Die Ökonomie des Schenkens

01.06.2011

Erstmals erschienen in Die Drei, Ausgabe 2011/6. Eine vollständige PDF-Version des Artikels ist hier abrufbar.

Die GLS Treuhand - eine Pionierin in Sachen Schenken und Stiften, aus der die GLS-Bank hervorgegangen ist - feiert ihr fünfzigjähriges Jubiläum. Zu diesem Anlass hat sie im Info3-Verlag ein Lesebuch zum Thema Schenken herausgegeben. Schenken ist das Zukunftsthema. Das mögen viele Menschen noch nicht so sehen; doch die grundlegenden Probleme des Wirtschaftslebens werden sich erst lösen lassen, wenn das Schenken den richtigen Stellenwert im wirtschaftlichen Organismus erhält. Sinngemäß lautet auch der Titel der Festschrift Da hilft nur schenken ... - Mit Schenken und Stiften die Gesellschaft gestalten.[1]

Zukunftsthemen müssen ertastet werden. In »Da hilft nur schenken...« finden sich Tastversuche aus den verschiedensten Richtungen. Es ist kein Zufall, dass die ersten fünf Beiträge von Autorinnen stammen. Die Ökonomie des Tauschens - die Marktwirtschaft - ist männlich, so erfahren wir in der ersten Betrachtung von der Feministin Genevieve Vaughan. Dagegen folge die Ökonomie des Schenkens dem mütterlichen Prinzip. Insofern lässt man zunächst das Geschlecht sprechen, dem die »Schenkökonomie« von Natur aus näher stehen sollte als dem marktwirtschaftlichen System, das die »Ökonomie der mütterlichen Sorge aufhebt, abwertet und verbirgt, während sie gleichzeitig Geschenke (kostenlose Ressourcen) jeder Art ausbeutet«.[2] Die Herren, die den ökonomischen Ansatz Rudolf Steiners erläutern, kommen im mittleren Teil zu Wort, während der letzte Teil das Thema vom Standpunkt der Religionen, respektive (Kirchen-) Christentum, Islam und Judentum behandelt. Den Abschluss bilden eine sehr schöne Übersicht über die Geschichte der GLS Treuhand und vier Porträts von Menschen, die innerhalb der GLS Treuhand einen besonderen Schenkungsimpuls verfolgt haben.

Schenken als gesamtwirtschaftliche Kategorie

Rudolf Steiner kommt das Verdienst zu, einen anderen Blick auf das Schenken entwickelt zu haben: Schenken als notwendiges ökonomisches Regulativ innerhalb eines geschlossenen Wirtschaftsgebietes. Vor den radikalen Konsequenzen, die er dabei hinsichtlich des Umgangs mit Kapital zieht, scheuen viele Menschen instinktiv zurück. Solche Verhaltensweisen bemerkte Rudolf Steiner auch beim eigenen Publikum: »Wenn man das in der Gegenwart ausspricht, so wird das zuweilen noch so empfunden, als ob einen gewisse Tiere juckten, wenn ich den Vergleich gebrauchen darf. Ich weiß das, ich würde den Vergleich nicht gebraucht haben, wenn ich nicht die merkwürdigen Bewegungen im Auditorium wahrgenommen hätte.«[3] Ein innerer Konflikt kann vor allem entstehen, wenn in der Praxis auch betriebswirtschaftliche Interessen berücksichtigt werden müssen. Das mag vielleicht ein Grund dafür sein, dass diese Konsequenzen für den Umgang mit Kapital in dem Bändchen nur zaghaft angedeutet werden. Im Folgenden soll der Blick auf die Gründe gelenkt werden, die zu diesen radikalen Forderungen führen. Eine offene Volkswirtschaft löst Probleme mit Überkapazitäten, indem sie mehr exportiert. Dadurch verbindet sich die Welt als ganze zu einem geschlossenen Wirtschaftsgebiet. Wenn in diesem nicht genügend bewusst geschenkt wird, dann vollzieht sich der ökonomisch notwendige Schenkprozess dennoch, allerdings in einer für den gesamtwirtschaftlichen Organismus schädlichen Weise.

