Was ist soziale Dreigliederung?

01.11.2009

Vortrag am 1. Abend des Arbeitskreises Finanzkrise und soziale Dreigliederung (jeden 1. und 3. Montag im Monat, 19:15 Uhr, Sinnewerk gGmbH, Rigaer Str. 104, 10247 Berlin. Kontakt: Andreas Schurack, 030/27496797, oder Johannes Mosmann 030/26305202)

Empirische Wissenschaft statt Reduktionismus

Liebe Freunde,

Wenn wir uns den menschlichen Körper anschauen, dann können wir sehr leicht feststellen, dass er drei Systeme hat: Er hat einen Stoffwechsel, einen Blutkreislauf und ein Nervensystem. Das können wir funktionsmäßig unterscheiden. Dabei geht es nicht um eine räumliche Trennung. Wir können natürlich sagen, dass die Nerven z.B. vorwiegend im Gehirn sind, aber im Gehirn sind auch Stoffwechselvorgänge. Die Stoffechselvorgänge überwiegen nur nicht beim Gehirn, sondern da überwiegen die Nerven. Also, nach der Funktion unterscheiden wir Stoffwechsel, Nervensystem, und Kreislaufsystem. Das sind drei.

Nun, jetzt könnte ja einer behaupten: In Wahrheit sind es vier, was sagen Sie dazu, Herr Mosmann? Dazu würde ich sagen: dann sind es eben vier. Es geht nicht darum, die Zahl 3 irgendwie zu beschwören, weil es so eine schöne Zahl ist. Es ist nur so, dass sich bisher immer herausgestellt hat, dass, wenn einer einen vierten Funktionsbereich gefunden hat, dass dieser tatsächlich eine Funktion einer der anderen drei Funktionsbereiche war. Aber natürlich: sobald sich zeigt, dass es vier sind, dann müssen wir über vier Systeme sprechen, das ist ja wohl klar.

Wenn wir uns das verdeutlichen, dass wir am menschlichen Körper 3 Systeme unterscheiden können, und wie wir dabei wiederum einen Unterscheid machen von der Funktion auf der einen Seite, und der räumlichen Erscheinung auf der anderen Seite, dann haben wir damit die Erkenntnismethode für das Soziale gewonnen. Vor allem auf die Unterscheidung zwischen Funktion und Raum kommt es an, nicht so sehr darauf, ob wir im Sozialen auch drei Funktionsbereiche unterscheiden können oder nicht. Es dürfen gerne auch 2 oder 4 sein, nur scheinen es eben tatsächlich 3 zu sein.

Die Dreigliederung des sozialen Organismus, die nehmen wir nicht etwa von der Dreigliederung des menschlichen Körpers her. Das geht nicht, das lässt sich nicht ohne weiteres übertragen, und dafür habe ich Sie auch nicht auf die Dreigliederung des menschlichen Körpers hingewiesen. Ich habe Sie nur deshalb darauf hingewiesen, weil es auch im Sozialen darauf ankommt, zwischen der Funktion und seiner räumlichen Manifestation zu unterscheiden. Ich habe Sie deshalb darauf hingewiesen, weil das, was man an dem eigenen Denken beobachten kann, wenn man sagt, in dem Gehirn seien auch Stoffwechselvorgänge, auf die Methode verweist, die wir für die Sozialwissenschaft brauchen.

In dem Nervensystem sind keine Stoffwechselvorgänge, das Nervensystem ist nur Nervensystem. Und in dem Gehirn, da gibt es nicht nur das Nervensystem, da gibt es von allen Systemen etwas, nur dass eben das Nervensystem da überwiegt. Einen Ort, wo nur das Nervensystem wäre, den gibt es nicht. Es gibt aber eine Funktion, die nur Nerven-Funktion ist. Also, wir trennen nicht räumlich, sondern funktional, wobei ein Ort dann durchaus repräsentativ für eine Funktion sein kann. Aber der Ort ist nicht das Wesentliche. Wir Gliedern nicht so: Gehirn, Herz, Magen, sondern so: Nervensystem, Kreislaufsystem, Stoffwechselsystem. Und diese Denk-Erfahrung, die brauchen wir für die Sozial-Erkenntnis.

