Die soziale Dreigliederung oder - Wie werden Einrichtungen menschlich ?

01.03.2003

Manche Vertreter der sozialen Dreigliederung versuchen menschliche Einrichtungen zu schaffen. Menschlich kann aber nur das Zusammenspiel von Einrichtungen sein.

  • Sind Waldorfschulen Einrichtungen des Geisteslebens und haben damit ihren eindeutigen Platz innerhalb der sozialen Dreigliederung in Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben?
  • Oder haben Waldorfschulen auch ein eigenes Rechtsleben und Wirtschaftsleben und sind damit in sich dreigegliedert? Brauchen also Rechtsleben und Wirtschaftsleben in Waldorfschulen eigene Entscheidungsorgane?

Das sind die Fragen, die nicht nur in den Waldorfschulen, sondern auch in den Unternehmen eine Rolle spielen, die etwas auf die soziale Dreigliederung geben.

Um diese Frage zu klären, kann ein konkretes Beispiel am Arbeitsrecht helfen. Es wird nämlich auch und gerade bei anthroposophischen Einrichtungen oft mit Füßen getreten. Bezeichnend ist, daß hier beide Ansätze in manchen Fällen zum selben Ergebnis führen, was den Verdacht nahe legt, daß beide inzwischen zu Ideologien verkommen sind:

  • Wird die Waldorfschule – wie die Kirche – als rein geistige Einrichtung verstanden, setzt man sich gern im Namen des Geistigen – sprich Pädagogischen – über das Arbeitsrecht.
  • Schwört man dagegen auf eine Dreigliederung innerhalb der Waldorfschule, dann bildet sich das selbsternannte Rechtsorgan leicht ein, über Arbeitsrechtsfragen entscheiden zu können.

Das Ergebnis ist das selbe. Hauptsache, das Mutterschaftsgeld wird eingespart. Das alleine wäre schon schlimm genug. Durch die Berufung auf die Dreigliederung macht man es aber noch schlechter, weil man nicht nur sich selber, sondern auch noch die soziale Dreigliederung diskreditiert.

Läßt sich eine Schule oder jedes beliebige Unternehmen dreigliedern ?

Es wäre wirklich zu Schade, sich durch den Mißbrauch der sozialen Dreigliederung entmutigen zu lassen. Die grundsätzliche Frage bleibt : Gehört eine Schule allein zum Geistesleben oder nicht ? Zu einer in sich schlüssigen Lösung kommt man nur, wenn man sich für den ersten Ansatz entscheidet, es aber konsequent zu Ende denkt. Aufgabe der Waldorfschule ist die Entwicklung der Kinder, die Entfaltung ihrer Fähigkeiten. Die Waldorfschule gehört damit ausschließlich dem Geistesleben.

Es wird gern eingewendet, daß in einer Schule – auch in einer Waldorfschule – Rechtsleben und Wirtschaftsleben doch auch drin enthalten sein müssen. Die Lehrer brauchen doch etwas zu essen. Das stimmt. Wenn aber dieselben Lehrer auch noch denken können, dann werden sie doch selber merken, daß es gar kein richtiger Einwand ist. Die Tatsache, daß jemand Milch braucht, bedeutet nicht, daß er die Milch selbst erzeugen muß. Sonst wären wir alle schon als Kinder gestorben. Jede Schule braucht das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben. Sie kann diese aber nicht erzeugen. Rechtsleben und Wirtschaftsleben wirken von außen in die Schule hinein. Sie liegen aber nicht in derem Entscheidungsbereich.

Solche sozialen Einrichtungen zu schaffen, die an sich einseitig sind und den Ausgleich durch andere Einrichtungen brauchen, ist Ziel einer sozialen Dreigliederung. Im Zusammenspiel der Einrichtungen liegt die Menschlichkeit.

