Fabrik braucht ein gemeinsames Geistesleben

Quelle: GA 189, S. 133-135, 3. Ausgabe 1980, 07.03.1919, Dornach

Wie ragt zum Beispiel das Geistesleben in das Wirtschaftsleben mit seinem Wirken hinein? Was ist denn im Wirtschaftsleben vom Geist eigentlich so recht wirtschaftlich vorhanden? Wissen Sie, was da ist? Das ist nämlich gerade das Kapital. Das Kapital ist der Geist des Wirtschaftslebens. Und ein großer Teil der Schäden unserer heutigen Zeit beruht darauf, daß die Kapitalverwaltung, die Kapitalfruktifizierung dem Geistesleben entzogen ist. Darum handelt es sich gerade, daß das Verhältnis, sagen wir, des körperlich Arbeitenden zu dem mit Hilfe des Kapitals Organisierenden, ebenso behandelt werden kann im gesunden sozialen Organismus als ein bloßes, auf gegenseitigem Verständnis ruhendes Vertrauensverhältnis, wie zum Beispiel die Wahl der freien Schule. Im gesunden sozialen Organismus kann gar nicht jene Abschließung zwischen dem Unternehmer und dem Arbeiter weiter bestehen. Heute steht der Arbeiter an der Maschine und weiß nichts, als was an der Maschine vorgeht. Daher treibt er natürlich [] seine Allotria außerhalb der Fabrik. Und der Unternehmer wiederum hat sein eigenes Leben - ich habe es Ihnen vorhin geschildert -, wie es sich herausgebildet hat, daß die Jünglinge mit tiefen Rändern unter den Augen herumliefen und Tuberosen am Bette hatten, wenn sie schliefen. Der Unternehmer führt das losgelöste Geistesleben - losgelöst eben für andere, nicht für ihn. Aber ein gewisses Geistesleben muß vordringen, das nicht körperlich Arbeitende und geistig Arbeitende trennt - dann ist der Kapitalismus auf eine soziale Grundlage gestellt, allerdings nicht wie die Schwarmgeister der Gegenwart meinen, sondern dadurch, daß nun wirklich eine Möglichkeit geschaffen werde, daß jeder einzelne Arbeiter in einem Geisteszusammenhang steht mit all denen, die seine Arbeit organisieren und wiederum das Produkt seiner Arbeit in den sozialen Organismus oder sogar in die ganze Welt überleiten.

Es muß als eine Notwendigkeit angesehen werden, daß ebenso wie an der Maschine gearbeitet wird, ebenso regelmäßig in Besprechungsstunden zwischen dem Unternehmer und dem Arbeiter die geschäftlichen Verhältnisse besprochen werden, so daß der Arbeiter fortdauernd ganz genau den Überblick hat über dasjenige, was geschieht - das ist es, was für die Zukunft angestrebt werden muß - und daß der Unternehmer wiederum jederzeit genötigt ist, sich völlig zu decouvrieren vor dem Arbeiter und mit ihm alle Einzelheiten zu besprechen, so daß ein gemeinsames Geistesleben die Fabrik, die Unternehmung umschließt. Darauf kommt es an. Denn ist es erst möglich, daß sich jenes Verhältnis herausstellt, auf Grund dessen der Arbeiter sich sagt: Ja, der ist ja ebenso notwendig wie ich, denn was soll meine Arbeit im gesellschaftlichen Organismus, wenn der nicht da ist? Der stellt meine Arbeit an den richtigen Platz. - Aber der Unternehmer wird auch genötigt sein, diese Arbeit wirklich an den richtigen Platz zu stellen und ihm das seinige zukommen zu lassen, denn alles wird durchschaubar sein.

Da sehen Sie, meine lieben Freunde, wie in das Wirken des Kapitalismus hinein das geistige Leben spielen muß. Und alles andere ist heute eine bloße Rederei, eine bloße Schwarmgeisterei. Ein gesundes Verhältnis zwischen der Arbeit und dem Kapital kann nicht in sozialistisch-bürokratischer Weise [] herbeigeführt werden, sondern lediglich dadurch, daß durch ein gemeinsames Geistesleben derjenige, der die individuellen Fähigkeiten dazu hat, auf diesem Gebiete, also kapitalistisch, auch wirklich produzieren kann, seine individuellen Fähigkeiten für den gesunden sozialen Organismus fruktifizieren kann und ihm freies Verständnis entgegenkommen wird von demjenigen, der körperlich arbeiten wird. Verständnis wird entstehen können für die Initiative der individuellen Fähigkeiten, die im freien Geistesleben von vornherein sozialisiert sind, die nur heute antisozial wirken, weil wir in unnatürlichen Verhältnissen drinnen sind. Auf der freien Initiative der individuellen Fähigkeiten und auf dem freien Verständnis, das den Leistungen der individuellen Fähigkeiten entgegenkommt, muß die Sozialisierung beruhen; eine andere gibt es nicht.