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Das „bedingungslose Grundeinkommen“ an den Quellen geprüft
Diese beiden Texte entstammen einer Serie von Beiträgen, die ich 2013 zunächst in facebook veröffentlichte, ausgehend von einer Auseinandersetzung mit dem bekannten Protagonisten eines „bedingungslosen Grundeinkommens“, Arfst Wagner, ehemals MdB der GRÜNEN und Waldorflehrer in Rendsburg. Hier handelt es sich um die Texte Nr. 8 und 10, in denen ich jeweils eng an den Quellen der Frage nachgehe, ob sich die anthroposophischen BGEler mit Recht auf Rudolf Steiner berufen können.
I. Ist ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ aus Steiners sozialem Hauptgesetz ableitbar?
Steiners Soziale Dreigliederung und seine Forderung nach einer Trennung von Arbeit und Einkommen gilt den Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens als Beleg, dass ein solches Grundeinkommen auch in seinem Sinne wäre bzw. auch aus dem Geist der seit 1917 entwickelten Dreigliederung folgen würde.
Nachdem ich in Steiners Schriften „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ von 1919 und im Nationalökonomischen Kurs von 1922 bei genauer Lektüre die Forderung nach einem solchen Grundeinkommen nicht finden konnte, wies mich ein bekannter Verfechter eines bGE auf Schriften Steiners von 1905/06 hin, in denen dieser sein „soziales Hauptgesetz“ entwickelte, dort sei die Ableitung eines Grundeinkommens zu finden. [1]
Es war dann sehr überraschend für mich, dass grade in diesen Texten – „Geisteswissenschaft und soziale Frage“ von 1905/06 in GA 34 – Steiner vor so etwas wie einem Grundeinkommen geradezu warnt. Steiner berichtet von Robert Owen (1771-1858), der in Indiana 1824 eine Art Musterstaat mit einer vollständigen materiellen Absicherung aller Mitglieder verwirklichte, die dann im weiteren Verlauf am durchbrechenden Egoismus der Teilnehmer vollkommen scheiterte. Das im weiteren Fortgang seines Textes entwickelte soziale Hauptgesetz und die sich daran anschließenden Worte haben nun Menschen wie Götz Werner und viele andere veranlasst, ein Grundeinkommen zu vertreten, und in der Tat: Aus dem Kontext genommen könnte man diesen Abschnitt so verstehen. Sein Wortlaut ist:
„Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist um so größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden.“
Weiter sagt Steiner:
Hier meinen nun die Befürworter eines staatlich organisierten Grundeinkommens, dass ihr Konzept ableitbar sei: Wenn man Arbeit für die Mitmenschen und Erzielung eines Einkommens voneinander trennen will, was liegt da näher, so wird argumentiert, als die Gewährung von Einkommen, wenigstens von „Grundeinkommen“, durch die staatlichen Einrichtungen sicherzustellen. „Der Staat sind wir alle“ tönt es einem entgegen, anknüpfend an die europäische Sozialstaatstradition hält man es gar nicht weiter für hinterfragensbedürftig, ob es nicht einen grundlegenden Unterschied macht, welches gesellschaftliche Glied eine solche Trennung von Arbeit und Einkommen bewirkt bzw. ob denn wirklich das Einkommen dann staatliche Sache sei.
