Europäischer Energiemarkt am Scheideweg

24.03.2001

Die Europäische Union kann sich für die Öffnung der Strom- und Gasmärkte kein Zieldatum setzen.

Der Vorschlag der schwedischen EU-Präsidentschaft, alle europäischen Strommärkte bis 2005 zu liberalisieren, scheiterte am Widerspruch Frankreichs. Dort ist die Energieversorgung staatlich garantiert und sogar mehr als garantiert: Keiner weiß recht, wohin mit dem überschüssigen Atomstrom. Diese Fehlkalkulation ist auch kein Zufall. Durch die Verstaatlichung der Energieproduktion siegte der Wunsch des Militärs nach Nuklearwaffen über jede wirtschaftliche Realität. Die Situation ist nun so verfahren, daß jede - auch nur die kleinste - Konkurrenz auf dem Heimmarkt abgelehnt wird. Ökostromherstellern wird keine Chance gelassen. Eine Öffnung ausländischer Märkte wäre dagegen höchst willkommen, als Absatzmarkt für französischen Strom zum Dumpingpreis.

Bei der Öffnung des Gasmarktes hatte die EU-Präsidentschaft von vornherein auf eine Terminvorgabe verzichtet. Einen konkreten Vorschlag erwartete sie hier von den EU-Ländern. Dies scheiterte diesmal am Widerspruch Deutschlands. Hier ging es aber nicht darum, irgendein staatliches Monopol zu retten, sondern umgekehrt darum, dem entstehenden deutschen Gasmarkt eine staatliche Regulierungsbehörde zu sparen. Das klingt zunächst nach Überliberalismus. Näher betrachtet, geht es aber nicht um den reinen Markt, sondern um vielversprechende wirtschaftliche Vereinbarungen.

Im zweiten Anlauf hatten am 15.03.2001 die Spitzenvertreter deutscher Wirtschaftsverbände nach jahrelangem Streit eine Vereinbarung unterschrieben, die den Zugang zu den Erdgasnetzen und weitere strittige Fragen regelt. Beteiligt waren Gasverbraucher und - lieferanten, nämlich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Bundesverband der Deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW), der Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) und der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). Die Gasproduzenten blieben dagegen außen vor. Gerade zwei Tage zuvor hatte sich die EU-Kommission entschlossen, von jedem EU-Land die Errichtung einer nationalen Regulierungsbehörde zu fordern. Nun setzt sich Wirtschaftsminister Werner Müller auf EU-Ebene für die Möglichkeit freiwilliger Vereinbarungen ein.

Die vereinbarten Spielregeln für mehr Wettbewerb lassen zunächst keine Preissenkungen erwarten. Dies liegt daran, daß die langfristigen Verträge mit den Hauptproduzenten Rußland, Norwegen und den Niederlanden den Gaspreis an den Ölpreis binden. Damit sollen laut Wolf Plunge, dem Hauptgeschäftsführer des BGW, die deutschen Verbraucher vor Preiswillkür geschützt werden. Als ob der Ölpreis nicht selber zu den willkürlichsten gehörte.

Andererseits sagen Preissenkungen eigentlich nichts über den Sinn von wirtschaftlichen Vereinbarungen aus. Was dem Verbraucher zugute kommt, kann unter Umständen dem Produzenten schaden. Das gilt umgekehrt genauso. Zukunftsweisend an der deutschen Lösung der Gasfrage ist das Prinzip einer Selbstverwaltung der Beziehungen zwischen Verbrauchern und Lieferanten. Dieses Prinzip müßte um die Produzenten erweitert werden, auch wenn die meisten heute noch in staatlicher Hand stehen. Dann würden noch die Privatkonsumenten fehlen, die sich selber noch nicht in der Hand haben. Und das Ziel der freiwilligen Vereinbarungen müßte nicht in der Errichtung eines willkürlichen Marktes liegen, sondern in seiner völligen Ersetzung durch freiwillige Vereinbarungen. Sonst würde die Verbändevereinbarung dasjenige bleiben, was Plunge aus Routine darunter versteht: "die marktwirtschaftliche Alternative zu überbordender Regulierungsbürokratie".