Pim Fortuyn läßt Niederlande kippen

17.03.2002

Die Kommunalwahlen in den Niederlanden haben zu einem Rechtsruck geführt. Zwei Monate vor den Parlamentswahlen am 15.05.2002 äußerten unzufriedene Wähler ihren Protest gegen die Traditionsparteien. Vertreter etablierter Parteien wurden in großen Zahlen nach Hause geschickt. Gleichzeitig wurden Kandidaten gewählt, die mit eingängigen Slogans für mehr Recht und Ordnung, und Forderungen nach Abwehr weiterer Einwanderer, vielen aus der Seele sprechen.

"Die etablierten Parteien sind völlig sprachlos", kommentierte am Donnerstag die sozialdemokratisch orientierte "Volkskrant" betretenes Schweigen der Spitzenpolitiker. Lange genug hatten diese abgewunken, wenn sie auf die wachsende Kritik des Rechtspopulisten Pim Fortuyn und der Bewegung Leefbar Nederland (Lebenswerte Niederlande) hingewiesen wurden. Sie wollten auf deren Schlagworte von den übervollen Niederlanden, der wachsenden Kriminalität und der Tatenlosigkeit der Regierung nicht weiter eingehen. Damit erhielten die Kritiker mehr Popularität als sie verdienten, lautete die Begründung. "Zu lange haben sich die etablierten Parteien hochnäsig von ihnen abgewendet", meinte das unabhängige "Algemeen Dagblad".

Nach dem Debakel in vielen Kommunen und nach Bekanntwerden der jüngsten Umfrageergebnisse für die Wahl im Mai klangen andere Töne aus den Parteizentralen. Es sei wohl nicht ausreichend gelungen, den Wählern alle Erfolge aus acht Koalitionsjahren bewusst zu machen, räumten Politiker zerknirscht ein. Zum Glück sei ja noch einige Zeit bis zur großen Wahl. Jetzt müsse man die Ärmel aufkrempeln. Immerhin habe man ja einiges vorzuweisen. "Die Staatsfinanzen sind in Ordnung, die große Arbeitslosigkeit ist verschwunden und die Den Haager Regulierungssucht ist eingedämmt", zählte der konservative "Telegraaf" auf. Umfragen zeigen aber, dass vermeintliche "Erfolgsstatistiken" wenig zählen.

Der Erfolg der ohne konkretes Programm angetretenen Populisten stützt sich auf ein weit verbreitetes Gefühl der Unzufriedenheit. Es entzündet sich an nachsichtigem Vorgehen der Justiz gegen Straftäter, an allzu großzügiger Drogenpolitik, an Mängeln im Erziehungswesen, bei der Gesundheitsfürsorge und in der Sozialgesetzgebung, aber auch an ständig wachsenden Verkehrsstaus, am Chaos bei der Eisenbahn und am Streit zur Einwanderungspolitik.

Die braun-schwarze Pest hat nun auch die liberalen Niederlande ergriffen und macht deutlich, dass im politischen Leben etwas neues in Europa seinen Einzug hält. Etwas neues, weil es zwar am geistig-autoritären Denken vom schwarz-braunen Lager orientiert ist, aber doch aus einem rechts-liberalen, minimal-staatlichen Denken hervorgewachsen ist. In Deutschland ist der Schill-Erfolg in Hamburg der Vorgeschmack darauf, was auf die Bundesrepublik im Herbst zukommt. Mag die neue Rechte noch so wüst und intolerant sein; sie fasst dennoch die soziale Frage stärker in Blickfeld, als es die politische Elite tut. Leider tut sie es durch ihre Frontstellung gegen alles vermeintlich Asoziale, und rechnet mit dem Sozialstaat ab, der Mißbrauch Tor und Tür öffne, während die ökonomische Krise des Staatswesens zur Folge hat, dass die wirklich Bedürftigen hinten anstehen müssen.

Das Motto "Das Boot ist voll" bildet für die neue Rechte dann auch die Verbindung zwischen Sozialpolitik und Fremdenfeinlichkeit, ohne aus reinem Rassismus zu schöpfen, - hier der Unterschied zu den neonazistischen Gruppierungen. Das Umsichgreifen des Rechtspopulismus hat die Politik und die sogenannte "Intelligenz" zu verantworten. Nein - man kann der Politik nicht vorwerfen, dass sie zu wenig tut, um den Rechtpopulismus zu ächten (Stichwort NPD-Verbot). Auch ist sich die öffentliche Prominenz darüber im Klaren, dass soziale Programme den Rechtsextremismus auffangen müssen. Alles schön und gut, aber der braune Marsch setzt nicht bei den sozial Marginalisierten an, sondern beim geistig unemanzipierten Kleinbürgertum. Und hier wissen sich Politik und Intelligenz nicht zu helfen, weil sie nur ökonomische Sozialpolitik betreiben können und für die geistige Frage nichts anderes zu bieten haben, als Worthülsen von offener Gesellschaft unter gleichzeitiger Maßreglementierung des Geisteslebens, unter dem Diktat von politischer Correctness und mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Wirtschaft. Und dieser Versuch, die soziale Frage mit ökonomischer Sozialpolitik aufzufangen, stößt bei der neue Rechten nur doppelt auf.

Natürlich ist die soziale Frage einer ökonomische Frage, aber in noch höherem Maße ist sie eine geistige Frage und solange das Geistesleben nicht emanzipiert und vitalisiert ist, bleibt das soziale Leben steril und nicht "lebenswert", wie es in den Niederlanden gefordert wird, und der einfache Bürger muß versucht sein aus eigener Kraft die soziale Frage aufzurollen, und zwar vom falschen Ende her, nämlich mit Ausgangspunkt in der Bekämpfung alles vermeintlich Asozialen.