Milos Zeman hat von Vertreibungen nicht genug

28.02.2002

Ministerpräsident Milos Zeman bezeichnete am 15.01.2002 zwei von der israelischen Zeitung "Haaretz" veröffentlichte Zitate als Missverständnis. Er behauptet, er habe keinesfalls, wie es "Haaretz" schrieb, Palästinenserpräsident Jassir Arafat mit Adolf Hitler gleichgesetzt und auch nicht Israel, nach dem Beispiel der Vertreibung der Sudetendeutschen, die Vertreibung der Palästinenser empfohlen, betonte Zeman. Prager Presseberichten zufolge beweist jedoch ein Mitschnitt die Authentizität der Worte. Die ägyptische Regierung verschob am Mittwoch einen für kommende Woche geplanten Zeman-Besuch. Die tschechische Opposition verlangte seinen Rücktritt. Der 57-jährige Sozialdemokrat sorgte schon früher für Negativschlagzeilen, als er einen Teil der Sudetendeutschen unlängst als "Verräter", und die Vertreibung als "milde Strafe" bezeichnet hatte, dies aber später relativierte.

Der Streit um die Benesdekrete, die 1945-46 die Grundlage für die Vertreibung aller Deutschen und Ungarn (36% der Gesamtbevölkerung) aus der Tschechoslowakei bildete, besteht zwar lange und schwillt immer wieder auf, wenn es um Tschechiens Beitritt zur EU geht. Bislang sind sie diplomatisch unter den Teppich gekehrt worden, beispielsweise durch die Verständigung Bundeskanzler Gerhard Schröders mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman 1999, die Dekrete für rechtlich "erloschen" zu betrachten. Dadurch will man den Tschechen Schadensersatzansprüche und vieles mehr ersparen.

So weit so gut. Seit der Äußerungen Zemans in Israel sind die Benesdekrete aber zu einem unumgänglichen Stolperstein geworden, der aus dem Weg geräumt werden muß, als geistige Voraussetzung Tschechiens für die Europäische Gemeinschaft und aufgrund der Verquickung mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt.

Zeman muß geächtet werden, um Scharon zu zeigen, dass er in Europa keine Gesinnungsgenossen findet. Die Tschechen müssen gezwungen werden, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen - erst dann können sie in Israel wieder Interviews geben, die eine viel konstruktivere Vorlage mit historischen Parallelen für den dortigen Konflikt liefern werden: Laut Historikern, wie dem Präsidenten des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institutes Arnold Suppan, waren es soziale Miseren unvorstellbaren Ausmaßes, und nicht ideologische Überzeugungen, die die tschechoslowakischen Sudetendeutschen vor dem Zweiten Weltkrieg in die Arme Hitler-Deutschlands getrieben haben. "Diese Ausweglosigkeit können wir uns heute gar nicht mehr vorstellen. Die Arbeitslosigkeit unter den Sudetendeutschen war doppelt so hoch wie in Deutschland und Österreich und vier Mal so hoch wie in der Tschechoslowakei", erläuterte Suppan am 30.01.2002 in einem dpa-Gespräch in Wien die Situation. "Die einfachen Bauern, Angestellten und Arbeiter suchten einen Ausweg, ohne zu wissen, was hinter der NS-Ideologie stand". "Wenn man eine Minderheit schlecht behandelt, sucht sie nach anderen Lösungen. Wenn keine Perspektiven zu erkennen sind, läuft man vermeintlichen Erlösern nach".

Die Feststellung des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman, die Vertreibung aus ihrer Heimat sei für die Sudetendeutschen erträglicher gewesen, weil viele von ihnen sonst als Landesverräter hingerichtet worden wären, ist für den Experten "juristisch und historisch schlicht falsch". Das Münchener Abkommen von 1938 sei durch die Beteiligung Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Deutschlands ein internationaler Vertrag, nach dem die Sudetendeutschen ihre Staatsbürgerschaft wechseln mussten. Da dieser Wechsel nicht von der Minderheit ausgegangen sei, können sie auch nicht kollektiv als Landesverräter eingestuft werden. Die Erkenntnis, dass Druck Gegendruck erzeugt, und dass dieser Gegendruck nicht durch Vertreibung erhoben werden darf, sollte Tschechiens Lektion an Israel sein - deshalb: Zeman an den Pranger.