Einheit im Frühling, Differenzierung im Herbst

Quelle: GA 223, S. 048-062, . Ausgabe 1936, 02.04.1923, Dornach

Wir dürfen nicht unterschätzen, welche Bedeutung für die Menschheit so etwas hat wie die Hinlenkung aller Aufmerksamkeit auf eine Festeszeit des Jahres. Wenn auch in unserer Gegenwart das Feiern der religiösen Feste mehr ein gewohnheitsmäßiges ist, so war es doch nicht immer so, und es gab Zeiten, in denen die Menschen ihr Bewußtsein verbanden mit dem Verlauf des ganzen Jahres, indem sie bei Jahresbeginn sich so im Zeitenverlaufe stehend fühlten, daß sie sich sagten: Es ist ein bestimmter Grad von Kälte oder Wärme da, es sind bestimmte Verhältnisse der sonstigen Witterung da, es sind bestimmte Verhältnisse da im Wachstum oder Nichtwachstum der Pflanzen oder der Tiere. Und die Menschen lebten dann mit, wie allmählich die Natur ihre Verwandlungen, ihre Metamorphosen durchmachte. Sie lebten das aber so mit, indem ihr Bewußtsein sich mit den Naturerscheinungen verband, daß sie gewissermaßen dieses Bewußtsein hinorientierten nach einer bestimmten Festeszeit, sagen wir also: im Jahresbeginne durch die verschiedenen Empfindungen hindurch, die mit dem Vergehen des Winters zusammenhingen nach der Osterzeit hin, oder im Herbste mit dem Hinwelken des Lebens nach der Weihnachtszeit hin. Dann erfüllten die Seele jene Empfindungen, die sich eben ausdrückten in der besonderen Art, wie man sich zu dem stellte, was einem die Feste waren.

So erlebte man also den Jahreslauf mit, und dieses Miterleben des Jahreslaufes war ja im Grunde genommen ein Durchgeistigen desjenigen, was man um sich herum nicht nur sah und hörte, sondern mit seinem ganzen Menschen erlebte. Man erlebte den Jahreslauf wie den Ablauf eines organischen Lebens, so wie man etwa im Menschen, wenn er ein Kind ist, die Äußerungen der kindlichen Seele in Zusammenhang bringt mit den ungelenken kindlichen Bewegungen, mit der unvollkommenen Sprechweise des Kindes. Wie man bestimmte seelische Erlebnisse zusammenbringt mit dem Zahnwechsel, andere seelische Erlebnisse mit späteren Veränderungen des Körpers, so sah man das Walten und Weben von Geistigem in den Veränderungen der äußeren Naturverhältnisse. Es war ein Wachsen und Abnehmen.

Das aber hängt zusammen mit der ganzen Art und Weise, wie sich der Mensch überhaupt als Erdenmensch innerhalb der Welt fühlt. Und so kann man sagen: In der Zeit, in der im Beginne unserer Zeitrechnung angefangen wurde, die Erinnerung an das Ereignis von Golgatha zu feiern, das dann zum Osterfest geworden ist, in der Zeit, in der das Osterfest im Laufe des Jahres lebendig empfunden worden ist, in der man den Jahreslauf so miterlebte, wie ich es eben gekennzeichnet habe, da war es im wesentlichen so, daß die Menschen ihr eigenes Leben hingegeben fühlten an die äußere geistig-physische Welt. Sie fühlten, daß sie, um ihr Leben zu einem vollständigen zu machen, bedürftig waren der Anschauung der Grablegung und Auferstehung, des grandiosen Bildes vom Ereignis von Golgatha.

Von solchem Erfüllen des Bewußtseins aber gehen Inspirationen für die Menschen aus. Die Menschen sind sich dieser Inspirationen nicht immer bewußt, aber es ist ein Geheimnis der Menschheitsentwickelung, daß von diesen religiösen Einstellungen gegenüber den Welterscheinungen Inspirationen für das ganze Leben ausgehen. Zunächst müssen wir uns ja klar sein darüber, daß während eines gewissen Zeitalters, während des Mittelalters, die Menschen, die das geistige Leben orientiert haben, die Priester waren, jene Priester, welche vor allen Dingen auch damit zu tun hatten, die Feste zu regeln, tonangebend zu sein im Feste-Feiern. Die Priesterschaft war diejenige Körperschaft innerhalb der Menschheit, welche vor die übrige Menschheit, die Laienmenschheit, die Feste hinstellte, den Festen ihren Inhalt gab. Damit aber fühlte die Priesterschaft diesen Inhalt der Feste ganz besonders. Und der ganze Seelenzustand, der sich dadurch einstellte, daß solche Feste inspirierend wirkten, der drückte sich darin aus im übrigen Seelenleben.

