Gleiches Ich, freier Astralleib, brüderlicher Ätherleib

Quelle: GA 171, S. 208-215, 1. Ausgabe 1964, 02.10.1916, Dornach

Was in die ätherische Welt einfloß von den geistigen Impulsen der Templer, das lebte ätherisch weiter; und durch dieses Weiterleben im Ätherischen wurde manche Seele dazu bereitet, aufzunehmen die Inspirationen, die ich beschrieben habe, die aus den geistigen Welten von den Templerseelen selber kommen. Das ist der konkrete Vorgang, der sich abgespielt hat in der neueren Zeit.

In dasjenige, was aus den Templerseelen floß, ist aber immer mehr und mehr, und zwar gerade in der Breite des Lebens, eingeströmt dasjenige, was aus mephistophelisch-ahrimanischen Impulsen fließt, was durchtränkt ist von dem mephistophelisch-ahrimanischen Elemente, was inauguriert wurde auf den Folterbänken der Templer dadurch, daß sie unter der Folter Unwahres über sich selber aussagen mußten. Dies nicht allein, aber dies mit als einer der Gründe, der geistigen Gründe zum modernen Materialismus, dies gehört zu dem, was man verstehen muß, wenn man innerlich den Sinn der modernen materialistischen Entwickelung verstehen will.

So kam es, daß allerdings in der neueren Zeit einige inspiriert wurden mit hohen geistigen Wahrheiten, daß aber die allgemeine Kultur einen immer materialistischeren und materialistischeren Charakter annahm, daß immer mehr und mehr gewissermaßen sich der Blick der Seele trübte für dasjenige, was geistig uns umgibt, und in das wir eintreten durch die Pforte des Todes, aus dem wir herausgetreten sind durch die Pforte der Geburt. Abgelenkt immer mehr und mehr von diesem auf den verschiedensten Gebieten des Lebens, auf dem geistigen Gebiete, auf dem religiösen Gebiete, auf dem sozialen Gebiete wurde die Menschheit, abgelenkt von dem Hineinschauen in das Geistige. Der Blick wurde immer mehr und mehr nur auf das gerichtet, was als materielle, stoffliche Welt sich den Sinnen darbietet. So kam es, daß die neuere Menschheit seit dem Heraufkommen der neueren Zeit durch viele, viele Irrtümer gegangen ist. Aber urteilen wir wiederum nicht kritisch darüber, daß die Menschheit durch Irrtümer gegangen ist. Gerade indem Irrtümer sich hineinlebten in die menschliche Entwickelung, mußten die Menschen diese Irrtümer erleben, und sie werden sie nach und nach sehen, und in dem Überwinden dieser Irrtümer stärkere Kräfte gewinnen, als wenn ihnen automatisch nur der Weg nach dem, was sie sollen, eingeimpft worden wäre. Aber heute ist die Zeit gekommen, wo eingesehen werden muß, wie in dem Spirituellen die Impulse zu Irrtümern leben, und die Menschheit ist angewiesen darauf heute, immer mehr und mehr freie Entschlüsse zu fassen, die Irrtümer zu durchschauen und zu überwinden.

Nicht angeklagt soll irgendein historisches Ereignis werden, sondern nur ganz objektiv betrachtet. Die historischen Ereignisse der neueren Zeit, sie entwickelten sich ja so, daß in den Menschen die Gedanken und Empfindungen lebten nur nach der äußeren physischen Wirklichkeit, nur nach dem hin, was der Mensch durchlebt zwischen Geburt und Tod. Selbst das religiöse Leben nahm allmählich einen persönlichen Charakter an, indem es sich darauf richtete, dem Menschen lediglich die Mittel an die Hand zu geben, mit seiner eigenen Seele selig zu werden. Das neuere religiöse Leben, das den Blick der Menschen von der konkreten geistigen Welt immer mehr und mehr ablenkt, es ist vielfach durchzogen von materialistischer Gesinnung, materialistischer Empfindung. Wie gesagt, nicht angeklagt soll irgendeine historische Erscheinung werden, aber dargestellt soll sie werden so, wie sie verstanden werden muß, wenn die kommende Menschheit nicht in Dekadenz verfallen, sondern eine Aufwärtsbewegung durchmachen soll.