Im Sozialen können wir Wirtschaftliches, Rechtlich-Staatliches und Wissenschaftlich-Kulturelles unterscheiden. Jeder Mensch kann das unterscheiden, nicht erst seit wir den Verein Bewegung für Soziale Dreigliederung gegründet haben. Das Neue, was durch die Idee der Sozialen Dreigliederung kommt, besteht lediglich darin, dass davon ausgegangen wird, dass die Menschen Recht damit haben, wenn sie zwischen Wirtschaft, Staat und Kultur unterscheiden. Das macht die Wissenschaft nämlich für gewöhnlich nicht. Die Wissenschaft widerspricht unserer Alltags-Vernunft, die zwischen 3 Bereichen unterscheidet. Die Wissenschaft sagt, je nachdem, ob der Wissenschaftler das Rechtsleben lieber hat oder das Wirtschaftsleben: „Die Wirtschaftsfrage ist ja in Wahrheit bloß eine Rechtsfrage“ oder „Die Rechtsfrage ist in Wahrheit bloß eine Wirtschaftsfrage“. Also, man begreift das schon, dass es da drei gibt, oder man begreift wenigstens zwei, aber dann will man das ungeschehen machen und das eine auf das andere zurückführen.

Menschen wie Andreas Schurack und ich, die sagen jetzt: Dazu besteht gar kein Grund, das eine auf das andere zurückzuführen. Bevor wir den ersten Schritt unseres Denkens gleich wieder zunichte machen, indem wir das eine als Kompliziertheitsgrad oder Wirkung des anderen erklären, und so unsere Differenzierung wieder vernebeln, sollten wir einen Moment innehalten und unserem Verstand vertrauen. Ist es Zufall, dass wir diese 3 Begriffe bilden? Haben wir da nicht vielleicht etwas sehr Richtiges getan? Gibt es einen objektiven Grund, weshalb wir ausgerechnet diese 3 unterscheiden? Gibt es vielleicht im menschlichen Miteinander, wie im Menschen auch, 3 verschiedene Funktionsbereiche?

Wer behauptet, Staat und Kultur gingen letztendlich auf die Wirtschaft zurück, der spricht auch von einer Funktion. Der meint nichts Räumliches, sondern der meint die Funktion. Der versucht gerade das, was räumlich als ein Verschiedenes auftritt, auf eine Funktion zurückzuführen, aber eben auf nur eine Funktion. Also, dass es Parlamente gibt, und dass es Universitäten gibt, das gesteht sich so einer schon ein. Nur schaut er, sobald er sich die rechtlichen und die kulturellen Institutionen erklären will, auf die Wirtschaft. Parlament und Universität sind nur Manifestationen eines einzigen Systems, der Wirtschaft. Räumlich trennt er schon 3 Gebiete, aber eben nicht funktional.

Versuchen wir einmal, das nachzuvollziehen, mal sehen, ob uns dieses Kunststück gelingt. Versuchen wir, die 3 bloß räumlich zu unterscheiden, aber nicht funktional. Wo ist denn z.B. die Kultur, räumlich gesehen? Nun, z.B. in der Schule. Aber warum eigentlich? Was ist denn da kulturell, was ist da „Schule“ an der Schule? Das Gebäude? Wer macht denn dieses Gebäude? Das machen die Bauarbeiter. Und woher haben die Bauarbeiter die Maschinen dafür? Z.B. aus Japan. Also, wenn wir auf das Gebäude sehen, dann haben wir da die ganze Weltwirtschaft vor uns. Das ist Wirtschaft. Das hat aber mit dem, was zwischen Schüler und Lehrer vorgeht, nichts zu tun.

Was passiert, wenn der Lehrer den Schüler schlägt? Dann greift da das Recht ein. Dann haben wir da das demokratische Gesetz vor uns, dann spricht da das ganze Volk mit. Das hat aber wieder mit dem Lernen und Lehren nichts zu tun. Was zwischen Schüler und Lehrer vorgeht, der Lern- und Lehrprozess, der ist fundamental verschieden von einer Warenproduktion, und auch fundamental verschieden von einer demokratischen Abstimmung. Das ist aber erst das kulturelle Moment an der Schule. Das ist das, was die Schule zur Schule macht.

In dieser Art können Sie das nachvollziehen, dass es 3 verschiedene Funktionsbereiche gibt. Schauen sie sich das an, wo Sie räumlich die Wirtschaft vermuten, oder wo Sie räumlich den Staat vermuten, und fragen Sie sich, was die Sache zu der macht, die sie ist. Sie können gar nicht anders, als wieder zwischen Wirtschaft, Recht und Kultur funktional unterscheiden, gerade um räumlich zuordnen zu können.

