Richtige Preise durch Assoziation von Landwirtschaft und Industrie zu ermitteln

Quelle: GA 337b, S. 224-232, 1. Ausgabe 1999, 12.10.1920, Dornach

Auf die Frage: Wie ist dasjenige, was wir den Impuls der Dreigliederung nennen, nicht nur hineinzutragen in die Landbevölkerung, sondern wie ist speziell über das Landwirtschaftliche als solches im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus zu denken?

Nun, es wird keiner zurechtkommen mit diesem Denken, der nicht den radikalen Unterschied in der ganzen Produktionsweise, in allen Wirtschaftszusammenhängen zwischen der Landwirtschaft und dem Industriebetrieb durchschaut. Es ist notwendig, daß man das durchschaut aus dem Grunde, weil wir ja, bevor die Weltkriegskatastrophe hereingebrochen ist, in einem ganz materialistischen, ganz kapitalistischen Denken drinnensteckten - es war sozusagen internationales kapitalistisches Denken und Handeln - und weil gerade ein Fortgehen in der Richtung, die durch den Kapitalismus bedingt ist und die der Kapitalismus weiterverfolgen wird, weil gerade darin ein immer weitergehendes Auseinandergehen des Landwirtschafts- und des Industriebetriebes sich herausstellen muß. Die Landwirtschaft ist, ihrer ganzen Artung nach, durch das, was sie ist, in die Unmöglichkeit versetzt, die kapitalistische Wirtschaftsordnung bis zum letzten mitzumachen. Mißverstehen Sie mich nicht, ich behaupte damit nicht, daß die Landwirtschaft, wenn kapitalistisches Denken allgemein würde, nicht auch das kapitalistische Denken mitmachen würde; wir haben ja gesehen, in welch hohem Grade die Landwirtschaft das kapitalistische Denken und Handeln mitgemacht hat. Aber sie würde ihrem Wesen nach zugrundegerichtet, und sie würde nicht mehr in der entsprechenden Weise eingreifen können in den ganzen Wirtschaftsbetrieb. Dasjenige, was im Wirtschaftsleben in eminentester Weise geeignet ist, nicht nur kapitalistisch sich zu entwickeln, sondern was dazu neigt, geradezu zum Überkapitalismus zu führen - gestatten Sie, daß ich dieses Wort gebrauche, man wird es in der Gegenwart schon verstehen -, das heißt also, eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber der Arbeitsweise, sogar dem Arbeitsprodukt gegenüber anzunehmen, und dem es bloß darauf ankommt, etwas zu erwerben: das ist eben schon die Industrie; die Industrie trägt ganz andere Wirkenskräfte in sich als die Landwirtschaft. Das sieht nur derjenige ein, der eine zeitlang nun wirklich sich angesehen hat, wie in der Landwirtschaft es ganz unmöglich ist, so zum kapitalistischen Großbetrieb überzugehen, wie das in der Industrie der Fall ist. Wenn die Landwirtschaft tatsächlich richtig eingreifen soll in das gesamte Wirtschaftsleben, dann ist - bedingt einfach durch dasjenige, was in der Landwirtschaft zu geschehen hat -, dann ist nun einmal notwendig ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Menschen und der ganzen Produktion, der Artung der Produktion, also all demjenigen, was in der Landwirtschaft produziert werden soll. Und ein großer Teil desjenigen, womit man produzieren muß, erfordert, wenn richtig rationell produziert werden soll, das intensivste Interesse derjenigen, die in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Da ist es ganz unmöglich, daß innerhalb der Landwirtschaft selbst so etwas auftaucht wie jene Absurdität - es ist eine Absurdität, die ich gleich schildern werde -, jene Absurdität, die zum Beispiel einem immer entgegengehalten wurde, wenn man mit dem Proletariat zu diskutieren hatte in den letzten Jahrzehnten. Sehen Sie, die Absurdität, die ich meine, das ist die folgende.