Wir sehen den Strom des Materialismus neben dem, ich möchte sagen, verborgenen Parallelstrom heraufziehen und sehen ein gewaltiges Ereignis eintreten am Ende des 18. Jahrhunderts, ein Ereignis, unter dessen Eindruck das ganze 19. Jahrhundert bis in die heutige Zeit herein steht: Wir sehen am Ende des 18. Jahrhunderts die Französische Revolution über die europäische Kultur hinfließen. Vieles lebte sich so aus, wie die Historiker beschrieben haben, daß es in der Französischen Revolution lebt. Aber man wird zu dem, was man bisher versteht von dieser Französischen Revolution und was fortwirkte an Impulsen, ausgehend von der Französischen Revolution, das noch hinzuverstehen müssen, was spirituell aus den materialistischen Impulsen, aus ahrimanisch-mephistophelischen Impulsen wird. Die Französische Revolution strebte - wie gesagt, nicht angeklagt soll ein historisches Ereignis werden, sondern verstanden - nach einem Höchsten; aber sie strebte nach einem Höchsten in einer Zeit, auf welche noch schwer die Schatten jenes Ereignisses fielen, das ich heute charakterisiert habe, jenes Ereignisses, durch das Mephistopheles-Ahriman mächtig geworden war, in das europäische Leben hereinzusenden den materialistischen Impuls. Und so hatten denn die Besten, welche die Französische Revolution inaugurierten, wenn sie auch in ihrem Bewußtsein etwas anderes zu glauben vermeinten - darauf kommt es nicht an, daß man sich mit Worten zu diesem oder jenem bekennt, sondern darauf kommt es an, daß man ein lebendiges, seelisch-lebendiges Bewußtsein hat von dem, was wirkt in der Welt -, die Besten, welche die Französische Revolution inaugurierten, hatten nur ein Bewußtsein von dem physischen Plane. Sie strebten gewiß nach einem Höchsten, aber sie wußten nichts von der Trinität im Menschen: von dem Leib, der da wirkt durch das ätherische Prinzip im Menschen, von der Seele, die da wirkt durch das astralische Prinzip, von dem Geist, der zunächst im Menschen wirkt durch das Ich.