Die soziale Dreigliederung geht von der Beobachtung aus. Die soziale Dreigliederung versteht sich als eine empirische Wissenschaft im strengsten Sinn. Sie wirft der bestehenden Sozialwissenschaft vor, bloß von Theoretischem, bloß von Abstraktem auszugehen, bloß zu Utopien verführen zu wollen. Gerade weil sie nicht von irgendwelchen idealistischen Überlegungen, sondern von der Realität ausgeht, kommt sie zu ganz anderen Begriffen als unsere bestehende Wissenschaft. Die Dreigliederung arbeitet mit den selben Begriffen, sie spricht über Grund und Boden, über Waren, über Geld – aber sie definiert diese nicht im Kopf, sondern bildet die Begriffe nach Realitäten.

Begriffsbildungen im Vergleich

Ich will ihnen ein Beispiel nennen. Wenn Sie in ein Standardwerk der Betriebs- oder der Volkswirtschaft schauen, dann finden Sie mathematische Zusammenhänge zwischen Faktoren wie Arbeit, Geld, Grund und Boden usw – also, zwischen den genannten Begriffen. Die Frage, ob die Formeln richtig sind, die hängt dann selbstverständlich davon ab, worauf sie angewendet werden, was also unter Arbeit, Geld, Grund und Boden usw. verstanden wird. Gehen Sie aber dem nach, was darunter verstanden wird, dann stoßen Sie bald auf ein merkwürdiges Phänomen: das ist den Schreiberlingen entweder gar nicht klar, was sie eigentlich meinen, oder aber sie meinen mit den Begriffen irgendetwas Ausgedachtes. Sie rechnen mit bloß ausgedachten Begriffen. Ich will Ihnen das an zwei Begriffen verdeutlichen, erst an dem Begriff der Arbeit, und dann an dem Begriff der Ware.

Was ist Arbeit? In Gablers Wirtschaftslexikon ist sie wie folgt definiert: „Zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste, körperliche und geistige Tätigkeit. Ursprünglich war Arbeit der Prozess der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur zur unmittelbaren Existenzsicherung; wurde mit zunehmender sozialer Differenzierung und Arbeitsteilung und der Herausbildung einer Tauschwirtschaft und Geldwirtschaft mittelbar.“

Also, Arbeit hat ein Ziel, das Ziel ist die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, die Existenzsicherung. Früher war das Arbeit, wenn ein Mensch etwas für sich selber aus der Natur holte, heute verfolgt er dieses Ziel mittelbar, weil es nämlich eine Arbeitsteilung gibt.

Wirklich?

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen alleine auf einer einsamen Insel, pflücken Beeren und essen die Beeren auf. Ist das Beeren-Pflücken Arbeit im ökonomischen Sinn? Nein natürlich nicht. Jetzt stellen Sie sich vor, es ist noch jemand anderes auf der Insel, der will die Beeren haben, und Sie pflücken die Beeren und geben sie ihm. Ist es dann Arbeit? Natürlich, dann ist es Arbeit.

Also, etwas, das Sie für sich selbst tun, das ist im sozialen Zusammenhang noch keine Arbeit, weil es für diesen Zusammenhang ja noch gar nicht relevant ist. Richtig wäre der Begriff unserer Wissenschaftler nur dann, wenn Wirtschaft etwas wäre, was ein Mensch mit sich selbst ausmacht. Es ist aber umgekehrt. Wirtschaft ist ein Phänomen des Zwischenmenschlichen. Von Wirtschaft können wir erst sprechen, wenn Menschen füreinander Arbeiten. Und ein realistischer Begriff der Arbeit ist darum genau der Entgegengesetze von dem unserer Wissenschaft: Arbeit wird durch das Bedürfnis eines anderen Menschen definiert. Arbeit ist das, was ich nicht für mich, sondern für einen anderen tue. Was auch immer ich in meiner Garage bastle – ökonomisch relevant wird es in dem Augenblick, da es jemand haben will. Wenn jeder von dem leben würde, was er in seiner Garage bastelt, dann hätten wir keine Wirtschaft, dann hätten wir keinen Tausch, keine Waren, keine Preise, kein Geld, kein Kapital. Natürlich, es steht Ihnen frei, so etwas Arbeit zu nennen. Nur haben Sie dann mit diesem Arbeitsbegriff den ökonomischen Prozess eben noch nicht betreten. Der ökonomische Prozess beginnt in dem Augenblick, da Sie etwas für einen anderen Menschen tun.

