Internationalisierung der Wirtschaft

01.10.1920

Quelle
Zeitschrift „Dreigliederung des sozialen Organismus“
2. Jahrgang, Oktober 1920, Nr. 17
Bibliographische Notiz

In der Juli-Nummer der „Tat“ findet man unter der Überschrift „Internationalisierung der Wirtschaft“ einen Abschnitt aus einer Schrift „Die Wiederaufrichtung Europas“ von Ernst Schmitt, Wirkl. Legationsrat und Generalreferent für Wirtschaftsfragen im Auswärtigen Amt. Die Ausführungen dieses, wie man annehmen muß, hervorragend sachverständigen Mannes, zeigen wieder einmal, wie das Leben selber heute überall, wenn es richtig verstanden wird, zu derjenigen Entwicklung hindrängt, die von der Dreigliederung bewußt angestrebt wird und der lediglich alte Denkgewohnheiten und die egoistischen Triebe und Instinkte gewisser Menschenzusammenhänge (Nationen, Klassen etc.) entgegenstehen.

Ernst Schmitt führt seine Betrachtungen mit dem Satze ein: „Eine stärkere Internationalisierung der Wirtschaft wird bestehen müssen in einem Abbau der wirtschaftlichen Grenzen der Staaten untereinander.“ Es genüge jedoch nicht, die Internationalisierung der Wirtschaft negativ, durch Abreißen der wirtschaftlichen Schranken der Staaten zwischeneinander zu betreiben, sondern man müßte positive Voraussetzungen schaffen. „Diese positiven Voraussetzungen brauchen nicht theoretisch erdacht und künstlich eingeführt zu werden, sondern es gilt nur, aus dem Wege zu räumen, was hindern könnte, daß bereits vor dem Krieg vorhandenes sich, den Notwendigkeiten der Gegenwart angepaßt, weiter entwickelt. Wir müssen uns bei dieser Sache von vorneherein bewußt sein, daß hier [...] der Hebel liegt, der dazu führen kann, daß sich die Begriffe von der Notwendigkeit der Trennung der Menschen in politische Staaten grundsätzlich verändern. Wir können sehr leicht auch hier, auf dem wirtschaftlichen Gebiet, durch die Not der Zeit und die Gewalt der Tatsachen zu einer Entwicklung gedrängt werden, die tatsächlich ein neues Zeitalter der Beziehungen der Menschen untereinander bedeutet.“ Die Weltwirtschaft muß sich jetzt die durch den Krieg durchbrochene Organisation von neuem schaffen. Diese kann nicht bestehen in einem System diktatorischer staatlicher und zwischenstaatlicher Maßnahmen, wie sie die Kriegswirtschaft gebracht hat. Denn es fehlt der Zwang zur Ausführung, der ja selbst durch die Machtbefugnisse, die der Krieg gegeben hatte, nicht genügend gewährleistet werden konnte. Die Organisation kann auch nicht bestehen in dem System des freien Wettbewerbs, wie es vor dem Kriege bestand. [...] Die Beseitigung der Folgen des Krieges und des Friedensschlusses, die soziale Frage, die wirtschaftlichen und politischen Verschiebungen erfordern ein Zusammenarbeiten aller. Dieses Zusammenarbeiten kann nur freiwillig sein. [...] Das Zusammenarbeiten muß sich organisch und lebendig, von unten herauf, Zelle für Zelle aufbauen, ein Gewordenes und ständig Werdendes.“

Schmitt gibt nun eine lange Aufzählung der in diesem Sinne notwendigen verschiedenartigsten internationalen Vereinbarungen, wobei er z. B. Abmachungen der einzelnen in Gruppen der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Verbraucher zusammengeschlossenen Industriezweige über den Austausch von Rohstoffen, ferner Abmachungen über die Preise, Vereinbarungen über das Verkehrswesen usw. nennt. Freilich warnt er auch vor den Gefahren, die heute bei dem herrschenden Geiste des wirtschaftlichen Wettbewerbs, des Militarismus und Imperialismus gerade den Deutschen seitens der siegreichen Mächte drohen. „Im Ergebnis aber bleibt, daß solche Abmachungen kommen müssen und kommen werden, daß durch sie die Gegensätze der staatlichen Wirtschaftspolitik zunächst gemildert, insbesondere die politischen Gefahren der Absatzkonkurrenz verringert werden müssen, und daß sich auf ihnen alsdann sehr wohl eine Freiheit der Weltwirtschaft von staatlichem Zwang und staatlichen Gegensätzen aufbauen kann.“

Was Schmitt hier schildert, ist das Bild einer von den politischen Beziehungen der Staaten unabhängigen sich nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten auf assoziativer Grundlage gestaltenden Weltwirtschaft im Sinne der Dreigliederung. Man sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, als sei eine solche Weltwirtschaft des „Brudertums“ möglich, solange die gegenwärtigen Nationalitätenegoismen fortwuchern. Schmitt selbst ist sich dessen offenbar bewußt, denn er warnt ja ausdrücklich vor den Gefahren des imperialistischen Geistes. Es kommt aber darauf an, positiv den Weg zu einer Überwindung dieser Hemmungen anzugeben. Hier offenbart sich die Ohnmacht aller bloßen „Zweigliederung“, die nur Staat und Wirtschaft trennen will. Nur von einer Verselbständigung auch des geistig-kulturellen Lebens und seiner freien zeitgemäßen, ebenfalls durch Staatsgrenzen unbehinderten Entfaltung läßt sich begründeterweise ein Wachsen der Kräfte erhoffen, welche die nationalistischen Tendenzen der Gegenwart geistig zu überwinden und damit der Weltwirtschaftstendenz unserer Zeit wirklich zum Siege zu verhelfen vermöchten.