Webstuhl entscheidender als Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Quelle: GA 183, S. 090-091, 1. Ausgabe 1967, 25.08.1918, Dornach

Nicht wahr, die Menschen haben seit, nun, sagen wir zweihundert Jahren, wie sie glauben, furchtbar viel gedacht. Man kann zusammenstellen, was die Menschen seit zweihundert Jahren gedacht haben, was sie an Idealen ausgebildet haben, wovon sie als den großen Idealen gesprochen haben und immer wieder sprechen: von dem Ideal der Aufklärungszeit bis jetzt zu dem Ideal des großen Cäsar-Ersatzes Woodrow Wilson. All dasjenige, was da über die verschiedenen Ideale gesprochen worden ist, das haben die Menschen durch die Jahrhunderte, durch zwei Jahrhunderte hindurch gedacht; das bildete die Gedanken der Menschen. Aber die Weltgeschichte ist wenig bewegt worden von diesen Gedanken. Die Weltgeschichte ist von etwas ganz anderem bewegt worden: von jenen Gedanken, die in den Dingen gewirkt und gewebt haben. Und niemals waren eigentlich die Gedanken, die in den Menschenköpfen wimmeln, weiter entfernt von den großen kosmischen Gedanken, die in den Dingen leben, als in unserer Zeit. Dasjenige, was seit, man kann sagen, hundertfünfzig Jahren die Menschen dazu getrieben hat, eine gewisse Gestaltung der Welt zu bewirken, das sind nicht die Gedanken von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und so weiter, sondern das sind die Gedanken, welche verwoben waren zum Beispiel mit dem Aufkommen des mechanischen Webstuhls. Daß der mechanische Webstuhl hereingekommen ist in die moderne Entwickelung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, daß sich diese bedeutsame Erfindung des mechanischen Webstuhls an die Stelle der alten Handweberei hineingefunden hat in die Menschheitsentwickelung, und daß von diesem mechanischen Webstuhl die ganze Maschinenkultur der neueren Zeit ausgegangen ist, darinnen weben die objektiven Gedanken, die wirklichen Gedanken, welche der Welt die Gestaltung gegeben haben, die sie bis heute hat, und aus der das gegenwärtige katastrophale Chaos entstanden ist. Man muß nicht, wenn man eine Geschichte schreiben will des gegenwärtigen katastrophalen Chaos, an die Gedanken, die in dem Menschenbewußtsein gewimmelt haben, sich wenden, sondern an diese objektiven Gedanken von der Begründung, von der Erfindung des mechanischen Webstuhls bis zu dem Werden der Großindustrie und ihres Schattens, des Sozialismus. Denn wenn das auch scheinbare Gegensätze sind, Großindustrie und Sozialismus, so sind sie polarische Gegensätze, die zueinander gehören, sie sind nicht voneinander zu trennen. Bei diesen objektiven Gedanken muß man anfragen und das geschichtliche Werden betrachten.