Würden die bGE-Aktivisten nur ein wenig weiterlesen im Text von 1906, könnten sie bemerken, dass Steiner hier sogar ausdrücklich vor so etwas wie einem Grundeinkommen für große Menschenmassen warnt: Zu seinem soeben aufgestellten Gesetz sei „aber eine Voraussetzung notwendig. Wenn ein Mensch für einen anderen arbeitet, dann muß er in diesem anderen den Grund zu seiner Arbeit finden; und wenn jemand für die Gesamtheit arbeiten soll, dann muß er den Wert, die Wesenheit und Bedeutung dieser Gesamtheit empfinden und fühlen. Das kann er nur dann, wenn die Gesamtheit noch etwas ganz anderes ist als eine mehr oder weniger unbestimmte Summe von einzelnen Menschen. Sie muß von einem wirklichen Geiste erfüllt sein, an dem ein jeder Anteil nimmt. Sie muß so sein, daß ein jeder sich sagt: Sie ist richtig, und ich will, daß sie so ist. Die Gesamtheit muß eine geistige Mission haben; und jeder einzelne muß beitragen wollen, daß diese Mission erfüllt werde.[Hervorhebungen E.B.]“
Weiter heißt es in wünschenswerter Klarheit:
Am Beispiel Robert Owens, dessen Versuch einer sozialen Modellgemeinschaft in Indiana 1827 gescheitert war, zeigt Steiner dann auf, was die Folgen eines Grundeinkommens oder ähnlicher Segnungen für eine Gruppe von Menschen ohne eine gemeinsame geistige Ausrichtung sein werden: „Der Glaube, den Owen gehabt hat an die Güte der Menschennatur, ist nur teilweise richtig, zum anderen Teile ist er aber eine der ärgsten Illusionen. Er ist insofern richtig, als in jedem Menschen ein « höheres Selbst » schlummert, das erweckt werden kann. Aber es kann aus seinem Schlummer nur erlöst werden durch eine Weltauffassung, welche die oben genannten Eigenschaften hat. Bringt man Menschen in Einrichtungen, wie sie von Owen erdacht waren, dann wird die Gemeinschaft im schönsten Sinne gedeihen. Führt man aber Menschen zusammen, die eine solche Weltauffassung nicht haben, dann wird das Gute der Einrichtungen sich ganz notwendig nach einer kürzeren oder längeren Zeit zum Schlechten verkehren müssen. Bei Menschen ohne eine auf den Geist sich richtende Weltauffassung müssen nämlich notwendig gerade diejenigen Einrichtungen, welche den materiellen Wohlstand befördern, auch eine Steigerung des Egoismus bewirken, und damit nach und nach Not, Elend und Armut erzeugen. – Es ist eben in des Wortes ureigenster Bedeutung richtig: nur dem einzelnen kann man helfen, wenn man ihm bloß Brot verschafft; einer Gesamtheit kann man nur dadurch Brot verschaffen, daß man ihr zu einer Weltauffassung verhilft. Es würde nämlich auch das gar nichts nützen, wenn man von einer Gesamtheit jedem einzelnen Brot verschaffen wollte. Nach einiger Zeit müßte sich dann doch die Sache so gestalten, daß viele wieder kein Brot haben.[Hervorhebung E.B.]“
An sich lassen diese Aussagen an Klarheit nichts vermissen. Um wieviel mehr muss die Steinersche Warnung für ein Land wie die Bundesrepublik mit 80 Mio. vollkommen unterschiedlichen und offensichtlich zum großen Teil nicht auf ein spirituelles Leben ausgerichteten Menschen gelten (zu meinen, das gemeinsame „Deutschsein“ wäre eine ausreichende geistige Verbindung im Sinne Steiners, wäre ein verhängnisvoller Rückgriff auf das nationale Prinzip; dieses kann zur Gemeinschaftsbildung heute nicht mehr maßgebend sein, „wenn die Götter den Tempel verlassen …“)? – Warnend sagt er weiter: „Die Erkenntnis dieser Grundsätze nimmt allerdings gewissen Leuten, die sich zu Volksbeglückern aufwerfen möchten, manche Illusion. Denn sie macht das Arbeiten am sozialen Wohle zu einer recht schwierigen Sache. Und noch dazu zu einer solchen, in der sich die Erfolge unter gewissen Verhältnissen nur aus ganz kleinen Teilerfolgen zusammensetzen lassen.“
Im weiteren wird dann ganz klar, dass nur aus Einzelwirkungen, aus dem Wirken kleiner Gemeinschaften eine bessere Gesellschaft langsam sich bilden kann: „Wo immer dieses [Soziale Haupt]Gesetz in die Erscheinung tritt, wo immer jemand in seinem Sinne wirkt, soweit es ihm möglich ist auf dem Platze, auf den er in der Menschengemeinschaft gestellt ist: Da wird Gutes erzielt, und wenn es im einzelnen Falle auch in einem noch so geringen Maße der Fall ist. Und nur aus Einzelwirkungen, welche auf solche Art zustande kommen, setzt sich ein heilsamer sozialer Gesamtfortschritt zusammen“.
Befeuert von einer geistigen Weltsicht wird ein jeder sich in eine konkrete Gemeinschaft finden: „Es wird ihm das Gefühl davon aufgehen, daß er einen höheren Sinn erfüllt, wenn er im Sinne seines Platzes in der Welt und im Sinne seiner Fähigkeiten arbeitet. Kein schattenhafter Idealismus wird aus dieser Einsicht folgen, sondern ein mächtiger Impuls aller seiner Kräfte, und er wird dieses Handeln in solcher Richtung als etwas so Selbstverständliches ansehen, wie in einer anderen Beziehung Essen und Trinken. Und ferner wird er den Sinn erkennen, welcher mit der Menschengemeinschaft verbunden ist, welcher er angehört.“
Man kann spüren: Hier leuchtet schon keimhaft auf, was Steiner später dann die „Assoziationen“ nennt, die das Wirtschaftsleben gestalten sollen: Konkrete Verbindungen von Menschen, aus denen dann auch die Einkommen fließen sollen.