Man hätte im Mittelalter nicht dasjenige gehabt, was man die Scholastik nennt, was man die Philosophie des Thomas von Aquino, des Albertus Magnus und anderer Scholastiker nennt, wenn diese Philosophie, diese Weltanschauung und alles, was sie sozial in ihrem Gefolge hatte, nicht inspiriert gewesen wäre gerade von dem wichtigsten Kirchengedanken: von dem Ostergedanken. In der Anschauung des heruntersteigenden Christus, der im Menschen ein zeitweiliges Leben auf Erden führt, der dann durch die Auferstehung geht, war jener seelische Impuls gegeben, der dazu führte, jenes eigentümliche Verhältnis zwischen Glauben und Wissen, zwischen Erkenntnis und Offenbarung zu setzen, das eben das scholastische ist. Daß man aus dem Menschen heraus nur die Erkenntnis der sinnlichen Welt bekommen kann, daß alles, was sich auf die übersinnliche Welt bezieht, durch Offenbarung gewonnen werden muß, das war im wesentlichen durch den Ostergedanken, wie er sich an den Weihnachtsgedanken anschloß, bestimmt.

Und wenn wiederum die heutige naturwissenschaftliche Ideenwelt eigentlich ganz und gar ein Ergebnis der Scholastik ist, wie ich oftmals hier auseinandergesetzt habe, so muß man sagen: Ohne daß es die naturwissenschaftliche Erkenntnis der Gegenwart weiß, ist sie im wesentlichen ein richtiger Siegelabdruck, möchte ich sagen, des Ostergedankens, so wie er geherrscht hat in den älteren Zeiten des Mittelalters, wie er dann abgelähmt worden ist in der menschlichen Geistesentwickelung im späteren Mittelalter und in der neueren Zeit. Schauen wir darauf hin, wie die Naturwissenschaft in Ideen das verwendet, was heute ja populär ist und unsere ganze Kultur beherrscht, sehen wir, wie die Naturwissenschaft ihre Ideen verwendet: sie wendet sie an auf die tote Natur; sie glaubt sich nicht erheben zu können über die tote Natur. Das ist ein Ergebnis jener Inspiration, die angeregt war durch das Hinschauen auf die Grablegung. Und solange man zu der Grablegung hinzufügen konnte die Auferstehung als etwas, zu dem man aufsah, da fügte man auch die Offenbarung über das Übersinnliche zu der bloßen äußeren Sinneserkenntnis hinzu. Als immer mehr und mehr die Anschauung aufkam, die Auferstehung wie ein unerklärliches und daher unberechtigtes Wunder hinzustellen, da ließ man die Offenbarung, also die übersinnliche Welt, weg. Die heutige naturwissenschaftliche Anschauung ist sozusagen bloß inspiriert von der Karfreitagsanschauung, nicht von der Ostersonntagsanschauung.

Man muß diesen inneren Zusammenhang erkennen: Das Inspirierte ist immer das, was innerhalb aller Festesstimmungen miterlebt wird gegenüber der Natur. Man muß den Zusammenhang erkennen zwischen diesem Inspirierenden und dem, was in allem Menschenleben zum Ausdrucke kommt. Wenn man erst einsieht, welch inniger Zusammenhang besteht zwischen diesem Sich-Einleben in den Jahreslauf und dem, was die Menschen denken, fühlen und wollen, dann wird man auch erkennen, von welcher Bedeutung es wäre, wenn es zum Beispiel gelänge, die Herbstes-Michael-Feier zu einer Realität zu machen, wenn es wirklich gelänge, aus geistigen Untergründen heraus, aus esoterischen Untergründen heraus die Herbstes-Michael-Feier zu etwas zu machen, was nun in das Bewußtsein der Menschen überginge und wiederum inspirierend wirkte. Wenn der Ostergedanke seine Färbung bekäme dadurch, daß sich zu dem Ostergedanken: Er ist ins Grab gelegt worden und auferstanden - hinzufügte der andere Gedanke, der menschliche Gedanke: Er ist auferstanden und darf in das Grab gelegt werden, ohne daß er zugrunde geht -, wenn dieser Michael-Gedanke lebendig werden könnte, welche ungeheure Bedeutung würde gerade solch ein Ereignis haben können für das gesamte Empfinden und Fühlen und Wollen der Menschen! Wie würde sich das einleben können in das ganze soziale Gefüge der Menschheit!

