Hessnatur: Die eidesstattliche Versicherung des Herrn Marc Sommer

04.11.2012

Die einstweilige Verfügung des neuen Hessnatur-Eigentümers gegen die Kundeninitiative wir-sind-die-konsumenten.de erfolgte ohne eine Anhörung der beiden Betreiber Andreas Schurack und Johannes Mosmann. Dies war möglich, weil die Hess Natur-Textil GmbH in ihrem Antrag an das Landgericht Frankfurt den Eindruck einer besonderen Dringlichkeit erweckte. Demnach habe Marc Sommer erst Ende August in einem Gespräch mit einer Feministin, die er auf einer privaten Veranstaltung traf, zufällig von der zur Rede stehenden Kritik an Capvis erfahren. Dies versichert Marc Sommer dem Landgericht Frankfurt an Eides statt. Weiter heisst es in der dem Gericht vorgelegten Antragsschrift, Hessnatur habe in der Woche nach dieser Party, also wohl erst Anfang September, zu recherchieren begonnen und sei so auf das Kundenportal wir-sind-die-konsumenten.de gestoßen. So will man bei Hessnatur zum ersten Mal vom Vorwurf einer finanziellen Verbindung zwischen dem neuen Eigentümer Capvis und der Rüstungsindustrie gehört haben.

Die eidesstattliche Versicherung von Marc Sommer, ehemaliger Karstadt-Vorstand, Schwiegersohn des Ex-Bertelsmann-Chefs Wössner und Capvis "Generalbevollmächtigter" für Hessnatur, war ausschlaggebend dafür, dass die einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung der Beschuldigten erwirkt werden konnte. Entsteht nämlich der Eindruck einer besonderen Dringlichkeit, kann das Gericht zum schnellen Schutz des Antragstellers vor wirtschaftlichem Schaden eine einstweilige Verfügung erlassen, und erst hinterher die Belege für die Aussagen der Kritiker prüfen - sofern letztere Widerspruch gegen die Verfügung erheben. Die Sozialaktivisten sind also bis zur Gerichtsverhandlung außer Gefecht gesetzt, ganz egal, ob sich ihre Behauptungen letztendlich als wahr oder falsch erweisen. Da der Ausgang der Auseinandersetzung zwischen den kritischen Hessnatur-Kunden und dem Private-Equity-Fonds Capvis entscheidend von der öffentlichen Wahrnehmung abhängt, könnte die Verfügung daher, ungeachtet der Frage der Wahrheit, der finale Schlag gegen die Kundeninitiative gewesen sein. Doch wie glaubhaft ist Marc Sommers eidesstattliche Versicherung?

Die Fakten

Das Kundenportal wir-sind-die-konsumenten.de leitete seit Ende 2011 sämtliche dort geäußerten Meinungen an Hessnatur und Primondo weiter. Als Capvis im Juni übernahm, waren das bereits über 1.500 individuelle Standpunkte. Schurack und Mosmann nahmen dann sofort sämtliche Capvis-Partner in den Verteiler auf, und übersandten ihnen zusätzlich eine PDF mit allen bisherigen Standpunkten. Als der Capvis-Partner Andreas Simon (von der Öffentlichkeit unbemerkt zeitweiliger Hessnatur-Geschäftsführer) einmal nicht erreichbar war, erhielten Schurack und Mosmann eine Abwesenheitsnotiz, inklusive Notfallnummer. Unzählige Kunden schrieben außerdem persönliche Briefe an Capvis und Hessnatur, viele davon liegen Schurack und Mosmann als Kopie vor. Seit Ende Juni enthalten sowohl die weitergeleiteten Konsumentenstandpunkte als auch die individuellen Briefe immer wieder die zur Debatte stehende Kritik. Wenige Tage nach der Übernahme berichteten dann viele große Tageszeitungen und Online-Redaktionen über die Kundenproteste, häufig unter Nennung der Webadresse wir-sind-die-konsumenten.de. Im Juli brachten Kunden im Hessnatur-Blog explizit den Vorwurf einer Verbindung zur Rüstungsindustrie vor, und manche verlinkten sogar als Quelle die Webadressen wir-sind-die-konsumenten.de und dreigliederung.de.

