Die Preise lassen sich durch Sozialisierung statt Individualisierung der Betriebe gestalten

Quelle: GA 330, S. 204-207, 2. Ausgabe 1983, 16.05.1919, Stuttgart

Was als zweite Aufgabe sich notwendig machen wird in der Zukunft, das wird eine aus den Gesetzen des Wirtschaftslebens heraus sich ergebende Preisregulierung sein, die darstellen wird den gegenseitigen Wert der Waren. Denn nur dadurch wird es möglich sein, daß das Grundgesetz aller Sozialisierung verwirklicht werde, wenn man eine solche Preisregulierung in der wirtschaftlichen Erfahrung wird wahrnehmen können. Dadurch wird es möglich sein, daß das Grundgesetz aller Sozialisierung erfüllt werde, das doch im Grunde genommen in nichts anderem besteht, als daß dasjenige, was ein normaler Mensch durch normale, in seinen Anlagen begründete Menschenarbeit leisten kann, gleichkommt demjenigen, was die Gesellschaft, in der er sich befindet, für ihn leistet, so daß jeder für das, was er produziert, aus der Gesellschaft heraus den äquivalenten Konsum haben kann. Dazu muß selbstverständlich kommen, was aus der Gemeinschaft geleistet werden muß für diejenigen Menschen, die durch Krankheit, Alter oder Unnormalität von der Gesellschaft selbst erhalten werden müssen. Diese Sache wird durch keinerlei Lohnkampf oder ähnliches erreicht, sondern lediglich dadurch, daß sich die Wirtschaftszirkulation so vollzieht, daß eine gesunde Preisbildung, nicht zu niedere und nicht zu hohe Preise da sind. Die Preise an sich, meine sehr verehrten Anwesenden, man kann auch sagen, sie seien gleichgültig. Es kommt nur immer darauf an, daß man dasjenige verdient, was die Dinge kosten. Das wäre aber nur der Fall in solchen Gesellschaften, welche bloß Bodenprodukte erarbeiten. In dem Augenblick, wo in einer Gesellschaft zugleich Produkte fabriziert werden müssen, zu denen man vom Menschen wiederum fabrizierte Produktionsmittel braucht, gibt es einen notwendigen Normalpreis, der nicht über - und nicht unterschritten werden darf.In dieser Beziehung könnte selbst von der Geschichte außerordentlich viel gelernt werden, wenn man die Geschichte heute schon so betrachten könnte, daß dieser Betrachtung zugrunde lägen nicht Wirtschaftsphantastereien wie vielfach in den Wirtschaftsgeschichten der verflossenen Jahre, sondern wirkliche Erkenntnisse der wirtschaftlichen Gesetze. Es ist zum Beispiel außerordentlich lehrreich für den Menschen, der es auf diesem Boden ehrlich meint, daß wir für die wesentlichsten Gegenden Mitteleuropas schon einmal so weit waren, daß nahezu eine Art Normalpreisbildung über weite Territorien hin vorhanden war. Das war ungefähr im fünfzehnten, gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Diese Normalpreisbildung - bitte lesen Sie das in den Geschichten, die wenigstens einige Anhaltspunkte darüber geben, nach -, die dazumal über einen großen Teil von Europa ging, sie war nur dadurch möglich geworden, daß die alte Hörigkeit und halbe Sklavenverhältnisse, die alte Erbpächterei und dergleichen allmählich besseren Zuständen gewichen waren, besseren Zuständen, durchaus keinen idealen Zuständen. Dann aber trat ein Ereignis ein, welches dieser wirtschaftlichen Entwickelung den Boden entzog. Man kann gar nicht leicht sagen, was es für die europäische Menschheit bedeutet hätte, wenn dieses Ereignis nicht eingetreten wäre. Selbstverständlich will ich nicht schlechte Geschichtskonstruktion treiben, will mich keiner Geschichtskritik hingeben, sondern nur auf diese Dinge hinweisen zum besseren Verständnis, denn was geschah, mußte