Aufruf zur Förderung eines wahrhaft freien Geisteslebens

01.12.2001

"Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe gibt und der Geist, das läßt sich nicht erzwingen. Das laß er unangetastet, oder man nehme sein Gesetz und schlag es an den Pranger! Beim Himmel! der weiß nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte." Friedrich Hölderlin / Hyperion

"Die Dreigliederung ist etwas, das ja einfach aus dem natürlichen Zusammenleben der Menschen folgt. Man kann dieses natürliche Zusammenleben der Menschen fälschen, indem man, wie es zum Beispiel in der neueren Geschichte der Fall gewesen ist, die Eigentümlichkeiten des einen Gliedes, des rechtlich-staatlichen Gliedes, auf die beiden anderen ausdehnt. Dann werden einfach diese beiden anderen Glieder korrumpiert, weil sie nicht gedeihen können, so wie jemand nicht gedeihen kann, wenn man ihm ein ungenügendes Gewand anzieht, das ihm zu schwer ist oder dergleichen." Rudolf Steiner

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre sprechen eine deutliche Sprache: durch die mit den neuen Medien einhergehende Globalisierungstendenz der Wirtschaft, sind alle Lebensbereiche weitreichenden Wandlungen unterworfen. Nicht nur das Verhältnis des einzelnen Menschen zur Gesellschaft, sondern auch die Aufgabe des Staates hat sich verändert: viele Bereiche ehemals staatlicher Verwaltung gehen notwendiger Weise in die Verantwortung der BürgerInnen über. Diese Notwendigkeit zeigt sich insbesondere in der enormen Staatsverschuldung und den ihr gegenüberstehenden, nie in dieser Dimension dagewesenen, Privatvermögensbildungen. Da aber immer noch Politik-Vorstellungen des 19. Jhds. herrschen und mit tauschwirtschaftlichen Begriffen umgegangen wird, die längst der Komplexität der modernen arbeitsteiligen Weltwirtschaft nicht mehr gerecht werden, ist eine schwerwiegende soziale Schieflage entstanden ("Laut dem Armutsbericht hat sich die Kluft zwischen Reich und Arm vor allem bei den Einkommen weiter vergrößert. Insgesamt wird das Privatvermögen [in der BRD] auf 8,2 Billionen DM beziffert. Dabei konzentrierten sich im Westen 42 Prozent und im Osten sogar 48 Prozent des Privatvermögens auf zehn Prozent der reichsten Haushalte. Umgekehrt mussten sich die untere Hälfte der Haushalte mit 4,5 Prozent des Vermögens bescheiden." Kieler Nachrichten, 26. April 2001).

Doch diese Schieflage ist eben im Grunde nur die logische Konsequenz der modernen Geldwirtschaft, die den einzelnen Menschen in ein anonymes und abstraktes Verhältnis zum sozialen Leben führt, selbst aber kein "Gerechtigkeitsregulativ" in sich trägt. Dass diese "Liberalisierungs-Tendenz" der High-Tech-Wirtschaft (in ihrer systemimmanent-gewinnorientierten Kombinatorik) so verheerend und verelendend zu Tage tritt, ist wiederum nur die Folge davon, dass die latent vorhandene soziale Frage zu lange fast ausschließlich als politisches Struktur Problem behandelt wurde (so als ginge es nur um die noch zu entdeckenden "richtigen Spielregeln" fürís "gesellschaftliche Monopoly").

Obwohl mittlerweile z.B. das moderne "Phänomen Arbeitslosigkeit" längst wissenschaftlich in seinem Zusammenhang mit Produktivitätssteigerung und wirtschaftlicher Globalisierung dargelegt ist (siehe z.B. Jeremy Rifkin, "Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft", Frankfurt/M. 1995; Hans Peter Martin, "Die Globalisierungsfalle", Reinbek 1996; Viviane Forrester, "Der Terror der Ökonomie", Wien 1997), wird immer noch so getan, als handle es sich hierbei nur um ein (partei-)politisch in ein paar Jahren eindämmbares Problem. So wird auf der einen Seite von politisch zu beseitigender "Arbeitslosigkeit" geredet (als ob es Arbeitsmangel gäbe), wobei andererseits viele gesellschaftliche Bereiche (Erziehung, Gesundheitswesen, Landwirtschaft etc.) faktisch unterversorgt bleiben. Solche Überbewertungen der politischen Möglichkeiten kaschieren nur, dass die Güte der sozialen Kultur nicht von irgendwelchen Mechanismen abhängt, sondern davon, ob überhaupt in lebendigen Zusammenhängen gedacht und empfunden wird - die gegenwärtige Krise also vorallem auf einen Bildungsnotstand und eine Schwächung sozialer Verbundenheit hinweist. Immer deutlicher zeigt sich, dass der Staat als "Bildungs- und Kultur-Veranstalter" diese Aufgabe nicht leisten kann, "Schulbildung" immer mehr zur ausschließlichen Vermittlung von Fachwissen verengt wird (unter zunehmendem Einfluss der Wirtschaft) und Kultur immer mehr zum Massenspektakel oder elitären Firlefanz verkommt.

