World Trade Center und die Weltkatastrophen

26.09.2001

Die Weltkatastrophe vom World Trade Center in New York hat die amerikanische Regierung bislang nicht zu Aktionen gegen die alltäglichen Weltkatastrophen rund um die Welt veranlaßt, sondern nur zu Ankündigungen von Reaktionen gegen die Verantwortlichen geführt.

Obwohl es bisher keine offizielle Erklärung dazu gibt, wer für diese blutigen Anschläge verantwortlich ist, so ist man doch versucht zu sagen, dass das Schweigen und die gleichgültige Haltung (der US-Regierung) angesichts der Unterdrückungsmaßnahmen Israels gegenüber einem unbewaffneten Volk, und die fortgesetzte Besetzung seines Landes hinter solch bösartigen und geisteskranken Aktionen stecken, wie Galal Dauwidar, Chefredakteur der ägyptischen Tageszeitung "Al-Achbar" am 12.09.2001 schrieb.

Schon vor Monaten hatte der ägyptische Präsident Husni Mubarak die Regierung von Präsident George Bush vor den möglichen Konsequenzen ihrer "Nichteinmischungspolitik" in Nahost gewarnt. "Ich habe davor gewarnt, dass die Gewalt (in den Palästinensergebieten) zu Terrorismus führen kann, der weit über die Region hinaus gehen wird", sagte Mubarak Ende Juni nach einem Treffen mit dem amerikanischen Nahost-Gesandten William Burns in Kairo.

Jetzt hält Mubarak sich aus Pietätsgründen mit Kritik zurück und möchte lieber nicht den Ruhm des Hellsehers ernten, aber wer kann diese Kausalität nicht sehen?

Für die US-Politiker waren eine pro-israelische Politik billige Bonuspunkte bei den jüdischen Wählern Amerikas. Diese leichtsinnige und eigennützige Strategie sollte angesichts der Tragödie zu Empörung der Amerikaner führen, aber wieder einmal funktioniert das politische System der USA: Der Präsident und die politische Elite funktionieren als Integrationsfiguren in Krisen und werden dadurch für Kritik immun.

Die Reaktion gegen den Terrorangriff wird voraussichtlich in einer US-amerikanischen Kampagne in der islamischen Welt münden, und dabei wird Afganistan ganz oben auf der Liste stehen. Alte Freunde der amerikanischen Regierung werden zu Erzfeinden erklärt und eine politische Eliminierung des Taliban-Regimes ist in Aussicht. Weniger für die Weltgemeinschaft als für die Afghaner ist der Sturz des Taliban-Regimes zu wünschen, aber die Zeichen stehen nicht gerade für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung in Afganistan.

Obwohl weitläufig von der Nordallianz gesprochen wird und auf diese politischen Kräfte gesetzt wird, wird die Bush-Regierung nicht gerade mit dieser, teilweise fundamentalistischen, Formation liebäugeln, sondern höchstens instrumentalisieren. Vielmehr wird es die US-Regierung wieder einmal mit reaktionären Mitteln versuchen, ein bisschen Schein-Stabilität zu konstituieren. Dabei kommt die Ausgrabung des scheintoten Exilkönigs Mohammed Sahir Schah der US-Regierung gerade recht. Der 86-jährige Exkönig war 1973 gestürzt worden. Er lebt seitdem zurückgezogen in Rom. Presseberichten zufolge planen die USA seine Rückkehr nach Afghanistan, um das einzige Nah-Ost-Stabilitätskonzept der USA umzusetzen: Von Marroko bis Saudi-Arabien setzten sie auf dekadente, monarchistische Systeme, die die Ideale der freien Welt mit Füßen treten. Es gibt eben eine große Diskrepanz zwischen dem, was gepredigt und dem, was praktiziert wird.

Die US-Regierung weiß, dass die westlichen Werte, wie Freiheit im islamischen Raum, nicht überzeugen können. Der Freiheitswert wird eben nicht überzeugen, solange die westliche Wirtschaft nicht funktioniert und nur ein neoliberalistisches Echo der politischen Freiheitsideale ist. Solange wir nicht differenzieren und im Wirtschaftsleben brüderliche Werte neben das politische Freiheitsideal stellen, machen wir uns als selbsternannte "zivilisierte Welt" in den Augen der Muslime zu recht lächerlich. Wie sollten wir politisch und geistig eine alte orientalische Theokratie überzeugen können, solange wir nicht unseren Materialismus durch ein von geistiger Freiheit vitalisiertes Geistesleben und ein altruistisches Wirtschaftsleben überwunden haben? Ist es denn ein Zufall, dass das World Trade Center nun zum zweiten Mal das Ziel des Terrorismus geworden, und nun durch zerschmetternde Wut zerstört worden ist?

Keineswegs! Das World Trade Center ist als Terrorziel attraktiv, als Symbol für den aus Stahl, Beton und Glas materialisierten, protzenden und höhnenden geistigen Materialismus der westlichen Welt und die kapitalistischen Interessen der USA, die für die Erhaltung der maroden und ausbeuterischen arabischen Monarchien verantwortlich sind.

Nicht zuletzt ist das politische Ziel Osama Bin Ladens der Sturz der arabischen Monarchien. Dass ihm und vielen Muslimen bei der Ablösung der Monarchien nicht die Demokratie, sondern die Theokratie in den Sinn kommt, darf nicht wundern, solange wir ihm und der islamischen Welt die Demokratie nicht als ein sittlich und geistig integeres System vorführen können.

Es ist Zeit zu agieren: Eine neue Palästinapolitik muß her, und wir können die Stabilität im nahen Osten nicht durch reaktionäre Monarchien und Parteiherrschaften, wie in Syrien und Algerien, flicken. Aber wichtiger ist noch: Wir müssen selbst unsere Hausaufgaben machen, bevor wir der islamischen Welt konstruktiv gegenübertreten können.