Nehmen wir den anderen Begriff, den Begriff „Ware“. Ware ist in unserer Wirtschaftswissenschaft das, was gekauft wird. Etwas, das gekauft wird, das ist Ware. Der Mond zum Beispiel, der wird ja auch gekauft, und demnach ist er für unsere Wissenschaft Ware. Was ist das für eine Begriffsbildung? Dieser Begriff entsteht so, dass man ein äußeres Sinnesdatum, nämlich die Beobachtung, dass Geld für eine Sache gegeben wird, verallgemeinert. Es ist so, wie wenn ich sage: Mensch, das ist etwas, das sich bewegt, oder statt „Mensch“ nur den Begriff habe: „Das sich bewegende“. Eine echte Begriffsbildung hat da noch gar nicht stattgefunden, das ist eine äußere Beobachtung, und der gibt man einen Namen. Deswegen ist dieser Name auch nicht falsch, er ist vollkommen richtig, wenn man ihn für sich nimmt. Jeder kann einer äußeren Beobachtung einen Namen geben, wenn er will, und wir können das, wofür bezahlt wird, selbstverständlich Ware nennen, gar keine Frage.

Die Frage ist nur, was so ein Name in der Sozialwissenschaft zu suchen hat. Denn wenn Ware immer das ist, was gerade gekauft wird, dann ist Ware also – alles. Was untersucht die Wissenschaft von der Ware dann, was ist ihr Gegenstand? Sie hat dann gar keinen Gegenstand! Sie kann dann nur Statistik führen, wann wo wer was gekauft hat, das ist dann die Wirtschaftswissenschaft - sicher nicht ein ganz unnützer Dienst, aber eben noch keine Wissenschaft.

Schauen wir wieder in die Realität. Vergleichen wir einmal zwei Kaufvorgänge. Einmal kaufe ich eine Armbanduhr, einmal kaufe ich ein Stück Mond. Sie wissen ja, der Mond wird gehandelt, Stücke des Mondes kann man bei amerikanischen Firmen kaufen. Das ist natürlich auch nach gewöhnlichen Maßstäben kurios, denn da spürt man es schon, dass das nicht ganz ernst sein kann – genau deshalb will ich dieses Beispiel aber nehmen, denn daran können Sie leicht das Prinzipielle erkennen. Unsere Wirtschaftswissenschaft kann nämlich, wenn Sie bloß die Tatsache des Geld-Gebens verallgemeinert, keinen Unterscheid zwischen beiden Vorgängen erkennen. Für sie ist beides dasselbe, wenn ich den Mond verkaufe, dann ist der Mond eben mit dem selben Recht eine Ware wie die Uhr auch.

Jetzt sehen Sie auf den wirklichen Vorgang, zuerst bei der Uhr. Ich gebe Geld für die Uhr. Was passiert mit diesem Geld? Nun, der Uhrmacher wird essen, er wird neues Leder kaufen, neue Materialien für die Uhr, und wieder eine Uhr machen. Und so viel muss ich für die Uhr auch bezahlen. Ich muss wenigstens so viel bezahlen, dass der Uhrmacher arbeiten und wieder eine Uhr anbieten kann. So ist das bei jeder Ware: dass ich etwas bezahlen muss und wie viel ich bezahlen muss, das hängt mit den Kosten zusammen, die der Produzent hat. Also, zwischen der Uhr und dem Geld, das ich für diese Uhr gebe, gibt es einen objektiven Zusammenhang, denn der Uhrmacher ist Uhrmacher mit Hilfe dieses Geldes.