Alles, was die Menschen erhoffen von einer Erneuerung des sozialen Lebens, es wird nicht kommen von all den Diskussionen und von all den Institutionen, die sich auf Äußerlich-Sinnliches beziehen, es wird allein kommen können, wenn ein mächtiger Inspirationsgedanke durch die Menschheit geht, wenn ein Inspirationsgedanke die Menschheit ergreift, durch welchen wiederum Moralisch-Geistiges unmittelbar im Zusammenhange gefühlt und empfunden wird mit dem Natürlich-Sinnlichen. Die Menschen suchen heute, ich möchte sagen, wie die unter der Erde befindlichen Regenwürmer das Sonnenlicht, während man, um das Sonnenlicht zu finden, eben über die Oberfläche der Erde hervorkommen muß. Mit allen Diskussionen und Reformgedanken von heute ist nichts zu machen in Wirklichkeit; allein von dem mächtigen Einschlage eines aus dem Geiste heraus geholten Gedankenimpulses ist etwas zu erreichen. Denn man muß sich klar sein darüber, daß gerade der Ostergedanke seine neue Nuance bekommen würde, wenn er ergänzt würde durch den Michael-Gedanken.

Betrachten wir diesen Michael-Gedanken einmal näher. Wenn wir den Blick auf den Ostergedanken hinwerfen, so haben wir zu beachten, daß Ostern in die Zeit des aufsprießenden und sprossenden Frühlingslebens fällt. In dieser Zeit atmet die Erde ihre Seelenkräfte aus, damit diese Seelenkräfte im Umkreise der Erde sich durchdringen mit dem, was astralisch um die Erde herum ist, mit dem außerirdischen Kosmischen. Die Erde atmet ihre Seele aus. Was bedeutet das? Das bedeutet, daß gewisse elementare Wesenheiten, welche ebenso im Umkreise der Erde sind wie die Luft oder wie die Kräfte des Pflanzenwachstums, ihr eigenes Wesen mit der ausgeatmeten Erdenseele verbinden für die Gegenden, in denen eben Frühling ist. Es verschwimmen und verschweben diese Wesenheiten mit der ausgeatmeten Erdenseele. Sie entindividualisieren sich, sie verlieren ihre Individualität, sie gehen in dem allgemein Irdisch-Seelischen auf. Zahlreiche Elementarwesen schaut man im Frühling gerade um die Osterzeit, wie sie aus dem letzten Stadium ihres individuellen Daseins, das sie während der Winterzeit gehabt haben, wolkenartig verschwimmen und aufgehen im allgemein Irdisch-Seelenhaften. Ich möchte sagen:

Diese Elementarwesen waren während der Winterzeit innerhalb des Seelenhaften der Erde, wo sie sich individualisiert hatten (siehe Zeichnung: grün im gelb). Die sind vor dieser Osterzeit noch mit einer gewissen Individualität behaftet, fliegen, schweben gewissermaßen herum als individuelle Wesenheiten. Während der Osterzeit sehen wir, wie sie in allgemeinen Wolken zusammenlaufen und eine gemeinsame Masse bilden innerhalb der Erdenseele (grün im gelb). Dadurch aber verlieren bis zu einem gewissen Grade diese Elementarwesen ihr Bewußtsein. Sie kommen in eine Art schlafähnlichen Zustand. Gewisse Tiere führen einen Winterschlaf; diese Elementarwesen führen einen Sommerschlaf. Das ist am stärksten während der Johannizeit, wo sie vollständig schlafen. Dann aber fangen sie wiederum an, sich zu individualisieren, und man sieht sie schon als besondere Wesen in dem Einatmungszug der Erde klar zur Michaeli-Zeit, Ende des September.