Man sah ja auch schon am Ende des 18. Jahrhunderts den Menschen so an, wie ihn zum Unheil der Menschheit die heutige materialistische Wissenschaft ansieht, die Physiologie, die Biologie. Man sah den Menschen so an, daß man, auch wenn man religiös ahnte etwas von einem geistigen Leben, doch nur den Blick richtete, von dem anderen redete man vielleicht, aber den konkreten Blick richtete man auf das, was in der physischen Welt hier zwischen Geburt und Tod sich auslebt. Das kann man verstehen, was sich hier auslebt, wenn man es auch heute noch nicht ganz versteht, wenn man nur den Blick auf den äußeren physischen Leib richtet. Was aber im ganzen Menschen lebt, das kann man nur verstehen, wenn man weiß, wie mit dem äußeren physischen Leib das ätherische Prinzip, das astralische und das Ich-Prinzip verknüpft sind. Denn schon indem wir hier in der physischen Welt zwischen Geburt und Tod stehen, lebt in uns das Geistig-Seelische, das den geistigen Welten angehört. Leib, Seele und Geist sind wir hier, und wenn wir durch die Pforte des Todes geschritten sind, werden wir, nur mit einem anderen geistigen Leibe, wiederum eine Dreiheit sein als Menschen. Wer also den Erdenmenschen nur betrachtet so, wie er als physischer Mensch sich auslebt zwischen Geburt und Tod, der betrachtet nicht den ganzen Menschen, der gibt sich über den ganzen Menschen einem Irrtum hin. Und wenn er dann ein menschliches Ideal aufstellt für den physischen Menschen allein, dann paßt dieses Ideal nicht für den ganzen Menschen. Die Ereignisse, die in der Welt geschehen, dürfen wir nicht so ansehen, daß sie an sich irrtümlich sind. Das, was erscheint, ist schon die Wahrheit; aber die Art, wie der Mensch es ansieht und in seinen eigenen Taten verwertet, das macht oftmals Konfusionen. Und so entstand in den Seelen der Menschen am Ende des 18. Jahrhunderts dadurch eine Konfusion, daß alles in den Leib hinein gewissermaßen projiziert wurde und Ideale, die nur einen Sinn haben, wenn man den Menschen als eine Trinität ansieht, wurden angestrebt für ein menschliches bloß leibliches Monon. Und so kam es denn, daß schöne Ideale am Ende des 18. Jahrhunderts durch die Menschen schwirrten: Brüderlichkeit, Freiheit, Gleichheit! Schöne Ideale schwirrten durch die Menschheit, aber sie schwirrten durch die Menschheit in einer Zeit, in der sie nicht verstanden werden konnten, in der konfundiert wurde Leibliches, Seelisches und Geistiges, weil sie alle miteinander so aufgefaßt wurden, wie sie aufgefaßt werden von Menschen, die in Wahrheit nur an den physischen Menschenleib glauben. Denn für den physischen Menschenleib gilt als Ideal berechtigterweise nur die Brüderlichkeit, und die Freiheit hat nur Sinn, wenn man sie bezieht auf die menschliche Seele, und die Gleichheit hat nur Sinn, wenn man sie bezieht auf den Geist, so, wie sich der Geist auslebt in der Menschheit als das Ich. Nur wenn man weiß, daß der Mensch aus Leib, Seele und Geist besteht, und daß von den drei Idealen vom Ende des 18. Jahrhunderts sich die Brüderlichkeit auf den Leib, die Freiheit auf die Seele, die Gleichheit auf das Ich bezieht, dann redet man in einem Sinn, der mit dem inneren Sinn der spirituellen Welt übereinstimmt. Brüderlichkeit können wir entwickeln, insofern wir als physische Menschen physische Erdenleiber tragen, und wenn wir in die sozialen Ordnungen die Brüderlichkeit aufnehmen, dann ist die Brüderlichkeit für die soziale Ordnung auf dem physischen Plan ein Rechtes. Freiheit kann sich der Mensch nur erwerben in der Seele, insofern er mit der Seele sich auf der Erde verkörpert. Freiheit herrscht auf der Erde nur und ist auf der Erde nur möglich - das wollte auch Goethe in dem schönen Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie ausdrücken -, wenn sie bezogen werden wird auf die Menschenseelen, die in solchen Ordnungen auf der Erde leben, daß sie sich die Fähigkeit erwerben, das Gleichgewicht zu halten zwischen den niederen und den höheren Kräften. Wenn man die Waage zu halten vermag als Mensch zwischen den niederen und den höheren Kräften der Menschenseele, dann entwickelt man diejenigen Kräfte, die leben können hier zwischen Geburt und Tod; man entwickelt auch diejenigen Kräfte, die man braucht, wenn man durch die Pforte des Todes geht.

Und so ist neben der sozialen Ordnung eine seelische Ordnung auf der Erde nötig, in welche die Seelen sich so einbetten können, daß sie die Kräfte der Freiheit entwickeln, die wir durchtragen können durch die Pforte des Todes, die wir nur dann durchtragen werden durch die Pforte des Todes, wenn wir uns vorbereiten für das Leben nach dem Tod in diesem Leben hier. Daß ein solcher seelischer Verkehr gestiftet werde von Seele zu Seele auf der Erde, daß die Seelen sich solche Kräfte entwickeln können, daß alle Ereignisse des Menschenlebens von klein auf, daß alle Gestaltung der Wissenschaften, alle Gestaltung der Künste, alle Gestaltung des menschlichen Schaffens dem Ideale zustreben, daß der Mensch als Seele die Waage zu halten vermag zwischen dem, was geistig wirkt und lebt und dem, was hier physisch wirkt und lebt, das muß ein Ideal werden. Frei wird der Mensch, wenn er sich solche Seelenkräfte zu erwerben vermag in der äußeren physischen Welt, wie er sie zum Beispiel erwerben kann, wenn er die schönen Formen zu verfolgen vermag, die in einer wirklich aus dem Geistigen heraus kommenden Kunst leben. Frei wird der Mensch, wenn der Verkehr zwischen Seele und Seele so ist, daß die eine Seele die andere mit immer größerem und größerem Verständnisse und mit immer größerer und größerer Liebe zu verfolgen vermag. Wenn es sich um die Leiber handelt, kommt die Brüderlichkeit in Betracht. Wenn es sich um die Seelen handelt, kommt in Betracht die Herausgestaltung jener zarten Bande, die sich entwickeln von Seele zu Seele, die sich auch hineinleben müssen in die Struktur des Erdenlebens, die aber darauf gehen müssen, Interesse, tiefes, tiefes Interesse zu begründen in der einen Seele für die andere Seele. Denn nur dadurch können die Seelen frei werden, und nur die Seelen können frei werden.

