Habsburgische Demokratie als weltgeschichtliche Lüge

Quelle: GA 332a, S. 205-206, 2. Ausgabe 1977, 30.10.1919, Zürich

Die Welt hat Anfang Juni 1917 gelesen - ein Teil der Welt hat sich immerhin noch dafür interessiert - die Thronrede des damaligen österreichischen Kaisers Karl. In dieser Thronrede wird sehr zeitgemäß von Demokratie gesprochen, immer wieder von Demokratie. Nun, diese Thronrede - ich habe manches über sie gelesen: wie sich die Leute enthusiasmiert haben dafür, daß der Welt von Demokratie verkündigt werde, wie schön es sei, daß da der Welt über Demokratie etwas gesagt wird. Nun, wenn man die Thronrede vom Anfang bis zum Ende nahm, bloß ihrem äußeren wortwörtlichen Inhalte nach - es war eine schöne Leistung, feuilletonistisch, wenn man sich bloß an dem Stil, an der Gestaltung der Sätze, wie sie das menschliche Wohlgefallen hervorrufen wollen, erfreuen will. Schön. Aber man sehe die Wahrheit. Da muß man das, was wortwörtlich ist, hineinstellen in sein Milieu. Da muß man fragen: Wer redet das? In welcher Umgebung redet er das? Und da sieht man im uralten Krönungsornat, von allem möglichen prunkend und von allem möglichen glänzend, den mittelalterlichen Herrscher stehen, nicht einmal es verbergend vor dem, was in seinem Elaborat steht, umgeben von seinen glänzenden, goldbetreßten Paladinen; das ganz Mittelalterliche, das, wenn es wahr gesprochen hat, anders gesprochen hat als von Demokratie! Was ist das Reden von Demokratie, wenn es noch so schön ist, wortwörtlich, in einem solchen Elaborat? Eine weltgeschichtliche Lüge!