Zuwanderung statt Abstimmung mit den Füßen

13.10.2000

Sind Rechtspopulismus oder Dummheit der Hintergrund der Ankündigung des Unionsfraktionschefs Friedrich Merz (CDU), Zuwanderung zum Wahlkampfthema z.B. bei den bevorstehenden Landtagswahlen zu machen?

Günther Grass sagte am 11.10.2000 im Europarat während einer internationalen Konferenz gegen Rassismus, dass die Politiker die Hauptverantwortung für rechtsradikale Tendenzen tragen, die den "latenten Rassismus" der Bevölkerung für ihre Zwecke nutzten. Grass erinnerte an Wahlkampfslogans wie "Kinder statt Inder" und eine Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der offen vor einer "Verrassung" der Deutschen gewarnt habe. Wenn solche Politiker nun ein Verbot der rechtsextremen NPD forderten, sei dies "ein Witz für sich", sagte Grass. "Der Fisch stinkt vom Kopf", sagte Grass und geißelte die Reform des deutschen Asylrechts und die "verabscheuungswürdige Asylpraxis". Derzeit säßen in Deutschland über 4000 Asylbewerber in Abschiebehaft und würden behandelt wie Kriminelle.

Auch aus eigenem Lager wurde Friedrich Merz als kontraproduktiv angegriffen. "Wir werden von der Wirtschaft nicht ernst genommen, wenn wir bestreiten, dass wir auch die Zuwanderung von Tüchtigen und Integrationswilligen brauchen", sagte Volker Rühe dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Volker Rühe sprach sich klar für mehr Zuwanderung aus. Eine Unterschriftenaktion zu Einwanderung und Asyl lehnte er strikt ab. Volker Rühe hob hervor, es gehe bei dem Thema um die Wirtschaftskompetenz der Union. Er fügt hinzu, manche türkische Familie sei "ein stabilisierendes Element im Vergleich zu deutschen Familien, die Sozialhilfeempfänger in der zweiten Generation sind."

Es ist schon merkwürdig, dass Friedrich Merz eine allgemeine Gesellschaftsdebatte möchte, noch bevor die Regierungskommision unter dem Vorsitz seiner Parteikollegin Rita Süssmuth irgendwelche fachlichen Überlegungen vorlegen kann. Die Erklärung des CSU-Generalsekretärs Thomas Goppel, dass "das Thema in der Bevölkerung ohnehin aktuell sei, und dass es insofern unfair sei, jemanden in die rechte Ecke zu stellen, weil er sich damit befasst", rechtfertigt keine Abstimmung mit den Füßen über Zuwanderung.

Wenn sich die Union mit ihrem Modephänomen der Unterschriftenaktion plötzlich zu Prinzipien der "direkten Demokratie" bekennt und außerparlamentarische Wege geht, wundert es mich, aber egal wie groß die Achtung vor mündigen Bürgern ist: Einwanderung sollte keinem Recht unterliegen, und sollte nicht Gegenstand von Politik, höchstens von Wirtschaft sein. Da haben die Ausländerbeauftragten der Bundesländer auf ihrem Treffen in Schwerin heute eingesehen, dass die juristische Auslegung des Asylrechts nicht allein die Verfahrensgrundlage sein kann. Sie forderten daraufhin zumindest die Härtefallregelung im Ausländergesetz zu erweitern und eine genauere Prüfung der Einzelfälle vorzunehmen.