Menschliche Demokratie statt tote Paragraphen

Quelle: GA 199, S. 232-233, 1. Ausgabe 1967, 05.09.1920, Dornach

1. Geistgebiet: Leben - Ätherleib

2. Rechtsgebiet: Empfindung - Astralleib

3. Wirtschaftsgebiet : Vernunft - Ich

Und für sich das Rechtsgebiet als zweites: Es ist aus Instinkten, aus halben Instinkten, sagte ich, herausgeboren. Es war noch etwas halb Unbewußtes, so daß es ins Bewußtsein heraufschillerte, indem das Rechtsgebiet bisher aus dem griechischen, aber namentlich aus dem lateinischen, römischen Leben geboren wurde und dann weiter ausgebaut wurde. Nun soll es selbständig auf seine eigene demokratische Basis gestellt werden. Was ist entstanden unter dem, was der Impuls des Rechtsgebietes bisher war? Da sind eben gerade die Rechtsparagraphen entstanden, jene Rechtsparagraphen, an denen der Mensch so wenig Anteil hat, daß ich sagen muß, mir war im Leben kaum etwas, was mir so viel Bitterkeit auf die Zunge gelegt hat, als wenn ich mit irgendeinem Rechtsanwalt zu tun hatte. Es ist mir ja im Leben öfter passiert. Da kommt man zu dem, der der Vertreter des Rechtes ist, der der Gelehrte des Rechtes ist. Ein bestimmter Fall liegt vor. Man sieht diesen Rechtsanwalt zu irgendeinem Schrank gehen, zu irgendeinem Fach dieses Schrankes. Er nimmt ein Aktenbündel heraus. Er bringt mit aller Mühe dasjenige zusammen, was er im Augenblicke liest; er steht ganz außerhalb der Sache. Man will wissen, wie das sich in den Rechtsorganismus einfügt. Er geht zu seiner Bibliothek, nimmt irgendein Gesetzbuch heraus und blättert und blättert, und es kommt nichts heraus, weil er im Grunde genommen ganz unbekannt damit ist. Nichts von dem, was menschlich zusammenhängt mit den Dingen, liegt in solcher Sache. Mir ist einmal passiert, daß eine Art Prozeß, den ich zu führen hatte, durch Jahre alle möglichen Hinschriften und Herschriften veranlaßt hat; ich will den ganzen Hergang nicht erzählen. Dann stellte sich zuletzt heraus, daß es nötig war, auch ein internationales Gesetzbuch zu der Sache zu haben. Nun hatte die ganze Sache zweieinhalb Jahre vielleicht gedauert, da sagte mir der gute Mann: Ja, ein internationales Gesetzbuch habe ich nicht, das müssen Sie mir beschaffen.

Sie müssen mir überhaupt die Unterlagen schaffen, wenn ich Ihnen weiter Rat geben soll! - Nun, wer mich kennt, weiß, daß ich in solchen Sachen ganz gewiß nicht renommiere. Ich bilde mir auch gar nichts ein. Ich habe dann jenes internationale Gesetzbuch beschafft, und in zwei Stunden war ich klar, wie der ganze Fall liegt. Denn man braucht nur mit gesundem Sinn in die Dinge hineinzublicken, so weiß man, daß in zwei Stunden erledigt werden kann, was sonst durch zwei Jahre sich hinzieht. So weit entfernt steht das, was im sozialen Organismus aus den drei Gliedern sich verquickt hat, das, was menschlicher Anteil ist, von dem, was als Rechtsordnung eigentlich besteht. Wir müssen zurück zu einem Leben, welches das, was im Recht lebt, so empfindet, wie wir die äußeren Sinnesdinge empfinden. Wir müssen lebendig mit dem, was als Rechtsorganismus da ist, zusammenhängen.

Das ist der wahre Sinn der Demokratie, daß Menschliches hineinkomme in die toten Paragraphen, daß mitempfunden wird, was in den toten Paragraphen sonst lebt. Und so, wie in das Geistgebiet durch das, was aus der Geisteswissenschaft geboren werden kann, das Leben hineinkommt, so wird durch das, was gewollt wird durch Geisteswissenschaft, in das Rechtsgebiet die Empfindung hineinkommen. Empfunden wird werden, was von Mensch zu Mensch lebt.