Necmettin Erbakan und die Kurdenfrage
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird sich vermutlich mit der mehrmonatigen Haftstrafe gegen den ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan befassen müssen. Seine Anwälte sollen Kontakt mit dem Gericht in Straßburg aufgenommen haben.
Erbacan war wegen Anstachelung zum religiösen oder Rassenhass verurteilt worden. Er hatte 1994 in einer Wahlkampfrede die Abschaffung des islamischen Glaubensbekenntnisses in den türkischen Schulen kritisiert. Der Ersatz durch ein Bekenntnis zum türkischen Staat verleite einige Menschen dazu, sich zum Kurdentum zu bekennen. Das türkische Militär hatte daraufhin Druck ausgeübt und ihn aus dem Amt gedrängt, weil es das Prinzip der Trennung von Staat und Religion in Gefahr sah.
Dem türkischen Militär würde es allerdings genauso wenig wie Erbakan einfallen, auf eine Trennung von Staat und Schule zu drängen. Es würde nämlich den Einfluß des Militärs auf die Gesellschaft gefährden. Erbakan seinerseits würde am liebsten über den Umweg des türkischen Staates die Schulen zum islamischen Glaubensbekenntnis zwingen. Ob dies Menschen vom Bekenntnis zum Kurdentum abhalten würde, ist fraglich. Zum Kurdentum gehört nämlich nicht nur die islamische Religion, sondern auch die kurdische Sprache. Auch diese wurde in den Schulen abgeschafft und durch die türkische Staatssprache ersetzt.
Will die Türkei in die Europäische Union aufgenommen werden, kommt sie kaum umhin, das allgemeine Verbot der kurdischen Sprache aufzuheben. Auf eine Trennung von Staat und Schule wird die Europäische Union dagegen sicher nicht drängen, weil sie selber nichts davon hören will.