Forschungsprojekt Selbsteinschätzung solidarökonomischer Initiativen im Licht der Dreigliederung

Wie nahe sind wir dran?
Selbsteinschätzung solidarökonomischer Initiativen im Licht der Dreigliederung

Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Akademie Freiheit Lebenswerk, Universität Bern, Institut für Dreigliederung [1]

Solidarische Landwirtschaft

Hintergrund

In den letzten Jahrzehnten ist in Europa eine enorm grosse Anzahl ganz verschieden ausgeprägter solidarökonomischer Initiativen entstanden (Scharrer and Rist 2017). Gemeinschaftlich betriebene Landwirtschaftsformen sind im Aufwind. Gemeinsame Merkmale sind die umwelt- und tiergerechte Erzeugung von Nahrungsmitteln, sowie die Entwicklung einer menschengerechten Solidarökonomie. Gegenseitige Hilfe, faire Preise, Gemeinwohlorientierung und Solidarität sind deshalb wichtige grundlegende Werte.

Tendenziell versuchen diese Initiativen – mit verschieden solidarökologischen Massnahmen – der zunehmenden Umwandlung von Boden, Wasser, Saatgut, Arbeit, Geld, Kapital und Ernährung in reine «Waren», eine wirksame Alternative entgegenzusetzen. Es entstehen laufend neue Formen der «Dekommodifizierung» der grundlegenden Ressourcen für die Land- und Ernährungswirtschaft (Hänni, 2021). Die staatliche und privatwirtschaftliche Fremdbestimmung der Ernährungswirtschaft, soll durch eine von Produzenten, Händlern und Konsumenten selbstorganisierte und solidarisch orientierte, Ernährungssouveränität abgelöst werden (Cavelti, 2018).

Die biodynamische Landbaubewegung war und ist Teil dieses Umbaues der konventionellen, Landwirtschaft hin zu solidarökonomischen Wirtschaftseinheiten. Die biodynamische Bewegung inspiriert die solidarökonomischen Initiativen insbesondere durch die Berücksichtigung der Grundprinzipien der Dreigliederung des sozialen Organismus, wie sie von Rudolf Seiner vorgelegt wurden (Scharrer et al., 2018).

Im Rahmen des Forschungsprojektes Solidarökonomie und ökologische Landwirtschaft des CDE an der Uni Bern (https://www.solidarisch-biologisch.unibe.ch/) hat sich erstens gezeigt, dass die biodynamisch und an der Dreigliederung orientierten solidarökonomischen Initiativen von grossem Interesse für andere, nicht explizit an der Dreigliederung orientierte Initiativen sind. Zweitens, wurde aber auch klar, dass sich die biodynamisch und an der Dreigliederung orientierten Initiativen oft Schwierigkeiten hatten, darzustellen welche ihrer Grundmerkmale direkt aus der Dreigliederung stammen und welche Merkmale sich aus pragmatischen Anpassungen an die lokalen, regionalen, nationalen oder transnationalen Umwelteinflüsse ergaben, die sie selbst nicht kontrollieren oder umgehen können.

Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll, die biodynamischen, an der Dreigliederung orientierten solidarökonomischen Initiativen dahingehend zu unterstützen, dass sie besser in der Lage sind, diejenigen Elemente klarer zu identifizieren, die direkt mit den Grundprinzipien der Dreigliederung verbunden sind, um sie so besser von denjenigen Aspekten zu unterscheiden, welche aus dem schwer oder gar nicht kontrollierbaren Umfeld stammen.
Damit soll erstens, erreicht werden, dass im Bewusstsein und in der Kommunikation der biodynamischen, an der Dreigliederung orientierten solidarökonomischen Initiativen, die wesentlichen Merkmale, welche sich aus der Dreigliederung ergeben, klarer erfasst und so weiterentwickelt werden können. Zweitens kann diese Klärung auch dazu beitragen, nach neuen Massnahmen zu suchen, welche diejenigen Elemente ersetzen können, die noch im Widerspruch mit den Grundsätzen der Dreigliederung stehen.

Aus diesem Grund ist im Folgenden kurz zusammengefasst, wie wir über die transdisziplinäre Zusammenarbeit von engagierten Wissenschaftlern aus Universitäten, Experten der Dreigliederung und Vertretern aus der biodynamischen, an der Dreigliederung orientierten solidarökonomischen Initiativen, eine Liste von Leitfragen entwickeln, die es über eine Selbsteinschätzung erlaubt, abzuklären wie «nahe eine solidarökonomische Landbauinitiative an den Grundprinzipien der Dreigliederung dran ist».

Forschungsfragen

Die generelle Forschungsfrage lautet:
Über welches Set von vorwiegend qualitativen Indikatoren, kann der Grad der Übereinstimmung von Grundmerkmalen der Dreigliederung mit denjenigen konkreter solidarökonomischer Landwirtschaftsinitiativen bestimmt werden?

