Französische Rentiers und dreigliederungsnahe Syndikalisten

Quelle: GA 334, S. 142-143, 1. Ausgabe 1983, 19.03.1920, Zürich

Ich möchte nur noch darauf zurückkommen: ich finde es auch außerordentlich interessant, daß innerhalb des französischen Volkstums gerade der Syndikalismus heraufgekommen ist, und glaube, daß man diese Frage am besten löst, wenn man das Vergesellschaften studiert. Es ist sehr interessant, die verschiedenen Nuancen des englischen und des französischen Sozialismus zu studieren. Der englische Sozialismus ist im Grunde genommen eine abgeschwächte kapitalistische Methode. Es ist eigentlich durchaus dasjenige, was im Kapitalismus wirkt. Also das rein wirtschaftliche Element ist eigentlich in der englischen Arbeiterfrage im großen nur eben auf die Interessen des Arbeiters zugespitzt; aber es ist nicht ganz herausgegangen, so daß der englische Sozialismus eine wirtschaftlich opportunistische Färbung hat.

Der deutsche Sozialismus hat mit einer militärischen Tüchtigkeit und mit militärischem Organisationsgeist den Marxismus aufgenommen, und er hat eine stramme militärische Organisation bekommen. Und wer, wie ich, gewirkt hat in einer Arbeiter-Bildungsschule, die ganz aus der Sozialdemokratie herausgewachsen war, allerdings auch durch seine nichtmarxistische Orthodoxie, also durch seinen Nicht-Marxismus herausgeworfen worden ist, indem man gesagt hat: Nicht Freiheit, sondern ein vernünftiger Zwang - der kann schon darüber urteilen. Der deutsche Sozialismus ist im Grunde genommen etwas, was ganz drinnensteht in demselben Geist, der den preußischen Militarismus hervorgebracht hat.

Der französische Syndikalismus ist doch das - wirklich ohne irgendeiner Volksart etwas zugute sagen zu wollen oder ohne dem Deutschen etwas anzuhängen -, der französische Syndikalismus ist doch dasjenige, was ich durch seinen assoziativen Charakter als den besten Anfang gerade zu dem sehen muß, was ich mir als die Assoziation im Wirtschaftsleben denken muß. Und gerade wenn ich es vergleiche mit dem englischen und mit dem deutschen Sozialismus, dann sehe ich doch, daß es hervorgeht aus demselben, was ich versuchte zu charakterisieren, aus der demokratischen Gesinnung. Es sind zwei Seiten; die eine Seite hat sich gezeigt bei dem Bürgertum, die andere Seite bei den Arbeitern. Und was sich bei dem Bürgertum eben mehr kapitalistisch und rentiermäßig ausgestaltete, das ist beim Arbeiter die syndikalistische Ausgestaltung. Es ist nur Avers- und Revers-Seite.

Also ich glaube, daß diese drei verschiedenen Nuancen, die englische, französische und die deutsche Nuance des Sozialismus, zusammenhängen mit den Qualitäten des Volkstums.

Und da kommt man dann auf eine Frage, die ich für außerordentlich wichtig halte. Man soll eben auch nicht von einem allgemeinen Sozialismus ausgehen und soll nicht glauben, daß es einen abstrakten Sozialismus gebe, sondern soll fragen: Wie muß ein jedes Volkstum aus seinen eigenen Entitäten heraus behandelt werden? - Und derjenige, der von westeuropäischen Beobachtungen kommt, sie hier in der Schweiz noch bebrütet hat, nach Rußland geht und dem russischen Volk etwas ganz Fremdes aufdrängt, der zerstört eigentlich das, was sich aus dem russischen Volk heraus hat bilden können.