Der 15. Oktober

01.11.2011

Der 15.Oktober 2011 war ein denkwürdiger Tag, ob dieser Tag auch zu einem historischen Datum wird, ist noch nicht abzusehen.
Am 15.Oktober ereignete sich die weltweit größte Massendemonstration seit dem 15.Februar 2003, als 15 Millionen Menschen in sechzig Ländern gegen die drohende Invasion in den Irak auf die Straßen gingen.
Am 15.Oktober 2011 demonstrierten von Amerika bis Asien, von Afrika bis Europa Hunderttausende in 951 Städten in 82 Ländern an einem globalen Aktionstag gegen die Macht der Banken und für mehr Demokratie.
Man kann diese Bewegung eingebettet sehen in die große Erhebung der Zivilgesellschaften von Nordafrika, dem Iran und Südeuropa. Man kann es aber auch sehen, bei aller Diversität der proklamierten Parolen, als den Beginn eines unideologischen Aufbegehrens gegen den Kern des Kapitalismus, gegen die unberechtigte Macht des Kapitals selbst.
Unideologisch, weil es das Gefühl einer breiten Mehrheit der Bevölkerung artikuliert, das dieses System schlichtweg nicht funktioniert. Nimmt man die Mehrheit der meinungsbildenden und entscheidungstragenden Gestalten der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft einmal aus, die offenbar so tiefgreifend korrumpiert sind, dass die handgreiflichsten Tatsachen an ihnen abprallen, so herrscht ein breiter Konsens von links bis konservativ, dass das Finanzsystem seit Jahren systemzerstörend wirkt.
Von links wurde das schon immer in verschiedenen Variationen vorgetragen, mit allerdings meist zweifelhaften Lösungsvorschlägen, spektakulär ist, dass nun auch die Wachen unter den konservativen Kräften die Absurdität des jetzigen Finanzsystems begreifen. Die jetzige Bewegung ist in ihrer Mitte eine durchaus weitgehend bürgerliche, weniger staatsfixiert als die traditionelle Linke, von der Jugend initiiert, mit starker Resonanz aller Altersstufen und bewusst in ihrem Wollen, dass sie sich von niemandem vereinnahmen lassen möchte, nicht von den Parteien, nicht von den Gewerkschaften, nicht von großen Organisationen.
Es ist eine Bewegung derer, die sich betrogen und getäuscht fühlen, die die offiziellen Lügen schon lange nicht mehr glauben, aber jetzt sehen, dass es unmittelbar um ihre Existenz geht. Damit einher geht die Desillusionierung der Umsetzung der bürgerlichen Wertewelt.
Konservative fragen sich, ob sie mit ihrer lebenslangen Abwehr der als „links“ verschrieenen Systemkritik nicht falsch gelegen haben, ob die konservativen Werte nicht gerade von denen ausgenutzt und pervertiert werden, welche diese am lautesten propagieren: Den großen Playern der Finanzwelt.
Es wird diesen Konservativen deutlich: Unter dem argumentativen Deckmantel, dass nur die von allen Regeln befreite Marktwirtschaft den Wohlstand für alle und die Verteidigung der Demokratie garantiere, agiert lediglich der wüsteste Eigennutz und die Demokratie ist Privatbesitz der Superreichen.
Beispielhaft dazu die Sätze des konservativen britischen Journalisten und Thatcher-Biographen Charles Moore: „ The rich run a global system that allows them to accumulate capital and pay the lowest possible price for labour. The freedom that results applies only to them. The many simply have to work harder, in conditions that grow ever more insecure, to enrich the few. Democratic politics, which purports to enrich the many, is actually in the pocket of those bankers, media barons and other moguls who run and own everything.“[1]
Zur speziellen Rolle der Banken merkt Charles Moore an:
„ And when the banks that look after our money take it away, lose it and then, because of government guarantee, are not punished themselves, something much worse happens. It turns out – as the Left always claims – that a system purporting to advance the many has been perverted in order to enrich the few. …The role of the rest of us is simply to pay.“[2]
Der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, griff dieses Thema dann bejahend auf und erregte breite Resonanz auf seinen Artikel.[3]
Entscheidend dabei ist die Realisation des Funktionsverlusts des Finanzkapitalismus als Garant für Wohlstand und demokratische Teilhabe.