Aber diese Elementarwesen sind diejenigen, die der Mensch nun braucht. Das alles liegt ja nicht in seinem Bewußtsein, aber der Mensch braucht sie trotzdem, um sie mit sich zu vereinigen, damit er seine Zukunft vorbereiten kann. Und der Mensch kann diese Elementarwesen mit sich vereinigen, wenn er zu einer Festeszeit, die in das Ende des September fiele, mit einer besonderen inneren seelenvollen Lebendigkeit empfinden würde, wie die Natur gerade gegen den Herbst zu sich verändert; wenn der Mensch empfinden könnte, wie da das tierisch-pflanzliche Leben zurückgeht, wie gewisse Tiere sich anschicken, ihre schützenden Orte aufzusuchen für den Winter, wie die Pflanzenblätter ihre Herbstesfärbungen bekommen, wie das ganze Natürliche verwelkt. Gewiß, der Frühling ist schön, und die Schönheit des Frühlings, das wachsende, sprießende und sprossende Leben des Frühlings zu empfinden, ist eine schöne Eigenschaft der menschlichen Seele. Aber auch empfinden zu können, wenn die Blätter sich bleichen, ihre Herbstesfärbungen annehmen, wenn die Tiere sich verkriechen, fühlen zu können, wie im absterbenden Sinnlichen ersteht das glitzernde, glänzende Geistig-Seelische, empfinden zu können, wie mit dem Gelbfärben der Blätter ein Untergang des sprießenden, sprossenden Lebens da ist, aber wie das Sinnliche gelb wird, damit das Geistige in dem Gelbwerden als solches leben könne, empfinden zu können wie in dem Abfallen der Blätter das Aufsteigen des Geistes stattfindet, wie das Geistige die Gegenoffenbarung des verglimmenden Sinnlichen ist: das sollte als eine Empfindung für den Geist den Menschen in der Herbsteszeit beseelen. Dann bereitet er sich in der richtigen Weise gerade auf die Weihnachtszeit vor.

Durchdrungen sollte der Mensch werden aus der anthroposophischen Geisteswissenschaft heraus von der Wahrheit, daß gerade das geistige Leben des Menschen auf Erden zusammenhängt mit dem absteigenden physischen Leben. Indem wir denken, geht ja unsere physische Materie in dem Nerv zugrunde. Der Gedanke ringt sich aus der zugrunde gehenden Materie auf. Das Werden der Gedanken in sich selber, das Aufglänzen der Ideen in der Menschenseele und im ganzen menschlichen Organismus Sich-verwandt-Fühlen mit den sich gelbfärbenden Blättern, mit dem welkenden Laub der Pflanzen, mit dem Dürrwerden der Pflanzen, dieses Sich-verwandt-Fühlen des menschlichen Geistseins mit dem Naturgeistsein: das kann dem Menschen jenen Impuls geben, der seinen Willen verstärkt, jenen Impuls, der den Menschen hinweist auf die Durchdringung des Willens mit Geistigkeit.

Dadurch aber, daß der Mensch seinen Willen mit Geistigkeit durchdringt, wird er ein Genosse der Michael -Wirksamkeit auf Erden.

Und wenn der Mensch in dieser Weise gegen den Herbst zu mitlebt mit der Natur und dieses Mitleben mit der Natur in einem entsprechenden Festesinhalt zum Ausdrucke bringt, dann kann er jene Ergänzung der Osterstimmung wirklich empfinden. Dadurch aber wird ihm noch etwas anderes klar. Sehen Sie, was der Mensch heute denkt, fühlt und will, ist ja inspiriert von der einseitigen Osterstimmung, die noch dazu eine abgelähmte ist. Diese Osterstimmung ist im wesentlichen ein Ergebnis des sprossenden, sprießenden Lebens, das alles wie in eine pantheistische Einheit aufgehen läßt. Der Mensch ist hingegeben an die Einheit der Natur und an die Einheit der Welt überhaupt. Das ist ja auch das Gefüge unseres Geisteslebens heute. Man will alles auf eine Einheit, auf ein Monon zurückführen. Entweder ist einer Anhänger des Allgeistes oder der Allnatur: danach ist er entweder ein spiritualistischer Monist oder ein materialistischer Monist. Es wird alles in einem unbestimmten All-Einen gefaßt. Das ist im wesentlichen Frühlingsstimmung.

