Mexico und die Indios

12.03.2001

In Mexico wird viel auf die indianische Vergangenheit gegeben. Archäologische Schätze der vorspanischen Kulturen der Maya, Zapoteken oder Totonaken werden mit großen Aufwand ausgegraben. Der Umgang mit der indianischen Gegenwart, das heißt mit den direkten Nachfahren der Ureinwohner des Landes - den sogenannten Indios -, gestaltet sich aber schwieriger. 1994 kam es sogar zu einem Aufstand, der militärisch unterdrückt wurde. Ein 1996 zwischen den Rebellen und der damaligen Regierung unterschriebenes Abkommen ist bis heute noch nicht umgesetzt worden.

Vor wenigen Monaten wurde aber nach jahrzehntelanger Herrschaft der Sozialisten zum ersten Mal ein Konservativer - Vicente Fox - zum Präsidenten gewählt. Als einer seiner wichtigsten Anliegen bezeichnete dieser eine Friedenslösung mit den Indios. Als Vertreter der Rebellen einen friedlichen Marsch durch das Land ankündigten, um die Umsetzung des Abkommen von 1996 zu fordern, sicherte Fox ihnen volle Redefreiheit zu. Heute haben sie symbolisch das Zentrum der Hauptstadt eingenommen.

In dem Abkommen werden die indianischen Ethnien - nach jüngsten Zählungen gibt es 62 Sprachgruppen - formell als Rechtssubjekte anerkannt. Sie dürfen sich in autonomen Gemeinschaften selbst verwalten und ihre traditionellen Sitten und Gebräuche bei der Rechtsprechung und der Wahl ihrer Gemeindevorsteher anwenden. Ihre Sprachen sollen dem Spanischen gleichgestellt werden. Außerdem soll der Staat die Armut unter den Indios wirksamer bekämpfen. Auf das frühere Ziel ihrer Assimilation wird dagegen verzichtet.

Nach offiziellen Statistiken sind Armut, Unterernähung und Analphabetismus in Indio-Gemeinden in der Tat viel stärker ausgeprägt als im Rest des Landes. Diese Zahlen sagen aber nicht alles. In den wirtschaftlich stärkeren Regionen haben die Indios schon vor Jahrzehnten ihre Sprache aufgegeben und werden daher nicht mehr als Indios gezählt. Soll die Überwindung der Armut nicht mehr Hand in Hand mit der Überwindung der Indio-Kultur gehen, so braucht diese Kultur mehr Stoßkraft als es eine Gleichstellung - oder gar eine Besserstellung - im Staate ihr geben kann. Was sie vielmehr braucht, ist eine Freistellung vom Staat. Daran wird sich die Selbstverwaltung der autonomen Gemeinschaften messen lassen müssen. Wird sie dem Einzelnen kulturell mehr Selbstverwaltung zugestehen als der bisherige mexikanische Gesamtstaat?

Bei Kritikern des Abkommens spielt diese Frage nicht einmal unbewußt eine Rolle. Stattdessen wird bemängelt, daß viele der indianischen Sitten und Gebräuche modernen demokratischen Prinzipien widersprechen. So wurde die Repräsentativität des Indio-Kongresses, der vor einer Woche die Forderungen der Rebellen nach Selbstverwaltung unterstützte, sogar vom Präsidenten Vicente Fox in Frage gestellt.

Bei den Verteidigern der Autonomie spielt dagegen die Forderung nach individueller kultureller Freiheit oft mehr oder weniger bewußt eine Rolle. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die selber schon längst assimiliert sind. So zum Beispiel für Xochitl Galvez, eine Otomi-Frau, die ein neu geschaffenes Regierungsbüro für Indio-Fragen leitet. Für sie ist die Autonomie "das Recht, anders zu sein. Bis heute hat man es den Indios nicht zuerkannt, bis heute müssen sie in einer anderen Sprache als ihrer eigenen lesen und schreiben lernen". Sie selber hat aber in Mexiko-Stadt als Unternehmerin Karriere gemacht und spricht mit ihren Kindern nur noch spanisch.

Galvez mutet einen so an wie die alternativen Franzosen, die in den siebziger Jahren plötzlich eine völlig ausgestorbene Sprache, die Languedoc, gelernt haben, nur weil diese im Zuge der politischen Vereinigung Frankreichs im 13. Jahrhundert zugunsten einer Einheitssprache geopfert worden war. Diese Sprache wurde zum Symbol des Widerstands gegen die Verstaatlichung der Kultur. Und dieser Widerstand ist immer das Beste an den vielen Forderungen nach Autonomie.