Deutsche Einheit und europäische Einheit als Fehlkonzeption

04.10.2000

Zur Feier des Tages streiten sich deutsche Christdemokraten und Sozialdemokraten um ihre jeweiligen Verdienste bei der Herstellung der deutschen Einheit. Entscheidend ist aber nicht, wer sich für die deutsche Einheit mehr oder weniger eingesetzt hat, sondern was daraus gemacht wird.

Gäbe es nur die deutschen Politiker, so wäre der Tag der deutschen Einheit schon lange zum Tag der nationalistischen Normalität geworden. Sie werden aber zum Glück durch die Gleichgültigkeit der deutschen Bevölkerung augeglichen. Aus dem 3. Oktober wäre sonst schon ein genauso zwielichtiges Datum geworden wie der 9. November, der zugleich für die Maueröffnung von 1989 steht und für die Kristallnacht von 1938, als die ersten Synagoguen brannten. Anfang der neunziger Jahre hatten die Christdemokraten nämlich nichts Besseres zu tun, als die Ausländerfeindlichkeit medienwirksam anzustacheln.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Für viele Politikwissenschaftler war es eine Genugtuung so sehen, wie aus der deutschen Währungsunion im Sommer 1990 wenige Monate später eine vollständige politische Einheit wurde. War das nicht eine gelungene Generalprobe für die noch bevorstehende europäische Einheit?

Der Teufel steckte allerdings nicht im Detail, sondern im Grundprinzip. Eine Einheit kann sich nicht aus einer anderen Einheit ergeben, sondern nur aus sich selbst heraus entstehen. Es war ein Fehler, mit der Gemeinsamkeit des Geldes und damit der Wirtschaft eine politische Gemeinsamkeit stiften zu wollen. Es war ein Fehler, sich auf die Gemeinsamkeit der Sprache zu berufen, um einen gemeinsamen Staat zu gründen.

Wirtschaftliche, politische und kulturelle Grenzen zur Deckung bringen zu wollen, ist die gefährlichste Spielart des Nationalismus. So gesehen war die deutsche Einheit nicht nur eine Generalprobe für die Europäische Union, sondern auch für den Zerfall Jugoslawiens.