematisch: Natürlich habe sein Verein noch zahlreiche weitere Anliegen. So soll ein Unternehmen etwa nicht verkauft oder vererbt werden dürfen, sondern der abtretende Besitzer soll einen fähigen Nachfolger auswählen. Auch die Schule will man reformieren – mehr in Richtung Projektentwicklung statt straffer Fächeraufteilung. Selbst die Justiz möchte der Kleinstverein nach anthroposophischem Gedankengut ummodeln. Doch wenn man sich in der Sache trifft, will man mit anderen Freigeistern kooperieren: «Bei meiner früheren Tätigkeit, als ich Wehrdienstverweigerer beriet, hatte ich viele Kontakte mit Anarchisten. Mit ihnen kann man bestens zusammenarbeiten.»
Erschienen in moneta - Zeitung für Geld und Geist, 2008/4
Die Ausgabe 2008/4 sowie frühere Ausgaben von moneta können hier vollständig gelesen werden.