Wirtschaftliche Ausbeutung Russlands

Quelle: GA 174, S. 162-170, 1. Ausgabe 1966, 15.01.1917, Dornach

Will man nämlich eine kommerziell-industrielle Weltherrschaft begründen, so muß man das Hauptgebiet, auf das es ankommt, zunächst in zwei Teile teilen. Das hängt zusammen mit der Natur des Kommerziell-Industriellen. Ich kann mich nur durch einen Vergleich ausdrücken: Es fordert dasjenige, was auf der Welt des physischen Planes geschieht, immer eine Zweispaltung. Stellen Sie sich einmal einen Lehrer ohne Schüler vor - das gibt es nicht. So kann auch nicht ein Kommerzium da sein ohne ein Gebiet, das einem Kommerzium gegenübersteht. Daher muß ebenso, wie auf der einen Seite das britische Kommerzium begründet wird, der russische als der dazugehörige gegensätzliche Pol geschaffen werden. Damit sich die entsprechende Differenzierung ergibt zwischen Einkauf und Verkauf, damit sich die Zirkulation ergibt, braucht man diese zwei Gebiete. Man kann nicht die ganze Welt zu einem einheitlichen Reiche machen; da würde man nicht ein kommerzielles Weltreich begründen können. Es ist das nicht genau dasselbe, aber es ist ähnlich damit, daß wenn man etwas erzeugt, man Abnehmer braucht; sonst kann man nicht erzeugen. So muß es die Zwiespältigkeit geben. Und daß man dieses als einen großen Zug hereingebracht hat in die Sache, das ist ein großer, ein gigantischer Gedanke von jenen okkulten Brüderschaften, von denen ich gesprochen habe. Es ist ein weltgigantischer Gedanke, den Gegensatz zu schaffen, gegenüber dem alles andere als eine Kleinigkeit erscheint, diesen Gegensatz zwischen dem britischen Kommerzimperium und demjenigen, was sich aus dem Russischen heraus ergibt mit der durch die spirituellen Anlagen bewirkten Vorbereitung für den sechsten nachatlantischen Zeitraum mit alledem, was ich Ihnen geschildert habe. - Das ist ein großer, gigantischer, bewundernswürdiger Gedanke von diesen okkulten Brüderschaften, von denen gesprochen worden ist. Denn, trivial ausgedrückt, man kann sich kaum einen schöneren Gegenpol denken für dasjenige, was sich im Westen als höchste Blüte des kommerziellen und industriellen Denkens ausbildete, als den künftigen russischen Slawen, der in der Zukunft ganz gewiß noch weniger als heute geneigt sein wird, sich mit Kommerziellem berufsmäßig zu betätigen, und der ja gerade dadurch ein ganz ausgezeichneter Gegenpol sein wird.

Nun handelt es sich aber darum, daß selbstverständlich ein solches Imperium seine eigenen Bedingungen aussprechen muß. Und es war ein tiefer Gedanke von Spencer und seinem Vorgänger schon, immer wieder zu betonen. Das Industriell-Kommerzielle, das ein Volk durchdringt, will nichts mit Krieg zu tun haben, sondern das ist für den Frieden, braucht den Frieden und liebt den Frieden. - Das ist ganz wahr: Es wird sozusagen eine tiefe Liebe bestehen zwischen dem, was nach dem Kommerziell-Industriellen hinstrebt und dem Friedenselemente der Welt. Nur kann diese Friedensliebe manchmal sonderbare Formen annehmen. In der jetzigen Note an Wilson lebt ja schon etwas Merkwürdiges. Obwohl man bloß das auf die Tafel zu zeichnen braucht, was aus Österreich wird - sehen Sie einmal nach, was aus Österreich geschieht, wenn Sie diese Karte anschauen, die ganz nach der Note gezeichnet ist -, trotzdem wagt diese Note auszusprechen: Als politisches Gemeinwesen soll dasjenige, was in den mitteleuropäischen Völkern lebt, nicht irgendwie berührt werden. - Nun, das ist auch «gigantisch», gigantisch nämlich durch sein absolut frivoles Spielen mit der Wahrheit, denn sonst sagt man gewöhnlich nur das, was unwahr ist, in bezug auf etwas, was außerhalb eines Schriftstückes liegt; aber hier sagt man zwei Dinge auf dem gleichen Papier: Wir werden das Mittelreich zerstückeln, aber wir tun ihm ja eigentlich nichts. - Die Zeitungen begleiten das schon im Chorus dadurch, daß sie schreiben: Man wird sehen, ob die Mittelmächte nun auch die annehmbaren Bedingungen annehmen werden. - Man kann überall lesen: Nun haben die Ententemächte ihre Bedingungen gestellt, man wird sehen, ob diese für die Mittelmächte durchaus annehmbaren Bedingungen nun schroff zurückgewiesen werden. - Es ist in der Tat weit gekommen, aber das kann man lesen.

Folgen wir nun dem Gedanken dahin, wohin er uns geführt hat. Wir haben es also zu tun mit einer Zweispaltung der Welt, und es handelt sich darum, daß diese Zweispaltung der Welt so durchgeführt werde, daß man der Welt sagen kann: Wir wollen den Frieden haben und sind nur für den Frieden. - Das ist nach einem gewissen Rezept, nach dem jetzt sehr vieles geschrieben wird, etwa so, wie wenn einer sagt: Ich will dir gar nichts antun, ich werde dir auch nicht ein Härchen krümmen, sondern ich sperre dich nur in einen tiefen Keller und gebe dir nichts zu essen! Hab ich dir irgendwie das Allergeringste angetan? Kann mir irgendein Mensch sagen, daß ich dir nur ein Härchen gekrümmt habe? - Nach diesem Rezept sind sehr viele Dinge geformt, nach diesem Rezept ist auch die Friedensliebe geformt, trotzdem sie eine Realität ist. Aber wenn sie sich zu gleicher Zeit paart mit der Prätention der kommerziellen Weltherrschaft, so ist sie für den andern nicht akzeptabel, sie kann ganz unmöglich angewendet werden. Und so wird das friedensliebende Kommerzium in der Zukunft in seiner Friedensliebe ganz gewiß einigermaßen gestört werden. - Das wissen selbstverständlich diejenigen auch, die die Welt so zweiteilen, und daher braucht man einen Wall dazwischen. Dieser Wall soll in der großen südeuropäischen Konföderation geschaffen werden, die auch Ungarn und alles das umschließt, was ich gestern angedeutet habe; dies soll gerade Frieden schaffen.