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Recht als Zurechtrücken
Quelle: GA 190, S. 064-065, 2. Ausgabe 1971, 28.03.1919, Dornach
Nun frage ich Sie: Wie viele Menschen denken zum Beispiel konkret, wenn sie, sagen wir, lesen von einer Gerichtsverhandlung, wo Richter waren, die gerichtet haben, Urteile gesprochen haben, also die richterliche Tätigkeit ausübten? Wo in aller Welt wird konkret gedacht, wenn irgend jemand das Hauptwort ausspricht, das Substantivum «das Recht»? Stellen Sie sich nur einmal diese schattenhafteste Abstraktheit vor, die in den Köpfen vorhanden ist, wenn vom Recht gesprochen wird, wenn «rechten», «das Richtige» in der Sprache zum Ausdruck kommt? Was ist denn eigentlich, rein sprachlich genommen, das Recht? Wir haben jetzt viel gesprochen davon, daß der Staat vor allem ein Rechtsstaat sein soll. Was ist denn rein so für sich genommen das Recht? Es bleibt für die meisten eine ganz schattenhafte Vorstellung, eine Vorstellung, die in Abstraktionen wüstester Art spielt. Wie können Sie denn zu einer konkreten Vorstellung vom Recht kommen? Wollen wir da einmal im einzelnen Fall die Sache durchgehen.
Sie haben schon gehört, daß man gewisse Menschen linkisch nennt. Was sind linkische Menschen? Sehen Sie, was wir mit der linken Hand auszuführen versuchen, wenn wir nicht gerade Linkshänder sind, das tun wir gewöhnlich ungeschickt, da sind wir nicht anstellig dazu. Wenn jemand sich in seinem ganzen Leben so verhält, wie man sich selber verhält, wenn man etwas mit der linken Hand tut, so ist er linkisch. Es liegt der Bezeichnung «linkisch» die ganz konkrete Vorstellung zugrunde: Der macht alles so, wie ich es mache, wenn ich etwas mit der linken Hand tue; nicht irgendeine wüste Abstraktheit, sondern das ganz Konkrete: Der verhält sich so, wie ich mich in den Fällen verhalte, wo ich etwas mit der linken Hand mache. Daraus entsteht, konkret aufgefaßt, ein Gefühlsgegensatz zwischen dem Linkischen und dem Rechtsischen, demjenigen, was man mit der rechten Hand macht und dem, was man mit der linken Hand macht. Und das, was rechtsisch ist, das wird im Substantivum «das Recht». Das Recht ist einfach ursprünglich dasjenige, was so geschickt für die Wirklichkeit gemacht wird, wie das, was man mit der rechten und nicht mit der linken Hand macht.
Da haben Sie schon etwas Konkretheit in die Sache hineingebracht. Jetzt aber stellen Sie sich einmal vor - Sie brauchen sich es ja nur an der Uhr vorzustellen, aber es gibt zahlreiche andere Fälle, wo man Ähnliches tun könnte -, Sie werden in der Regel nicht, wenn Sie eine Uhr zu richten haben, mit der linken Hand drehen, sondern mit der rechten Hand: da richten Sie die Uhr. Dieses Drehen von links nach rechts, das man mit der rechten Hand macht, das ist das konkrete Richten, Rechten. Man sagt sogar «zurechtrichten». Da haben Sie die konkrete Vorstellung des von links nach rechts im Kreisegehens, des Zurechtsetzens. Das ist richten. Einer der nach links abgeirrt ist, wohin er nicht sollte, den setzt der Richter zurecht.