Spezifische Forschungsfragen sind:

  1. Über welche Indikatoren können die Grundmerkmale einer brüderlich-assoziativen Wirtschaftsweise im Sinn der Dreigliederung, für eine empirische Untersuchung zum Ausdruck gebracht werden?
  2. Welche Indikatoren einer brüderlich-assoziativen Wirtschaftsweise, kommen in verschiedenen Einzelfällen, solidarökonomischer Landwirtschaftsinitiativen zum Ausdruck?
  3. Wie können die in den Einzelfällen beobachteten Indikatoren der brüderlich-assoziativen Wirtschaftsweise zu einer Gesamtbeurteilung der «Nähe» der Einzelfälle zu den Grundprinzipien aggregiert werden?
  4. Wie sind die Indikatoren des brüderlich-assoziativen Wirtschaftslebens mit spezifischen Aspekten aus dem Geistes- und Rechtsleben verbunden und wie fördern oder hindern sie, die brüderliche, assoziative Wirtschaftsweise?
  5. Wie können über die Summe der Antworten auf die Liste der Leitfragen zur Selbsteinschätzung, die Stärken, Schwächen und Verbesserungsbedarf für solidarökologische Landwirtschaftsinitiativen in übersichtlicher und handlungsorientierter Weise bestimmt werden?

Methoden und Vorgehen

Die Forschungsfragen, werden über qualitative Forschungsmethoden, im Rahmen einer transdisziplinären Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Experten der Dreigliederung und Praktikern aus interessierten solidarökonomischen Landwirtschaftsinitiativen angegangen.

Zu Beginn wird das von den Wissenschaftlern ausgearbeitete konkrete Forschungsprojekt mit den Praktikern aus interessierten solidarökonomischen Landwirtschaftsinitiativen diskutiert. Ziel ist es das Projekt auf diese Weise an die konkreten Bedürfnisse der Praxis von interessierten solidarökonomischen Landwirtschaftsinitiativen anzupassen.

Die angepasste Version wird von den Wissenschaftlern über die gemeinsame Anwendung der Leifragen mit Praktikern aus konkreten Einzelfällen angewandt und einzeln und im Vergleich ausgewertet. Mögliche Gruppierungen (Typen) von Einzelfällen werden identifiziert, so dass die Gesamtanalyse Stärken, Schwächen und Verbesserungsbedarf allenfalls auf dieser allgemeineren Ebene vorgenommen werden kann.

Die Ergebnisse der Untersuchung werden von Wissenschaftlern und Experten der Dreigliederung mit den Praktikern aus interessierten solidarökonomischen Landwirtschaftsinitiativen besprochen. Allfällige sich daraus ergebende weitere Anpassungen der Leitfragen, werden für die definitive Version der Leitfragen berücksichtigt.

Die definitive Version der Leitfragen wird durch eine Erklärung für Praktiker aus interessierten solidarökonomischen Landwirtschaftsinitiativen ergänzt, welche den Sinn und Zweck jeder Frage leicht verständlich nachvollziehen lässt. Zur zusätzlichen Unterstützung der Selbsteinschätzung, werden 3-4 gute Einzelfalleinschätzungen aus dem Forschungsprojekt in ansprechender Weise dargestellt, so dass die Praktiker daraus ersehen können, wie Andere diese Fragen beantwortet haben.

Literaturangaben

CAVELTI, N. 2018. Bauern zwischen Solidarität und Markt. Eine Untersuchung von vertragslandwirtschaftlichen Initiativen in der deutschsprachigen Schweiz unter dem Aspekt der nachhaltigen Entwicklung. Masterarbeit der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität . Erstellt im Rahmen des CDE-Projekts „Die Bedeutung der Solidarökonomie für die Entwicklung des ökologischen Landbaus in Europa früher und heute“, University of Bern.
HÄNNI, N. M. 2021. Eine heterogene Bewegung mit vielen Gesichtern: Formen von Genossenschaften mit solidarökonomischen Prinzipien in der Schweiz und ihren Nachbarländern. Masterarbeit der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität . Erstellt im Rahmen des CDE-Projekts „Die Bedeutung der Solidarökonomie für die Entwicklung des ökologischen Landbaus in Europa früher und heute“, University of Bern.
SCHARRER, B., GAVILANO, A. & RIST , S. 2018. Synergies between solidarity economy practice and biodynamic farming enable new sustainable pathways in the food sector. In: V. WAH, V., IA, H., SOMMER, S., DERKZEN, P., BROCK, C., FRITZ, J., SPENGLER-NEFF, A., HURTER, U. & FLORIN, J. (eds.) 1st International Conference on Biodynamic Research. Evolving Agriculture and Food. Opening up Biodynamic Research. Bern: Goethanum. Sektion Landwirtschaft. Dornach, Switzerland.
SCHARRER, B. & RIST , S. 2017. CSA in europäischen Ländern – ein Vergleich. LandInFormSpezial, 6-7.

[1] Verfasser: Prof. em. Dr. Stephan Rist, Uni Bern & Akademie Freiheit Lebenswerk und Sylvain Coiplet, Institut für Dreigliederung.