Social Banking

01.04.2010

Aus den Schlagzeilen ist die Finanzkrise weitgehend verschwunden. Ebenso verfestigt sich der Eindruck, dass von den vollmundigen Erklärungen der Politik, den Finanzsektor, zu regulieren, nicht viel übrig geblieben ist. Im Gegenteil: Angesichts der griechischen Schuldenkrise besteht aktuell die Gefahr, dass bei ungeeigneten Gegenmaßnahmen die Finanzjongleure gegen andere Kandidaten einer Staatspleite, wie etwa Portugal und Spanien, spekulieren werden. Zu erwarten sind dabei dann enorme Gewinne für die zockenden Finanzinstitute, ohne dass eine reale Wertschöpfung stattgefunden hat, und ein Staatsbankrott mit den weit reichenden und langjährigen negativen Folgen für das Lebensniveau der Bevölkerungen.

Auf die in diesem Zusammenhang gemachte Feststellung der Berliner Zeitung: »Derzeit sieht es so aus, als müssten sich die Regierungen nach den Spekulationen der Märkte richten«,[1] antwortet Sebastian Dullen, Volkswirtschaftsprofessor an der HTW Berlin: »Gegenwärtig gibt es dazu keine Alternative. Europa hat sich nun mal zu freiem Kapitalverkehr entschlossen.«[2]

Dies ist ein Ausschnitt aus der Situation ein Jahr nach der bislang größten Finanz- und Wirtschaftskrise, deren zerstörerische Ausmaße noch lange nicht überschaubar sind. Was für ein beschämender Kniefall vor der Macht des Kapitals, welches diese Krise verursacht hat! Vor der Staatspleite erfolgt der Bankrott des Geistes und der Willenskraft.

In fataler Weise drängt sich hierbei ein Ausspruch Rudolf Steiners aus dem ersten Jahr nach Beendigung des ersten Weltkriegs auf, ein Ausspruch, der im damaligen Zusammenhang zeitgebunden schien: »Das Nächste ist, dass sich die Bewegungen, die heute Raubbau am sozialen Organismus treiben, erst einmal ad absurdum führen. Die müssen sich erst bis zur völligen Ratlosigkeit und bis zum Unglück entwickeln.«[3] Hierzu scheint das Finanzwesen auf dem besten Wege zu sein, wobei im Grunde keiner mehr sagen kann, er hätte es nicht gewusst, wenn dann wirklich die Kernschmelze des Kapitalismus erfolgt. Denn abseits der öffentlichen Beschwichtigungen finden sich von Zeit zu Zeit auch in der wesentlich gleich geschalteten Presse deutliche Hinweise auf die fortlaufende Selbstzerstörung des Systems. »Nichts gelernt aus der Krise. … Keine Liberalisierungs- und Deregulierungsmaßnahme der Vergangenheit wird revidiert. Weder geht die Politik gegen die Leistungsbilanzungleichgewichte in der Welt vor, noch gegen die aufgeblähten Finanzmärkte oder gegen das Wachstum der großen Banken,«[4] so Stephan Kaufmann in der Berliner Zeitung. »Schließlich sollen die Banken nicht entmachtet werden, sondern ermächtigt – und zwar zum nächsten Boom, von dem man glaubt, dass er dauerhafter wird als der vergangene.«[5]

Auf diesen Boom folgt dann konsequenterweise das nächste Platzen einer Blase. Denn was ist ein Boom im Finanzsektor anderes als ein parasitäres Aussaugen der Kräfte der Realwirtschaft? Wilhelm Hankel, emeritierter Wirtschaftsprofessor, meinte dazu: »Wird im Finanzgeschäft mehr verdient als in der Realwirtschaft (was über ein Jahrzehnt lang vor der Krise der Fall war) müssten bei allen Verantwortlichen die Alarmglocken schrillen.«[6]

Diese schlichte Wahrheit wird weiterhin munter ausgeblendet. Und folgerichtig steht auch schon die nächste große Krise an. Wieder eine Immobilienkrise. Diesmal geschieht sie nicht auf dem privaten Sektor, sondern auf dem Markt für Gewerbeimmobilien in den USA droht ein katastrophaler Crash. Wieder sind es – wie in der Subprimekrise – windige Finanzprodukte, in welche unmäßig überbewertete Immobilien verpackt wurden. Die zugrunde liegenden Kreditverträge wurden zu Zeiten einer Immobilienblase abgeschlossen und können nun, auch in Folge der allgemeinen Wirtschaftskrise, nicht mehr bedient werden. Eine offizielle Warnung dazu kam jüngst von einem Aufsichtsgremium des US-Kongresses: »In den kommenden vier Jahren tut sich auf dem Gewerbeimmobilienmarkt ein neues, kaum fassbares Schuldenloch von 1,4 Billionen Dollar auf – mit dramatischem Dominoeffekt.«[7]

