Deutsch kann man nur werden

Quelle: GA 064, S. 023, 1. Ausgabe 1959, 29.10.1914, Berlin

Wir verfolgen das deutsche Volk von den ältesten Zeiten, von denen uns Tacitus in so grandioser Weise erzählt, und finden es in faustischer Weise sich immer verjüngend - immer aber das eine wissend: Können wir jetzt schon «Deutsche» sein? Das können wir jetzt noch nicht sein; das werden wir in ewigem Streben! Und wieder hören wir von Faust die Worte:

Wer immer strebend sich bemüht,

Den können wir erlösen;

wie auch die anderen:

Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,

der täglich sie erobern muß.

Und nicht kann der Deutsche so ohne weiteres von sich sprechen «ich bin ein Deutscher», wie der Engländer von sich sagt «ich bin ein Engländer», wie der Franzose «ich bin ein Franzose», wie der Italiener «ich bin ein Italiener». Denn die Angehörigen dieser Völker wissen, was sie sind, wenn sie das sagen. Der Deutsche weiß, daß das, was ihm als «Deutscher» vorschwebt, ein Ideal ist, welches mit den tiefsten Quellen des Geistigen zusammenhängt, daß man ein Deutscher wird und immer wird - und niemals ist.