Die gegenwärtige Finanzkrise und ganz aktuell das Griechenland-Desaster können das verdeutlichen. Durch den Beitritt zum Euro ist Griechenland in die Lage versetzt worden, über einen langen Zeitraum günstig Kredite im Ausland aufzunehmen. Diese Kredite wurden aber im Wesentlichen nicht dazu verwendet, die Produktivität im eigenen Land und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, sondern weitgehend konsumtiv verausgabt. Wenn ich auf Kredit lebe, weil ich nicht genügend leistungsfähig bin, und diesen Kredit nicht nutze, um meine Leistungsfähigkeit zu steigern, dann verschiebe ich ein Problem einfach in die Zukunft. Zu dem späteren Zeitpunkt lässt sich das Problem der mangelnden Leistungsfähigkeit aber erst recht nicht lösen. Denn dann habe ich weiterhin meine notwendigen Konsumbedürfnisse, die ich nicht unbegrenzt reduzieren kann, und ich muss zudem Zahlungsverpflichtungen aus den schon längst verbrauchten Krediten nachkommen.

In dieser Situation ist gegenwärtig Griechenland, aber auch sehr viele andere Länder. Die Schuld für diese Entwicklung darf man jedoch nicht einseitig bei diesen Schuldnerländern suchen; ebenso wenig sind die einzelnen Kreditgeber die Hauptverantwortlichen. Der Kernpunkt des Problems liegt vielmehr in einem Geld- und Finanzsystem, das die Schenkung als ökonomische Kategorie nicht kennt. Gebe ich Kredit an jemanden, der nie in der Lage sein wird, ihn zurückzuzahlen, dann verschenke ich eigentlich dieses Geld. Unter normalen Umständen würde deshalb ein solcher Kredit nicht gewährt. Werden allerdings Bedingungen geschaffen, unter denen der Kreditgeber darauf spekulieren kann, dass ein anderer im Ernstfall für den Kapitaldienst einspringt, dann wird er gerne den Kredit gewähren. Denn er hat ein wirtschaftliches Interesse daran, sichere Anlagemöglichkeiten für sein Kapital zu finden. Es wird also das Geld auf diesem Wege verschenkt, nur dass die Schenkung verschleiert wird.

Schulden-, Vermögens- und Geldmengenwachstum

Die gegenwärtige Finanz- und Schuldenkrise ist maßgeblich durch eine mangelhafte Verwaltung des Geldsystems mit verursacht worden. Seit längerer Zeit schon lässt sich der massive Anstieg von drei Verschuldungsformen beobachten:

  • Die Verschuldung ganzer Volkswirtschaften: Diese tritt ein, wenn Länder, wie z.B. die USA, Großbritannien, Spanien, Portugal oder Griechenland, Jahr für Jahr mehr Güter und Dienstleistungen im Ausland einkaufen, als sie selbst exportieren.
  • Die Verschuldung der staatlichen Haushalte.
  • Die Verschuldung der privaten Haushalte.

Da Geld im heutigen Geldsystem über die Ausgabe von Krediten in Umlauf gebracht wird, entspricht diesem Schuldenwachstum ein Wachstum der Geldmengen (vor allem Dollar, Euro, Yen). Die Verantwortlichen in den Zentralbanken haben in den letzten zwei Jahrzehnten in dieser Ausdehnung der Geldmenge kein Problem gesehen, weil sie Inflation nur anhand des Anstieges des Güterpreisniveaus gemessen haben. Die Inflation der Vermögenswerte (Immobilien, Aktien, Derivate usw.) wurde nicht beachtet. Die Finanzmärkte, die vornehmlich mit Vermögenswerten handeln - so war die herrschende Meinung -, hätten keinen maßgeblichen Einfluss auf die Realwirtschaft. Diese Auffassung wird gegenwärtig revidiert.[4] Wenn die Verschuldung wächst, dann wachsen aber nicht nur die Geldmenge, sondern zugleich auch die »Vermögen«. Denn solange die Schuldner ihre Zinsen zahlen, stellen sie für den Gläubiger einen Vermögenstitel dar. In einem System, das nur auf Kaufen und Leihen basiert, muss dafür gesorgt werden, dass für das Leihen genügend Anlagemöglichkeiten vorhanden sind. Auch wenn es zum guten Ton gehört, gegen die zunehmende Verschuldung zu wettern, haben die Vermögenden (bzw. deren Verwalter) daran selbst ein großes Interesse. Zu den Vermögenden gehören allerdings nicht nur die Superreichen, die immer reicher werden, sondern auch die Vielzahl von Menschen, die es »im Leben zu etwas gebracht haben« und diesen Reichtum selbstverständlich erhalten und ihren Nachkommen vererben wollen. Letztendlich müssen auch diejenigen zur Gruppe der Vermögenden gerechnet werden, die eine kapitalgedeckte Rentenversicherung abgeschlossen haben. Der Rentenversicherer ist gewissermaßen der Vermögensverwalter der »kleinen Leute«, der die monatlichen Einzahlungen so anlegt, dass aus den Erträgen nach einer gewissen Laufzeit eine monatliche Rentenauszahlung möglich wird. Aus Sicht der Vermögensverwalter und ihrer politischen Vertreter ist wichtig, dass vor allem eine Situation nicht eintritt: dass Schuldenbestände im großen Maße abgeschrieben werden müssen. Lieber akzeptiert man, dass Scheinverhältnisse aufrechterhalten werden. Im Falle Griechenlands ist z.B. allen klar, dass die dort eingegangene Verschuldung realistischerweise nicht mehr zurückgezahlt werden kann und zudem jegliche zukünftige Entwicklung verhindert. Dennoch wehren sich die Regierungen besonders der Länder, die wichtige Gläubiger vertreten (z.B. die deutsche und die französische), aus »guten« Gründen gegen eine Umschuldung. Denn diese würde bedeuten, dass die Gläubiger (vor allem Banken[5]) auf einen Großteil ihrer Forderungen verzichten müssten. Das könnte diese »systemrelevanten Einrichtungen« wiederum in die Insolvenz treiben und unabsehbare Folgen für das Wirtschaftssystem hervorrufen. Daher werden Rettungspakete geschnürt, bei denen die Schulden letztlich von den Steuerzahlern bezahlt werden - aus jenen Ländern, in denen auch ursprünglich die Forderungen entstanden sind. In Wirklichkeit hat sich ein Schenkprozess vollzogen, nur dass dieser durch scheinbare Kreditierungen verschleiert wurde.

