Demokratische statt handwerkliche Arbeit

Quelle: GA 332a, S. 092-094, 2. Ausgabe 1977, 26.10.1919, Zürich

Blicken Sie zurück auf die Antriebe, die die Menschen bis zum 13., 14. Jahrhundert noch gehabt haben für ihre handwerklichen und sonstigen Arbeiten. Es wird oftmals betont von den modernen sozialistischen Denkern, daß der Mensch getrennt sei von seinen Produktionsmitteln. Das ist er in so hohem Grade, wie es jetzt der Fall ist, erst durch die modernen Wirtschaftsverhältnisse geworden. Namentlich ist er getrennt von seinen Produkten. Der Arbeiter, der in der Fabrik arbeitet, wieviel Anteil hat er dehn an dem, was dann der Unternehmer verkauft? Was weiß er denn davon? Was weiß er von dem Weg, den das macht in die Welt? Ein kleines Stück von einem großen Zusammenhang! Er bekommt vielleicht den großen Zusammenhang niemals zu Gesicht. Denken Sie sich, was das für ein gewaltiger Unterschied ist gegenüber dem alten Handwerk, wo der einzelne Arbeiter an dem, was er hervorbrachte, seine Freude hatte - wer die Geschichte kennt, weiß, wie das der Fall ist; denken Sie an die persönliche Beziehung eines Menschen zu der Hervorbringung eines Türschlüssels, eines Schlosses und dergleichen. Wenn man in primitive Gegenden kommt, kann man in dieser Beziehung noch recht nette Erfahrungen machen, aber wo die Gegenden weniger primitiv sind, da macht man solche Erfahrungen nicht mehr. Ich kam einmal - verzeihen Sie, daß ich so etwas Persönliches erzähle, aber vielleicht dient es zur Charakteristik - in eine solche Gegend und war wirklich außerordentlich entzückt, als ich in einen Friseurladen hineinging und der Friseurgehilfe seine helle Freude daran hatte, wie er einem Menschen schön die Haare schneiden konnte! Er hatte seine helle Freude an dem, was er leistete. Es ist immer weniger und weniger von solchen persönlichen Zusammenhängen zwischen dem Menschen und seinem Produkte da. Daß dieser Zusammenhang nicht da ist, das ist einfach eine Forderung des modernen Wirtschaftslebens. Das kann nicht anders sein unter den komplizierten Verhältnissen, wo wir unter Arbeitsteilung arbeiten müssen. Und hätten wir die Arbeitsteilung nicht, so hätten wir das moderne Leben mit alldem, was wir notwendig haben, nicht, hätten wir keinen Fortschritt. Es ist nicht möglich, daß die alte Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Produkte da ist.

Aber der Mensch braucht eine Beziehung zu seiner Arbeit. Der Mensch hat nötig, daß Freude zwischen ihm und seiner Arbeit, daß eine gewisse Hingabe an seine Arbeit bestehen kann. Die alte Hingabe, das unmittelbare Beisammensein mit dem hervorgebrachten Objekte, das ist nicht mehr, das muß aber durch etwas anderes ersetzt werden. Denn das ist nicht erträglich für die menschliche Natur, daß nicht ein ähnlicher Antrieb zur Arbeit da sei, wie er da war durch die Freude am unmittelbaren Hervorbringen des Objektes. Das muß durch etwas anderes ersetzt werden. Durch was kann es ersetzt werden? Es kann allein dadurch ersetzt werden, daß der Horizont der Menschen vergrößert wird, daß die Menschen herausgerufen werden auf einen Plan, auf den sie mit ihren Mitmenschen in großem Kreise - zuletzt mit allen Mitmenschen, die den gleichen sozialen Organismus mit ihnen bewohnen - zusammentreffen werden, um als Mensch für den Menschen Interesse zu entwickeln. Das muß eintreten, daß selbst derjenige, der in dem verborgensten Winkel an einer einzelnen Schraube für einen großen Zusammenhang arbeitet, mit seinem persönlichen Verhältnisse nicht in dem Anblick dieser Schraube aufzugehen braucht, sondern daß er hineintragen kann in seine Werkstätte, was er als Gefühle für die anderen Menschen aufgenommen hat, daß er es wiederum findet, wenn er herausgeht aus seiner Werkstatt, daß er eine lebendige Anschauung hat von seinem Zusammenhang mit der menschlichen Gesellschaft, daß er arbeiten kann, auch wenn er nicht für das unmittelbare Produkt mit Freude arbeitet, aus dem Grunde, weil er sich als ein würdiges Glied innerhalb des Kreises seiner Mitmenschen fühlt.

Und aus diesem Drange ist hervorgegangen die moderne Forderung nach Demokratie und die moderne Art, auf demokratische Weise das Recht, das öffentliche Recht festzulegen. Die Dinge hängen innerlich mit dem Wesen der Menschheitsentwickelung zusammen. Und diese Dinge kann nur durchschauen, wer in das Wesen der Menschheitsentwickelung, wie sie sich auf sozialem Boden abspielt, wirklich hineinzuschauen die Neigung hat. Man muß fühlen, wie der Horizont der Menschen erweitert werden müßte, wie Sie fühlen müßten: Gewiß, ich weiß nicht, was ich meinen Mitmenschen tue, indem ich diese Schraube hier fabriziere, aber ich weiß, daß ich durch die lebendigen Beziehungen, in die ich durch das öffentliche Recht mit ihnen komme, innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung ein würdiges Mitglied, ein mit allen anderen gleich geltendes Mitglied bin.

Das ist es, was zugrunde liegen muß der modernen Demokratie, und was zugrunde liegen muß, als von Gefühl zu Gefühl zwischen Menschen wirkend, den modernen öffentlichen Rechtssatzungen. Und nur dadurch, daß man so in das innere Gefüge des Menschen hineinschaut, kommt man zu wirklich modernen Begriffen von dem, was sich als öffentliches Recht auf allen Gebieten entwickeln muß.