Schurack und Mosmann liegen Mails von Kunden an Hessnatur vor, welche dieselben Vorwürfe enthalten, sowie die dazugehörigen Antworten von Hessnatur. Als Johannes Mosmann am 23.06. zum ersten Mal über den Gegenstand der einstweiligen Verfügung schrieb, druckten Hessnatur-Mitarbeiter den Text aus und hingen ihn an der Pinnwand der Firmenzentrale aus - so, dass die Geschäftsführung bei jedem Ausgang daran vorbei musste. Erst kürzlich amüsierte sich sogar die Frankfurter Allgemeine darüber, dass auch Marc Sommer persönlich an den für ihn "wenig schmeichelhaften" Aushängen vorbeigehen muss, seit er am 08.08. die Stelle von Wolf Lüdge "kommissarisch" übernahm. Teilweise enthielten die Aushänge große Fotos von Marc Sommer. Der Betriebsrat versichert geschlossen, dass alle Texte unmittelbar nach erscheinen ausgehängt wurden, um Geschäftsführung und Mitarbeiter über die öffentliche Wahrnehmung auf dem Laufenden zu halten.

Einer der Texte, den die Gegenseite dem Gericht vorlegte, enthielt ein scharfes Foto von Marc Sommer, und war betitelt mit: "Capvis entlässt Geschäftsführer Wolf Lüdge und holt "Bonus-Boy" Marc Sommer." Hessnatur-Mitarbeiter druckten ihn unmittelbar nach Erscheinen in DINA 3 aus und veröffentlichten ihn an besagter Pinnwand. Der erste Satz des Textes spricht exakt das aus, was Marc Sommer erst Ende August von einer Feministin erfahren haben will. Mitarbeiter berichten, dass Marc Sommer geradezu getobt habe, und am 23.08. in einer Mitarbeiterversammlung auf diesen Text, wie auch auf die kritischen Texte von Johannes Mosmann im allgemeinen, eingegangen sei. Und er sprach über die Möglichkeit, juristische Schritte gegen die Kundeninitiative einzuleiten. Am selben Tag veröffentlicht Marc Sommer eine Pressemitteilung, in der er die Webadresse wir-sind-die-konsumenten.de selbst nennt und behauptet, man würde sich davon "nicht so leicht erschüttern lassen".

Außerdem: Marc Sommer war Vorstand des Hessnatur-Verkäufers Primondo. Während des Verkaufsprozesses fand er sich dann im anderen Lager wieder: er fungierte als Berater des Käufers Capvis. Medienberichten zu Folge wurde er dafür selbst an Hessnatur beteiligt. Zuvor hatten allerdings Carlyle, und dann Paragon Partners wegen der kritischen Haltung der Kunden wieder Abstand von ihrem Kaufvorhaben genommen. Es wäre also zumindest sehr seltsam, wenn ausgerechnet Marc Sommer nicht für das Thema Rüstungsindustrie sensibilisiert gewesen sein sollte, und die Kundeninitiative nicht wahrgenommen haben sollte.

Absoluter Irrsinn wäre es aber, wenn Marc Sommer später als "Generalbevollmächtigter" und alleiniger Presseverantwortlicher von Hessnatur tatsächlich nicht wusste, was auf der Webseite des eigenen Unternehmens geschrieben wird, oder was die Kunden schreiben, wenn er nicht überprüft hätte, wen z.B. "Die Zeit" als Quelle der Kundenproteste nannte, wenn er keine Notiz von jenen Aushängen genommen hätte, wenn nicht wenigstens Capvis ihn über den Sturm der Entrüstung informierte, wenn er sogar verdrängt haben sollte, dass er selbst über den beanstandeten Artikel gesprochen und eine Pressemitteilung zur Webseite der Beschuldigten verfasst hatte, um dann erst wie aus dem Dunkel der Vergessenheit die Stimme einer Feministin zu vernehmen, in die Firmenzentrale zu stürzen und die ahnungslosen Hessnatur-Mitarbeiter zur "Recherche" über die Quelle der Vorwürfe anzuweisen - jener Quelle, die derweil mit Namen und Webadresse am schwarzen Brett prangte, weil Hessnatur-Mitarbeiter die fraglichen Texte seit Wochen selbst verbreiteten!

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