Gleichheit für die äußere physische Welt gedacht, ist ein Unsinn, denn Gleichheit wäre Einförmigkeit. Alles in der Welt ist in Verwandlung, alles ist in die Zahlen gebannt, alles in der Welt muß sich in der Vielheit und der Vielgestaltigkeit ausleben. Dazu ist die physische Welt da, daß das Geistige durch die Vielheit der Formen gehe. Aber eines bleibt in unserem vielfachen und mannigfaltigen Menschenleben gleich, weil es zunächst ein Anfang ist. Unsere übrige Menschheit tragen wir schon seit der Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit in uns, das Ich erst während der Erdenzeit. Das Ich ist im Anfange!

Unser ganzes Leben zwischen Geburt und Tod kommen wir nicht weiter im Geistigen, als daß wir zu uns «Ich» sagen, und daß wir dieses Ich empfinden. Schauen kann es der Mensch entweder nur außer dem Leibe schon hier zwischen Geburt und Tod durch Initiation, oder wenn er durch die Pforte des Todes schreitet, wo er dann in der Erinnerung zurück an seinen Erdenleib das Ich geistig zu schauen bekommt. Aber durch dieses Ich lebt sich hier auf der Erde alle Mannigfaltigkeit aus. Und die Struktur des Erdenlebens muß so gestaltet werden, daß die Möglichkeit vorhanden ist, daß durch die gleichen Iche all die Mannigfaltigkeiten sich ausleben, die durch die menschlichen Individualitäten in die Erde hereinkommen können. Der eine Mensch lebt diese, der andere jene, ein dritter eine weitere Individualität dar. Alle diese Individualitäten versammeln sich in ihren Wirkungsstrahlen in dem Fokus, in dem Brennpunkt des Ich, gleich; aber dieses, daß wir gleich sind, das macht die Möglichkeit, daß durch dieses Ich dasjenige geht, was wir uns mitteilen als Geister, daß wir ein Gemeinsamkeitsleben der Menschheit entwickeln. Durch das Gleiche geht das Verschiedene. So begründet sich in geistiger Gleichheit dasjenige, was nicht von einem einzelnen Menschen in den ganzen Strom des kosmisch-spirituellen Werdens hineingeht, sondern indem durch unser Ich, durch unser Geistiges schreitet dasjenige, was uns im mannigfaltigen Leben gesetzt ist, wird es ein Gemeinsames, geht als gemeinsamer Strom im kosmischen Werden weiter.

Dem Geiste geziemt die Gleichheit. Und ein Geschlecht wird erst verstehen, wie die drei Ideale von Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit sich in die Menschheit einleben können, welches verstehen wird, daß der Mensch diese Dreigliedrigkeit von Leib, Seele und Geist in sich trägt. Daß das im 18. Jahrhundert und durch das ganze 19. Jahrhundert nicht verstanden werden konnte, das war noch eine Folge der Stärke des ahrimanisch-mephistophelischen Stromes, der auf die Ihnen geschilderte Art, in die neuere Menschheitsentwickelung hineingekommen ist. Konfundiert hat das 18. Jahrhundert Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, indem es die drei angewendet hat allein auf das äußere physische Leben. Wie es das 19. Jahrhundert verstanden hat, kann es nur Chaos, soziales Chaos sein. Und in dieses soziale Chaos würde die Menschheit hineinschreiten müssen, wenn sie nicht aufnähme geistige Wissenschaft, spirituelles Leben, welche zum Verständnis führen werden, daß der Mensch eine Dreiheit ist, welche begründen werden eine Struktur des Erdenlebens für den dreigliedrigen Menschen.