"Spezialwissenschaften, nur für sich genommen, sind Todes und Vernichtungsarten, ja sogar Todes und Mordarten." Dieser dramatische Satz des Philosophen Immanuel Herrmann Fichte, gibt die katastrophale Auswirkung des heutigen (staatlichen, verbeamteten oder sonstwie institutionalisierten) Wissenschaftsbetriebes für das soziale Leben wieder. Viele bedeutende Denker, Künstler und Wissenschaftler haben diese Zusammenhänge zu thematisieren versucht, alles Persönlichkeiten, die heute zumeist in ihren Aussagen verharmlost, an den Rand gedrängt, verketzert oder verleumdet werden: Friedrich Schiller, Wilhelm von Humboldt, Max Stirner, Friedrich Nietzsche, Rudolf Steiner, Heinrich Böll, Joseph Beuys etc.

Das Kultur- und Bildungsleben selbst scheint noch selbstbegnügt zu schlafen. Zwar spürt man nun langsam auch hier, dass sich die Lage zuspitzt, doch wagt man noch kaum den Schritt in echte Selbstverwaltung und -Verantwortung, sondern erliegt zumeist nach wie vor der anachronistischen Denkgewohnheit: "Papa Staat" habe die Aufgabe, das Bildungswesen zu finanzieren. Obwohl die staatliche Subventionspolitik gerade erst wieder durch die BSE-Krise in ihrem - das soziale und natürliche Leben manipulierenden - Charakter zu Tage getreten ist, will man noch kaum erkennen, dass die Bildungsfrage keine "bildungspolitische", sondern die zentrale Aufgabe der Zivilgesellschaft ist. So wenig heute schon die allgemeinbildenden Schulen (gleichwie die scheinautonomen Schulen in "freier Trägerschaft") von wirklich freien Initiativ-Schulen abgelöst werden können, so ist es doch schon möglich in individuellen (institutionsübergreifenden) Bezügen und offenen Gemeinschaftsbildungen dem Rein-Menschlichen das notwendige Interesse zu kommen zu lassen. Im Rahmen der internationalen Menschenrechtsbewegungen ist mittlerweile ein Bewußtsein für die Gefahren einer "elitären Globalisierung" (Nicanor Perlas) erwacht und der Begriff der "Zivilgesellschaft" als neuer selbstverwalteter "Verantwortungsträger" gewinnt an Boden, nur wird auch hier zumeist noch zu einseitig auf eine politische Behebung der Mißstände gehofft. Das aber, was der Mensch unmittelbar aus sich hervorbringt, aus seiner Kultur, aus seinen geistigen Quellen, das kann sich in seiner Klarheit und Tiefe nur äussern, wenn es nicht durch staatliche oder wirtschaftliche Interessen deformiert wird. Ein neues Aufblühen nationalstaatlicher Kulturambitionen (wie sie seit neuerer Zeit von rechter und linker Seite wiederum zu hören sind) machen erschreckend die gegenwärtige politische Bewußtseinslage deutlich. Nicht die Stärkung nationalstaatlicher Egoismen kann die Antwort auf die Globalisierung sein, sondern nur ein freies Kultur und Bildungsleben, dass aus seinen eigenen Impulsen den globalen sozialen Ausgleich anstreben wird; denn es geht nicht nur um irgendwelche Wohltätigkeitsgesten, die doch sehr häufig nur das Alibi für mangelndes Menschen-Interesse sind.