Ich habe ja schon öfter erzählt: Ich war Jahre hindurch Lehrer an einer Arbeiterbildungsschule. Das hat mich zusammengeführt mit den Leuten des Proletariats, ich hatte Gelegenheit, mit ihnen viel zu diskutieren, auch durchaus alles kennenzulernen, was da an seelisch wirksamen Kräften vorhanden ist. Aber gewisse Dinge lebten, hervorgebracht durch die ganze Entwicklung der neueren Zeit, einfach als eine Absurdität gerade innerhalb der proletarischen Bestrebungen. Nehmen Sie einmal an, daß ja die Abgeordneten der Proletarier in der Regel das Heeresbudget abgelehnt haben. Aber in dem Augenblicke, wo man nun den Proletariern in der Diskussion vorgehalten hat: Ja, ihr seid gegen das Heeresbudget, aber ihr laßt euch doch bei den Kanonenfabrikanten anstellen oder einstellen als Arbeiter; ihr fabriziert doch ganz mit derselben Seelenverfassung wie irgendwo anders -, da verstanden sie das nicht, denn das ging sie nichts an. Die Qualität desjenigen, was sie fabrizierten, ging sie nichts an; es interessierte sie nur die Lohnhöhe. Und so entstand die Absurdität, daß sie auf der einen Seite Kanonen fabrizierten, daß sie niemals irgendwo streikten wegen der Qualität des zu Erzeugenden, sondern höchstens wegen des Lohnes oder wegen irgendwas anderem, aber auf der anderen Seite aus einer abstrakten Parteirichtung heraus doch das Heeresbudget bekämpften. Die Bekämpfung des Heeresbudgets hätte natürlich - wie man sonst die Gesetze des Dreiecks zugibt - notwendig dazu führen müssen, keine Kanonen zu fabrizieren. Und wenn man das durchgeführt hätte zum Beispiel im Beginn des Jahrhunderts, wäre manches zu vermeiden gewesen, was dann vom Jahre 1914 an eingetreten war. Da haben Sie, ganz gleichgültig, ob es Kapitalisten oder Proletarier sind, die an irgendeiner Produktion sich beteiligen, da haben sie die absolute Gleichgültigkeit gegenüber dem Qualitativen dessen, woran man arbeitet; davon hängt aber die ganze Gestaltung der Industrie ab. Das ist in der Landwirtschaft so nicht möglich; das würde in der Landwirtschaft einfach nicht gehen, wenn in dieser Weise Gleichgültigkeit gegenüber demjenigen eintreten würde, was gearbeitet wird. Und da, wo diese Gleichgültigkeit eingetreten ist, wo die Landwirtschaft, ich möchte sagen angesteckt worden ist von der industriellen Denkweise, da verkümmert sie eben. Sie verkümmert in der Weise, daß sie sich falsch hineinstellt allmählich in das ganze Wirtschaftsleben.

Was geschieht denn da eigentlich? Da geschieht eigentlich mit dem, was ich genannt habe die Urzelle des Wirtschaftslebens, das folgende: Indem auf der einen Seite die Landwirtschaft steht, auf der anderen Seite die Industrie steht und indem die Landwirtschaft ihrem Wesen nach sich fortwährend sträubt gegen die Kapitalisierung, die Industrie dagegen zur Überkapitalisierung strebt, da geschieht eine völlige Fälschung, eine reale Fälschung der wirtschaftlichen Urzelle. Weil nun aber doch die Produkte ausgetauscht werden müssen - denn selbstverständlich müssen die Industriearbeiter essen und die landwirtschaftlichen Arbeiter müssen sich kleiden oder müssen sonst irgendwie Konsumenten der Industrie sein -, weil also die Produkte ausgetauscht werden müssen, entsteht ganz radikal in dem Austausch der landwirtschaftlichen Produkte und der Industrieprodukte eine Fälschung. Diese wirtschaftliche Urzelle, die besteht einfach darin, daß in einem gesunden Wirtschaftsleben jeder für ein von ihm hergestelltes Produkt so viel erhalten muß - wenn man alles übrige einrechnet, was er zu erhalten hat, was gewissermaßen die Auslagen sind und so weiter -, so viel erhalten muß, wie er nötig hat zur Befriedigung seiner Bedürfnisse bis zur Herstellung eines gleichen Produktes. Ich habe es oftmals dadurch angedeutet, daß ich trivial sagte: Es muß ein paar Stiefel so viel Wert haben, wie alle anderen Produkte - seien es physische oder geistige Produkte -, die der Schuster nötig hat, die er überhaupt braucht, bis er wieder ein neues Paar Stiefel hergestellt hat. Ein Wirtschaftsleben, welches nicht durch irgendeine Rechenoperation etwa den Preis der Stiefel feststellt, sondern das dahin tendiert, daß dieser Preis von selbst herauskommt, ein solches Wirtschaftsleben ist gesund. Und dann, wenn das Wirtschaftsleben durch seine Assoziationen, durch seine Zusammenschließungen, wie ich sie vorgestern charakterisiert habe, wirklich gesund ist, dann kann sich auch das Geld einschieben dazwischen, dann braucht man keine anderen Tauschmittel, dann kann sich selbstverständlich das Geld einschieben, denn das Geld wird dann ganz von selbst der richtige Repräsentant zwischen den einzelnen Produkten. Aber indem in der neueren Zeit auf der einen Seite die Landwirtschaft durch ihr inneres Wesen immer mehr und mehr sich sträubte gegen die Kapitalisierung - sie wurde ja kapitalisiert, aber sie sträubte sich dagegen, das war eben gerade das Korrumpierende - und auf der anderen Seite die Industrie in den Überkapitalismus hineinstrebte, wurde es gar nie möglich, daß irgendein Produkt der Landwirtschaft sich so gestaltete seiner Preislage nach, daß es einem Industrieprodukt entsprochen hätte in der Weise, wie ich eben die wirtschaftliche Urzelle charakterisiert habe. Vielmehr stellte sich immer mehr heraus, daß beim Industrieprodukt eine andere Preislage herauskam, als hätte herauskommen sollen. Durch diese Preislage des Industrieproduktes wurde das Geld, das nun eine Selbständigkeit erhielt, zu billig, wodurch das ganze Verhältnis gestört wurde zwischen dem, was von der Landwirtschaft an den Industriearbeiter und wiederum vom Industriearbeiter in die Landwirtschaft herüberkommen sollte.