Schaut man hinein in die Herbstesstimmung mit dem aufsteigenden freiwerdenden Geistigen (gelb), mit dem, ich möchte sagen, abtropfenden, welkwerdenden Sinnlichen (rot), dann hat man den Ausblick auf das Geistige als solches, auf das Sinnliche als solches.

Die frühlingsprießende Pflanze hat in ihrem Wachstum, in ihrem Sprossen und Wachsen das Geistige darinnen. Das Geistige ist mit dem Sinnlichen durchmischt, man hat im wesentlichen eine Einheit. Die verwelkende Pflanze läßt das Blatt fallen und der Geist steigt auf: man hat den Geist, den unsichtbaren, übersinnlichen Geist, und herausfallend das Materielle. Es ist so, wie wenn man in einem Gefäß zuerst eine einheitliche Flüssigkeit hätte, in der irgend etwas aufgelöst ist, und man dann durch irgendeinen Vorgang es bewirken würde, daß sich aus dieser Flüssigkeit etwas absetzt, was als Trübung herunterfällt. Da hat man die zwei, die miteinander verbunden waren, die ein einziges bildeten, nun getrennt.

Der Frühling ist geeignet, alles ineinander zu verweben, alles in eine undifferenzierte, unbestimmte Einheit zu vermischen. Die Herbstesanschauung, wenn man nur richtig auf sie hinschaut, wenn man sie in der richtigen Weise kontrastiert mit der Frühlingsanschauung, sie macht einen aufmerksam darauf, wie Geist auf der einen Seite wirkt, Physisch-Materielles auf der andern Seite. Und man darf natürlich dann nicht einseitig bei dem einen oder bei dem andern stehenbleiben. Der Ostergedanke verliert ja nicht an Wert, wenn man den Michael-Gedanken hinzufügt. Man hat auf der einen Seite den Ostergedanken, wo alles, ich möchte sagen, in einer Art pantheistischer Vermischung auftritt, in einer Einheit. Man hat dann das Differenzierte, aber die Differenzierung geschieht nicht in irgendeiner unregelmäßigen, chaotischen Weise. Wir haben durchaus eine Regelmäßigkeit. Denken Sie sich den zyklischen Verlauf: Ineinanderfügung, Ineinandermischung, Vereinheitlichung, einen Zwischenzustand, wo die Differenzierung geschieht, die vollständige Differenzierung; dann wiederum das Aufgehen des Differenzierten im Einheitlichen und so fort. Da sehen Sie immer außer diesen zwei Zuständen noch einen dritten: da sehen Sie den Rhythmus zwischen dem Differenzierten und dem Undifferenzierten, gewissermaßen zwischen dem Einatmen des Herausdifferenzierten und dem Wiederausatmen. Einen Rhythmus sehen Sie, einen Zwischenzustand, ein Physisch-Materielles, ein Geistiges; ein Ineinanderwirken von Physisch-Materiellem und Geistigem: ein Seelisches. Sie lernen sehen im Naturverlaufe die Natur durchsetzt von der Urdreiheit: von Materiellem, von Geistigem, von Seelischem.