Die Lage ist also sehr ernst. Befürchtet werden ähnliche Folgen wie beim Zusammenbruch des privaten US-Immobilienmarktes. »Wir müssen sofort einen Plan ausarbeiten, bevor das System am Rande des Untergangs steht«, drängt die Insolvenzspezialistin Elizabeth Warren.[8]

Es ist schon bezeichnend wie sehr sich in beiden Szenarien die, von Rudolf Steiner als volkswirtschaftlich fehlgeleitete Strömungen des Kapitals charakterisierten, Stauungen in Grund und Boden in ihrer Destruktivität offenbaren: »Eine der schlimmsten Stauungen im volkswirtschaftlichen Prozess ist diejenige, wo das Kapital sich einfach mit der Natur verbindet.«[9] In ihrer tieferen Ursache geht es ja bei diesen Krisen nicht nur um eine Überbewertung des Grund und Bodens, sondern um seinen grundsätzlichen Charakter als Scheinwert. Rudolf Steiner führt dazu weiter aus: »Dasjenige, was im heutigen volkswirtschaftlichen Zusammenhange Wert von Grund und Boden genannt wird, ist in Wahrheit nichts anderes als auf dem Grund und Boden fixiertes Kapital; das aber auf dem Grund und Boden fixierte Kapital ist nicht ein wirklicher Wert, sondern ein Scheinwert.«[10]

Sprachlich kommt der »Scheinwert« dem Begriff der Blase schon sehr nahe.

Unter den Top-Ten der Banken, welche die faulen Kredite der sich jetzt ankündigenden Krise verwalten, befindet sich auch die Deutsche Bank. Diese hatte noch vor kurzem, in gewohnter selbstverständlicher Obszönität, eine Gewinnerwartung von zehn Milliarden Euro für 2011 aus dem operativen Geschäft prognostiziert. Diese Ankündigung und das unverwandelte Geschäftsgebahren der Finanzwelt bezeichnete Wolfgang Kaden, ehemaliger langjähriger Chefredakteur des manager magazin, ganz richtig als »Skandal des Jahres, wenn nicht der ganzen Epoche. Just jene Spezies, die um ein Haar die ganze zivilisierte Welt in den Abgrund gerissen hätte mit ihren abenteuerlichen Geldgeschäften, erstrahlt wieder in alter Herrlichkeit.«[11] Es werden wieder grandiose Geschäfte gemacht mit ebenso riskanten Finanzprodukten wie vor der Krise, und ebenso atemberaubenden Gewinnmargen.[12] Milliarden Menschen, welche den Zusammenbruch der Weltökonomie mit ihren Steuergeldern vorerst abgewendet haben, werden noch auf Jahrzehnte an den Folgen dieser Hybris zu leiden haben. Die Verursacher dagegen schöpfen jetzt schon wieder ihre maßlosen Gewinne ab und, was weit verheerender ist, treiben uns in die nächste Krise hinein, in welcher dann auch die Staatsfinanzen nichts mehr retten können, denn dieser Kredit ist dann verbraucht.[13]

Kaden zieht das Resümee: »Was derzeit bei den globalen Bemühungen um eine neue Finanzarchitektur passiert, ist die bevorstehende Kapitulation demokratischer Regierungen vor der Macht des Geldgewerbes. Josef Ackermann hat gute Chancen, seine zehn Milliarden einzufahren. Wenn das System nicht vorher auseinander kracht.«[14]

Es fällt schwer sich diese Situation des Crashs dann vorzustellen. Ebenso schwer ist die Antwort auf die Frage, wie es dann weiter gehen soll. »Aber man muss zu rechter Zeit etwas schaffen, worauf dann zurückgegriffen werden kann, wenn das Alte sich selbst ad absurdum geführt hat.«[15] So Rudolf Steiner im Anschluss an seine obige Ausführung. Ein wenig Hoffnung kann da die Existenz des Social Banking Sektors machen. Hier steht, teils seit Jahrzehnten schon, nicht die Kapitalrendite im Fokus, sondern es wird nach sozialen, ökologischen und kulturellen Gesichtspunkten gearbeitet. Geld wird hierbei nicht als Selbstwert betrachtet, sondern bankenspezifisch in seinem Wesen als Leihgeld, als Gestaltungsmittel für individuelle und soziale Prozesse verstanden.