Jetzt sehen wir auf den anderen Vorgang. Zwei Menschen stehen unten auf der Erde, der eine gibt dem anderen Geld für den Mond. Was ist der reale Vorgang? Nun, der, der das Geld bekommen hat, der kann mit diesem Geld jetzt irgendetwas machen, ganz egal, denn das Geld steht in keinem Zusammenhang mit dem Mond. Er muss gar nichts für das Vorhandensein des Mondes arbeiten, denn der Mond ist von alleine da. Die reale Warenproduktion hat sich nicht vermehrt. Er muss für das Geld überhaupt nicht arbeiten. Er leistet gar nichts. Vielmehr wird er durch das Geld von der Arbeit freigestellt. Er kann tanzen gehen. Er konsumiert, und was er konsumiert, das müssen andere erarbeiten. Das ist also genau der gegenteilige Prozess wie der Kauf der Uhr. Indem der Uhrmacher Geld bekommt, wird er beauftragt, Uhren herzustellen. Und die Uhr, die ich kaufe, ist das Ergebnis der Uhrmachertätigkeit. Der Mond dagegen, der hat mit der Tatsache, dass ich einem Menschen Geld gebe, gar nichts zu tun. Dieses Geld verschenke ich. Das ist die Realität. Der Kauf des Mondes ist eine Illusion. Real kann ich nur die Uhr kaufen, das, was ich vermeintlich „für“ den Mond gebe, das ist kein Kauf, das ist eine Schenkung.

Also, das ist natürlich legitim, den Warenbegriff von der Tatsache abzuleiten, dass Geld dafür geboten wird. Wenn Sie aber wissenschaftlich denken wollen, dann müssen Sie anders denken als unsere Wissenschaft. Dann müssen Sie empirisch denken, dann müssen Sie die wirklichen Vorgänge untersuchen. Dann müssen Sie anhand des realen Vorgangs beurteilen, ob es sich überhaupt um einen Kauf handelt oder um etwas anderes. Für den Begriff der Ware müssen sie weit mehr Daten berücksichtigen, als es unsere Wirtschaftswissenschaft tut und tun kann. Sie müssen die wirklichen Vorgänge untersucht haben, und nicht bloß in Ihrem Kopf die einzelne Tatsache des Bezahlens verallgemeinern. Sie müssen den Begriff der Ware vorher besitzen, bevor Sie Geld für etwas bezahlen, sonst bezahlen sie womöglich noch für den Mond.

Jetzt haben wir die Finanzkrise, eigentlich eine Wirtschaftskrise. Auch in Deutschland spürt man das so langsam. Die Mieten steigen, und die Löhne sinken. Im verarbeitenden Gewerbe, also in der deutschen Industrie, sind sie dieses Jahr bereits um 7,5 % gesunken. Nur bei Goldman Sachs sinken die Löhne nicht, die Banker haben dank der Finanzkrise das höchste Einkommen ihrer Geschichte: Goldman Sachs, die Eigentumsrechte im Wert von 355 Milliarden Euro besitzt, konnte ihre Gewinne in diesem Jahr bereits verdreifachen gegenüber dem Vorjahr. Das eine hängt natürlich mit dem anderen zusammen, und damit werden wir uns in den kommenden Monaten auch noch befassen.

Um diese Zusammenhänge zu verstehen, müssen wir aber auf die Ursache dieser Werte-Verschiebung sehen. Und die hängt eben damit zusammen, dass man die oben angedeuteten Begriffe nicht bilden kann, dass man einen wirklichen Kauf nicht von einer Schenkung unterscheiden kann, weil man von den Begriffen unserer angeblichen Wirtschaftswissenschaft getäuscht wird. Tatsächlich lebt Goldman Sachs davon, dass sie gewissermaßen für den Mond bezahlt wird, und tatsächlich werden deshalb die Menschen arm, weil sie es sind, die für den Mond bezahlen – sie merken es nur nicht, weil ihnen die richtigen Begriffe fehlen.

Das Unvermögen, zwischen Warenkauf und verschenktem Geld zu unterscheiden, steht am Anfang unserer jetzigen Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie erinnern sich, die Krise begann mit der Immobilienkrise. Und wenn wir uns jetzt die Immobilienkrise anschauen, dann werden Sie schnell sehen, wie praktisch eine differenzierte Begriffsbildung im Sinne der Dreigliederung ist.

Die Immobilienkrise war ein Betrug

Was war geschehen? Nun, Menschen sind zur Bank gegangen und haben sich Geld ausgeliehen. Die Bank hat nicht danach gefragt, was die Menschen mit dem Geld zu tun gedachten. Sie hat nur gefragt, ob die Menschen Grundstücke hätten, die die Bank für den Fall, dass sie das Geld nicht wieder sehen sollte, verkaufen könnte. Und wenn die Menschen Grundstücke hatten, dann bekamen sie Geld. Oft besaßen sie auch keine Grundstücke, bekamen aber trotzdem Kredit, weil sie nämlich die Grundstücke mit dem Kredit dann kaufen konnten. Und damit war die Bank zufrieden.