Das aber ist das Wichtige, daß man nicht stehenbleibt bei der allgemeinmenschlichen Träumerei, man müsse alles auf eine Einheit zurückführen. Dadurch führt man alles, ob nun die Einheit eine spirituelle, ob sie eine materielle ist, auf das Unbestimmte der Weltennacht zurück. In der Nacht sind alle Kühe grau, im spirituellen Monismus sind alle Ideen grau, im materiellen Monismus sind sie ebenso grau. Das sind nur Empfindungsunterschiede. Darauf kommt es gar nicht an für eine höhere Anschauung. Worauf es ankommt, ist, daß wir als Menschen mit dem Weltenlauf uns so verbinden können, daß wir das lebendige Übergehen von der Einheit in die Dreiheit, das Zurückgehen von der Dreiheit in die Einheit zu verfolgen in der Lage sind. Dann, wenn wir dadurch, daß wir den Ostergedanken in dieser Weise ergänzen durch den Michaeli-Gedanken, uns in die Lage versetzen, die Urdreiheit in allem Sein in der richtigen Weise zu empfinden, dann werden wir sie in unsere ganze Seelenverfassung aufnehmen. Dann werden wir in der Lage sein, einzusehen, daß in der Tat alles Leben auf der Betätigung und dem Ineinanderwirken von Urdreiheiten beruht. Und dann werden wir, wenn wir das Michael-Fest so inspirierend haben, für eine solche Anschauung, wie das einseitige Osterfest inspirierend war für die Anschauungen, die nun einmal heraufgekommen sind, dann werden wir eine Inspiration, einen Natur-Geistimpuls haben, um in alles zu beobachtende und zu gestaltende Leben die Dreigliederung, den Dreigliederungsimpuls einzuführen. Und von der Einführung dieses Impulses hängt es doch zuletzt einzig und allein ab, ob die Niedergangskräfte, die in der menschlichen Entwickelung sind, wiederum in Aufgangskräfte verwandelt werden können.

Man möchte sagen, als von dem Dreigliederungsimpuls im sozialen Leben gesprochen worden ist, da war das gewissermaßen eine Prüfung, ob der Michael-Gedanke schon so stark ist, daß gefühlt werden kann, wie ein solcher Impuls unmittelbar aus den zeitgestaltenden Kräften herausquillt. Es war eine Prüfung der Menschenseele, ob der Michael-Gedanke in einer Anzahl von Menschen stark genug ist. Nun, die Prüfung hat ein negatives Resultat ergeben. Der Michael-Gedanke ist noch nicht stark genug in auch nur einer kleinen Anzahl von Menschen, um wirklich in seiner ganzen zeitgestaltenden Kraft und Kräftigkeit empfunden zu werden. Und es wird ja kaum möglich sein, die Menschenseelen für neue Aufgangskräfte so mit den urgestaltenden Weltenkräften zu verbinden, wie es notwendig ist, wenn nicht ein solch Inspirierendes wie eine Michael-Festlichkeit durchdringen kann, wenn also nicht aus den Tiefen des esoterischen Lebens heraus ein neugestaltender Impuls kommen kann.

Wenn sich statt der passiven Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft nur wenige aktive Mitglieder fänden, so würden über einen solchen Gedanken Erwägungen angestellt werden können. Das Wesentliche der Anthroposophischen Gesellschaft besteht ja darin, daß allerdings Anregungen innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft ausgelebt werden, daß aber die Mitglieder eigentlich hauptsächlich den Wert darauf legen, teilzunehmen an dem, was sich abspielt; daß sie wohl ihre betrachtenden Seelenkräfte hinwenden zu dem, was sich abspielt, daß aber die Aktivität der eigenen Seele nicht verbunden wird mit demjenigen, was als ein Impuls durch die Zeit geht. Daher kann natürlich bei dem gegenwärtigen Bestande der anthroposophischen Bewegung nicht davon gesprochen werden, daß so etwas wie dieses, was jetzt gewissermaßen wie ein esoterischer Impuls ausgesprochen wird, in seiner Aktivität erwogen werden kann. Aber verstehen muß man doch, wie eigentlich der Gang der Menschheitsentwickelung geht, wie nicht aus dem, was man in oberflächlichen Worten äußerlich ausspricht, die großen tragenden Kräfte der Weltentwickelung der Menschheit kommen, sondern wie sie, ich möchte sagen, aus ganz andern Ecken heraus kommen.

Alte Zeiten haben das immer gewußt aus ursprünglichem, elementarischem, menschlichem Hellsehen heraus. Alte Zeiten haben es nicht so gemacht, daß die jungen Leute zum Beispiel lernen: So und so viele chemische Elemente, dann wird eins entdeckt zu den fünfundsiebzig, dann sind es sechsundsiebzig, dann wird wieder eins entdeckt, dann sind es siebenundsiebzig. Man kann nicht absehen, wie viele noch entdeckt werden können. Zufällig fügt sich eins zu fünfundsiebzig, zu sechsundsiebzig und so weiter. In dem, was da als Zahl angeführt wird, ist keine innere Wesenhaftigkeit. Und so ist es überall. Wen interessiert heute, was, sagen wir in der Pflanzensystematik, irgendwie eine Art von Dreiheit zur Offenbarung bringen würde! Man entdeckt Ordnung neben Ordnung oder Art neben Art. Man zählt ab so, wie man zufällig hingeworfene Bohnen oder Steinchen abzählt. Aber das Wirken der Zahl in der Welt ist ein solches, das auf Wesenhaftigkeit beruht, und diese Wesenhaftigkeit muß man durchschauen.

