Inspiriertes Recht durch Rechtswissenschaft als ihr Vor- statt Abbild

Quelle: GA 296, S. 059-064, 4. Ausgabe 1991, 11.08.1919, Dornach

In der Gesellschaft, welche die Gesellschaft der Zukunft sein soll, da wird außerdem in einer richtigen Weise herrschen müssen die Arbeit. Wie heute unter den Menschen von der Arbeit geredet wird, das ist geradezu eine Torheit, denn die Arbeit als solche hat im Grunde genommen gar nichts zu tun mit der Erzeugung der Güter. Karl Marx nennt die Ware kristallisierte Arbeitskraft. Das ist bloßer Unsinn, nichts weiter. Denn dasjenige, um was es sich handelt, wenn der Mensch arbeitet, das ist, daß er in einer gewissen Weise sich selbst verbraucht.

Nun können Sie dieses Selbstverbrauchen bewirken entweder auf die eine oder auf die andere Weise. Sie können, wenn Sie gerade genügend auf einer Bank oder in Ihrem Portemonnaie haben, Sport treiben und sich bei diesem anstrengen und Ihre Arbeitskraft auf diesen Sport verwenden. Sie können aber auch Holz hacken oder irgend etwas anderes tun. Die Arbeit kann ganz die gleiche sein, wenn Sie Holz hacken oder wenn Sie Sport treiben. Nicht davon hängt es ab, wieviel Arbeitskraft Sie anwenden, sondern wozu diese Arbeitskraft angewendet wird im sozialen Leben. Arbeitskraft an sich hat mit dem sozialen Leben nichts zu tun, insofern dieses soziale Leben Güter oder Waren erzeugen soll., Daher wird es nötig sein im dreigliedrigen sozialen Organismus, daß ein ganz anderer Antrieb zur Arbeit da sein muß als derjenige, Güter zu erzeugen. Die Güter müssen gewissermaßen durch die Arbeit erzeugt werden, weil die Arbeit eben auf etwas verwendet wird. Aber dasjenige, was zugrunde liegen muß, damit der Mensch arbeitet, das muß die Lust und Liebe zur Arbeit sein. Und wir kommen nicht früher zu einer sozialen Gestaltung des sozialen Organismus, als wenn wir die Methoden finden, daß der Mensch arbeiten will, daß es ihm eine Selbstverständlichkeit ist, daß er arbeitet.

Das kann in keiner anderen Gesellschaft geschehen, als in einer solchen Gesellschaft, in der Sie von inspirierten Begriffen reden. Niemals wird in der Zukunft so wie in der Vergangenheit, wo die Dinge instinktiv und atavistisch waren, Lust und Liebe zur Arbeit die Menschen durchglühen, wenn Sie die Gesellschaft nicht durchdringen mit solchen Ideen, mit solchen Empfindungen, die durch Inspiration der Eingeweihten in die Welt kommen. Diese Begriffe müssen die Menschen so tragen, daß die Menschen wissen: Wir haben den sozialen Organismus vor uns und wir müssen uns ihm widmen; das heißt, daß die Arbeit selber in ihre Seele fährt, weil sie Verständnis haben für den sozialen Organismus. Solches Verständnis werden keine anderen Menschen haben, als diejenigen, zu welchen von inspirierten Begriffen, das heißt von Geisteswissenschaft geredet wird.

Das heißt, wir brauchen, damit die Arbeit wiederum erstehe unter den Menschen, nicht jene hohlen Begriffe, von denen heute deklamiert wird, sondern wir brauchen geistige Wissenschaften, mit denen wir die Herzen, die Seelen durchdringen. Dann wird diese geistige Wissenschaft die Herzen, die Seelen so durchdringen, daß die Menschen Lust und Liebe zur Arbeit haben werden, und es wird sich die Arbeit hinstellen neben die Ware in einer Gesellschaft, die nicht nur von Bildern hört, durch Jene, welche die Pädagogen der Gesellschaft sind, sondern die auch hört von Inspirationen und solchen Begriffen, die notwendig sind, damit in unserer komplizierten Gesellschaft die Produktionsmittel da sind und damit der Boden in entsprechender Weise unter den Menschen wirke.

Dazu ist notwendig, daß intuitive Begriffe in dieser Gesellschaft verbreitet werden. Diese Begriffe, die Sie finden in meinem Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» über das Kapital, die werden nur in einer Gesellschaft erblühen, die empfänglich ist für intuitive Begriffe. Das heißt: Es wird sich hineinstellen das Kapital in den sozialen Organismus, wenn man wiederum zugeben wird, daß in den Menschen Intuition sein soll. Die Ware wird sich in der richtigen Weise hineinstellen, wenn man zugeben wird, daß Imagination sein soll; und die Arbeit wird sich in der richtigen Weise hineinstellen, wenn man zugeben wird, daß Inspiration sein soll.

Wenn Sie dieses Schema nehmen, wenn Sie nicht die drei Begriffe untereinander schreiben, sondern wenn Sie sie so schreiben, wie ich sie in dieses Schema hineingestellt habe, dann können Sie von diesem Schema, wenn Sie es mit all den Begriffen durchdringen, die in meinem Buche stehen über die Dreigliederung, sehr viel lernen.

