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Attac in Göteborg
Göteborg ist zu einem neuen Namen nach den Straßenschlachten der letzten Jahre in Seattle, Prag, Davos und Nizza geworden. Statt sich mit den Forderungen der 40 000 Demonstranten gegen den EU-Gipfel auseinanderzusetzen, lenkten die meisten Medien den Blick der Öffentlichkeit auf die Gewalt kleiner militanten Gruppen. Damit kommen sie einerseits der Sensationslust der Zuschauer entgegen, andererseits den Interessen ihrer staatlichen und wirtschaftlichen Herren. Nach solcher Medienschlacht soll allen klar sein, daß Globalisierungsgegner inhaltlich nichts zu bieten haben. Inhalte bieten nur die Politiker.
Dabei hatte sich Schwedens Ministerpräsident Göran Persson noch am Donnerstag eines Besseren lehren lassen. Zwei Stunden diskutierte der Regierungschef mit Protestlern in der Aula der Universität über Globalisierung, Umweltpolitik, Demokratiedefizite in der EU und Rüstungsfragen. "Das sind hervorragend ausgebildete Leute, deren Stimme wir sehr ernst nehmen müssen", meinte er anschließend. Entscheidender als dieses Lob war aber seine Selbstkritik: "Ich frage mich genau wir ihr oft, ob wir Politiker überhaupt die Macht zu gewünschten Veränderungen haben". Er pries aber dann doch die EU als einzige politische Kraft an, mit der man Verbesserungen bei der Klimapolitik, im Welthandel zu Gunsten der armen Länder durchsetzen und der Dominanz der Supermacht USA etwas entgegensetzen könne. Allesamt selbsterklärte Ziele der Globalisierungsgegner.
Perssons Handelsminister Leif Pagrotzky ging sogar weiter. Er warf den Sprechern der in Frankreich und Skandinavien schnell populär gewordenen Organisation Attac "unverständliches Zögern" beim Kampf um bessere Handelsbedingungen für die Entwicklungsländer vor. Es reiche doch längst nicht mehr, nur an den guten Willen von Agrar-Lobbys in den EU-Ländern zu appellieren. Pagrotzky lobte diejenigen, die zu Massendemonstrationen gegen die von ihm vertretene Politik nach Göteborg gerufen hatten, ausdrücklich, dass sie so wirkungsvoll für eine "globalisierte Meinungsbildung der Öffentlichkeit" sorgten.
Die Kritik gegenüber Attac ist nicht einmal unberechtigt. In ihrer Gründungserklärung setzt sich die Organisation für eine Fortführung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik ein. Das kann befremdlich klingen, wenn man weiß, daß diese Agrarpolitik der Direkthilfen an europäische Landwirte eine schwere Bedrohung für die Bauern der Dritten Welt darstellt. Bei solchen Schleuderpreisen können sie kaum mitbieten und es ist nur noch eine Frage der Zeit bis sie völlig ruiniert sind.
Wie kommt eine Organisation wie Attac zu einer solchen Fehleinschätzung? Ihr geht es vor allem darum, "daß die Politik wieder die Oberhand erhält". Und sie steht darin leider stellvertretend für viele Globalisierungsgegner. Es stimmt, daß die Staaten nicht mehr von sich aus ihre eigentlichen Aufgaben wahrnehmen und lieber zu Gunsten der Interessen globaler Unternehmen abdanken. Es stimmt auch, daß Staaten nur durch den unsanften Druck der Zivilgesellschaft wieder zur Gesinnung kommen und sich behaupten können. Es stimmt aber auch, daß die Wirtschaft - das hat Leif Pagrotzky richtig gesehen - nur durch die Initiative der Zivilgesellschaft und glaubwürdige Boykottdrohungen wieder zu fairen Handelsbedingungen finden kann. Bei solchen Handelsfragen kann es nicht darum gehen, "daß die Politik wieder die Oberhand erhält". Sie tauscht sonst die "Interessen der transnationalen Unternehmen und der Finanzmärkte" gegen nicht weniger fragwürdige europäische Interessen.
Wenn sich die Globalisierungsgegner zu stark an den Staaten orientieren, dann haben sie in der Tat inhaltlich nichts zu bieten. Sie sind hervorragend verbildete Leute, die sich selber nicht ernst nehmen. Sie verstehen nicht, daß es heute vor allem darum geht, daß die Zivilgesellschaft wieder die Oberhand über sich selber erhält. Und das heißt nicht nur Globalisierungsgegner sein, und alles blockieren, was auf eine Zweigliederung von Staat und Wirtschaft hinauslaufen könnte, sondern sich selber gründen, zum Beispiel durch den Griff zur Universitätsmacht.