Man denke zurück, wie kurz die hinter uns liegende Zeit ist, wo dasjenige, was Stoffeserkenntnis war, zurückgeführt wurde auf die Dreiheit: auf das Salzige, das Merkurialische, das Phosphorartige, wie da eine Dreiheit von Urkräftigem geschaut wurde, wie alles, was sich als einzelnes fand, eben in irgendeine der Urkräfte der Drei hineingefügt werden mußte. Und anders noch ist es, wenn wir zurückblicken in noch ältere Zeiten, in denen es übrigens auch durch die Lage der Kultur den Menschen leichter war, auf so etwas zu kommen, denn die orientalischen Kulturen lagen mehr der heißen Zone zugeneigt, wo das dem älteren elementaren Hellsehen leichter möglich war. Heute ist es der gemäßigten Zone allerdings möglich, in freier, exakter Hellsichtigkeit zu diesen Dingen zu kommen; aber man will ja zurück in alte Kulturen! Damals unterschied man nicht Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Frühling, Sommer, Herbst und Winter zu unterscheiden, verführt, weil man darinnen die Vier hat, zu einem bloßen Aneinanderreihen. So etwas wie den Jahreslauf beherrscht von der Vier zu denken, wäre zum Beispiel der altindischen Kultur ganz unmöglich gewesen, weil da nichts von den Urgestalten alles Wirkens darinnen liegt.

Als ich mein Buch «Theosophie» schrieb, da konnte ich nicht einfach aneinanderreihen: physischer Leib, ätherischer Leib, astralischer Leib und Ich, wie man es zusammenfassen kann, wenn die Sache schon da ist, wenn man die Sache innerlich durchschaut. Da mußte ich nach der Dreizahl anordnen: physischer Leib, Ätherleib, Empfindungsleib; erste Dreiheit. Dann die damit verwobene Dreiheit: Empfindungsseele, Verstandesseele, Bewußtseinsseele; dann die damit verwobene Dreiheit: Geistselbst, Lebensgeist, Geistesmensch, drei mal drei, ineinander verwoben (siehe Schema), dadurch wird es zu sieben.

Aber die Sieben ist eben drei mal drei ineinander verwoben. Und nur, wenn man auf das gegenwärtige Stadium der Menschheitsentwickelung blickt, kommt die Vier heraus, die eigentlich im Grunde genommen eine sekundäre Zahl ist.

Will man auf das innerlich Wirksame, auf das sich Gestaltende sehen, muß man auf die Gestaltung im Sinne der Dreiheit schauen. Daher hat die alte indische Anschauung gehabt: heiße Jahreszeit, ungefähr würde das umfassen unsere Monate April, Mai, Juni, Juli; feuchte Jahreszeit, die würde ungefähr umfassen unsere Monate August, September, Oktober, November; und die kalte Jahreszeit würde umfassen unsere Monate Dezember, Januar, Februar, März, wobei die Grenzen gar nicht so festzustehen brauchen nach Monaten, sondern nur approximativ sind. Das kann verschoben gedacht werden. Aber der Jahreslauf wurde gedacht in der Dreiheit. Und so würde überhaupt die menschliche Seelenverfassung sich durchdringen mit der Anlage, diese Urdreiheit in allem Webenden und Wirkenden zu beobachten, dadurch aber auch allem menschlichen Schaffen, allem menschlichen Gestalten diese Urdreiheit einzuverweben. Man kann schon sagen, reinliche Ideen zu haben auch von dem freien Geistesleben, von dem Rechtsleben, von dem sozial-wirtschaftlichen Leben ist nur möglich, wenn man diesen Dreischlag des Weltenwirkens, das auch durch das Menschenwirken gehen muß, in der Tiefe durchschaut.

