Wirtschaftsethik und Individualethik

20.02.2002

Die Kirchen in Europa wollen bei der Reform der Europäischen Union stärker einbezogen werden. "Wenn seitens der Politik nach Werten gerufen wird, haben die Kirchen und Religionsgemeinschaften Entscheidendes zu dieser Debatte beizutragen", sagte der Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE), Bischof Josef Homeyer (Hildesheim), in einem am 20.02.2002 veröffentlichten Interview der nord- und ostdeutschen Kirchenzeitungen.

Die EU soll nicht dasselbe Schicksal ereilen, wie die europäischen Staatsgebilde mit ihrer Vermengung von Politik, Wirtschaft und Geistesleben. Die EU ist eine sinnvolle Antwort auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse und sollte sich auf die Wirtschaft konzentrieren und seine Anstrengungen lieber auf die Erörterung und Vertiefung von wirtschaftlichen Werten richten.

Da hätte die Kirche tatsächlich einiges an christlicher Wirtschaftsethik beizusteuern, wenn sich die Kirche zurückbesinnt auf ihre Position vor knapp 100 Jahren, als beispielsweise noch das Zinsverbot bestand. Die Kirche hat sich aber als reaktionäre Macht darauf beschränkt, Individualethik zu predigen, anstatt Systemethik. Wenn die Kirche im einzelnen Menschen ansetzt, ist das zwar nicht falsch, aber wenn keine Systemethik hinzukommt, bleibt es reine Ablenkungsideologie. Allzu oft hat das Geistesleben, viele Anthroposophen mit eingeschlossen, die Tendenz, sich davon zu stehlen und erst mit "besseren" Menschen die "goldene" Zukunft abzuwarten.

Die Kirche und Esoteriker können aber nicht mit dem Appell an Individuen, wirtschaftlich Brüderlichkeit auszuleben, stehenbleiben, ohne die systemischen Grundlagen zu behandeln.

Es besteht die Tendenz, die EU mehr und mehr mit eigentlich politischen Aufgaben auszustatten, wie beispielsweise im neuen EU-Konvent nach den politischen Grundwerten für eine zukünftige politische Säule in der EU. Dass die Kirchen mitentscheiden wollen liegt in der politischen Praxis von Ländern wie z.B. Deutschland. Viele säkularisierte Länder werden sich aber zurecht dagegen wehren. Erstens hat die theokratische Einwirkung der Kirchen in der Politik nichts zu suchen, und zweitens sollte Politik sowieso nichts im EU-Wirtschaftsleben zu suchen haben, dessen Ziel die parallele staatliche Deregulierung des Wirtschaftslebens und der assoziativen Regulierung des Wirtschaftlebens sein sollte.

Die Sehnsucht nach der Erledigung der nationalen Enge in Europa und die Notwendigkeit nach übernationalem Wertedialog führt allzu schnell dazu, die EU zum Mädchen für alles zu erklären.

Die Überwindung der geistigen, nationalen Enge wird nicht mit Politik sondern korporatives Geistesleben erreicht. Gleichfalls kann der übernationale Wertedialog nur eine Angelegenheit der gesamten Menschheit sein. Wenn die UN dafür kaum eingerichtet ist, muß sich die Energie darauf richten, anstatt sich des seminationalen, rein christlichen Mädchens für alles, der EU, zu bedienen.

Die Kirchen haben schon des öfteren Initiativen in Richtung globaler Wertedialoge ergriffen, und wenn sie mehr als Schwätzen und doch systemreformistisch denken können, dann sollte hier das Engagement der Kirche willkommen sein.