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Deutschland 2012: auf dem Weg in den Krieg?
Die aktuelle Lage
Die revolutionäre Stimmung des „arabischen Frühlings“ übertrug sich 2011 auf die USA, und in Gestalt der „Occupy-Bewegung“ von dort sogar auf Deutschland. Dabei geht es auf dieser Erde von allen Völkern den Deutschen am besten. Auch besser als ihren Europäischen Nachbarn: Die Spanier mussten mit ansehen, wie Kapital die Arbeitskräfte aus Landwirtschaft und Industrie abzog und in den Bausektor hinein lenkte, nur um eine gigantische Bauwüste und den drohenden Staatsbankrott zu hinterlassen, die Griechen erleben derzeit, wie der sich aus der Konkurrenz der Nationen ergebende Zwang, Kapital mit niedrigen Steuern in das eigene Staatsgebiet zu locken, jetzt offenbar die Demokratie kostet, und ganz Europa ächzt unter der Last der Renditeerwartungen, die als Steuerforderungen an die arbeitenden Menschen zurückkommen. Da es sich bei diesem Kapital häufig um „deutsches“ Kapital handelt, bringen immer mehr europäische Nachbarn ihren Hass gegen die Deutschen öffentlich zum Ausdruck. Ihnen ist dabei durchaus bewusst, dass die Deutschen das vermeintlich „deutsche“ Kapital seinerseits erst nach Deutschland lockten – Hartz IV und die Schaffung eines Niedriglohnsektors, den mittlerweile kaum ein Mitglied der EU noch unterbieten kann, haben Deutschland auf den Weg zum Billiglohnland Europas gebracht. Das macht Deutschland attraktiv für das internationale Kapital, und so setzte hierzulande, verstärkt seit 2007, ein Ausverkauf der Produktionsmittel ein. Die dadurch errungene temporäre wirtschaftliche Übermacht nutzen die Deutschen nun, um ihren Nachbarn die selben schlechten Arbeitsbedingungen aufzuzwängen. Das bewegt Europa derzeit, derweil die Deutschen sich über „Pleitegriechen“ ergehen.
Hartz IV und Niedriglohn wurden möglich, weil die Deutschen ihrerseits wie niemand sonst auf die Preise der Waren drücken. Nur 11% ihres Einkommens wollen die Deutschen zum Beispiel für Lebensmittel ausgeben – undenkbar für die meisten Franzosen oder Italiener, die eine solche Geringschätzung des leiblichen Wohls nicht nachvollziehen wollen. Doch die deutschen Lebensmitteldiscounter haben sich mittlerweile in jedem europäischen Land ausgebreitet und zwingen dort die einheimischen Supermärkte, die Talfahrt mitzumachen. Der Geiz Europas drückt wiederum die Löhne in der dritten Welt, aus der die Waren oder die Rohstoffe für diese kommen, auf meist unter 1 Euro Tagesgehalt. Als zweitgrößter Lebensmittelhändler der Welt nach den USA diktiert vor allem Deutschland die Arbeitsbedingungen auf den Farmen in Südamerika, Afrika und Asien. Nur so ist in Deutschland das Leben mit Hartz IV und Billiglohn überhaupt möglich. Da es sich im wesentlichen um das so gewonnene Kapital handelt, das dann in den spanischen Bausektor oder als Kredite nach Griechenland wanderte, sind es angesichts der Gefährdung dieses Kapitals auch wieder Deutsche, welche jetzt Spanier und Griechen zwingen, noch den letzten Rest ihres Staatseigentums auf den Markt zu werfen. So wandert derzeit durch den Druck der deutschen Regierung, freilich mit besonderer Rücksicht auf den Finanzplatz London, nach Europa zurück, was sich die „Festung Europa“ jenseits ihrer Festungsmauern als Bedingung für ihren Wohlstand errichtete.
Europa ist heute wirtschaftlich abhängig davon, dass auf anderen Kontinenten Unrechtsregime bestehen, die noch geringere Löhne als in Deutschland erlauben. Nicht zufällig ist ausgerechnet Deutschland das EU-Land mit den meisten Investitionsschutzabkommen mit Regierungen afrikanischer Länder, und Hauptabnehmer chinesischer Produkte in Europa. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Deutschen von den Unrechtsverhältnissen in anderen Ländern verleiht wiederum der deutschen Außenpolitik eine gefährliche Tendenz. Wer durchschaut, auf welche Weise der Druck des Offshore-Kapitals dem internationalen Verkehr der Staatsgewalten die Richtung bestimmt, liest Meldungen wie die, dass der Iran bald die Atombombe habe, ganz anders. Deutschland wird sich, aus wirtschaftlichem Zwang heraus, immer aktiver an den Kriegen der USA beteiligen – die allmähliche Ausweitung der Kampfhandlungen in den vergangenen Jahren und die Schaffung einer deutschen Berufsarmee sind die äußeren Symptome dieses Prozesses.
