Europäische Zentralbank hebt die Leitzinsen

05.10.2000

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zur Überraschung der meisten Analysten die Leitzinsen um 25 Basispunkte gehoben. Im Vorfeld der Ratssitzung hatten in einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters 34 von 48 befragten Volkswirten unveränderte Leitzinsen vorhergesagt. Viele Volkswirte hatten darauf verwiesen, dass das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone bereits seinen Höhepunkt erreicht haben könnte und deshalb keine aggressiven Zinsschritte mehr nötig seien. Die britische und die Schweizer Notenbank ließen ihre Zinsen unverändert, während die dänische Notenbank ihre Zinsen auch um 25 Basispunkte erhöhte.

Laut dem EZB-Präsidenten Duisenberg zielt die heutige Entscheidung weiter darauf ab, daß der Aufwärtsdruck auf die Verbraucherpreise, die von den Ölpreisen und dem Wechselkurs des Euro herrühren, sich nicht in anhaltende inflationäre Tendenzen umwandelt. Es sei wichtig, diesen Risiken angemessen zu begegnen, um ein kontinuierliches Wachstum der Wirtschaft und der Beschäftigung auf mittlere Sicht zu gewährleisten. Die Möglichkeit könne nicht ausgeschlossen werden, daß ein Anstieg der Ölpreise als solcher vorübergehend kurzfristig die Wachstumsdynamik dämpfen kann. Die Kräfte des zugrundeliegenden robusten Wachstums bleiben mittelfristig jedoch bestehen. Einen direkten Zusammenhang zwischen den Interventionen vom 22. September und dem heutigen Zinsschritt gebe es nicht. Er bestreite aber nicht, dass beide Schritte in die gleiche Richtung zielten. Die Tatsache, dass die Zinsdifferenz zwischen der Euro-Zone und den USA nun kleiner geworden sei, sollte zur Verringerung des Kapitalabflusses in die USA beitragen.

Während die Anpassung an die Zinssätze der USA die Macht der amerikanischen Zentralbank über andere Zentralbanken deutlich macht, zeigt die europäische Angst vor einer Inflation eher die Ohnmacht heutiger Zentralbanken überhaupt. Sie liegen in ihren abstrakten Geldhöhen so fern ab von der realen Wirtschaft, daß sie keinen Einfluß auf die gegenseitigen Preise haben können. Und die reale Wirtschaft sieht vor lauter einzelnen Branchen ihre Gesamtheit nicht mehr. Gewinn- und Lohnforderungen einer Branche bedeuten Preiserhöhungen für Angehörige aller anderen Branchen, die sich dann durch eigene Gewinn- und Lohnforderungen dagegen zu wehren versuchen. Gelingt es ihnen, so geht diese Preisspirale und damit die Inflation weiter. Was noch fehlt, ist eine Notenbank, oder meinetwegen eine Zentralbank, die aus der Vernetzung der Wirtschaftsbranchen besteht und damit die Inflation in der Hand haben würde.