Soziale Dreigliederung und Salutogenese

05.02.2022

Quelle
Zeitschrift „Kernpunkte“
Jahrgang 5, Heft 2, Februar 2022, S. 13
Bibliographische Notiz

Die heutige Gesellschaft zeigt an vielen Stellen ernste und akute Krankheitssymptome. Eine mögliche Reaktion wäre, sich die guten alten Zeiten von vor der P(l)andemie zurückzuwünschen. Die Zeit, wo die Schweizer Verfassung intakt war und man ungestört sein gewohntes Leben leben konnte. Eine gute Ärztin oder ein guter Arzt muss jedoch weiterfragen: Weshalb war das Immunsystem schon vor der Krankheit soweit geschwächt, dass der Ausbruch stattfinden konnte?

Einen solchen salutogenetischen Ansatz für das moderne soziale Zusammenleben entwickelte Rudolf Steiner – bekannt durch die Steiner Schulen, die anthroposophische Medizin (Weleda) und die biologisch-dynamische Landwirtschaft (Demeter) – nach dem ersten Weltkrieg mit der Idee der «Sozialen Dreigliederung».

Diese Idee ist kompliziert und einfach zugleich. Kompliziert, weil sie unserer gegenwärtigen, schon in der Schule veranlagten Denkgewohnheit, die Welt entweder von «Links» oder von «Rechts» zu betrachten, zuwiderläuft. Anderseits ist sie in ihren Grundzügen von einer schlichten Menschlichkeit geprägt, die intuitiv das Herz anspricht.

Die drei Bereiche sind:

1. Die Produktion und die Konsumtion von Waren und Dienstleistungen. Diese zu koordinieren ist im Sinne der sozialen Dreigliederung Aufgabe des Wirtschaftslebens. Dazu haben sich alle beteiligten Akteure zu vernetzen, um ein gemeinsames Bewusstsein der wirtschaftlichen Aufgabenfelder entstehen zu lassen. Dadurch erst können diese kooperativ und mittels vertraglicher Vereinbarungen gemeinsam bewältigt werden.

2. Ein ganz anderes Gebiet umfasst die Ausbildung und die konkrete Anwendung von individuellen Fähigkeiten, wie z.B. in der Erziehung, der Kunst, der Medizin oder in der Wissenschaft. Die Menschen sind in ihren Fähigkeiten ganz unterschiedlich. Als Beispiel: Jedes Kind ist einzigartig und nur durch ein behutsames Eingehen auf diese Einzigartigkeit wird die Lehrperson diesem Kind in seiner Entwicklung helfen können. Damit diese Fähigkeiten vollumfänglich zu Geltung kommen können, muss dieses Gebiet, das sogenannte Geistesleben, frei sein.

3. Das dritte Gebiet ist das Rechtsleben. In diesem werden demokratisch die abstrakten Regeln (Gesetze) festgelegt, die uns vor Machtmissbrauch oder Gefährdung durch andere Menschen schützen sollen. Dies kann z.B. das Verbot von Kinderarbeit oder das Verbot von Diebstahl betreffen.

Aus Sicht der sozialen Dreigliederung wird das gesellschaftliche Immunsystem geschwächt, wenn diese drei Bereiche, anstatt sich gegenseitig zu befruchten, in die anderen Gebiete übergreifen und sie dadurch korrumpieren. Ein solcher Übergriff, welcher lange vor der P(l)andemie das gesellschaftliche Immunsystem empfindlich geschwächt hat, war z.B. der staatlich vorgegebene Lehrplan. Das Geistesleben wurde damit durch das Rechtsleben in ein Korsett gezwängt und es wurden anstatt Individualitäten – überspitzt gesagt – Soldaten erzogen, die instinktiv dem Staat gehorchen.

Der salutogenetische Ansatz empfiehlt daher dem Patienten: Befreit die Bildung, die Wissenschaft, die Medizin, die Kunst – das Geistesleben – aus der Vormundschaft von Staat (und Wirtschaft), damit es sich aus eigenen Kräften entwickeln dann. Dadurch erst werden die sozialen Ideale dem Staat und dem Wirtschaftsleben zugeführt werden, wodurch ein echtes Menschenrecht und ein für die tatsächlichen Bedürfnisse produzierendes Wirtschaftsleben geschaffen werden kann.