geschehen. Man kann gar nicht ausdenken, welche wirtschaftliche Entwickelung wir genommen hätten nach dem Günstigen hin, wenn dasjenige, was schon vorbereitet war um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, wenn das eine geradlinige Fortsetzung gefunden hätte. Aber es ist abgeschnitten worden durch die radikale Einführung der römischen Rechtsbegriffe; abgeschnitten worden dadurch, daß gerade von dem Rechtsboden aus das Wirtschaftsleben gestört worden ist. Wer diese Erscheinung in ihren Fundamenten kennt, der hat schon darin einen ungeheuer starken geschichtlichen Beweis für die Notwendigkeit der Abgliederung des eigentlich staatlichen Lebens von dem wirtschaftlichen. Alte Menschheitsgewohnheiten führten zu einer gewissen Sympathie für diese römischen Rechtsbegriffe. Im Baltenlande, von dem so viel Reaktionäres ausgegangen ist, fanden sich im Landtag Leute, welche sagten: Nach den römischen Rechtsbegriffen, die wir wieder einführen müssen, weil das die richtigen sind, müßten eigentlich die Bauern wiederum Sklaven werden. Solche Dinge müssen heute, wo wir, wie ich schon sagte, nicht vor der kleinen, sondern vor der großen Abrechnung stehen, im Grunde genommen mit gesundem Seelenauge durchschaut werden, durchschaut werden in all ihrer Konsequenz für die Gegenwart. Man wird aber brauchen, wenn man nach dieser Seite hin und noch nach mancher anderen das selbständige Wirtschaftsleben wird praktisch gestalten wollen, eine wirkliche Organisierung gerade des Rätesystems. Es wird sich darum handeln, daß dasjenige, was heute ersehnt wird, was erhofft wird, was einige Menschen sich schon bestreben aus einem gewissen Zeitverständnis heraus auf seine Füße zu stellen, das System der Betriebsräte, daß das in den Betrieb hineingestellt wird, damit es Vermittler sein kann zwischen den Arbeitern und den Arbeitsleitern der Zukunft in dem Sinne, wie ich das in meinem letzten Vortrag hier charakterisiert und wie ich es namentlich in meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage» dargestellt habe. Das wird die erste Aufgabe sein, auf welche die Betriebsräte werden kommen müssen, wirklich Vermittler sein zu können für jene Verträge, die über die Leistungen abgeschlossen werden müssen zwischen den Arbeitern und Arbeitsleitern der Zukunft, die keine Kapitalisten weiter sein werden. Aber alle diese Dinge können heute schon vorbereitet werden. Alle diese Menschen, die in solcher Räteschaft drinnen stehen, können heute schon Funktionen, wenn es auch nur Übergangsfunktionen sein können, übernehmen. Weiter wird der Betriebsrat vor allen Dingen zu vermitteln haben alles das, was aus dem Betrieb heraus sich als allgemeine Interessen des Lebens in einem geschlossenen Wirtschaftskörper geltend macht. Noch anderes wird aber nötig sein für dieses Betriebsrätesystem, wenn man nicht wirtschaftlich weiter individualisieren will, womit gerade die Arbeiterschaft nach kurzer Zeit am wenigsten einverstanden sein würde; wenn man das ganze Wirtschaftsleben, den zusammengehörigen Wirtschaftskörper wird sozialisieren wollen, dann wird man manche andere Typen von Räten brauchen. Ich möchte nur aus den Arten der Räte herausheben, daß man Verkehrsräte brauchen wird und außerdem Wirtschaftsräte. Nahestehen werden die Betriebsräte den Produktionsverhältnissen und Produktionsbedürfnissen der arbeitenden Menschheit. Nahestehen werden die Wirtschaftsräte den Konsumtionsverhältnissen. Das wird einen Wirtschaftskörper geben, welcher vor allen Dingen ein wirkliches Rätesystem darstellen wird.