Andere europäische Länder beteiligen sich freilich schon längst völlig ungeniert an Kriegen, die wie der Irak-Krieg von weiten Teilen der Erdbevölkerung als bloße Wirtschaftskriege verurteilt werden. Wegen der wirtschaftlichen Rolle Deutschlands in Europa ist die Außenpolitik dieser Länder jedoch ein schlechter Masstab: Deutschland wird von seinen europäischen Nachbarn bereits zu Recht als Erfinder und Antreiber des Neoliberalismus wahrgenommen, eine weitere Verstrickung in offenkundige Wirtschaftskriege wird Deutschland zum Sündenbock auch für die eigene Kriegsschuld machen. Und dies in einem politischen Klima, in dem der Nationalismus angesichts der zunehmend spürbar werdenden Folgen der Zentralisierung Europas im Interesse neoliberaler Wirtschaftsstrategien eine erschreckende Renaissance erlebt. Für Deutschland ist diese Situation die denkbar gefährlichste – nicht wegen der deutschen Vergangenheit, sondern wegen gewisser Empfindungen der Völker Europas, die in der Vergangenheit die Geschichte bestimmt haben, und die diese auch gegenwärtig bestimmen: man erwartet von der „Kulturnation“ auch heute etwas ganz anderes als die Führerschaft im Namen des Wirtschaftsnationalismus.
Mir ist voll bewusst, wie ungewöhnlich solche Worte derzeit in deutschen Ohren klingen müssen. Aber genau das ist die eigentliche Tragödie: Den Deutschen sind diese Zusammenhänge, anders als ihren Nachbarn, gar nicht bewusst. Das Land der Dichter und Denker neigt nämlich von jeher dazu, sein Gedankenreich mit der Wirklichkeit zu verwechseln, und daher die zeitgeschichtlichen Vorgänge zu übersehen. Aber auch wenn sich die Deutschen da gerne wieder auf den Kopf stellen möchten - ihren Nachbarn ist trotzdem nicht verborgen geblieben, dass Deutschland die Durchreiche oder besser: das Einfallstor ist für das Offshore-Kapital nach Europa. In den Worten des griechischen Politiker Mikis Theodorakis klingt das so:
„Wir stehen momentan der Gefahr gegenüber, das Finanzäquivalent des Ersten und Zweiten Weltkriegs auf unserem Kontinent zu wiederholen und in Chaos und Zersetzung aufzugehen, zugunsten eines internationalen Imperiums des Geldes und der Waffen, in dessen ökonomischem Epizentrum die Macht der Märkte liegt. Die Völker Europas und der Welt stehen einer historisch noch nie dagewesenen Konzentration von finanzieller, aber auch politischer und medialer Macht durch das internationale Finanzkapital, d.h. einer Handvoll von Finanzinstituten, Ratingagenturen und einer von ihnen gekauften politischen und medialen Klasse, mit mehr Zentren außerhalb als innerhalb Europas, gegenüber. Das sind die Märkte, die heute ein europäisches Land nach dem anderen angreifen, in dem sie den Hebel der Verschuldung nutzen, um die europäischen Wohlfahrtstaaten und die europäische Demokratie zu zerstören. Das »Imperium des Geldes« fordert nun eine schnelle, gewaltsame und brutale Transformation eines Eurozonenlandes, nämlich Griechenlands, in ein Drittweltland durch ein sogenanntes »Rettungs«-Programm, das tatsächlich die »Rettung« der Banken ist, die dem Land Geld geliehen haben. In Griechenland hat die Allianz der Banken und der politischen Führungen – durch die EU, die EZB und den IWF – ein Programm verhängt, dass einem »wirtschaftlichen und sozialen Mord« an diesem Land und seiner Demokratie gleichkommt. Sie organisiert die Ausplünderung des Landes vor dessen kalkuliertem Bankrott, mit dem Wunsch, es zum Sündenbock der globalen Finanzkrise zu machen und es als ein »Paradigma« zur Terrorisierung aller europäischen Völker zu nutzen. Die gegenwärtig in Griechenland ausgeübte Politik, die versucht sich auszuweiten, ist die gleiche, die in Pinochets Chile, in Jelzins Russland oder in Argentinien angewandt wurde und sie wird die gleichen Ergebnisse liefern, wenn sie nicht sofort unterbrochen wird. Infolge eines Programms, das angeblich beabsichtigt, dem Land zu helfen, ist Griechenland jetzt an der Schwelle des wirtschaftlichen und sozialen Desasters; es wird als ein Versuchskaninchen genutzt, die Reaktion der Bevölkerung auf Sozialdarwinismus zu testen und die gesamte Europäische Union damit in Schrecken zu versetzen, was einem ihrer Mitglieder passieren kann. Die Märkte können auch die deutsche Führung bedrängen und dazu benutzen, die Zerstörung der Europäischen Union voranzutreiben. Aber es stellt einen Akt extremer politischer und historischer Blindheit für die herrschenden Kräfte in der EU und in erster Linie für Deutschland dar, zu glauben, dass es irgendein Projekt europäischer Integration oder auch nur einfacher Kooperation auf den Ruinen eines oder mehrerer Mitglieder der Eurozone geben kann. Die geplante Zerstörung der großen, global bedeutenden politischen und sozialen Errungenschaften der europäischen Völker kann keine Art von Europäischer Union etablieren. Dies wird zu Chaos und Desintegration führen und das Aufkommen faschistischer Lösungen auf unserem Kontinent fördern...“ (vollständiger Text)
Sollte es tatsächlich so weit kommen, wie Theodorakis fürchtet, wird unstrittig sein, wer die Hauptschuld trägt. Die Geschichtsbücher werden erklären: Unter dem Druck der Utopie einer Wettbewerbswirtschaft, die deutsche Denker wie Alexander Rüstow nach dem 2. Weltkrieg erfanden und welche dann allen voran die deutsche Regierung mit Hilfe ihrer wirtschaftlichen Vormachtstellung Ländern wie Griechenland aufzwang, fiel Europa geistig auseinander.
Das andere Deutschland
to be continued ...