So rücken diese Institute in Folge der Krise nicht nur ins öffentliche und wissenschaftliche Interesse, sondern erleben auch einen starken Zustrom an Kunden, der teilweise mit einem Wachstum von 30% und einem Zuwachs an Arbeitsplätzen verbunden ist. Allein die GLS-Bank konnte dadurch über 50 neue Mitarbeiter einstellen.[16]

Zehn solcher sozial orientierter Banken und Finanzdienstleister aus mehreren europäischen Ländern, u.a. die niederländische Triodos Bank, die Merkur Bank aus Dänemark, die Banca Populare Etica u.a. haben 2006 einen Verein gegründet, der wiederum das »Institute for Social Banking« ins Leben gerufen hat, welches mit der gegen den Mainstream laufenden Leitidee konfrontiert: »Das Institute for Social Banking, Training and Research fördert ein Verständnis von Geld- und Bankwesen, das sich an der konkreten Wahrnehmung und Verantwortung für das Schicksal von Menschen und Erde orientiert. In diesem Sinne wollen wir zu einem Paradigmenwechsel beitragen.«[17]

Neben Forschungsarbeiten zu Social Banking und Social Finance bietet das Institut einen Master-Studiengang und eine »International Summer School on Social Banking« an. Dieses Jahr steht die Summer School unter der Fragestellung: »Die Werte des Bankwesens hinterfragen. Ist wirklich die Profitmaximierung der zentrale Wert des Bankwesens? Oder geht es bei Finanzierungen um den Dienst für die Realwirtschaft? Kann Bankwesen gar als Gemeingut begriffen werden?.«[18]

Ein wenig von dem, was hier als Antworten erwartet werden kann, hat nun auch schon der mittlerweile 82 jährige Ex- US-Notenbanker Paul Volcker verstanden, wenn er von den Banken fordert: »Sie sollten die Finger lassen von Hedgefonds, von Equity-Fonds, vom Terminhandel und überhaupt vom sogenannten Eigenhandel, also dem Investieren und Spekulieren ohne Kundenauftrag.«[19] Das ist zwar noch weit entfernt von einem neuen Verständnis des Geldes, wie es Rudolf Steiner in Ansätzen entwickelt hat, aber es entspricht zumindest in großen Teilen seinem Verständnis vom Charakter des Bankwesens als Dienstleister der Realwirtschaft mit der damit einhergehenden Ablehnung des »Zwischenhandels mit Geld, bei welchem das Geld selbst zur Ware wird.«[20]

Die von Steiner dargelegten Konsequenzen aus dieser unsachgemäßen Handhabung erleben wir zur Zeit in einer Kulmination: »Es kann ja allerdings gerade dadurch, dass das Geld in gewissem Sinne fälscht die Leistungen, das eintreten, dass dann auch durch eine Art von Zwischenhandel mit Geld eine Fälschung der ganzen Wirtschaft eintreten kann. Aber das ist eben dann Fälschung, die möglich ist, wenn man dem Geld nicht seinen wahren Charakter beilegt.«[21]

Anmerkungen

[1] Berliner Zeitung, 20./21. Februar 2010, S. 19
[2] Ebd.
[3] Rudolf Steiner, 21.02.1919, in: Die soziale Frage als Bewusstseinsfrage, S. 52, Verlag Zbinden Basel, 1946
[4] Stephan Kaufmann, Berliner Zeitung, 31.12.09 , S.4
[5] Ebd.
[6] Wilhelm Hankel, 31.07.09 Kapitalisten oder Sozialstaat schützen, fr-online , www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/doku_und_debatte/1859526_Wirtschaftsprofessor-Hankel-Kapitalisten-oder-Sozialstaat-schuetzen.html, Letzter Zugriff; 21.02.2010
[7] Marc Pitzke, US-Experten fürchten den nächsten Mega-Crash, www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,678126,00.html, Letzter Zugriff: 21.02.2010
[8] Ebd.
[9] Rudolf Steiner, Nationalökonomischer Kurs, v.a.5. Vortrag, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1979
[10] Ebd.
[11] Wolfgang Kaden, Kapitulation vor dem Monopoly-Monster, spiegel-online, www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,668324,00.html, Letzter Zugriff: 22.02.2010
[12] Hierzu auch: www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/eine-neue-blase/
[13] Dazu u.a. : www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/die-regulierung-kommt-zu-kurz/
[14] Fußnote 11
[15] Fußnote 3
[16] www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/oekobanken-legen-ein-drittel-zu/, Zugriff: 23.0.2010, Zugriff: 23.0.2010
[17] www.social-banking.org/das-institut/
[18] www.social-banking.org/news/
[19] www.spiegel.de/spiegel/print/d-68167781.html, Zugriff: 22.02.2010
[20] Georg von Canal, Geisteswissenschaft und Ökonomie, S.229, Novalis Verlag, Schaffhausen 1992
[21] Rudolf Steiner, Nationalökonomischer Kurs, S. 203, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1979

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