Gläubigerländer wie Deutschland, die Jahr für Jahr mehr Waren und Dienstleistungen exportieren als importieren, verschenken insofern einen großen Teil ihrer wirtschaftlichen Überschüsse, für die sie niemals mehr eine entsprechende Gegenleistung erhalten werden. Mehr oder weniger unbewusst geht es den Akteuren auch nicht darum. Vielmehr möchte man eine wirtschaftliche Machtstellung aufrechterhalten. Ein Land, dessen Wirtschaft wettbewerbsfähig produzieren kann und dessen Bedürfnisse weitgehend gesättigt sind, stellt sich zunächst besser als ein Land, dem dies nicht möglich ist und das permanent mehr Güter von außen bedarf, als es selbst exportieren kann. Der Preis für diese Machtstellung ist die Öffnung für die internationale Finanzindustrie, die mit zur Fiktion gewordenen Schuldtiteln ihr Spiel treibt. Will eine Volkswirtschaft unterbinden, dass sie zum Spielball einer solchen Finanzindustrie wird, dann muss sie - anstatt die staatliche Regulation der Finanzbranche zu verschärfen - das Schenken volkswirtschaftlich organisieren. An die Stelle des kaschierten Schenkens, welches Zwangsverhältnisse und Misswirtschaft begründet, muss das bewusste, die Menschen freilassende Schenken treten.

