Sozialismus, Gedankenfreiheit und Pneumatologie

Quelle: GA 180, S. 225-227, 2. Ausgabe 1980, 11.01.1918, Dornach

Aber nun nehmen Sie unsere anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. [...] Man kann immer in ihr Neues erfahren, das die Seele ergreift, das die Seele wieder jung macht. Und mancherlei Neues könnte schon auf geisteswissenschaftlichem Boden gefunden werden, auch solches Neue, welches Blicke hineintun ließe in wichtigste Probleme der Gegenwart. Vor allen Dingen aber braucht die Gegenwart einen Impuls, der den Menschen als solchen unmittelbar ergreift. Nur dadurch kann diese Gegenwart herauskommen aus den Kalamitäten, in die sie hineingekommen ist und die so katastrophal wirken.

Die Impulse, um die es sich handelt, müssen unmittelbar an den Menschen herankommen. Und wenn man nun nicht Friedrich Schlegel ist, sondern ein Einsichtiger ist in das, was wirklich der Menschheit not tut, dann kann man sich trotzdem an einzelne schöne Gedanken, die Friedrich Schlegel gehabt hat, halten und sich wenigstens an ihnen freuen. Er hat davon gesprochen, daß nicht von einem gewissen Standpunkte aus die Dinge verabsolutiert werden dürfen. Er hat zunächst nur die Parteien gesehen, die immer ihr eigenes Prinzip als das Alleinseligmachende für alle Menschen betrachten. Aber noch viel mehr wird in unserer Zeit verabsolutiert. Es wird vor allen Dingen nicht berücksichtigt, daß im Leben ein Impuls unheilvoll für sich sein kann, im Zusammenwirken aber mit andern Impulsen heilsam sein kann, weil er dann etwas anderes wird. Denken Sie sich einmal, wenn ich schematisch das aufzeichnen soll, drei Richtungen, die zusammenlaufen.

Die eine Richtung soll uns symbolisieren nicht gerade den landläufigen trivialen oder Leninschen, sondern den Sozialismus, welchem die moderne Menschheit zusteuert. Die zweite Linie soll uns symbolisieren dasjenige, was ich Ihnen oftmals charakterisiert habe als Gedankenfreiheit, und die dritte Richtung Geisteswissenschaft. Diese drei Dinge gehören zusammen. Im Leben müssen sie zusammenwirken.

Versuchte der Sozialismus, so wie er als grober materialistischer Sozialismus heute auftritt, in die Menschheit einzudringen, so würde er das größte Unglück über die Menschheit bringen. Er wird bei uns symbolisiert durch den Ahriman unten in unserer Gruppe, in allen seinen Formen. Versucht die falsche Gedankenfreiheit, die bei jedem Gedanken stehenbleiben will und ihn geltend machen will, einzudringen, wird wiederum Unheil über die Menschheit gebracht. Dieses wird symbolisiert durch Luzifer in unserer Gruppe. Aber ausschließen können Sie weder Ahriman noch Luzifer aus der Gegenwart; nur müssen sie ausgeglichen werden durch Pneumatologie, durch Geisteswissenschaft, die durch den Menschheitsrepräsentanten, der in der Mitte unserer Gruppe steht, repräsentiert wird.

Immer wieder und wiederum muß man darauf hinweisen, daß Geisteswissenschaft nicht bloß etwas sein soll für Menschen, die sich aus dem Lebenszusammenhange herausgerissen haben durch den einen oder den andern Umstand, und die sich ein bißchen anregen lassen wollen durch allerlei Dinge, die zusammenhängen mit höheren Angelegenheiten, sondern daß Geisteswissenschaft, anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft etwas sein soll, was mit den tiefsten Bedürfnissen unseres Zeitalters zusammenhängt. Denn dieses unser Zeitalter ist so, daß seine Kräfte nur überschaut werden können, wenn man ins Geistige hineinsieht. Das ist ja etwas, was mit den schlimmsten Übeln in unserer Zeit zusammenhängt, daß zahllose Menschen heute keine Ahnung davon haben, daß im sozialen, im sittlichen, im geschichtlichen Leben übersinnliche Kräfte walten, daß allerdings, ebenso wie die Luft, so übersinnliche Kräfte um uns herum walten. Die Kräfte sind da und sie fordern, daß wir sie wissend aufnehmen, um sie wissend zu dirigieren; sonst können sie von Unwissenden oder Unverständigen in falsche Bahnen gelenkt werden. Es darf allerdings die Sache nicht trivialisiert werden. Es darf nicht geglaubt werden, daß man auf diese Kräfte so hinweisen kann, wie man oftmals aus dem Kaffeesatz oder aus anderem die Zukunft vorhersagt. Aber mit der Zukunft, mit der Gestaltung der Zukunft hängt doch dasjenige zusammen in einer gewissen Weise, und manchmal in einer recht naheliegenden Weise, was nur dann erkannt werden kann, wenn man von geisteswissenschaftlichen Prinzipien ausgeht.