Fragt man sich, wie denn dann „für das Ganze“ etwas erreicht werden kann, sagt Steiner gleich im Anschluss: „Er wird die Verhältnisse begreifen, in denen seine Menschengemeinschaft sich zu anderen stellt; und so werden sich die Einzelgeister dieser Gemeinschaften zusammenfügen zu einem geistigzielvollen Bilde von der einheitlichen Mission des ganzen Menschengeschlechtes. ... In heutiger Zeit ist freilich bei den meisten Menschen wenig Neigung vorhanden, sich auf so etwas einzulassen. Aber es kann nicht ausbleiben, daß die richtige geisteswissenschaftliche Vorstellungsart immer weitere Kreise zieht. Und in dem Maße, als sie das tut, werden die Menschen das Richtige treffen, um den sozialen Fortschritt zu bewirken.“
Hier sieht man nun das grade Gegenteil von dem Konzept eines steuerfinanzierten Grundeinkommens. Greift dieses auf den rechtlichen Steuerstaat zurück und belässt die Wirtschaft in einem unverwandelten egoistischen Dazuverdienen, weist uns R. Steiner schon in seinem grundlegenden Aufsatz zum Thema auf die Richtung hin, die es anzustreben gilt: Ein jeder finde seine Gemeinschaft von Menschen, zu der er gehört, wirke mit seinen Brüdern und Schwestern zusammen im Sinne einer Überwindung des Egoismus. Mögliche Erweiterungen können dann nur entstehen, indem sich solche brüderlichen Gemeinschaften mit anderen verbinden.
Hier können wir nun auch zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage kommen: Wie kann man eine Trennung von Arbeit und Einkommen erreichen. Die Antwort liegt nun klar zutage: In eben solchen konkreten brüderlichen Gemeinschaften von Menschen. Wie genau und in welchen Prozessen und Formen, das kann nicht Gegenstand einer Reflexion an dieser Stelle sein, sondern muss sich ergeben wenn Menschen sich finden und mit diesen Prozessen beginnen. Und ohne Zweifel wird es verschiedene Wege und Lösungen geben, je nach den Menschen die darin leben.
II. Wie kann eine „Trennung von Arbeit und Einkommen“ im Sinne Steiners zu verstehen sein?
Im Nachsinnen über die Ansichten der Grundeinkommens-Anhänger, deren Argumente mir von Anfang an tiefen Eindruck machen und die ich in keiner Weise leichtfertig übergehen will, wird mir klar, woher dieser Elan, diese etwas kühne Sicherheit kommt, mit der sie aus den Steinerschen Aussagen zu Einkommensfragen eine staatliche Regulierung eines „Grundeinkommens“ meinen ableiten zu können: Es ist die Annahme, Steiner meine eine Trennung von Arbeit und Einkommen als absolut, ohne jede Verbindung. Man muss zugeben: Wenn Steiner das so gemeint haben sollte – eine Trennung von Arbeit und Einkommen in einem ganz radikalen, ganz strengen Sinne – dann bliebe nur so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen als Umsetzung einer solchen radikalen Forderung.
Die unmittelbarste Verbindung von Arbeit und Einkommen haben wir beim Stundenlohn, erweitert kann man auch sagen beim Tagelohn oder Wochenlohn vorliegen. Hier wird exakt die gearbeitete Stunde bezahlt, kein Pfennig mehr oder weniger. Man muss hier bedenken, dass zu Steiners Zeiten diese Form der Arbeit noch weitaus üblich war, auch eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall steckte erst in den Anfängen. Vom Grundsatz her galt für die weit überwiegende Mehrheit der Menschen und besonders der Arbeiter damals: Stunde = Geld, mit all den Härten und Nöten, die damit verbunden waren.
Anders war es bei den damals noch wenigen Angestellten. Diese bekamen monatlich ein festes Gehalt, damit verbunden war eine Dienstpflicht, die bei Bedarf auch unbezahlte Überstunden usw. umfassen konnte. Noch weiter entkoppelt waren Arbeit und Geld dann schon bei den Beamten, deren Einkommen in weitestem Sinne gesichert war, solange sie sich nicht gravierender Verstöße schuldig machten und ihrem Dienst nachkamen.