Die Neuorganisation des Leihens und Schenkens

Bewusst schenken können nur individuelle Menschen. Sie brauchen aber eine Orientierung, ab welchem Punkt Leihen keinen Sinn mehr macht, sondern geschenkt werden muss. Nur dann kann bewusstes Schenken in der gesamtwirtschaftlich notwendigen Größenordnung eintreten. Steiners ökonomischer Ansatz stellt daher die Frage, wie die zentralen gesellschaftlichen Einrichtungen umgestaltet werden müssen, dass eine solche Orientierung für das individuelle Handeln möglich wird. Beim gegenwärtig herrschenden ökonomischen Ansatz, der auf Verkaufen und Verleihen basiert, erweitern sich die Anlagemöglichkeiten bei zunehmendem Entwicklungsgrad der Wirtschaft aber nicht, sondern verknappen. Das wird als Störung der Kapitalfunktion, also des organisierenden Faktors des Wirtschaftslebens, angesehen. Deshalb wird aus diesem Ansatz versucht, immer neue Möglichkeiten für die Kapitalanlage zu schaffen, selbst wenn durch diese gar keine wirklichen Bedürfnisse, sondern nur die Bedürfnisse der Kapitalanlage bedient werden. Der Ansatz Rudolf Steiners zielt dagegen darauf ab, die Anlagemöglichkeiten für Kapital auf die realwirtschaftlichen Notwendigkeiten zu beschränken, ohne Rücksicht darauf, dass bei zunehmendem Entwicklungsgrad der Wirtschaft die realen Neuanlagemöglichkeiten für das Kapital immer knapper werden. Denn Kapital, das immer wieder einer wirtschaftlichen Verwertung zugeführt wird, bewirkt eine ungesunde Wachstumsdynamik: Es wird produziert, nicht weil Bedürfnisse vorhanden sind, sondern weil das Bedürfnis nach der Kapitalverwertung besteht. Aus der Sicht des Einzelnen mag dieses Verhalten ökonomisch erscheinen. Aus Sicht der Gesamtwirtschaft ist es völlig unökonomisch. Es bindet die Menschen nicht nur sinnlos in der materiellen Arbeit, sondern führt auch noch zur Verschwendung der knappen Ressourcen. Schaut man aus der Perspektive der konkreten und nicht der manipulierten oder manipulierbaren Konsumbedürfnisse, dann muss man sich eingestehen, dass die Verwertungskraft des Kapitals für das Organisieren der materiellen Produktion mit der Zeit abnimmt.[6] Statt die materiell produktiven Tätigkeiten künstlich zu vermehren, ist es aus rein ökonomischen Gründen notwendig, den Bereich der geistig produktiven Tätigkeiten auszudehnen. Das aber erfordert bewusstes Schenken. Aus dieser Sicht müssen sich Banken in Einrichtungen wandeln, die für die Gesellschaft das Leihen und Schenken organisieren. Dafür müssen sie zu Bewusstseinsorten werden für das, was das Kapital im sozialen Leben bewirkt. Bezüglich des Geldleihens und Zinsnehmens muss sich dann ein neues Verständnis herausbilden. Wenn man Geld verleiht, kann man nicht erwarten, dass man dieses Geld wieder zurückbekommt. Denn der Kreditnehmer will dieses Geld ja gerade ausgeben und es dadurch gewissermaßen entwerten. Er kann am Ende einer vereinbarten Zeit nur etwas anderes zurückgeben. Natürlich ist dieses andere auch Geld, doch es ist aus einem ganz anderen Wirtschaftsprozess entstanden. Steiner bezeichnet das Geld, das zurückgegeben wird, als Zins. Dieser sei die gerechte Vergütung dafür, dass jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt darauf verzichtet hat, Leistungen in Anspruch zu nehmen und sein Geld daher von anderen für produktive Tätigkeiten verwendet werden konnte.[7] Wenn ich Geld verleihe, dann darf ich nach dieser Auffassung nicht erwarten, dass das Geld zurückgezahlt wird. Als Vergütung erhalte ich lediglich den Zins, der dann allerdings in der Regel entsprechend höher ausfallen wird. Das mag der gegenwärtigen Vorstellung des Leihens widersprechen, bei der ich erwarte, dass ich mein verliehenes Geld genauso wie mein verliehenes Auto nach der vereinbarten Zeit - zuzüglich der Entschädigung - zurückbekomme. Doch Geld ist nur dem äußeren Anschein nach eine Sache wie ein Auto. In seiner Wirklichkeit ist es ein volkswirtschaftliches Organisationsmittel, welches sich permanent verändert. Nur weil wir diese Veränderung nicht bemerken, meinen wir, dass Geld zurückgezahlt werden kann. Doch diese Auffassung, dass ausgeliehenes Geld zurückgezahlt und verzinst werden muss, bewirkt gerade den schädlichen Trieb, Geld allein durch geschicktes Anlegen immer weiter vermehren zu wollen. Das führt aber zu der Verselbständigung der Finanzökonomie, die wir gegenwärtig erleben. Das beschriebene andere Zinsverständnis ermöglicht, dass Banken überhaupt erst echte Einrichtungen für Leihen und Schenken werden können. Als Kapitalverwaltungsorgan können sie unter richtigen gesamtwirtschaftlichen Bedingungen genau wissen, ob zu viel oder zu wenig gespart wird. Ist zu wenig Sparkapital vorhanden, würde der Zins hochgesetzt, so dass der Sparer am Ende der Laufzeit durchaus mehr Geld bekommt, als er eingelegt hat. Würde hingegen zu viel gespart, dann könnte all das, was über die realen Anlagemöglichkeiten hinausgeht, von der Bank verschenkt werden. Der Zins, den der einzelne Sparer erhält, wäre dann sehr niedrig. Er müsste sich damit abfinden, dass er am Ende der Laufzeit wesentlich weniger herausbekommt, als er ursprünglich eingezahlt hat. Eigentlich hat aber eine solche Institution gar kein Interesse daran, selbst zu schenken. Statt zu sparen, müssten die Menschen selbst individuell schenken. Durch den niedrigen Zins signalisiert die Bank, dass die Wirtschaft kein Kapital mehr braucht. Natürlich könnte in diesem Fall die Versuchung entstehen, das Geld dem ökonomischen Kreislauf zu entziehen und es irgendwo zu Hause aufzubewahren. Dieses kann jedoch durch geeignete Techniken verhindert werden: Geld, das weder zum Kaufen verwendet noch verliehen wird, soll ab einem bestimmten Zeitpunkt entwertet werden.[8]