Die Kreditnehmer arbeiteten nicht, also zumindest nicht im Sinne des Begriffs von Arbeit, den ich oben entwickelt habe. Sie stellten nichts für andere Menschen her, sondern gaben das Geld bloß aus. Sie bauten sich selber schöne Häuser, oder verschönerten sich ihr altes Haus, und arbeiteten also entsprechend der Definition unserer Wirtschaftswissenschaft. Deshalb kam aber das Geld, das sie ausgaben, auch nicht zurück. Wie sollten die Kreditnehmer so den Kredit zurückbezahlen?

Nun, sie bezahlten den Kredit zurück, indem sie die Grundstücke verkauften. Und jetzt ist es wichtig zu sehen, warum sie die Grundstücke überhaupt teurer verkaufen konnten, als sie sie eingekauft hatten. Diejenigen, die die Grundstücke kauften, waren nämlich nicht unbedingt besonders scharf auf die Geschmacklosigkeiten, mit denen die Vorbesitzer ihre Selbstverwirklichungsträume sichtbar gemacht hatten. Sie kauften die Grundstücke aus einem anderen Grund: weil sie nämlich ihrerseits ebenfalls Kredit von der Bank bekamen, wenn sie die Grundstücke kauften. D.h.: die Tatsache, dass die Banken Kredit für die Grundstücke gab, erzeugte selbst den Wert der Grundstücke. Oder anders rum: die Grundstücke, die die Bank als Sicherheit für den Kredit haben wollte, waren so viel wert, wie die Bank Kredit gab. Und die Bank gab in Erwartung auf die Preissteigerung immer mehr Kredit – weshalb der Preis tatsächlich stieg und der Boden immer schneller zirkulierte.

Die Notwendigkeit, mit dem geliehenen Geld für andere Menschen zu arbeiten, bestand nicht. Denn der, der Kredit genommen hatte, konnte seine Schulden einfach schieben, in dem er das Geld von dem nächsten bekam, der seinerseits Kredit genommen hatte. Die Schulden stiegen und stiegen, waren aber immer scheinbar gedeckt durch den vermeintlichen Wert des Grundstücks. In Wahrheit war der Wert des Bodens natürlich selber nichts anderes als die aufgetürmten Schulden, denn man hatte nur für sich selber gearbeitet.

Während die Amerikaner für sich selber arbeiteten, arbeiteten die Chinesen für die Amerikaner. Während die Amerikaner sich ihre Häuser einrichteten, versorgten die Chinesen die Amerikaner mit dem Lebensnotwendigen. Und die Amerikaner bezahlten mit dem Geld, das sie sich geliehen hatten. Sie hatten es eben nur geliehen, das heisst, sie waren damit in der Pflicht, den Gegenwert für die Chinesen erst noch zu erzeugen. Aber sie mussten nie Waren erzeugen, weil ja immer der nächste kam, der sich ebenfalls Geld geliehen hatte, und das abglich. In dem Wert des Bodens türmten sich gewissermaßen das, was die Amerikaner den Chinesen schuldig waren, was sie aber noch gar nicht erarbeitet hatten.

2006 erhöhte die FED den Leitzins, und der Immobilienhandel geriet ins Stocken. D.h., wer sich gerade ein Grundstück gekauft hatte, und das Geld dafür geliehen hatte, in dem Glauben, er könne es teurer weiterverkaufen, der konnte jetzt eben nicht weiterverkaufen, der konnte deshalb aber auch seinen Kredit nicht zurückbezahlen. Was hätte er tun können? Das einzige, was er hätte tun können, das wäre das gewesen, was man von Anfang an hätte tun sollen: mit dem geliehenen Geld für andere Menschen arbeiten, und aus dem Verkauf der Waren den Kredit zurückbezahlen. Daran hatte man aber nicht gedacht. Die Fähigkeiten waren nicht vorhanden, und das Geld war nicht in die Produktion gegangen, sondern einfach verballert worden. Es war ausgeschlossen, dass die Kreditnehmer dieses Geld erwirtschaften konnten. Was also tun?