Wenn man nun als so ein richtig prinzipienmäßiger Idealist an diese Dinge herangeht, kann man auch beim Beamten eine noch nicht 100%ige Trennung von Arbeit und Einkommen aufspießen: Auch der Beamte bekommt sein Geld nicht einfach so, es gibt verschiedene Bedingungen, also sagen dann diese Leute: Das ist keine radikale Trennung von Arbeit und Einkommen. Eine solche haben wir erst mit dem „bedingungslosen Grundeinkommen“ – nur dieses Einkommen gibt es einfach so, ohne jede Bedingung, und nur dann sei Steiners Forderung wirklich erfüllt.
Man kann nicht anders als einzuräumen: Unter der Voraussetzung einer radikalen Trennung in einem ganz strengen Sinne haben diese Leute in einem gewissen Sinne recht. [2] Was aber finden wir denn nun bei Steiner, um Anhaltspunkte zu gewinnen, wie er die Trennung von Arbeit und Einkommen gemeint haben kann? Wenn man eine solche grundlegende Frage beantworten möchte, wäre es an sich unabdingbar, wirklich eingehend, am besten chronologisch, Steiners Ausführungen zu sozialen Fragen aufzunehmen, was eine langwierige Forschung bedeuten muss. An sich stecke ich sozusagen noch inmitten solcher Lesearbeit, – die eben unbedingt darauf verzichten muss, eigene Gedanken in Steiners Ausführungen hineinzuschummeln [3] – und zögere daher, hier weiter zu schreiben. Wenn ich also hier nun ein wenig versuche, ist das nur als unvollkommener Anfang zu verstehen ohne Anspruch auf eine ausreichende Prüfung.
In dem im vorigen Beitrag interpretierten Aufsatz Steiners von 1906, „Geisteswissenschaft und soziale Frage“ entwickelt Steiner das Soziale Hauptgesetz und weist uns auf Gemeinschaften hin, die sich bilden werden und zu einem Arbeiten für den andern, den Mitmenschen, kommen werden. Die konkrete Gestaltung des Einkommens bleibt hier noch ganz im Vagen. Eine etwas genauere Sicht auf den Wortlaut des Sozialen Hauptgesetzes zeigt allerdings, dass es Steiner schon hier nicht um radikale Absolutheiten gegangen sein kann: „Das Heil einer Gemeinschaft von zusammenarbeitenden Menschen ist umso größer, je weniger der einzelne …“ die Erträgnisse seiner Arbeit für sich einheimst, sondern von den andern das was er bedarf erhalten wird. Hier kann man für Steiner eine typische Richtung erkennen: Nicht eine absolute Forderung wird aufgestellt, die mechanisch-radikal und sofort umzusetzen ist, sondern ein lebendiger Prozess wird angeregt, eine Richtung aufgezeigt, die es anzustreben gilt.
Damit erweist sich schon hier die „Trennung von Arbeit und Einkommen“ als ein anzustrebendes Ideal – und wer die Philosophie der Freiheit verstanden hat, weiß, dass man genauso wie unter die Knechtschaft der Triebe und Leidenschaften auch unter die Knechtschaft der Idee geraten kann (nach Schiller unter die Knechtschaft des einseitigen Formtriebes), Idealisten können grade im Sozialen zu Tyrannen und Dogmatikern werden (der Idealismus ist urberechtigt im Geistesleben, im Politischen und Wirtschaftlichen muss er sich zurücknehmen, hier gelten Pragmatismus resp. Opportunismus als leitende Tugenden).
Dass auch Steiner seine Forderung nicht als radikales, „bedingungsloses“ Dogma verstanden hat, zeigt sich schon wenige Jahre später in einem Vortrag mit demselben Titel wie die Aufsätze von 1905/06, den er in Hamburg am 2. März 1908 gehalten hat. In diesem lesenswerten Vortrag wendet sich Steiner zunächst gegen die landläufige Ansicht, eine soziale Frage habe es immer schon gegeben und macht klar, dass deren drängende heutige Bedeutung im Grunde erst durch die Industrialisierung und die moderne Lohnarbeit gekommen sei. Durch die bedrückenden Verhältnisse dieser Massen sei dann die Ansicht entstanden, man müsse nur diese Verhältnisse ändern, so dass ein jeder seine auskömmliche Existenz habe, dann „würde auch der moralische Zustand über die Erde schon von selber kommen“. [4] Um diese aus einem einseitig diesseitigen Denken stammende Ansicht zu hinterfragen, wendet sich Steiner auch in diesem Vortrag dem Sozialreformer Robert Owen zu, der mit seiner Kolonie in Indiana 1827 eine bittere Enttäuschung erlebte und am Ende selber einräumen musste: „Was hilft alle Verbesserung der Zustände, wenn nicht vorher die allgemeine Sitte, das allgemeine Wissen gehoben wird?“. Trotz dieser Einsicht eines echten Praktikers würden, so Steiner weiter, immer noch dieselben Theorien vorgebracht; immer noch sei es eine Grundüberzeugung, man müsse nur die äußeren Verhältnisse ändern und bei drohenden Schäden einfach Gesetze ändern; anstatt bei den einzelnen Menschen zu beginnen.