Gesamtwirtschaftliches Denken und praktisches Tun

Die GLS Bank hat sich aus dem Impuls der GLS Treuhand, die sich zunächst »Gemeinnützige Treuhandstelle« nannte, entwickelt. Dass sich unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen eine Bank aus dem Impuls des Schenkens herausbilden konnte, sollte eigentlich bei wachen Zeitgenossen zu einem Erstaunen führen. Kenner des ökonomischen Gedankenguts Rudolf Steiners darf ein solcher Zukunftskeim hingegen mit Freude erfüllen. Dennoch sollte nicht die Illusion entstehen, dass die notwendigen Änderungen gesamtwirtschaftlicher Einrichtungen von einer einzelnen Institution ausgehen können. Vielmehr umgekehrt muss sich eine einzelne Institution den Rahmenbedingungen anpassen, wenn sie existieren will. Gerade im Alltagsgeschäft gehört dazu eine gehörige Portion Pragmatismus, der einzelbetriebliche Gesichtspunkte berücksichtigen muss. Werden diese notwendigen Gesichtspunkte zu dominant, droht der gesamtwirtschaftliche Blick zu verdunkeln, aus dem Steiners Gedanken zur Organisation des Schenkens gewonnen wurden. Betrachtungen zum Schenken, wie sie die GLS Treuhand anstellt, sind wichtig, weil sie über den Tellerrand hinausblicken. Die einzelbetriebliche Organisation des Schenkens ist ein wichtiger Anfang; eine umfassende Bedeutung erhält er dadurch, dass er in einen gesamtwirtschaftlichen Kontext gestellt wird. Die GLS Treuhand hat als eine Institution, die eine starke Vertrauensbasis bei ihren Kunden aufgebaut hat, die Möglichkeit, eine helle Fackel für einen neuen Umgang mit Kapital zu entzünden - eine Fackel, die auch Licht auf Bereiche wirft, die durch einzelne Institutionen nicht gestaltet werden können.

Anmerkungen

  • [1] Antje Tönnis u.a. für die GLS-Treuhand e.V. (Hg.): Da hilft nur schenken ..., Bochum/Frankfurt 2011.
  • [2] Vaughan, a.a.O., S. 15.
  • [3] Rudolf Steiner: Die soziale Grundforderung unserer Zeit - In geänderter Zeitlage (GA 186), Dornach 1990, S. 51. Vortrag vom 30.11.1918.
  • [4] In der FAZ vom 10.5.2011 wurde dieser Aspekt sehr gut von Gerald Braunberger im Leitartikel des Wirtschaftsteils Die Rückkehr von Geld und Kredit auf den Punkt gebracht.
  • [5] Es wird geschätzt, dass deutsche Banken 17 Milliarden Euro in griechischen Staatsanleihen angelegt haben. Die Europäische Zentralbank sei angeblich mit 135 Milliarden Euro (!) engagiert. Der Europäische Rettungsfonds hat 37,9 Milliarden Euro verliehen. Ein Drittel dieser Verluste müsste Deutschland tragen. Quelle: Mark Schieritz: Wie kommen wir da raus? In: Die Zeit, 12.5.2011, S. 23.
  • [6] »Im realen volkswirtschaftlichen Verkehr wird dann das Geld (gemeint ist das Leihgeld, S.E) eine geringere ... Verwertungskraft für alles Organisieren haben: je weiter es vorrückt, eine umso geringere Verwertungskraft. So dass es durch die Abnahme seiner Verwertungskraft allmählich in Schenkungsgeld übergehen kann ... «. Rudolf Steiner: Nationalökonomisches Seminar (GA 341), Dornach 1986, S. 79.
  • [7] Vgl. Rudolf Steiner: Betriebsräte und Sozialisierung (GA 331), Dornach 1989, S. 187 ff.
  • [8] Siehe hierzu Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage (GA 23), Dornach 1976, S. 132: »Es werden sich aus der Natur der Verhältnisse heraus Einrichtungen notwendig machen, welche dem Gelde für den Inhaber seinen Wert benehmen, wenn es die eben gekennzeichnete Bedeutung verloren hat. Auf solche Einrichtungen ist schon hingewiesen worden. Geldbesitz geht nach einer bestimmten Zeit in geeigneter Form an die Allgemeinheit über. Und damit Geld, das nicht in Produktionsbetrieben arbeitet, nicht mit Umgehung der Maßnahmen der Wirtschaftsorganisation von Inhabern zurückbehalten werde, kann Umprägung oder Neudruck von Zeit zu Zeit stattfinden.«

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