Nun, die Banken bündelten ihre ausstehenden Forderungen, verbrieften sie und verkauften sie ins Ausland. Die deutschen Landesbanken kauften dann zum Beispiel das Recht auf das Geld, das die amerikanischen Häuslebauer den Banken schuldeten, und das sie nie bezahlen würden. Die amerikanischen Banken hatten so ihr Geld zurück, nämlich von den deutschen Landesbanken. Aber nicht nur das: Sie hatten auch die Häuser. Denn darum geht es gerade bei dem Trick der Verbriefung: die Landesbanken kauften die Schulden ohne das Recht, bei einem Ausfall auf die Häuser zugreifen zu können. Dieses Recht bleib in Amerika.

Die Bilanz: die Chinesen haben allein 2008 für 200 Miliarden Euro mehr Waren in die USA geliefert als die USA nach China. Dafür haben sie Dollars bekommen. In China stapeln sich die Dollar, knapp 3 Billionen sind es wohl mittlerweile. Davon können sich die Chinesen aber nichts kaufen, denn die Menschen, die mit Dollars bezahlt haben, haben nicht gearbeitet, sondern haben sich nur selber Häuser gebaut. 4,6 Millionen neu errichtete Häuser im Durchschnittswert von 200000 Euro stehen jetzt in den USA leer. Die gehören der Bank. Und in Kürze werden wieder Amerikaner in diese Häuser einziehen – in Häuser, die letztendlich Chinesen bezahlt haben. Und die Chinesen gehen leer aus. Nicht nur das: Sie haben knapp 1,9 Billionen Dollar verloren, denn in den Banken, die der amerikanische Staat pleite gehen ließ, steckte vor allem chinesisches Kapital, da steckten die Dollar drinnen, die die amerikanischen Häuslebauer den Chinesen für ihre Dienste gegeben hatten.

Das Ganze war nichts weiter als ein gigantischer Raubzug. Und dieser Raubzug war nur deshalb möglich, weil die Verantwortlichen sehr genau wussten, dass der Warenbegriff unserer Wirtschaftswissenschaft falsch ist. Die wussten ganz genau, welcher Unterschied zwischen dem Kauf eines Grundstücks und dem Kauf von etwa einer Uhr besteht, und sie rechneten damit, dass wir das nicht wissen, weil wir nämlich an den Unfug glauben, der in unseren Fach-Büchern steht.

Wahre Sozialwissenschaft rechnet immer mit der Dreigliederung

Das Grundstück ist keine Ware. Wer ein Grundstück bezahlt, der gibt sich genau der gleichen Illusion hin wie der, der ein Stück vom Mond kauft. Der Boden, auf dem ich stehe, hat gar nichts damit zu tun, ob ich irgendjemandem hier Geld gebe. Der ist so oder so da. Dadurch, dass ich ihnen Geld gebe, verändert sich nichts an der Warenproduktion. Im Gegenteil: Sie können für das Geld konsumieren, was Sie wollen. Das fehlt dann. Sonst ist nichts Reales geschehen, wenn ich Ihnen Geld gebe. Grund und Boden kann man gar nicht kaufen. Wenn Grund und Boden gekauft wird, dann gibt es immer einen, der schenkt. Die Frage ist nur, wer als letztes schenkt. Und wenn das nur einer weiß, während andere an die Mär unserer Wissenschaft glauben, dann kann man damit einen gigantischen Betrug abziehen. Und deshalb halten unsere Sachverständigen jetzt den schwarzen Peter in der Hand, weil sie sich nämlich so furchtbar gescheit dünken mit ihren ausgedachten Begriffen.