Wenn man das tue, komme man auf den Egoismus als eigentliche Ursache von Not, Elend und Leid; und hier kommt Steiner nun wiederum auf die grundlegende Bedeutung der Einkommensfrage: „Man sagt: Es ist ganz natürlich, daß der Mensch für seine Arbeit entlohnt wird, daß der Mensch den Ertrag seiner Arbeit persönlich erhält – und doch ist das nichts anderes als die Umsetzung des Egoismus in das nationalökonomische Leben. Wir leben unter Egoismus sobald wir dem Prinzip leben: Wir müßten persönlich entlohnt werden, was ich arbeite, muß mir bezahlt werden.“ In einem humorvollen Beispiel (sinnloses Steinewerfen auf einer Insel) macht Steiner dann klar, wie nutzlos für die Unterhaltung des Lebens manche Arbeit sein kann. Auch kann es sehr unsozial sein, Arbeit zu verursachen; wenn man z.B. viele sinnlose Ansichtskarten schreibt, setzt man vielleicht den Briefträger in Arbeit, im Grunde aber schaffe man damit nichts für das Leben wertvolles.
So kommt Steiner zu einer ähnlichen Formulierung wie schon 1906: „In einem [5] sozialen Zusammenleben muß der Antrieb zur Arbeit niemals in der eigenen Persönlichkeit des Menschen liegen, sondern einzig und allein in der Hingabe für das Ganze.“ Weiter heißt es, daß „sozialer Fortschritt nur möglich ist, wenn ich dasjenige, was ich erarbeite, im Dienste der Gesamtheit tue, und wenn die Gesamtheit mir selbst dasjenige gibt, was ich nötig habe, wenn, mit andern Worten, das, was ich erarbeite, nicht für mich selber dient.“
Könnte man letzteren Satz auch so auffassen, als meine Steiner im Grunde nur eine möglichst weitgehende Arbeitsteilung, wird im folgenden (wie auch anderen Stellen) schon klar, dass er sich auch konkret auf das geldliche Einkommen bezieht: „Von der Anerkennung dieses Satzes, daß einer das Erträgnis seiner Arbeit nicht in Form einer persönlichen Entlohnung haben will, hängt allein der soziale Fortschritt ab. Zu ganz anderen Zielen führt jemand eine Unternehmung, der da weiß, daß er nichts für sich haben soll von dem, was er erarbeitet, sondern daß er der sozialen Gemeinschaft Arbeit schuldet, und daß, umgekehrt, er nichts für sich beanspruchen soll, sondern seine Existenz einzig auf das beschränkt, was ihm die soziale Gemeinschaft schenkt.“
Im folgenden wendet sich Steiner der naheliegenden Frage zu, wie denn eine solche Trennung von Arbeit und Einkommen zu erreichen sein kann und bringt ein für unsere Fragestellung wegweisendes Beispiel : „Nun könnte leicht jemand sagen: Wenn Du forderst, daß des Menschen Existenz unabhängig sein soll von seiner Leistung, dann ist das Ideal am schönsten erfüllt beim Beamten. Der heutige Beamte ist unabhängig. Das Maß seiner Existenz ist nicht abhängig von dem Produkte, das er hervorbringt, sondern von dem, was man für seine Existenz für notwendig hält.“
Halten wir an dieser Stelle kurz inne. Auch Steiner sagt hier also (der folgende Text wiederspricht dem nicht, sondern bestätigt das mit einem knappen „Gewiss“), dass beim Beamten eine Trennung von Arbeit und Einkommen gegeben sei. Das ist für unsere Ausgangsfrage von grundlegender Bedeutung, denn im Sinne der Grundeinkommensanhänger wäre das nicht so: Ein „bedingungsloses“ Einkommen haben nicht einmal unsere Beamten, die Dienstpflicht ist die Bedingung für ihr Einkommen, – dennoch lässt Steiner die Beamten als Beispiel für eine Trennung voll gelten, denn ihr Einkommen ist unabhängig von ihren „Erzeugnissen“ bzw. Produkten. Damit aber ist schon einmal der ganzen ideologischen absoluten „Bedingungslosigkeit“ der Grundeinkommensbewegung der Boden entzogen, auf Steiner berufen können sich diese, wenn sie nur irgend redlich sind, in diesem Punkt offensichtlich nicht.
