Von der Theokratie zum Staat: Absolutismus der Persönlichkeit

Quelle: GA 338, S. 181-183, 4. Ausgabe 1986, 17.02.1921, Stuttgart

In England hat sich zum Beispiel aus dem kirchlich-demokratischen Elemente das politisch-demokratische heraus entwickelt. Dies ist einfach dadurch entstanden in England, daß abgestreift worden ist der kirchliche Hintergrund und daß man die demokratische Form des Denkens herausgeschält hat. So aber ist überall eigentlich das politisch-rechtliche nach und nach herausgeboren worden aus dem theokratisch-kirchlichen Element. Nur bemerkt man es an anderen Stellen nicht mehr so genau.

Es gibt zum Beispiel einen geheimen Zusammenhang zwischen dem gesamten Beamtenwesen, an dessen Spitze man sich ja denken kann den absoluten Herrscher «von Gottes Gnaden», welch letzteres gerade den Ursprung aus dem theokratisch-kirchlichen Element verrät, denn «von Gottes Gnaden» war nur derjenige, der von geistigen Behörden aus eingesetzt war. Der ganze Beamtenkörper ist einfach die profan gewordene kirchliche Hierarchie. Aber die andere Seite, die sich im Grunde genommen auch aus dem theokratisch-kirchlichen Element herausentwickelt hat, ist das Heerwesen. Das wird von den heutigen Menschen als paradox empfunden. Das Heerwesen ist aber nur dasjenige, was, wie der Schatten einem beleuchteten Gegenstand, der ganzen Organisation des staatlichen Wesens folgt. Und so hat sich, ich möchte sagen, nach und nach während der Ablösung des profanen Elementes vom theokratisch-kirchlichen Elemente ein gewisses Handhaben des Staatlichen herausgebildet. In allen Einzelheiten ist das nachweisbar, wenn man den Übergang der Formen der Verwaltung ins Auge faßt, wie sie sich in jenen Zeiten noch deutlich in ihrer theokratisch-hierarchischen Gestalt gezeigt haben, als Karl der Große einen Wert darauf legt, von dem Papst in Rom gekrönt zu werden, wie das kirchliche Leben dann in das profane übergeht, wie als Nachzügler dieses Überganges zum Beispiel die Besetzung erster Staatsstellen in Frankreich mit Kardinälen stattfindet. Wenn Sie das bedenken, so werden Sie überall das Hervorgehen dieses modernen politisch-rechtlichen Elementes im Handhaben aus dem theokratisch-kirchlichen Element und das Selbständigwerden der Handhabung mit Händen greifen können. Man konnte diese Dinge selbständig handhaben.

Da hinein nun drängt sich das moderne Wirtschaftsleben, das zwar instinktive Usancen hervorgebracht hat, aber bis jetzt noch immer nicht etwas, was so innerlich durchdrungen wäre wie das alte hierarchisch-kirchliche und das staatlich-militaristische Element. Diese beiden Elemente haben die Welt zu strammer Uniformierung gebracht. Dagegen war es erst in der neuesten Zeit, daß der Trieb entstand, dasjenige bewußt zu durchdringen, was sich als das komplizierte Wirtschaftsleben, über das man in älteren Zeiten nicht nachzudenken brauchte, weil man aus unerschöpflichen Quellen schöpfte, präponderierend in das moderne Leben hineingedrängt hat. Es ist zwar die Notwendigkeit entstanden, auch eine gewisse Handhabung des Wirtschaftslebens zu finden. Aber dieses Handhaben ist eben noch nicht gefunden worden.

Und im Grunde genommen ist der erste Versuch, in das Wirtschaftsleben etwas hineinzubringen, was parallelisiert werden kann dem staatlichen und dem kirchlichen Element, das assoziative Prinzip. Es ist zum ersten Male der Versuch, wirklich im Wirtschaftsleben organisch etwas zu begründen. Denn das ist bisher nicht geschehen. Und die verschiedensten theoretischen Versuche, eine Denkweise zu gewinnen, das Wirtschaftsleben als solches zu organisieren, das sind die utopistischen Theorien, die immer angesteckt waren von dem, was noch von früher herübergekommen ist. Da dachte man noch so: Wenn man organisiert, so muß man so organisieren, wie es im kirchlich-hierarchischen oder staatlichen Element ist - die Leute waren sich ja dessen nicht bewußt.

Und der äußere praktische Ausdruck für diese Sache ist das Auftauchen des wirtschaftlichen Liberalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Denn warum ist dieser wirtschaftliche Liberalismus aufgetaucht? Was ist er denn? Er ist das Appellieren an die Tüchtigkeit der einzelnen wirtschaftlichen Persönlichkeiten. Ebenso war es im theokratisch-hierarchischen Element. Bevor man eine Organisation fand, mußte man appellieren an die einzelnen führenden Individualitäten. Ebenso war es im staatlichen Element. Bevor man zum Parlamentarismus überging, mußte man appellieren an diejenigen, die die Fähigkeit hatten, das Staatliche zu verwalten. Der wirtschaftliche Liberalismus ist nichts anderes als dieses Appellieren an die individuelle Tüchtigkeit der Persönlichkeit auf wirtschaftlichem Gebiet. Nur weil sich die Dinge in der Welt rascher entwickelten, ist eben auch rascher notwendig geworden, dasjenige zu finden, was nun wirklich paralysiert die schädlichen Wirkungen der absolutistischen einzelnen Persönlichkeit.