Soziale Dreigliederung und direkte Demokratie

01.10.2015

Das Berechtigte am Anliegen vieler Direktdemokraten ist, dass sie nicht nur über Geistesleben sprechen wollen. Eine solche Haltung empfinden sie als sektiererisch. Sie haben ein Gespür dafür, dass man von den Geistern, die nur von Geistesleben sprechen wollen, nicht das lernen kann, was man heute wirklich braucht. Und da ist etwas dran. Nur dass man das, was man heute wirklich braucht, auch nicht von den Direktdemokraten lernen kann.

Der blindeste Fleck

Ich habe lange geglaubt, dass das Pochen auf die direkte Demokratie erst zum Problem wird, wenn es blind macht für all dasjenige, was nicht durch Gesetze geregelt werden kann. Wenn es also blind macht nicht nur für das Geistesleben, sondern auch für das Wirtschaftsleben. Ich habe daher versucht, die Direktdemokraten auf diese beiden blinden Flecken aufmerksam zu machen. Die Antwort war natürlich, ich hätte von der Weiterentwicklung der sozialen Dreigliederung zur direkten Demokratie nichts verstanden. Und da war etwas dran.

Eins hatte ich nämlich übersehen. Getäuscht hatten sich nicht nur die Direktdemokraten. Ich hatte mich auch durch sie täuschen lassen. Sie hatten das Rechtsleben für sich reklamiert und ich hatte ihnen wenigstens darin Recht gegeben. Erst später ist mir klar geworden, dass sie gerade von Rechtsleben am wenigsten verstehen. Der Kernpunkt des Rechtslebens ist nicht die direkte Demokratie. Was heute vor allen Dingen ins Rechtsleben gehört, ist die Arbeit des Menschen. Die Direktdemokraten vernachlässigen nicht nur die Frage, was nicht zum Rechtsleben gehört, sondern auch und gerade die Frage, was heute unbedingt ins Rechtsleben gehört. Der blindeste Fleck der Direktdemokraten ist das Rechtsleben.

Der Kernpunkt des Rechtslebens

Die Verkäuflichkeit der Arbeit kann nur dann überwunden werden, wenn erst über Zeit, Art und Maß der Arbeit demokratisch entschieden wird und dann – auf der Grundlage dieser demokratischen Entscheidung – die Einkommen über Teilungsverträge ausgehandelt werden. Statt sich etwas von Wirtschaftsgesetzen zu versprechen, wäre es Zeit, sich für Arbeitsgesetze einzusetzen. Dadurch wird nicht nur das Wirtschaftsleben in seine Schranken gesetzt. Noch wichtiger ist, dass sich das Rechtsleben erst dadurch richtig auf das Wirtschaftsleben auswirkt.

Zu den Kernpunkten der sozialen Frage gehört nämlich nicht nur die Differenzierung zwischen Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben. Von einer sozialen Dreigliederung im eigentlichen Sinne kann man vielmehr erst sprechen, wenn Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben richtig zusammenwirken. Differenzierung und Zusammenwirken sind also die Kernpunkte der sozialen Frage.

Die Direktdemokraten sehen dagegen im Rechtsleben selber einen Kernpunkt der sozialen Frage. Sie gehen dann von der Frage aus, was das Rechtsleben vom Geistesleben und Wirtschafsleben unterscheidet und bleiben bei dieser Frage auch stecken. In der Gleichheit sehen sie das Besondere des Rechtslebens. Sie suchen dann nach der konsequentesten Gleichheit und glauben sie in der direkten Demokratie zu finden. Deswegen halten sie auch die direkte Demokratie für den Kernpunkt des Rechtslebens.

Anders als die Direktdemokraten hat Rudolf Steiner schon mitbekommen, dass sich im Laufe der letzten Jahrhunderte immer mehr Länder industrialisiert haben. Die Arbeit an der Maschine ist so undankbar, dass seitdem aus der Frage, wie die Arbeit gerecht verteilt werden kann, der Kernpunkt des Rechtslebens geworden ist.

Dazu kann man aber erst kommen, wenn man den Blick nicht nur auf das Rechtsleben richtet, sondern auch auf unser heutiges Wirtschaftsleben. Rudolf Steiner ist nämlich beim Rechtsleben von der Frage ausgegangen, was sich daran ändern muss, damit es sich richtig auf unser geändertes Wirtschaftsleben auswirkt. Sonst wird dieses Wirtschaftsleben - direkte Demokratie hin oder her - unser veraltetes Rechtsleben immer mehr in den Schatten stellen.

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