Gleich im Anschluss bestätigt Steiner also, dass beim Beamten eine Trennung von Arbeit und Einkommen gegeben ist, sieht aber einen für unsere Fragestellung ganz grundlegenden Fehler bei einer solchen „Beamtenlösung“: „- Gewiß, nur hat ein solcher Einwand wirklich einen sehr großen Fehler. Es kommt darauf an, daß jeder einzelne in voller Freiheit imstande ist, dieses Prinzip zu respektieren und in das Leben umzusetzen. Nicht kommt es darauf an, daß dieses Prinzip durch allgemeine Gewalt durchgeführt wird. Es muß sich dieses Prinzip, das persönlich Erworbene und zu Erwerbende unabhängig zu machen von dem, das man für die Gesamtheit arbeitet, bis ins einzelne Menschenleben durchsetzen. Und wie setzt man es durch? Es gibt nur eines, wie es sich durchsetzen kann, eines, was dem sogenannten Praktiker recht unpraktisch erscheinen wird: Es muß Gründe geben, warum der Mensch doch arbeitet, und zwar recht fleißig arbeitet und hingebungsvoll, wenn nicht mehr der Eigennutz der Antrieb zu seiner Arbeit ist [Hervorhebungen E.B.].“
Solche Antriebe zur Arbeit sieht Steiner in der Liebe, in der Liebe zur ganzen Menschheit, der er gern und willig seine Arbeit gebe. Eine solche Gesinnung aber könne nur über den einzelnen Menschen, nicht durch äußere Einrichtungen, erreicht werden: „Wenn aber Menschen zusammenleben, leben nicht bloß tote Körper, sondern auch Seelen, Geister zusammen. Daher kann nur die Geisteswissenschaft die Grundlage für irgendeine soziale Weltanschauung sein. Und so sehen wir, daß in der Tat dasjenige, was die Vertiefung des Geistes uns bietet, für jeden von uns das bringen kann, was uns befähigt, von unserem geringen Posten aus innerhalb unserer Sphäre mitzuwirken an dem großen sozialen Fortschritt. Denn dieser Fortschritt wird nicht durch eine abstrakte Maßregel erreicht werden, sondern ist eine Summe dessen, das die einzelne Seele macht.“
Hier macht Steiner also zum Ende seines Vortrages ganz im Geiste seiner Ausführungen von 1906 klar, dass große Lösungen über Gesetze oder radikale Änderungen der Verhältnisse nicht der Weg sein können, sondern dass nur aus den einzelnen Menschen der Fortschritt kommen kann. Wichtiger aber noch ist das im vorletzten Absatz von Steiner gesagte: In der für ihn als geschultem Denker oft so typischen Knappheit fertigt er die These einer beamtenähnlichen, gesetzlichen Lösung in einem Satz ab: Zwar sei hier schon eine echte Trennung von Arbeit und Einkommen gegeben, das gibt Steiner mit dem knappen „Gewiss“ zu – aber das könne keinesfalls eine Lösung sein, denn so eine Trennung dürfe nicht „durch allgemeine Gewalt“ durchgeführt werden. Damit kann nur die Finanzierung der Beamten aus Steuermitteln gemeint sein, zusammen mit dem rechtlich-gesetzlichen Charakter der beamtenartigen Umsetzung einer Trennung von Arbeit und Einkommen.
Genau so etwas will aber das „bedingungslose Grundeinkommen“ – es ist eine Umsetzung der Trennung von Arbeit und Einkommen „mit allgemeiner Gewalt“ – denn die immensen dafür notwendigen Steuereinnahmen lassen sich trotz noch so schöner Berechnungen und weitgehender Umstellung auf Umsatzsteuer am Ende nur mittels üblicher Methoden – d.h. Zwangsmaßnahmen, Bußgelder, Steuerfahndung, Knast – eintreiben.
