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Menschenrechte statt Vorrechte
Quelle: GA 330, S. 068-070, 2. Ausgabe 1983, 23.04.1919, Stuttgart
Im Altertum gab es Sklaven, da verkaufte man den ganzen Menschen. Er wurde Eigentum des Besitzers, wie eine Kuh ging er in dessen Besitz über. Später kam die Leibeigenschaft. Da verkaufte man etwas weniger aber immer noch genug vom Menschen. In der neueren Zeit verkauft man die Arbeitskraft. Aber wenn der Arbeiter seine Arbeitskraft verkaufen muß, muß er ja doch mit der Arbeitskraft dorthin gehen, wo er sie verkauft. Er muß in die Fabrik gehen. Also er verkauft sich dort selbst mit der Arbeitskraft. Er kann seine Arbeitskraft nicht in die Fabrik schicken. Hinter dem Arbeitsvertrag steckt deshalb nicht viel. Erst dann ist ein Heil zu erwarten, wenn die Verfügung über die Arbeitskraft ganz herausgenommen ist aus dem Wirtschaftlichen, wenn aus dem Staat heraus die Entscheidung auf demokratischer Grundlage über das Maß, über die ganze Art und Weise, wie eigentlich gearbeitet werden soll, getroffen wird. Bevor der Arbeiter überhaupt die Fabrik oder die Arbeitswerkstätte betritt, ist schon auf demokratischer Grundlage aus dem Staate heraus, mit seiner Stimme über seine Arbeit entschieden. Was wird dadurch erreicht? Sehen Sie, das Wirtschaftsleben ist auf der einen Seite abhängig von Naturkräften. Die können wir nur bis zu einem gewissen Grade meistern. Die greifen ein in die menschlichen Verhältnisse. Wieviel zum Beispiel in irgendeinem Lande Weizen gedeiht, wieviel Rohstoffe unter der Erde liegen, das ist von vornherein gegeben, danach muß man sich richten. Man kann nicht sagen, man muß die Preise des einen oder des anderen so haben, wenn das der Menge der Rohstoffe widersprechen würde. Das ist die eine Grenze. Eine andere Grenze muß die Verwendung der menschlichen Arbeitskraft werden. So wie die Naturkräfte unter dem Boden für das Korn liegen und der Mensch darüber nichts vermag im Wirtschaftsleben, so muß dem Wirtschaftsleben die Arbeitskraft geliefert werden von außerhalb. Wenn sie von innerhalb geliefert wird, wird der Lohn immer abhängig sein von der wirtschaftlichen Konjunktur. Erst wenn außerhalb des Wirtschaftslebens, ganz unabhängig, auf rein demokratischer, staatlicher Grundlage festgestellt wird, welcher Art die Arbeit ist, wie lange die Arbeit dauern darf, dann geht der Arbeiter mit seinem Arbeitsrecht in die Arbeit hinein. Dann wird das Arbeitsrecht wie eine Naturkraft.
Dann ist das Wirtschaftliche eingeklemmt zwischen der Natur und dem Rechtsstaat. Dann findet der Arbeiter nicht mehr im Staate, was er in den letzten drei bis vier Jahrhunderten gefunden hat. Er findet nicht mehr Klassenkampf, Klassenvorrecht, sondern Menschenrechte. Nur auf diese Weise, daß wir den Staat als ein besonderes soziales Gebilde absondern von den beiden anderen Gebieten, kommen wir zum gedeihlichen sozialen Fortschritt, kommen wir zu einem Heil, wie es sich überhaupt für alle Menschen auf der Erde finden kann. Über diese Vorurteile, daß der Staat vom Wirtschaftsleben aus geregelt werden soll und nicht das Wirtschaftsleben von dem von ihm unabhängigen Staate, über dieses Vorurteil müssen wir hinauskommen, sonst denken wir immer verkehrt in die Zukunft hinein.
Ebenso wie mit dem Arbeitsrecht ist es mit dem Besitzrecht. Sehen Sie, zuletzt gehen eigentlich die Grundlagen alles heutigen Besitzes auf alte Eroberungen zurück, auf alte Kriegsunternehmungen; aber das hat sich umgestaltet. Volkswirtschaftlich hat der Eigentumsbegriff überhaupt keinen Sinn. Er ist eine reine Illusion. Er ist nur da zur Beruhigung für gewisse bürgerliche Gemüter. Volkswirtschaftlich - was bedeutet denn der Eigentumsbegriff? Er bedeutet lediglich ein Recht, nämlich das Verfügungsrecht über Sachen, über Boden, über Produktionsmittel. Das Verfügungsrecht muß ebenso in die Kompetenz des Staates hineingestellt werden wie das Arbeitsrecht. Das können Sie nur, wenn Sie alle wirtschaftlichen und geistigen Gewalten fortschaffen aus dem Staate heraus. Das können Sie nur, wenn Sie das Wirtschaftsleben auf der einen Seite ganz selbständig führen, auf der anderen Seite ebenso selbständig das Geistesleben, und so dem Staate nur übrig bleibt die Demokratie.
Es wird zunächst schon schwer sein, sich in diese Gedanken hineinzufinden, aber ich bin überzeugt, daß der Proletarier es fühlen wird, wie diese Gedanken Zukunft enthalten. Innerhalb des wirtschaftlichen Lebens darf sich nichts bewegen als Ware. Heute bewegt sich darin auch Besitz, das heißt eigentlich Recht. Man kann heute auch einfach Rechte kaufen. Mit der Arbeitskraft hat man ja auch das Recht der Verfügung über die Person. Mit dem Besitz von Produktionsmitteln, von Boden kauft man das Recht, darüber zu verfügen. Rechte kauft man.
Rechte dürfen in der Zukunft nicht mehr gekauft werden; sie müssen vom Staate, der mit Kauf und Verkauf nichts zu tun hat, verwaltet werden, so daß jeder Mensch in der gleichen Weise teilhat an der Verwaltung. Im Kreislauf des Wirtschaftslebens wird nichts anderes zirkulieren als das, was sich darstellen läßt in Warenproduktion, Warenzirkulation, Warenkonsumtion.