Konkreter noch werden in der Öffentlichkeit Personen, die in ihren Positionen fest in dieses System integriert sind, wie etwa der Börsenmakler Dirk Müller, als Mr. Dax zu internationaler Berühmtheit gelangt. Müller greift nicht nur die Ratingagenturen scharf an, sondern fragt auch, wie sich europäische Regierungen und die EZB von diesen privaten amerikanischen Organisationen abhängig machen können, er kritisiert den extremen Einfluss der Wirtschaft auf die Politik, die extreme Entwicklung der oberen Vermögen und vieles weitere, was man sonst nur von linker Seite hören konnte. Entscheidend ist auch hier, das die Kritik rein empirisch daherkommt und geradezu verblüffend offen ist die Fehleranalyse: das Zinseszinssystem, wichtiger Bestandteil der arbeitslosen Kapitalakkumulation, sowie das in der gegenwärtigen Krise bedeutendste Geschäftsmodell der Spekulanten, womit die Wetten gegen die Staaten und deren Hineintreiben in den Untergang erst möglich ist: die Geldschöpfung durch private Banken. Für alle, die noch immer glauben, die Unabhängigkeit der EZB würde dafür sorgen, dass sich die Staaten über die EZB nicht letztlich selbst mit Geld versorgen, sei gesagt: schon jetzt wird der Großteil der Gelder von der EZB bereitgestellt, nur mit dem absurden Effekt, dass die Zwischenhändler (die Privatbanken) dabei enorme Gewinne generieren und natürlich ein Interesse daran haben, dass die Renditen hoch sind, als Folge der negativen Bewertungen der Ratingagenturen, also keinerlei Interesse haben, dass die Krise aufhört, solange der Steuerzahler das Risiko übernimmt.
Eine Bank kann sich heute Geld bei der EZB für 1,25 % Zinsen leihen, die damit gekauften Italienischen Staatsanleihen, (z.B. Einjährige, Zinssatz z.Z. etwa bei 6%,) als Mindestreserve bei der EZB hinterlegen und nach einem Jahr ca. 4 % Gewinn verbuchen. Für dieses Geschäft braucht man einen Computer und den Zeitaufwand einiger Mausklicks. Bei einer Milliarde Euro ein Gewinn von 40 Millionen Euro.
Frankreich und Italien müssen sich allein bis Ende 2012 jeweils mehr als 500 Milliarden € besorgen!
Eine weitere wichtige Stimme findet sich mit Thomas Fricke dem Chefökonom von Financial Times Deutschland, der seit Monaten jeden Freitag hervorragende Artikel liefert[4] und sich in vielen Punkten in der Analyse der desaströsen, nur auf Gewinnsicherung der Großfinanz abgestellten europäischen Krisenpolitik, auf einer Linie findet mit Leuten wie dem Chefökonom der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung Heiner Flaßbeck[5], oder dem Nobelpreisträger für Ökonomie Paul Krugman[6].
Der hierbei wichtigste Punkt ist die, als zumindest für die Ebene zwischen Ländern geltende Erkenntnis, dass es auf dieser Ebene keine Konkurrenzwirtschaft geben kann, da es hier keine Gewinner gibt. Die Gewinne des Einen sind die Verluste des Anderen. Ohne ausgeglichene Handelsbilanz lässt sich keine stabile Wirtschaft realisieren. Rudolf Steiner hatte dies seinerzeit mit der geschlossenen Weltwirtschaft illustriert, schließlich könnten wir ja nicht auf den Mond exportieren, als neuem Absatzmarkt, wenn uns auf der Erde keiner mehr unsere Waren abnehmen kann. Die Idee des assoziativen Wirtschaftens ergibt sich hiermit zwingend aus der Notwendigkeit die Krise zu bewältigen.
Aus der Krise kristallisieren sich elementare Elemente der Dreigliederung als Notwendigkeit heraus. Als Beispiele seien die Dinge angeführt, die zunehmend in das öffentliche Bewusstsein kommen, ohne das diese als Dreigliederungselemente identifiziert werden: Die Autonomie des geistigen Lebens, angesichts der offensichtlichen Unfähigkeit der Wirtschaftswissenschaft infolge ihrer korrupten Verflechtung mit Staat und Wirtschaftsunternehmen, das assoziative Wirtschaften, angesichts der fatalen Folgen einseitiger Handelsbilanzüberschüsse, eine einschneidende an die Wurzel gehende Veränderung des Geldsystems, angesichts der nicht mehr beherrschbaren Kapitalakkumulation, (hier stellt sich auch die Eigentumsfrage, da große Teile der vagabundierenden Geldmassen, zumindest in Deutschland, durch erpresserischen Lohndruck gewonnen wurden), sowie eine tiefgreifende Demokratisierung, angesichts der nur noch von kleinen Zirkeln ohne demokratische Legitimation getroffenen Entscheidungen, welche jedoch die Lebenswirklichkeit von Millionen Menschen einschneidend treffen.

Rudolf Steiner hatte das Prinzip der Marktwirtschaft einst als Krebsgeschwür charakterisiert, welches in Eruptionen, in zerstörerische Kriege mündet. Die aktuelle Gestalt des Finanzsystems ist gleichzeitig Kern, Hintergrund, Triebfeder und die bislang radikalste Ausgestaltung dieses Prinzips. Ein Prinzip welches gigantische Vermögen produzieren kann, ohne jegliche reale Wertschöpfung. Und doch werden diese Werte eingefordert und Menschen müssen sie erarbeiten, oder in Abwandlung des obigen Zitats von Charles Moore: „ The role of the rest of us is simply to work.“

Am 15.Oktober 2011 haben sich weltweit, gleichzeitig und in größtmöglicher individueller Ungebundenheit an lenkende Organisationen viele Menschen dagegen erhoben, für alle Zukunft die Heloten des Kapitals zu sein.

Anmerkungen:

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