Es ist an der Zeit zu erkennen, dass es eines Geisteslebens bedarf, das sich nicht in Argumenten für parteipolitische oder wirtschaftliche Lösungen der sozialen Probleme erschöpft, sondern eine wirkliche Erkenntnis der Ursachen anstrebt, d.h.: eine Erkenntnis des menschlichen Wesens im weitesten Sinne. Ein wahrhaft freies Geistesleben besagt gerade, dass es keine programmatisch festzuschreibende "eine Wahrheit" für das soziale Leben geben kann, sondern nur in der permanenten - individuellen - Bemühung um die Voraussetzungslosigkeit des Erkenntnisprozesses seinen Ausdruck finden kann, um sich immer wieder neu im Gespräch den Aufgaben des sozialen Lebens widmen zu können. Diese Voraussetzungslosigkeit wird aber kaum erreicht, wenn z.B. die neuzeitliche These von der angeborenen Egoität des Menschen dogmatisch als wissenschaftliche Tatsache angenommen wird, und somit nicht der individuelle Mensch in seiner Erkenntnisfähigkeit gefördert, sondern Gruppeninteressen und Nationalismen geradezu hervor gerufen werden.

Es ist nicht unrealistisch davon auszugehen, dass ein von staatlichen und wirtschaftlichen Interessen befreites und - bis in die Finanzierung hinein - von freier Initiative und Kooperation getragenes Geistesleben der Gesellschaft belebende und gestaltende, Demokratie fördernde und wirtschaftlich-sozial ausgleichende Impulse geben wird; - anstrengend wird es allerdings sein, im Rahmen der gegebenen Zivilisationsgewohnheiten, ein solches Geistesleben zu realisieren. Diese Anstrengung wird mit diesem Aufruf gewollt!

Jeder Mensch, der die Kernaussage dieses Aufrufes unterstützt ist zur Zusammenarbeit eingeladen. Die Möglichkeiten der Mitwirkung sind vielfältig:

- Mitunterzeichnung des Aufrufs

- Verbreitung des Aufrufs

- Jede Form wahrhaft freier Initiative- Kapitalbildungskonferenz (das Vermögen sind die Erkenntnisse und Fähigkeiten der Menschen)

- Transparenz und Netzwerk-bildung

- Spenden zur Veröffentlichung des Aufrufs in den Medien, zur Durchführung freier Vorträge, Seminare, Runder Tische, Forschungsprojekten, Organisation von Komunikation in allen Feldern etc.

- Ethischer Individualismus - statt "ethischem Investment"! Die Gelder sollen möglichst nicht anonym "ethischen Zwecken" zugeführt, sondern in individuellen Bezügen anvertraut werden. (Geld als Veranlasser von Initiative anzusehen widerspricht dem Selbstverwaltungsprinzip des Geisteslebens, wohingegen das Gemeinnützigkeitsprinzip als das eigentliche Wirtschaftsprinzip erkannt werden kann. Der Bedarf freien Geisteslebens kann also nicht erkauft oder programmatisch in seinem Inhalt festgelegt werden, sondern nur durch transparente Zusammenschau individueller Impulse und daraus folgender individueller Freistellung befriedigt werden. Freie Initiative bedarf also grundsätzlich der Schenkung. In der konkreten Zusammenarbeit werden rechtliche Vereinbarungen zur Verwaltung und Investition des Schenkungsgeldes getroffen werden können).

- Bereitstellung geeigneter Räumlichkeiten, Produktionsmittel, wirtschaftliche Assoziation, etc.

"Nicht das in einem bestimmten Zeitpunkte geborene - Ich - soll zu uns sprechen, sondern die Ichheit, auf deren Grund sich - die Besonderheit der Individualität - erst entwickelt." Rudolf Steiner

Für Ende April ist eine grössere Tagung in Kiel geplant:

"Goethes "Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie" und die Gegenwart"

(Näheres über T.Brunner)

Kathrin & Thomas Brunner, Kiel
Thomas Keil, Sohland / Spree
Ulrike Novatschkova, Berlin
Diana Maria Sagvosdkina, Stuttgart
Marina Prüfer Rohner, Berlin
Philipp Tok, Leipzig
Albrecht Walter, Bremen

Kontakt:

Thomas Brunner
Britzweg 51
24111 Kiel
0431-690073
Votiv@web.de

Förderverein für Kunst und Sozialgestaltung
BLZ 430 609 67
KtoNr. 40 108 200
GLS-Gemeinschaftsbank eG Hamburg