Daher ist das erste, daß hintendiert werde auf Assoziationen, die sich bilden gerade aus der Landwirtschaft heraus mit verschiedenen Zweigen der Industrie. Gewiß, daß ist der erste, ich möchte sagen abstrakteste Grundsatz, daß die Assoziationen in der Zusammengliederung der verschiedenen Branchen bestehen. Diese Assoziationen werden aber am allergünstigsten wirken, wenn sie sich bilden zwischen der Landwirtschaft und der Industrie, und zwar so sich bilden, daß nun wirklich dadurch, daß solche Assoziationen zustandekommen, hingearbeitet wird nach einer entsprechenden Preislage. Nun können Sie aber in Assoziationen, die natürlich erst geschaffen werden müßten, zunächst nicht viel tun - dies würde sich gleich herausstellen. Wenn Assoziationen so geschaffen werden könnten, daß Industriebetriebe zusammengegliedert würden mit Landwirtschaftsbetrieben, und wenn die Sache so gescheit gemacht würde, daß diese sich gegenseitig versorgen könnten, dann würde sich sogleich einiges herausstellen - ich werde gleich nachher die Bedingungen anführen, unter denen das geschehen kann; einiges kann natürlich sofort gemacht werden.

Aber was ist dazu zuerst notwendig? Ja, meine sehr verehrten Anwesenden, dazu ist zuerst notwendig, daß man überhaupt in der Lage sei, so etwas wirklich vernunft- und sinngemäß zu begründen. Nehmen Sie einmal ein konkretes Beispiel. In Stuttgart ist «Der Kommende Tag» gegründet worden. Der Kommende Tag geht natürlich seiner Idee nach aus von dem, was durch die Prinzipien, durch die Impulse der Dreigliederung gegeben werden soll. Er würde also - ebenso wie das «Futurum» hier, - er würde in erster Linie die Aufgabe haben, das assoziative Prinzip zwischen der Landwirtschaft und der Industrie herbeizuführen, und zwar bis zu dem Grade herbeizuführen, daß durch die Assoziation der gegenseitigen Bezieher wirklich auf die Preislage [Einfluß genommen wird], indem die einen, die Konsumenten sind von den einen Gebieten, Produzenten werden auf den anderen Gebieten. Es würde sich auf diese Weise schon in verhältnismäßig kurzer Zeit sehr viel leisten lassen in der Herstellung eines wirklich richtigen Preises. Aber nehmen Sie den Kommenden Tag in Stuttgart: Es ist ganz unmöglich, jetzt schon vernünftig zu wirken, aus dem einfachen Grunde, weil Sie ja nicht in unabhängiger Weise alle Güter erwerben können, weil sie überall mit der heutigen korrumpierten Staatsgesetzgebung zusammenstoßen. Nirgends ist man in der Lage, überhaupt dasjenige herzustellen, was wirtschaftlich notwendig ist, weil überall der Staatsimpuls dagegen ist. Daher ist das erste, daß man begreift, daß zunächst starke Assoziationen entstehen müssen, die so populär sind, wie es nur möglich ist, und die in den weitesten Kreisen das Eingreifen des Staates auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens durchgreifend verhindern können. Vor allen Dingen muß jede wirtschaftliche Aktion aus bloß wirtschaftlichen Erwägungen heraus erfolgen können.