Steiner setzt dagegen: Jeder Einzelne müsse diese Trennung von Arbeit und Einkommen für sich einsehen und im Leben umsetzen können. Flüchtige Leser könnten hier meinen: „Ja, jeder Einzelne muss einfach nur einsehen, dass ein Grundeinkommen richtig ist, dann wird es gehen“; das ist aber nicht das was Steiner meint, denn dann würde er sagen: Die Zwangsmaßnahmen sind an sich richtig (Einkommen mittels Gesetz und Steuern), wir müssen sie den Menschen nur langsam erklären. Das aber sagt er grade nicht, sondern er wendet sich gegen jedweden Zwang in diesen Dingen und will alles auf das freie Individuum bauen, das sich in seine Gemeinschaft findet und dort aus brüderlichem Geben und Nehmen bauen kann.
Beim nochmaligen Lesen der bislang zitierten Texte von Steiner wird mir immer klarer, was im Grunde sein Impuls ist, wenn er von einer Trennung von Arbeit und Einkommen spricht: Das aus der Arbeit hervorgehende LeistungsERTRÄGNIS nicht für sich selber zu beanspruchen, denn das eben ist die Einführung des Egoismus in das soziale Leben („Von der Anerkennung dieses Satzes, daß einer das Erträgnis seiner Arbeit nicht in Form einer persönlichen Entlohnung haben will, hängt allein der soziale Fortschritt ab“, auch das Soziale Hauptgesetz von 1906 hat das zum Hauptinhalt, siehe Teil I dieses Aufsatzes).
Dieses aus der Arbeit herrührende Leistungserträgnis ist durchaus wirtschaftlicher Natur, wir haben hier also zunächst eine rein INNERWIRTSCHAFTLICHE Thematik: Heimse ich mein Leistungserträgnis für mich egoistisch selber ein, oder bin ich bereit, aus Einsicht, es der Gemeinschaft, in der ich stehe (das kann auch eine Betriebsgemeinschaft sein) zufließen zu lassen, um aus der Gemeinschaft dann das Einkommen zu erhalten, das ich brauche. Im Grunde ist ein solches Sozialisieren der aus der Arbeit gewonnenen Leistungserträgnisse heute schon in vielen Betrieben mehr oder weniger üblich: Gehälter werden meist nicht konkret an den Erträgnissen bemessen, sondern an verschiedenen anderen Faktoren, auch am Bedarf.
Im Grunde scheint es Steiner vor allem darum zu gehen, dass man eben seine Leistungserträgnisse sozialisiert und seinen Unterhalt aus der Gemeinschaft bekommt, in der man steht und wirkt und lebt. Das ist wie gesagt heute schon zumindest in Teilen vielfache Realität. Darüber hinaus ist aber auch das Verhältnis dieser innerwirtschaftlichen Sozialisation zum rechtlichen Gliede bedeutsam. Hier sind nun Steiners Ausführungen sehr eindeutig und zahlreich: Alles was mit Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen usw. zu tun hat, muss vom rechtlichen Staate geregelt werden. Auch in diesem Feld haben sich seit Steiners Zeit jedenfalls in Europa die Verhältnisse schon sehr zum Besseren entwickelt: 40-Stunden-Woche, Arbeitsschutz, Mutterschutz, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall uvm.
Eine abstrakte und radikale Abschneidung der Arbeitssphäre von der wirtschaftlichen Sphäre, wie sie dem Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens zugrunde liegt, kann allerdings nicht im Sinne einer Dreigliederung liegen. Wie in vielen anderen Feldern auch, bedingen und begrenzen sich die Glieder in einem lebendigen sozialen Organismus, so wie auch im menschlichen Organismus. Jedes Glied wirkt frei und eigenständig aus sich heraus, bedingt und begrenzt aber die andern Glieder dort, wo es notwendige Berührungsfelder gibt. Ein Recht auf ein Einkommen ohne jegliche Bedingungen wäre so, als wenn der Kopf beanspruchen würde, versorgt zu werden, selber aber „keinerlei Verpflichtungen“ eingehen, seine Nervenprozesse nicht den andern Gliedern zur Verfügung stellen, sich nicht in das Ganze einfügen wollte bzw. ein solches Einfügen ganz nach Gutdünken nur handhaben wollte. Es ist klar, dass ein Organismus mit solch abstraktem Gebaren sehr schnell zugrunde gehen würde. [6]
Anmerkungen
[1] Rudolf Steiner, Geisteswissenschaft und soziale Frage (drei Aufsätze von 1905/06, zuerst erschienen in „Lucifer-Gnosis“), in GA 34.
