Fremdsprachen für Grundschüler

27.05.2000

Ab Sommer 2001 werden in Baden-Württemberg Erstklässler Fremdsprachen wie Englisch oder Französisch lernen. Dies begründet Ministerpräsident Erwin Teufel mit der Tatsache, daß sich Fremdsprachen durch die europäische Einigung und die Globalisierung zu "einer Schlüsselfertigkeit wie Lesen, Schreiben und Rechnen" entwickeln werden. Baden-Württemberg könne Stolz sein, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Daß Erstklässler bei freien Waldorfschulen schon seit über 80 Jahren zwei Fremdsprachen lernen, erwähnt Erwin Teufel lieber nicht. Und doch zeigt es, wie stark Politik die Pädagogik in ihrer Entwicklung zurückhalten kann.

Am Beispiel der Fremdsprachen kann man sehen, warum Politiker ihre Macht über die Erziehung nicht abgeben wollen. In die Lehrpläne kommt vor allem dasjenige herein, was von der Wirtschaft verlangt wird. Also erst einmal Lesen, Schreiben und Rechnen. Nun verlangt die Wirtschaft auch noch Fremdsprachen ... und ihr Wunsch wird erfüllt. Bei der Kunst ist die Lage aber weiterhin hoffnungslos, weil sich die Wirtschaft wohl nie für sie einsetzen wird. Was sollen die Kinder ihre Zeit mit Geigen vertröddeln? Sie sollen doch lieber Laptops bekommen!

Staatsschulen sind ein Ausverkauf der Pädagogik an die Wirtschaft. Und was nicht ausverkauft wird, sondern politisch bleibt, ist nicht viel besser dran. Trotz der Globalisierung und ihrer Sprache - Englisch - müssen in Baden-Württemberg die grenznahen Schulen als erste Sprache Französisch einführen. Neuere sprachdidaktischen Forschungen und schlechte Erfahrungen in der benachbarten Schweiz sprechen zwar dagegen. Hier entscheidet aber nicht die Pädagogik, sondern die Politik.

Im Unterschied zur Informatik macht allerdings die Forderung nach einem frühen Sprachunterricht auch pädagogisch Sinn. Man kann von einem glücklichen Zufall sprechen. Fremdsprachen lassen sich deswegen je früher, desto leichter lernen, weil Kinder in den ersten Schuljahren noch sehr stark über die Fähigkeit zur Nachahmung verfügen. Nur wenn voll auf diese Nachahmung gesetzt wird, können Fremdsprachen annähernd so aufgenommen werden wie die Muttersprache, nämlich unbewußt. Während der verfrühte Informatikunterricht zu einer unbewußten Mechanisierung führt, hat der frühe Sprachunterricht einen großen Vorteil. Fremdsprachen werden dann nicht nur zu einer wirtschaftlich erwünschten Schlüsselfertigkeit, sondern zu einem ernst zu nehmenden Gegengewicht gegen die Muttersprache. Sie helfen den Nationalismus dort zu überwinden, wo er besonders tief sitzt. Dies ist der eigentliche Grund der Waldorfpädagogik für ihren frühen Fremdsprachenunterricht. Und dies ist auch der Grund, warum sie sich nicht mit einer Fremdsprache zufrieden gibt, sondern gleich zwei ab der ersten Klasse einführt. Sie kuscht nicht einfach vor der wirtschaftlichen Globalisierung, sondern sucht ihren eigenen Weg zu einer kulturellen Globalisierung.

Damit wird der kulturelle Nationalismus an der Wurzel gefaßt. Der Nationalismus tritt sonst immer wieder auf, und besonders dort, wo man ihn nicht vermuten würde. Zum Beispiel bei Politikern wie Erwin Teufel, die im Fremdsprachenunterricht vor allem ein Mittel sehen, im internationalen Wettbewerb besser abzuschneiden als die anderen Länder.