Heute gilt alles, was auf solche Dinge sich beruft, als eine Art von Aberglaube, währenddem es als hohe Weisheit gilt, einfach zu zählen: eins und wieder eins, zwei, drei und so weiter. Aber so verfährt ja die Natur nicht. Wenn man aber seine Anschauung lediglich darauf beschränkt, auf dasjenige hinzuschauen, in dem sich alles verwebt, zum Beispiel auf das Frühlingshafte allein, auf das man natürlich hinschauen muß, um zu sehen, wie sich alles verwebt, so kann man eben nicht den Dreischlag wiedergeben. Wenn man aber den ganzen Jahreslauf verfolgt, wenn man sieht, wie sich die Drei gliedert, wie das Geistige und das physisch-materielle Leben als Zweiheit vorhanden ist und das rhythmische Ineinanderweben von beiden als das Dritte, dann nimmt man wahr dieses Drei in Eins, Eins in Drei, und lernt erkennen, wie der Mensch sich selber hineinstellen kann in dieses Weltenwirken: drei zu eins, eins zu drei.

Das würde menschliche Seelenverfassung werden, weltendurchdringende, mit Welten sich verbündende menschliche Seelenverfassung, wenn der Michael-Gedanke als Festesgedanke so erwachen könnte, daß wirklich dem Osterfest an die Seite gesetzt würde in der zweiten Septemberhälfte ein Michael-Fest, wenn dem Auferstehungsgedanken des Gottes nach dem Tode hinzugefügt werden könnte der durch die Michael-Kraft bewirkte Auferstehungsgedanke des Menschen vor dem Tode. So daß der Mensch durch die Auferstehung Christi die Kraft finden würde, in Christus zu sterben, das heißt, den auferstandenen Christus in seine Seele aufzunehmen während des Erdenlebens, damit er in ihm sterben könne, das heißt, nicht tot, sondern lebendig sterben kann.

Solches inneres Bewußtsein würde hervorgehen aus dem Inspirierenden, das aus einem Michael-Dienst kommen würde. Man kann sehr wohl einsehen, wie unserer materialistischen Zeit, die aber identisch ist mit einer ganz und gar philiströs gewordenen Zeit, so etwas ferneliegt.

Gewiß, man kann auch nichts davon erwarten, wenn es ein Totes, Abstraktes bleibt. Aber wenn mit demselben Enthusiasmus, mit dem einmal in der Welt Feste eingeführt worden sind, als man die Kraft hatte, Feste zu gestalten, wiederum so etwas geschieht, dann wird es inspirierend wirken. Dann wird es aber auch inspirierend wirken für unser ganzes geistiges und für unser ganzes soziales Leben. Dann wird dasjenige im Leben stehen, was wir brauchen: nicht abstrakter Geist auf der einen Seite, geistlose Natur auf der andern Seite, sondern durchgeistigte Natur, natürlich gestaltender Geist, die eines sind, und die auch wiederum Religion, Wissenschaft und Kunst in eines verweben werden, weil sie verstehen werden, die Dreiheit im Sinne des Michael-Gedankens in Religion, Wissenschaft und Kunst zu fassen, damit sie in der richtigen Weise vereinigt werden können im Ostergedanken, im anthroposophischen Gestalten, das religiös, künstlerisch, erkenntnismäßig wirken kann, das auch wiederum religiös, erkenntnismäßig differenzieren kann. So daß eigentlich der anthroposophische Impuls darin bestehen würde, in der Osterzeit zu empfinden Einheit von Wissenschaft, Religion und Kunst; in der Michaelzeit zu empfinden, wie die Drei - die eine Mutter haben, die Ostermutter - wie die Drei Geschwister werden und nebeneinander stehen, aber sich gegenseitig ergänzen. Und auf alles menschliche Leben könnte der Michael-Gedanke, der festlich lebendig werden sollte im Jahreslauf, inspirierend wirken.

Von solchen Dingen, die durchaus dem real Esoterischen angehören, sollte man sich durchdringen, wenigstens zunächst erkenntnismäßig. Wenn dann einmal auch die Zeit kommen könnte, wo es aktiv wirkende Persönlichkeiten gibt, so könnte so etwas tatsächlich ein Impuls werden, der doch so, wie die Menschheit ist, einzig und allein wiederum Aufgangskräfte an die Stelle der Niedergangskräfte setzen könnte.