[2] Allerdings gäbe es auch in einem ganz strengen Sinne eine andere Lösung: ein bedingungsloses Einkommen (ich lasse die sicherlich nicht auf Steiner zurückgehende Trennung in ein „Grund-“ und ein weiteres Einkommen hier bewusst weg) kann man sich zum Beispiel auch in einer Gemeinschaft von Menschen, die z.B. in einem Betrieb zusammenarbeiten und wirken, zumessen und geben, unabhängig von der Arbeit, die einer leistet.
[3] Hier könnte man mir unterstellen, bloß am Wortlaut Steiners kleben zu wollen, zu wenig „eigene“ Gedanken, wie sie „heute“ nunmal gefordert seien, zu entwickeln. Das ist allerdings nicht der Fall. Selbstverständlich bin ich sehr dafür, Steiners Impulse und Anregungen auch weiterzubilden und in heutiger Zeit mit den heute drängenden Themen sich intensiv zu befassen und nach pragmatischen konkreten Wegen zu suchen. Die meisten Grundeinkommensanhänger, die sich zugleich auf Steiner berufen, gehen aber in einer fragwürdigen Weise vor: Sie benutzen hier einen Absatz, dort eine Aussage, um dann meist sehr schnell von Steiner zu abstrahieren und eigene Spekulationen oder Thesen darauf zu errichten, benutzen dabei dann aber Steiners Autorität. Man muss sich entscheiden: Natürlich kann man ganz ohne sich auf Steiner zu berufen ein Grundeinkommen entwickeln. Das wäre wenigstens redlich. WENN man sich auf Steiner berufen möchte, dann ist m.E. aber unredlich in der beschriebenen Art und Weise Steiners Texte als Steinbruch zu benutzen, nur um im Grunde ganz andere Theorien mit der Steinerschen Autorität zu verbinden. Richtig kann dann m.E. allein sein, wirklich ganz dienend und gewissenhaft (und das geht am besten in einer absichtlich „primitiven“ chronologischen und textgebundenen Methode, wie es sich mir in meiner Praxis als Historiker bewährt hat) Steiners Ausführungen zu erarbeiten. Aus solchem intimen Nachbilden dessen, was Steiner wirklich gemeint hat, können sich dann auch Keime bilden, die seine Anregungen weiterführen.
[4] Rudolf Steiner, Hamburg 2.3. 1908 (Geisteswissenschaft und soziale Frage), in GA 54.
[5] Man beachte den Wortlaut: „In einem sozialen Zusammenleben …“ – auch das ein klarer Hinweis auf konkrete menschliche Gemeinschaften, nicht auf „den gesamten Staat“ oder ähnliches. Das am Ende genannte „Ganze“ darf also auf keinen Fall aus diesem Kontext gelöst werden, – es bezieht sich auf eine konkrete Gemeinschaft von Menschen, nicht auf „den Staat“.
[6] Wer hier meint, in diesem Bilde wäre eine Unfreiheit verborgen, täuscht sich. Selbstverständlich hat man immer das Recht zu sagen: Ich will nicht. Aber die anderen sind dann ebenfalls so frei, das zu sagen. Worum es geht ist, einzusehen, dass Ansprüche immer Bedingungen haben, und dass darin kein Widerspruch zur Dreigliederung liegen kann. – Welche Bedingungen die wirtschaftlichen Verbindungen für die Gewährung von Einkommen stellen können, kann ganz unterschiedlicher Natur sein. Bei mündigen Erwachsenen ist es eine Tätigkeit für andere, das kann praktische Arbeit sein, es kann aber auch Unterrricht oder Kunst sein. Natürlich wäre künstlerisches Schaffen nicht in „Stundenleistung“ überprüfbar; hier werden geeignete Gremien künftig aus der Natur der Sache ganz natürlich beurteilen können, wen man von Arbeit freistellt, damit seine freie Kreativität allen zugute kommen kann. – Kinder, Kranke und Alte haben natürlich Anspruch auf Versorgung ohne unmittelbare „Gegenleistung". – Letzlich zeigt sich im starken Trieb zum Grundeinkommen eine Sehnsucht nach einem Kindsein, verständlich angesichts des gegenwärtigen Hamsterrades, in dem sich die meisten im Kampf um Geld und Zeit befinden. Ein solcher Eskapismus mag persönlich immer berechtigt sein, kann und darf aber nicht zu einer Konzeption für ganze Gesellschaften dienen, die durch seine Verwirklichung der wirtschaftlichen Zerrüttung anheimfallen würden.