Nun steckt so stark in unserer gegenwärtigen Menschheit das Staatsdenken, daß die Leute es gar nicht bemerken, wie sie im Grunde genommen überall nach dem Staate hintendieren. Ich habe das wiederholt seit Jahrzehnten dadurch charakterisiert, daß ich sagte: Die größte Sehnsucht des modernen Menschen besteht eigentlich darinnen, nur so durch die Welt zu gehen, daß er auf der rechten Seite einen Polizeisoldaten und auf der linken Seite einen Arzt hat. - Das ist eigentlich das Ideal des modernen Menschen, daß ihm der Staat beide zur Verfügung stellt. Sich auf seine eigenen Füße zu stellen, das ist eben nicht das Ideal des modernen Menschen. Das aber ist vor allen Dingen notwendig: Wir müssen den Polizeisoldaten und den Arzt, die uns vom Staate beigestellt werden, entbehren können. Und ehe wir nicht diese Gesinnung in uns aufnehmen, eher kommen wir keinen Schritt weiter.

Nun sind aber alle diejenigen Institutionen da, welche uns vor allen Dingen gar nicht an die Menschen herankommen lassen, die in Betracht kommen für eine solche Bildung von Assoziationen. Nehmen Sie eines der letzten großen Produkte des Kapitalismus, nehmen Sie dasjenige, aus dem heraus zunächst die stärksten Hindernisse für unsere Dreigliederungsbewegung - außer der Verschlafenheit und der Korruption des Großbourgeoistums - sich gebildet haben: das ist die gewerkschaftliche Bewegung der Proletarier. Diese gewerkschaftliche Bewegung der Proletarier, meine sehr verehrten Anwesenden, die ist das letzte maßgebende Produkt des Kapitalismus, denn da schließen sich Menschen zusammen rein aus dem Prinzip, rein aus den Impulsen des Kapitalismus heraus, wenn es auch angeblich die Bekämpfung des Kapitalismus ist. Es schließen sich Menschen zusammen ohne Rücksicht auf irgendwelche konkrete Gestaltung des Wirtschaftslebens; sie tun sich zu Branchen zusammen, Metallarbeiterverband, Buchdruckerverband und so weiter, lediglich um Tarifgemeinschaften und Lohnkämpfe herbeizuführen. Was tun denn solche Verbände? Sie spielen Staat auf dem Wirtschaftsgebiete. Sie bringen das Staatsprinzip in das Wirtschaftsgebiet vollständig hinein. Ebenso wie die Produktionsgenossenschaften - die Verbände, die gebildet werden von den Produzenten untereinander - entgegenstehen dem Assoziationsprinzip, so stehen entgegen dem Assoziationsprinzip diese Gewerkschaften. Und wer wirklich unbefangen die Entwicklung der so sterilen, so unfruchtbaren, so korrupten Revolutionen der Gegenwart studieren wollte, der müßte ein wenig hineinschauen in das Gewerkschaftsleben und in seinen Zusammenhang mit dem Kapitalismus. Ich meine damit nicht bloß die kapitalistischen Allüren, die in das Gewerkschaftsleben auch schon hineingezogen sind, sondern ich meine das ganze Verwachsensein des Gewerkschaftsprinzipes mit dem Kapitalismus.

Sehen Sie, da komme ich auf dasjenige, was nun gewiß in einem gewissen Sinne auch notwendig ist. Ich habe Ihnen vorgestern charakterisiert: Die Assoziationen, sie gehen von Branche zu Branche, sie gehen vom Konsumenten zum Produzenten hinüber. Dadurch entstehen nämlich schon die Verbindungen zwischen den einzelnen Branchen, denn es ist immer derjenige, der Konsument ist von irgend etwas, zu gleicher Zeit auch Produzent; das geht schon ineinander. Es kommt nur darauf an, daß man überhaupt mit dem Assoziieren anfängt. Anfangen kann man, das habe ich schon vorgestern erwähnt, zunächst allerdings am besten, indem man Konsumenten und Produzenten zusammenführt auf den verschiedensten Gebieten und dann beginnt, wie wir heute gesehen haben, Assoziationen zu bilden vor allen Dingen zusammen mit dem, was der Landwirtschaft nahesteht und was reine Industrie ist. Ich meine damit nicht eine Industrie, die selber noch ihre Rohstoffe gewinnt, die steht der Landwirtschaft näher als die Industrie, die schon ein ganzer Parasit ist und nur mit lauter Industrieprodukten und Halbfabrikaten und so weiter arbeitet. Man kann da ganz ins Praktische hineinkommen. Wenn man nur will und wenn man genügend Initiative hat, kann man auf Bildung dieser Assoziationen schon losgehen. Aber vor allen Dingen haben wir nötig, daß wir einsehen, daß das assoziative Prinzip das eigentlich wirtschaftliche Prinzip ist, denn das assoziative Prinzip arbeitet auf die Preise hin und ist in der Preisbestimmung unabhängig von außen. Wenn die Assoziationen nur über ein genügend großes Territorium und über die verwandten Wirtschaftsgebiete, über die mit irgendeinem wirtschaftlichen Zweige zusammenhängenden Gebiete sich ausdehnen, da kann man schon sehr viel leisten.