neuguss - Wirtschaft ohne privates Eigentum?

01.12.2012

Würde man, inmitten der ›Finanzkrise‹, Unternehmen suchen, die anders mit Geld umgehen, die Unternehmensgruppe ›Neuguss‹ wäre vielleicht eines von ihnen. Die neueste Ausgabe von projekt.zeitung widmet sich diesem ungewöhnlichen Wirtschaftsmodell.

Zum 40jährigen Bestehen der ›Neuguss‹ sammelt das Heft aktuelle Eindrücke aus der Praxis dieses ungewöhnlichen Wirtschaftsmodells; eine Sammlung von Gesprächen mit Mitarbeitern aus allen Bereichen sowie Texten und Bildern zu den beteiligten Firmen.

Benjamin Kolass widmet sich in seinem Schlusswort dem ideellen Ansatz des Unternehmens. Das komplette Heft ist bestellbar unter: www.projektzeitung.org

neuguss

Die Neuguss wirtschaftet anders. – Aber wie?

In den Firmen, bei Gesprächen mit Mitarbeitern, erfährt man Einiges. Die Löhne werden zum Teil zu Beginn des Monats gezahlt, mindestens nach Tarif, es wird Wert gelegt auf die Qualität der Produkte, auf ökologische Standards im Produktionsprozess, auf guten Kontakt zu Lieferanten und auf einen partnerschaftlichen Umgang mit den Mitarbeitern. Manche Belegschaften machen Bildungsreisen, andere haben monatlich einen Malkurs. Schließlich: Die Firmen arbeiten gewinnorientiert, aber die Erlöse werden anteilig für Investitionen eingesetzt, an die Mitarbeiter ausgeschüttet und in Stiftungen für gemeinnützige Projekte eingebracht.

Das alles ist wunderbar, doch es gibt viele Unternehmen, die so etwas tun, manche sogar viel mehr. Corporate Social Responsibility, Philanthropie, oder Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft sind deren Schlagworte. Die könnte auch die Neuguss verwenden, aber sie sind nicht ausreichend, um ihre Besonderheit zu verstehen. Vieles ist wirtschaftlich-rational nicht erklärbar, für die Produktivität vielleicht sogar hinderlich. Was haben Metallverarbeitung und Wachsmalstifte-Produktion gemeinsam? Warum diese spezielle Rechtsform? ›Die Neuguss gehört niemandem‹, hat ein Wirtschaftsprüfer festgestellt. Wie kann ein Unternehmen erfolgreich arbeiten, wenn es niemand als Eigentum in der Hand hat? Woher kommt die Motivation, wenn nicht aus dem privaten Eigentum?

Vielleicht ist im Unverständlichen, im Unlogischen, der Schlüssel zum Verständnis. Es gibt eine rechtliche Verbindung der Firmen. Diese Verbindung hat keinen Eigentümer. Und sie hat weder wirtschaftlich-rationale noch in erster Linie soziale oder ökologische Gründe. Für die Menschen in den einzelnen Firmen stellt sich die Frage: Was haben wir miteinander zu tun? Die Firmen gehören zur Neuguss, aber die Neuguss gehört niemandem. – Wie jetzt?

Es gibt nur einen Ausweg: Die Firmen gehören sich selbst. – Aber wer ist ›Sich Selbst‹? Dieses ›Sich Selbst‹ ist ein Freiraum. Frei von Eigentümern, die aus dem Gewohnten bestimmen, an ihrer Stelle sind die treuhänderischen Gesellschafter rechenschaftspflichtig. Frei von Aktionären, die das Unternehmen als Cash Cow missbrauchen. Aber vor allem: Frei dafür, sich selbst, aus der Zusammenarbeit der Mitarbeiter und Partner heraus, zu definieren.

Die Neuguss ist Garant dieses Freiraums. Ihre Gesellschafter und die gemeinsamen Beratungen der Firmen können Helfer und Spiegel sein, um das ›Sich Selbst‹ zu finden. Alle anderen schönen Dinge machen viele andere ebenso, dafür braucht es keine besondere Rechtsform. Allerdings sind solche Schritte durch die Neuguss einfacher. Denn durch die Freiheit und die Herausforderung, sich aus der Gemeinschaft selbst zu bestimmen, werden der gesellschaftliche Auftrag und die Verantwortung für Menschen und Umwelt bewusster.

Auch die Gesellschaft kann, wenn die Neuguss ihre Möglichkeit zur Freiheit ernst nimmt, anders mit ihr in Beziehung treten. Ein Mitarbeiter der Neuguss-Firmen wird so verhandeln, wie es für seine Firma langfristig am besten ist, und er hat gleichzeitig den gesellschaftlichen Kontext und die Bedürfnisse seiner Partner im Blick und möchte auch deren Bestes.

Die Firmen der Neuguss sind für sich selbst verantwortlich, sie wirtschaften nicht für ein privates Ego. Deshalb macht ihre Arbeit nur Sinn im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Dass ein Teil der Gewinne verschenkt wird, hat nichts mit moralischer Verpflichtung oder Gutmütigkeit zu tun. Es ist wirtschaftlich sinnvoll. Denn bei stetem Wachstum der Wirtschaftsmärkte können nicht alle Gewinne in die Firmen reinvestiert werden. Überschüsse entstehen, Geld wird verliehen, es kommt zu Blasen. Zur ›Marktbereinigung‹, in der überschüssiges Geld vernichtet wird, gibt es drei Möglichkeiten: Krieg – die Vernichtung von Werten durch Gewalt, platzende Blasen – das erleben wir aktuell, oder Schenkungen.

Schenkungen ›vernichten‹ das erwirtschaftete Kapital. Diesen Gedanken hat Rudolf Steiner 1922, kurz nach dem ersten Weltkrieg, inmitten einer Währungskrise, in seinen Vorträgen zur Volkswirtschaft weitsichtig entwickelt. ›Vernichtung‹ bedeutet in diesem Fall, die Gewinne werden in die Gesellschaft reinvestiert. Und zwar dort, wo Geld sofort zur Verbesserung der Lebensgrundlage eingesetzt wird, zur Förderung von Kunst und Kultur, Erziehung, Bildung, Forschung, Gesundheit oder Sozialem. Das nützt auch der Wirtschaft. Denn nicht nur die Kaufkraft steigt, das Niveau der Gesellschaft verbessert sich, soziale Probleme werden verringert und es werden die kreativen Fähigkeiten der Menschen gefördert, aus denen vielleicht eines Tages neue Erfindungen und Produkte und damit letztendlich neue Gewinne entstehen.

Durch Schenkungen kann etwas in die Welt kommen, das es noch nicht gibt, das wir nicht einmal erwarten. Und indem wir Gewinne ohne Erwartungen oder Bedingungen an Menschen schenken, die über den Einsatz des Geldes verfügen dürfen, ermöglichen wir ihnen, sich ebenso selbst zu bestimmen, wie es den Mitarbeitern der Neuguss möglich ist.

Benjamin Kolass

projekt.zeitung | neuguss bestellen: www.projektzeitung.org