Demokratie kommt durch Gruppe zum Sozialen

Quelle: GA 305, S. 207-208, 2. Ausgabe 1979, 28.08.1922, Oxford

In den alten sozialen Urteilsfällungen, die wir nicht wieder heraufbeschwören wollen, die einer alten Zeit angehörten, der Zeit der Theokratien, in diesen alten Urteilsfällungen war das soziale Urteil nicht bewußt, sondern es wurde unbewußt gefällt; aber es wurde von Menschengruppen gefällt.

Es ist gar nicht wahr, daß die Familie etwa das erste war in der sozialen Ordnung. Die Familie ist ein Spätprodukt, das erst später im Sozialen erschien. Die Urmenschen, die haben nicht nachgedacht, was das soziale Urteil sein soll, sie haben sich die Inspiration der Priesterschaft geben lassen und diese aufgefaßt mit dem Unbewußten.

Aber diese sozialen Urteilsfällungen, diese unbewußten, sind nur entstanden, wenn Menschen eben in einer Gliederung standen - durch die Bluts- und anderen Bande in der Gliederung standen. Soziale Gruppen haben ein Verständnis gehabt, soziale Gruppen, nicht die einzelnen; soziale Gruppen, die miteinander gelebt haben. Und aus dem Zusammenleben der Gruppen ist das richtige Soziale entstanden. Im Geist der Menschen hat sich aus der Gruppe heraus das Richtige entwickelt, auch die Demokratie entwickelt, und damit der demokratische Gedanke. Das erreichte seine Kulmination erst im Laufe der Zeit. Der einzelne Mensch trat auf den Plan der Weltgeschichte. Er konnte aber noch mitbringen dasjenige, was die Gruppen gebildet hatten. Es lebte in der Tradition fort. Das ging auch noch hinein in die juristisch-staatliche Ordnung, aber ging nicht mehr hinein in dasjenige, was vom Menschen losgelöst ist, in die maschinelle, in die industrielle Ordnung. Da greift es nicht an, da geht es nicht mehr hinein.

Nun, so sehen wir, daß notwendig wird, wiederum etwas zu bilden gerade innerhalb der Wirtschafts-, der ökonomischen Ordnung, das jetzt bei vollbewußtem Menschtum ähnlich ist den ursprünglichen sozialen Gruppen. Das habe ich genannt in meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage» die Assoziationen, wo das soziale Urteil nicht aus dem einzelnen hervorgeht, sondern aus dem, was in der Assoziation zusammenlebt, sich zusammen auslebt, in jenen Assoziationen, die die Konsumenten, die Produzenten und die Händler untereinander bilden. So daß man wiederum soziale Gruppen hat, aus denen sich jetzt bei vollem Bewußtsein das Urteil bildet, das der einzelne nicht bilden kann. Man kann noch so lange über eine Lösung der sozialen Frage nachdenken, alles Nachdenken ist Unsinn. Sinn hat nur, soziale Gruppen zu bilden, von denen man erwarten kann, daß Partiallösungen der sozialen Frage entstehen, daß die Leute, die zusammen urteilen, etwas bringen, was der Partiallösung der sozialen Frage für irgendeinen Ort und irgendeine Zeit nahe kommt, so daß es sich hineinstellt in die Menschheit.