Soziale Dreigliederung heisst, eine echte Sozialwissenschaft betreiben, eine echte Wirtschafts-, Rechts- und Kulturwissenschaft betreiben. Grund und Boden hat eine andere Funktion als eine Ware. Mit Grund und Boden wird nicht eine Ware gehandelt, sondern das Recht darauf, Waren zu erzeugen. Der Wert des Bodens ist ein dynamischer, er hängt von der Arbeit ab, die an dem Boden verrichtet wird – von der Warenproduktion. Das Recht auf die Warenproduktion entspringt einem ganz anderen Zusammenhang als die Ware. Das Recht selber hat mit Wirtschaft gar nichts zu tun, sondern eben mit Recht. Da stoßen wir auf etwas anderes, da verlassen wir das wirtschaftliche Gebiet. Das muss man sehen können, denn das ist die Realität. Sie können natürlich sagen, Sie glauben nicht an die Dreigliederung, Sie glauben nicht daran, dass wir drei verschiedene Glieder haben im sozialen Leben, das wir Wirtschaft, Recht und Kultur so haben, dass diese tatsächlich ganz eigene Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Dann schlittern sie eben von einer Krise in die nächste, denn das ist die Krise, dass man das nicht glauben will. Dann sehen Sie das eben nicht, was am Finanzmarkt geschieht, dann begreifen Sie das alles nicht, dann sind Sie der Idiot, der das Ganze am Laufen hält.

Ich lese gerade ein Buch von dem wohl berühmtesten aller Spekulanten, von George Soros. Es ist sehr interessant zu sehen, wie Soros auf eine instinktive Weise die Dreigliederung begreift. Er unterscheidet von der wirtschaftlichen Sphäre eine öffentlich-rechtliche und eine individuelle, und er spricht davon, dass man diese unterschiedlich bewerten müsse. Und wirklich sehr lesenswert ist in dem Buch das Kapitel über die Wirtschaftswissenschaft. George Soros hält unsere Wissenschaft für vollkommen inkompetent – und seine Begründung ist interessanterweise nahezu identisch mit der von Rudolf Steiner. Also, glauben Sie ja nicht, dass man irgendeinen Einfluss haben kann, ob im guten oder im schlechten, ohne wenigstens eine instinktive Kenntnis der sozialen Dreigliederung zu haben. Denn die Dreigliederung ist eine Realität. Es kommt überhaupt nicht darauf an, ob Sie daran glauben oder nicht. Wenn Sie nicht daran glauben, wenn Sie bei unserer Schul-Wissenschaft stehen bleiben, dann rennen Sie halt wie ein eben geköpftes Huhn in der Gegend herum. Dann entscheiden andere, wie die soziale Wirklichkeit gestaltet wird. Wenn Sie aber mitbestimmen wollen, wenn Sie eingreifen wollen, dann müssen Sie die sich mit den Grundkräften des sozialen Lebens vertraut machen.

Sie haben bestimmt einmal von dem berühmten Wirtschaftswissenschaftler Malthus gehört, Thomas Robert Malthus. Malthus hat ausgerechnet, dass das Bevölkerungswachstum exponentiell wachse, die Produktion dagegen nur linear, weshalb wir alle sexuelle Zurückhaltung üben müssten. Das ist natürlich Quatsch. Dass es Quatsch ist, hat Malthus freilich nicht daran gehindert, unsere Wirtschaftswissenschaft nachhaltig zu prägen, aber es hat sich natürlich herausstellen müssen, dass es Quatsch ist, denn es hat gerade die Produktion ein exponentielles Wachstum an den Tag gelegt. Wie konnte Malthus sich so verrechnen? Nun, Malthus war ein sehr gläubiger Mensch, ein Gottesfürchtiger Mensch, und er konnte deshalb einfach nicht an die Fruchtbarkeit des menschlichen Geistes glauben. Er konnte nicht verstehen, dass der Mensch nicht nur ein Rechtsleben und ein Wirtschaftsleben, sondern auch ein Geistesleben hat. Und deshalb konnte er natürlich auch den ökonomischen Wert dieses Geisteslebens nicht mit einberechnen. Er konnte nicht sehen, dass die Güterproduktion mit dem Eingreifen des menschlichen Geistes, mit der Wissenschaft, exponentiell gesteigert wird.

Wir haben lauter solche Malthusse unter uns, und damit wir selber besser rechnen können, damit wir so viel Realismus entwickeln, dass wir auch in die Realität eingreifen können, deshalb wollen wir jetzt in den kommenden Monaten die Besonderheiten jener drei Glieder und die Wechselwirkungen zwischen diesen 3 Gliedern genauer untersuchen. Und ich gehe davon aus, dass Sie eingreifen wollen.

Literaturempfehlung:

Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage, GA 23, Rudolf Steiner: Nationalökonomischer Kurs, GA 340. Ab 10 Euro neu, ab 7 Euro beim Bücherkabinett, ab 2 Euro bei booklooker, und kostenlos unter www.dreigliederung.de. Kann also jeder lesen! :-)

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