Die Schule kann nichts dafür, wieviel die Schuleltern nach Entrichtung ihrer Steuern noch in der Tasche haben. Und über das Arbeitsrecht hat nicht die Waldorfschule, sondern der demokratische Staat zu entscheiden, statt wie bisher zugunsten wirtschaftlicher Interessengruppen abzudanken. Dadurch entsteht der soziale Ausgleich und nicht durch die Schaffung angeblicher Rechtsorgane bzw. Wirtschaftsorgane innerhalb der Waldorfschule. Über die Schulbeiträge entscheiden bei einer sozialen Dreigliederung nicht die Schulen selbst, sondern eine wirtschaftliche Assoziation zwischen Lehrern und Schuleltern auf Grundlage des Rechts der Kinder auf Bildung. Daß die Schuleltern heute doppelt zur Kasse gebeten werden können – als Steuerzahler und dann auch noch als Waldorfeltern – zeigt nur, daß nicht nur die Waldorfschulen, sondern auch der Staat nichts von sozialer Dreigliederung versteht. Er will nämlich selbst über die Bildungsinhalte entscheiden, statt es den Eltern und Lehrern zu überlassen, und bekämpft daher alle Schulen, die sein Bildungsmonopol gefährden.

Dieter Brüll und die Mesodreigliederung

Der Ansatz einer Dreigliederung innerhalb von Einrichtungen wurde von Dieter Brüll zum ersten Mal konsequent entwickelt. Er nannte diese Dreigliederung Mesodreigliederung, um sie von der anderen Dreigliederung, die bisher vertreten worden war, besser abzusetzen. Die gute alte Dreigliederung nannte er entsprechend Makrodreigliederung. Das klingt nach Größenwahn und so war es auch gemeint. Für Dieter Brüll waren Makrodreigliederer ohnmächtige Weltverbesserer. Mit seiner Mesodreigliederung wollte er stattdessen die Ziele etwas kleiner setzen, damit sie auch erreichbar sind.

Die Motive sind an sich lobenswert. Man kann aber nicht sagen, daß Dieter Brüll sich besonders Mühe gegeben hat, das Verhältnis seiner Mesodreigliederung zu der ursprünglichen Dreigliederung zu klären. Und doch müßte gerade dieses Verhältnis zunächst einmal gründlich geklärt werden. Dann würde herauskommen, daß die Mesodreigliederung, wäre sie wirklich ernst gemeint, eine Bedrohung für die eigentliche soziale Dreigliederung darstellt. Sie bläht die einzelnen Einrichtungen nämlich auf und macht sie zu Staatsminiaturen, die – wie das Original – meinen alles selber machen zu können.

Bei Dieter Brüll selber kommen noch andere Probleme hinzu. Man staunt nicht schlecht, wenn er dasjenige definiert, was er unter dem Geistesleben innerhalb einer Schule versteht, nämlich die Selbstverwirklichung der Lehrer. Bei so viel Narzismus ist es kein Wunder, daß er sich nichts davon verspricht, wenn der jeweilige Lehrer seine eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse formuliert. Im Wirtschaftsleben einer Schule ist es laut Dieter Brüll die Aufgabe der jeweils anderen Lehrer zu bestimmen, was der eine Lehrer bekommen soll. Hat Dieter Brüll auf diese Art Geistesleben und Wirtschaftsleben karikiert, folgt wie von selbst, daß man ihnen nicht zutrauen sollte, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Alle Entscheidungen sollten stattdessen im Rechtsleben der Schule getroffen werden, natürlich durch eine demokratische Mehrheit.

Was nach einer sozialen Dreigliederung im Kleinen klingt, entpuppt sich als eine Verrechtlichung aller Lebensgebiete. Da hat man erst recht den Boden der sozialen Dreigliederung verlassen und aus jeder Schule, aus jeder Einrichtung einen kleinen Staat gemacht.

Zum Glück sind die meisten Ausprägungen der Mesodreigliederung – inzwischen hat sich fast jeder anthroposophische Organisationsberater eine eigene Mesodreigliederung zurechtgelegt – recht harmlos. Sie beschränken sich oft auf Gedankenspielereien. Hauptsache, die Welt paßt in drei Schubladen und man kann sie dann zuklappen, um nicht mehr reinschauen zu müssen. Schade nur, daß sich manche Anthroposophen damit zufrieden geben und die eigentliche soziale Aufgabe der Anthroposophie aus dem Auge verlieren.

Sylvain Coiplet


Quelle: Gleichnamiger Aufsatz im Trigolog Berlin 03/2003, vom Autoren genehmigter und überarbeiteter Nachdruck. Stand von 02/2011.