Denn es bestehen Beziehungen hin und her von Arbeit zu Ware, von Ware zu Kapital, indem das Kapital die Ware kauft; es bestehen Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital und so weiter, nur müssen Sie sie in dieser Weise anordnen, die drei Begriffe.

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Das ist es, was wir vor allen Dingen verstehen müssen, daß es schon recht ist, wenn man davon redet, in der Zukunft müsse die Menschheit durchdringen die soziale Ordnung; daß aber es notwendig ist, daß diese soziale Ordnung von den Menschen selber verwirklicht wird, indem die Menschen sich bequemen, der Wissenschaft der Eingeweihten zuzuhören von den Imaginationen, Inspirationen und Intuitionen. Es ist eine ernste Sache, denn ich sage Ihnen ja nichts Geringeres damit, als daß es ohne Geisteswissenschaft keine soziale Umgestaltung für die Zukunft gibt; aber das ist wahr. Sie werden niemals die Möglichkeit bekommen, die Menschen zum Verständnis zu bringen in einer solchen Weise, wie es notwendig ist in bezug auf diese Dinge wie Intuition, Imagination, Inspiration, wenn Sie zum Beispiel die Schule dem Staate überlassen. Denn was machen die Staaten aus den Schulen?

Nicht wahr, betrachten Sie etwas, was ganz eminent schulmäßig auf der einen Seite und staatsmäßig auf der andern Seite ist. Ja, ich muß Ihnen gestehen, ich finde, es ist etwas Furchtbares! Aber dieses Furchtbare bemerken die Menschen der Gegenwart nicht; dies, was es mit dem Staatsrecht zum Beispiel ist. Das Staatsrecht, es soll ja entstehen im Sinne derjenigen Lebensgewohnheiten, welche die Menschen heute noch als das Richtige in ihre Seele aufnehmen, dadurch, daß meinetwillen Parlamente - ich will auf den Demokratismus schauen, will gar nicht einmal auf das Monarchische, sondern meinetwillen auf den Demokratismus schauen -, also dadurch, daß Parlamente da sind, werden die staatsrechtlichen Dinge beschlossen: da macht man das Staatsrecht, da macht es jeder mündig gewordene Mensch durch seinen Vertreter, das Staatsrecht. Da werden die Dinge beschlossen, dann stehen sie in den Gesetzessammlungen.

Dann kommt der Professor, der studiert die Gesetzessammlungen, und dann unterrichtet er dasjenige, was in den Gesetzessammlungen steht, selbstverständlich als Staatsrecht, denn das trägt er als Staatsrecht vor. Das heißt, der Staat nimmt ins Schlepptau die Wissenschaft gerade in diesem Punkt im eminentesten Sinn. Der Staatsrechtslehrer darf nichts anderes vortragen als dasjenige, was im Staate als Recht da ist. Man brauchte gar nicht einmal im Grunde genommen den Professor, wenn man in der Lage wäre, die staatsrechtlichen Gesetze auf Rollen zu schreiben, in irgendeinen Phonographen hineinzutun: dann könnte man auch den Phonographen aufs Katheder stellen, der brauchte ja nur das abzurasseln, was die Parlamente beschlossen haben. Das ist dann die Wissenschaft.

Das ist nur auf einem extremen Gebiete. Sehen Sie, das ist nichts Inspiriertes, denn Sie werden kaum in der Lage sein zu behaupten, daß das, was in den Parlamenten als Majoritätsbeschlüsse heute zustandekommt, so recht inspirierte Tatsachen sind. Aber umgekehrt muß die Sache werden. Im Geistesleben drinnen, an den Universitäten muß das Staatsrecht entstehen als Wissenschaft zunächst, rein aus der menschlichen geistigen Auffassung heraus. Nur dann kann der Staat die richtige Konfiguration bekommen, wenn die Menschen sie ihm geben. Manche Menschen glauben, die Dreigliederung will die Welt auf den Kopf stellen. 0 nein, die Welt steht auf dem Kopf, die Dreigliederung will sie nur auf die Beine stellen. Das ist dasjenige, worauf es ankommt.

[...] Was Inspiration für die Arbeit bedeutet - daß sie Lust und Liebe zur Arbeit hervorbringt -, das wird nur dann in der Welt sein, wenn in der Tat von den Leuten, die inspiriert sind, durchdrungen wird wenigstens dasjenige, was dann im Parlament als Gleicher zum Gleichen sich gesellt, wenn wirkliche Gleichheit herrscht, das heißt, wenn jeder geltend machen kann das, was in ihm ist. Aber das wird sehr verschieden sein bei dem einen und bei dem andern. Dann wird herrschen können diese Gleichheit im Rechtsleben, und das Rechtsleben wird inspiriert werden müssen - nicht aus dem Banausentum heraus beschlossen, worauf die gewöhnliche Demokratie immer mehr und mehr hingearbeitet hat.